Im Mai tritt die neue Datenschutzverordnung der EU in Kraft. Organisationen, Kirchen, Gemeinschaften, Unternehmen, Institutionen, Vereine usw., die personenbezogene Daten erheben, unterliegen ab dem 25. Mai 2018 der neuen EU-Richtlinie zum Datenschutz. Dies betrifft auch die WTG bzw. die KdöR, durch die Jehovas Zeugen in Deutschland rechtlich vertreten werden. Der hier diskutierte Text auf jw.org ist der Versuch der WTG, der neuen Verordnung im Rahmen ihrer religiösen Praxis gerecht zu werden.
Zur neuen Datenschutzverordnung der EU nachfolgend ein Zitat von der Website der Rheinischen Post:
Betroffen sind alle, die automatisiert personenbezogene Daten verarbeiten, also vor allem Unternehmen und Selbständige – aber auch das elektronische Mitgliederverzeichnis eines Vereins fällt schon unter die DSGVO. Die DSGVO gilt also für Großkonzerne wie Facebook und Google aber eben auch für kleine Handwerksbetriebe. Ausgenommen sind Privatpersonen, wenn diese Daten für persönliche oder familiäre Zwecke verwenden
rp-online.de Was die neue Datenschutzverordnung der EU bedeutet
Beispielsweise unterliegt auch der Verein Sektenausstieg e.V. der genannten Verordnung und muss seinen Mitgliedern die verordnungsgemäße Kontrolle über die von ihm gespeicherten, personenbezogenen Daten gewährleisten.
Problematisch sind aus meiner Sicht eine Reihe von Formulierungen im WTG-Text, durch die man der WTG quasi einen datenschutzrechtlichen Blanko-Scheck ausstellt: Formulierungen wie „Informationen hinsichtlich des geistigen Standes“ oder der Satz
Die Daten schließen Informationen ein, die die religiösen Überzeugungen des Verkündigers erkennen lassen und können auch andere sensible personenbezogene Daten beinhalten.
Wenn ich den Text richtig verstehe, behält sich die WTG vor, personenbezogene Daten, darunter auch sensible Informationen über Verkündiger zu erheben, zu speichern und zu verarbeiten. Auf Computern und Servern der WTG – und zwar auf all ihren Hierarchie-Ebenen (Ortsversammlung, Zweigbüro, Weltzentrale) – können so digitale Dossiers entstehen über Einzelpersonen und ihren jeweiligen „geistigen Stand“, den aktuellen Grad ihrer „religiösen Überzeugung“ und „andere sensible personenbezogene Daten“. Unter letztere Formulierung könnten beispielsweise sittliche Verfehlungen fallen, etwa Gründe, warum jemand von Ältesten „ermahnt“ oder „zurechtgewiesen“ wurde, wenn jemand „wiederbelebt“ wurde, wann und warum man jemanden für „bezeichnet“ hielt, wann und warum und für wie lange jemandem die Gemeinschaft entzogen wurde, welche „Auflagen“ einem Zurechtgewiesenen oder Wiederaufnahmewilligen auferlegt wurden, warum jemandem Privilegien oder Dienstämter entzogen oder nicht gewährt wurden usw. Dies wären dann in der Tat digitale Dossiers, auf die nicht nur Älteste der Ortsversammlung, sondern ggf. auch Vertreter des Zweigbüros oder der Weltzentrale Zugriff hätten. Sehr intime Bereiche wie die persönliche Gottesbeziehung, „Verfehlungen“ und Schuld, Intimität/Sexualität etc., Lebensbereiche, die im Normalfall durch Scham oder Tabu geschützt sind bzw. sein sollten, werden so in digitaler Form einer anonymen, organisationsinternen Öffentlichkeit preisgegeben. Hier zeichnet sich unter Umständen ein bedenkliches „George-Orwell-Szenario“ ab.
Von den einzelnen Verkündigern erwartet die WTG, ein entsprechendes Formular zu unterschreiben. Dieses Formular heißt „Erklärung und Einwilligung hinsichtlich der Verwendung personenbezogener Daten“. Durch Unterschrift räumt man der WTG weitreichende Befugnisse ein zur Erhebung und dauerhaften Speicherung personenbezogener Daten, einschließlich sensibler persönlicher Informationen. Auch wenn vielleicht der eine oder andere ZJ Bauchschmerzen dabei bekommt, die Einwilligung zu unterschreiben, so wird leider der von oben ausgeübte Erwartungsdruck in Kombination mit dem intern herrschenden Gruppendruck dazu führen, dass ein Großteil der Verkündiger die Einwilligung durch Unterschrift erteilt. Wer nicht unterschreibt, so verstehe ich die Anweisung, gilt möglicherweise offiziell noch als Verkündiger, scheint aber aus Sicht der WTG nicht länger für Ämter und Funktionen innerhalb der Organisation geeignet. Im Text heißt es dazu:
Wenn ein Verkündiger das Formular Erklärung und Einwilligung hinsichtlich der Verwendung personenbezogener Daten nicht unterschreibt, mögen Jehovas Zeugen nicht in der Lage sein, seine Eignung für gewisse Funktionen in der Versammlung, oder zur Teilnahme an gewissen religiösen Tätigkeiten zu beurteilen.
Informationen zum Thema finden sich auch im neuesten Video von Lloyd Evans in seinem „John Cedars Kanal“ auf YouTube unter Publisher ID - Episode 11 - Watchtower: In Focus
Siehe auch die Diskussion im Form: Neue Datenschutzlinie bei der WTG