Es ist immer wieder erstaunlich, wozu Menschen bereit sind, wenn religiöse Motive ins Spiel kommen. Wer für die WTG als Sonderpionier, Kreisdiener oder Bethel-Mitarbeiter dient, akzeptiert es offensichtlich ohne zu murren, dass er während seiner Arbeitszeit keinerlei Krankenversicherungsschutz hat.
Das heißt, rutscht ein Sonderpionier auf seinem Gang von Haus zu Haus aus und bricht sich ein Bein, dann hat er ganz schnell eine Krankenhausrechnung von mehreren tausend Mark am Hals. Und das bei einem "Einkommen" unterhalb des Existenzminimums. Ein weiteres Beispiel, das einen Eindruck vom wahren Gesicht hinter der christlichen Fassade von "Jehovas Organisation" vermittelt.
Jehovas Zeugen bezeichnen sich gerne als die einzig wahren Christen. Doch hatte nicht Christus gesagt, seine Jünger würde man daran erkennen, daß sie Liebe untereinander hätten? Ein Blick hinter die freundliche Fassade enthüllt, wie es die Wachtturm-Gesellschaft mit der praktischen Seite brüderlicher Liebe hält. Zum Beispiel wenn es um die Krankenversicherung der im sogenannten "Vollzeitdienst" für sie tätigen Mitarbeiter geht.
Das Rundschreiben richtet sich an alle Vollzeitdiener und informiert über "Stellung, Krankenversicherung und Verhalten bei Unfällen". Im ersten Absatz wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es sich um eine hoch vertrauliche Angelegenheit handelt: "Es ist zu Eurer persönlichen Information bestimmt und nicht an andere Personen zur Einsichtnahme weiterzugeben". Der Grund für diese Geheimniskrämerei wird schnell deutlich, wenn man die Ungeheuerlichkeiten liest, die in den folgenden 6 Seiten dargelegt werden.
Zunächst wird dem Leser klargemacht, daß die Wachtturm-Gesellschaft zwar eine ganze Menge von ihm erwartet, aber nicht bereit ist, im Gegenzug dafür irgendwelche Verpflichtungen einzugehen. Schließlich übe der Vollzeitdiener seine Tätigkeit absolut "freiwillig und ehrenamtlich" aus. Und das heißt im Klartext, "es besteht zwischen der Gesellschaft und den Vollzeitdienern kein arbeitsrechtliches Dienstverhältnis". Warum es dafür dennoch Geld gibt? Ganz einfach: "Um den Vollzeitdienern zu ermöglichen, ihre ganze Zeit und Kraft in ihrem Dienst einzusetzen." Aus diesem Grund arbeitet die angelernte Hilfskraft an der Druckmaschine auch nicht für die Wachtturm-Gesellschaft, sondern übt lediglich ein Werk mit "gottesdienstlichem Charakter" aus. Und dafür erhält erhält sie keinen Lohn, sondern wird "von der Gesellschaft wirtschaftlich unterhalten".
Doch der ganz große Hammer kommt erst noch.
"Wenn jemand den Vollzeitdienst aufnehmen möchte, muß er zuvor ein möglicherweise in der gesetzlichen Krankenversicherung bestehendes Versicherungsverhältnis gelöst haben." Logisch, ein solches Versicherungsverhältnis würde schließlich die Verpflichtung für den Arbeitgeber mit sich bringen, die Hälfte der Beiträge zu berappen. Aber nicht so für den Beschäftigten der WTG: "Aufgrund seiner ehrenamtlichen Tätigkeit besteht für ihn im Vollzeitdienst keine Versicherungspflicht in der Kranken- und Sozialversicherung. Es gibt für ihn aber auch keinen Versicherungsschutz im Fall von Krankheiten, Unfällen usw."
Doch die liebenden Brüder werden natürlich nicht im Regen stehen gelassen, denn "um allen Vollzeitdienern die Möglichkeit einer Krankenversicherung zu bieten, hat die Gesellschaft eine Mantelvereinbarung mit der DAK, Geschäftsstelle Ludwigshafen, getroffen." Was in dem Schreiben nicht steht, ist die Tatsache, daß es eine derartige Vereinbarung überhaupt nicht gibt. Warum sollte auch eine Krankenkasse für jeden kleinen Verein eigene Vereinbarungen treffen? Dafür gibt es Hinweise, daß ausdrücklich auf die DAK Geschäftsstelle in Ludwigshafen verwiesen wird, weil dort ein paar Zeugen an einflußreicher Stelle sitzen, mit denen man vermutlich unter der Hand so einiges verabredet hat. Aus diesem Grund sollen auch "alle Rückfragen von Mitgliedern an die DAK nur an die Geschäftsstelle Ludwigshafen gerichtet werden, niemals an irgendeine andere Geschäftsstelle." Und wenn die DAK die Einkommensverhältnisse ihrer Mitglieder überprüft, sind die Hinweise der WTG wichtig, "was beim Ausfüllen des Formulars zu beachten ist". Außerdem sollte dieses Formular an die WTG und keineswegs direkt an die DAK geschickt werden. So handelt niemand, der einen ganz offiziellen Vertrag abgeschlossen hat.
Aber nur nicht zu früh gefreut. Natürlich ist die brüderliche Liebe gegenüber den Vollzeitdienern für die WTG völlig kosten neutral, denn "die Abführung der Beiträge erfolgt über die Gesellschaft. Der entsprechende Beitrag wird von der Zuwendung bzw. dem Taschengeld des Vollzeitdieners einbehalten." Mit anderen Worten: Von den lächerlichen paar Mark, die ein Sonderpionier, Kreisdiener oder Bethel-Mitarbeiter bekommt, werden ihm auch noch weit über hundert Mark für seine Krankenversicherung abgezogen.
Doch wofür eigentlich? Ganz zum Schluß des langatmigen Schreibens wird endlich die Katze aus dem Sack gelassen: "Da bei Vollzeitdienern für Unfälle während ihrer Dienstzeit keine (!) Krankenversicherung besteht, muß der Vollzeitdiener bei einem solchen Fall selbst (!) für alle durch die notwendige medizinische Versorgung entstehenden Kosten aufkommen." Mit anderen Worten: Wenn ein Sonderpionier bei seinem Gang von Haus zu Haus ausrutscht und sich ein Bein bricht, dann hat er ganz schnell eine Rechnung am Hals, die seine Einkommensverhältnisse bei weitem übersteigt. Solche Fälle hat es gegeben und "Jehovas Organisation" hat in ihrer grenzenlosen christlichen Liebe nicht etwa die Kosten übernommen, sondern vom Betroffenen verlangt, sie über viele Monate in Miniraten ab zu stottern.
Aber schließlich war der Betroffene selber schuld, denn in Ihrem Rundschreiben vom 1. Mai 1983 steht schließlich klar und deutlich: "...die Kosten werden nicht von der DAK übernommen, sondern uns zur Zahlung aufgegeben, und Ihr müßt sie uns dann erstatten, weil sich die Krankenversicherung der DAK nicht auf Unfälle während der Dienstzeit erstreckt."
Erstaunlich ist nur, daß hier plötzlich von "Dienstzeit" die Rede ist, während doch am Anfang klar herausgestellt wird, daß ein Vollzeitdiener lediglich "freiwillig und ehrenamtlich" ein Werk mit "gottesdienstlichem Charakter" ausübt. Erstaunlich ist aber auch, daß es auch heute noch Hunderte von Zeugen Jehovas gibt, die derartige Arbeitsbedingungen ohne Widerspruch akzeptieren. Und da soll noch einer sagen, was bei den Zeugen Jehovas abläuft, hätte nichts mit Gehirnwäsche zu tun.