Fragt man einen Zeugen Jehovas, ob er sich als vollwertiges Mitglied "seiner" Versammlung fühle, dann wird man sicher auf überzeugte Zustimmung stoßen.
Bei längerer Unterhaltung über die Struktur seiner Religionsgemeinschaft fallen dann regelmäßig auch Begriffe, wie "theokratisch", "Jehovas Organisation", "leitende Körperschaft" oder "treuer und verständiger Sklave. Kaum ein Zeuge ist jedoch in der Lage, genau zu erklären, warum an seinem Königreichssaal der Name "Zeugen Jehovas" steht, die dahinter stehende Organisation jedoch stets unter dem Zeichen des Wachtturms auftritt.
Da ist es denn auch kein Wunder, daß die meisten Zeugen Jehovas noch nicht einmal die simple Tatsache kennen, daß sie in dem Königreichssaal, den sie jede Woche besuchen, in Wirklichkeit nur zahlende Gäste sind. Sie haben ihn vielleicht mit ihren eigenen Spenden bezahlt oder mit ihrer eigenen Arbeitskraft aufgebaut, doch sie haben absolut keine Rechte an diesem Saal. Genauso, wie sie keinerlei Rechte gegenüber dem eingetragenen Verein haben, als der ihre Versammlung offiziell eingetragen ist.
Ein Blick auf die Satzung, die alle Versammlungen beim zuständigen Amtsgericht eingereicht haben, macht schnell deutlich, wie die rechtlichen Verhältnisse wirklich aussehen.
Das fängt schon in §2 an. Hier heißt es, der Verein verfolge "nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke", ergänzt durch den Hinweis "im Sinne des Abschnitts "Steuerbegünstigte Zwecke" der Abgabenordnung" diene er "ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen Zwecken". Man merke, wirtschaftliche Zwecke werden nicht ausdrücklich ausgeschlossen, aber mit Hinblick auf die steuerliche Einordnung betont man die Gemeinnützigkeit des Vereins.
In den folgenden Abschnitten werden die eigentlichen Zwecke des Vereins definiert. Da wird von der Verbreitung von Schriften gesprochen, "die Aufklärung und Kommentare enthalten, welche biblische Wahrheiten und Prophezeihungen über die Errichtung des Königreiches ... erklären." Interessant ist dabei, wer an dieser Verbreitung beteiligt ist, nämlich "seine Mitglieder und andere mit ihm verbundene christliche Männer und Frauen, die von ihm ermächtigt und ausgesandt werden..."
Die biblischen Wahrheiten werden also nicht nur von den Mitgliedern selbst verbreitet, sondern auch von anderen Personen, die jedoch dafür speziell ermächtigt sein müssen. Eine Formulierung, deren Bedeutung erst später klar wird.
Doch wer ist eigentlich ein Mitglied? Ganz einfach: "Personen, die ... Zeugen Jehovas sind und in voller Übereinstimmung mit den Zielen des Vereins sind." Und wie wird man Mitglied? Entweder auf Antrag oder "durch Vorschlag eines Mitglieds an den Vorstand. Auf jeden Fall gilt jedoch: "Über die Aufnahme entscheidet der Vorstand." Um Mitglied in einer Versammlung der Zeugen Jehovas zu werden, muß man also einen Antrag stellen und vom Vorstand akzeptiert werden.
Wie bei jedem eingetragenen Verein setzen sich die Vereinsorgane aus dem Vorstand und der Mitgliederversammlung zusammen. Dabei gilt: "Die Mitglieder des Vorstands werden jedes Jahr für die Dauer eines Jahres von der Mitgliederversammlung ... gewählt." Diese findet "einmal im Jahr, im Monat Februar" statt. Dabei geht es streng demokratisch zu, denn: "Alle Mitglieder sind stimmberechtigt und haben je eine Stimme". Wer Mitglied einer Versammlung ist, darf also mindestens einmal pro Jahr an einer Mitgliedsversammlung teilnehmen und unter anderem über die Zusammensetzung des Vorstandes bestimmen.
Interessant ist dann noch der Hinweis, was nach einer eventuellen Auflösung des Vereins mit dessem Vermögen zu geschehen hat. Es fällt "an die Wachtturm Bibel- und Traktatgesellschaft, Deutscher Zweig e.V.".
Der Autor dieses Artikels war über 25 Jahre mit unterschiedlichen Versammlungen der Zeugen Jehovas verbunden. Während dieser Zeit war er nicht ein einziges Mal darauf aufmerksam gemacht worden, daß er erst einen Aufnahmeantrag stellen mußte, um Mitglied des Vereins zu werden, den die jeweilige Versammlung bildete. Auch hat er nie etwas von einer Mitgliederversammlung mitbekommen. Und er wußte bei keiner der Versammlungen, wer gerade den Vorstand bildete. Mit anderen Worten, er war nie Mitglied bei den Zeugen Jehovas. Genauso, wie die Mehrzahl der über 160.000 Zeugen Jehovas in Deutschland keine Mitglieder dieser Religionsgemeinschaft sind. Sie gehören lediglich zu den "anderen" Männern und Frauen, die von den schätzungsweise 300 tatsächlichen Mitgliedern in Deutschland "ermächtigt und ausgesandt" werden.
Nun werden einige Zeugen Jehovas einwenden, daß dies alles eigentlich völlig irrelevant sei. Schließlich handle es sich hier um Jehovas Organisation und eine Versammlung würde nur deshalb einen eingetragenen Verein bilden, um "den Gesetzen Cäsars Genüge zu tun". Daß dies eine reichlich ignorante Denkweise ist, wird jedoch spätestens dann deutlich, wenn man sich einmal die rechtliche Situation und ihre Folgen vor Augen führt.
Wer kein Mitglied eines Vereines ist, hat auch keinerlei Rechte gegenüber diesem Verein. Das heißt, er hat folglich weder Einfluß auf die Verwendung des Vereinsvermögens, noch ist er an irgendeiner anderen Entscheidungsfindung beteiligt. Das heißt, er darf zwar Geld spenden, aber nicht darüber entscheiden, ob es im Interesse der örtlichen Versammlung eingesetzt wird, oder in den anonymen Spendentopf der WTG wandert. Er darf zwar mit seinem Geld oder seiner eigenen Arbeitskraft zum Bau des örtlichen Königreichssaals beitragen, hat aber anschließend keinerlei Recht auf die Benutzung dieses Saals. Da er im juristischen Sinne kein Mitglied der Versammlung ist, kann man ihn sogar jederzeit den Zutritt zu Zusammenkünften der Versammlung verwehren.
Ein weiterer Aspekt ist, daß die drei Personen des Vorstands jederzeit die Liquidation des Vereins beschließen können, ohne daß irgendjemand in der Lage wäre, sie daran zu hindern. Das Vermögen des Vereins – beispielsweise der Grundbesitz – würde dann automatisch an die WTG fallen. Die Versammlung, die ja dann im juristischen Sinne nicht mehr exisitiert, würde dann von heute auf morgen ohne ihren Königreichssaal dastehen. Auch wenn die Mitglieder der Versammlung diesen Saal zuvor in mühevoller Eigenarbeit selbst erbaut hatten.
Es muß wohl nicht näher erläutert werden, wer bei dieser Organisationsform alle Trümpfe in der Hand hat und wer im Zweifelsfall der Dumme ist.