Immobilien sind die wohl sicherste Geldanlage, die man sich denken kann. Sie sind keiner Inflation unterworfen und nehmen fast automatisch an Wert zu.
Und sie können von jedem Verein erworben werden, ohne daß der Staat dabei die Hände aufhält. Tatsachen, die man natürlich auch in Selters kennt und daher vermehrt in den Bau von Königreichssälen investiert.
Welcher Zeuge Jehovas möchte schon hintenan stehen, wenn es darum geht, beim Bau eines neuen Königreichssaales mit anzupacken. Und wer prüft nicht gewissenhaft seine finanziellen Möglichkeiten, wenn es heißt, den "eigenen" Saal zu finanzieren. Eine Tatsache, die sich die WTG zu Nutze macht, um vermehrt in die Vergrößerung ihres Immobilienbesitzes zu investieren.
Im Osten des Landes ist die Sache ganz einfach. Dort kommen noch viele Versammlungen in gemieteten Räumen zusammen und sind offensichtlich bereit, das letzte Hemd für einen eigenen Königreichssaal zu geben. So jedenfalls sieht es die WTG und verlangt von ihnen, mindestens die Hälfte der Baukosten anzusparen, bevor über den Bau entschieden wird.
Im Westen sieht die Sache jedoch anders aus. Hier liegt die Mehrung mittlerweile unter Null und neue Säle werden in den seltensten Fällen benötigt. Doch auch hier gibt es einen Trick, um die Bautätigkeit weiter voranzutreiben. Und der steckt zwischen den Zeilen einer WT-Broschüre unter dem Titel "Weiterhin unter der Hand Gottes zusammenwirken".
Dort liest der gläubige Zeuge, daß "[...] es besonders in Großstädten erforderlich geworden ist, verstärkt Doppel- und sogar Mehrfachsäle zu errichten. Diese würden dann von einer größeren Anzahl von Versammlungen benutzt werden." Man spricht dabei von "Königreichssaalkomplexen" und verweist auf das Beispiel Nürnberg-Schweinau, wo ein solcher Komplex steht, in dem 10 Versammlungen in 4 Sälen zusammenkommen. Objekte dieser Art wurden bereits in Frankfurt/Main und Leipzig errichtet, weitere sind für Düsseldorf, Hamburg, Karlsruhe, Köln und München geplant.
Daß diese Bauvorhaben "erforderlich geworden" sind, ist natürlich ein Witz. In all den genannten Städten gibt es bereits genügend Königreichssäle und wenn dennoch ein weiterer erforderlich wäre, dann würde der nur einen Bruchteil von dem kosten, was so ein Königreichssalkomplex verschlingt. Doch die WTG denkt da anders. Und sie denkt offensichtlich weniger an den realen Nutzen, sondern an ihre eigenen finanziellen Interessen. Die Botschaft steht im folgenden Abschnitt unter dem Stichwort "Kongreßsäle":
Mit Beginn des Jahres 1998 hat sich eine Veränderung ergeben, denn die jeweiligen Bereichsvereine, die als Eigentümer die Kongreßsäle errichteten und unterhielten, haben sich aufgelöst und gemäß ihrer Satzung die Säle an die Gesellschaft übertragen.
Was dem Leser nicht verraten wird, ist die Tatsache, daß alle im Bereich der ehemaligen DDR gebauten Säle von vornherein direkt der WTG gehören. Dazu kommmt, daß in jeder Vereinssatzung in den westlichen Bundesländern zu lesen ist, daß nach Auflösung des Vereins sämtliches Vereinsvermögen an die WTG geht. Mit anderen Worten: Man muß den Verein nur auflösen und schon hat man eine Immobilie im Wert von mehreren hunderttausend Mark.
Genau das ist vermutlich der eigentliche Sinn hinter den Königreichssalkomplexen. Dort muß in Kürze ein Königreichssaal aufgegeben werden, da der Mietvertrag gekündigt wurde. Die billigste Lösung wäre nun, sich einfach ein geeignetes Grundstück zu suchen und einen neuen Saal zu bauen. Die Lösung, für die in den betroffenen Versammlungen zur Zeit die Sammelbüchse geschwenkt wird, ist jedoch um einige Dimensionen größer. Sie sieht einen Komplex mit vier Sälen in einem Industriegebiet am Rande der Stadt vor, in das dann alle Karlsruher Versammlungen zusammengefaßt werden sollen.
Dafür wurde auch schon 'mal der Preis genannt. Außerdem wurde den Karlsruher Zeugen mit geschickter Rhetorik vorgerechnet, daß davon auf jeden "Verkündiger" etwas über 2.000 Mark fallen. Jeder, der nicht kräftig zum Bau des neuen Saalkomplexes beitragen will oder kann, soll also künftig ein schlechtes Gewissen haben, wenn er in der Versammlung einen Stuhl belegt.
Es ist also beabsichtigt, die Finanzierung des neuen Königreichssaalkomplexes voll auf die beteiligten Versammlungen abzuwälzen. Von den bereits bestehenden Sälen, die sich teilweise in besten Innenstadtlagen befinden, spricht niemand. Und das wohl aus gutem Grund. Denn wenn man die über die rechtliche Situation meist völlig uninformierten Zeugen darauf aufmerksam machen würde, welches Kapital die vorhandenen Säle repräsentieren, sähe es mit der Spendenfreudigkeit sicher anders aus.
Auch dürfte den meisten Zeugen nicht bewußt sein, daß der Saal, in dem sie sich dreimal die Woche treffen, nicht etwa denen gehört, die ihn mit eigenen Händen gebaut und mit sauer verdientem Spendengeld dafür aufgekommen sind. Ganz und gar nicht. Er gehört vielmehr zum Vereinsvermögen der Versammlung. Das heißt, er gehört den maximal sieben Personen, die als Vereinsmitglieder eingetragen sind. Und falls der Verein aufgelöst werden sollte, fällt der Saal nach dem Wortlaut der Vereinssatzung der WTG zu.
Die WTG muß also nur die Versammlungen einer Stadt auflösen und die vorhandenen Säle gehen in ihr Vermögen über. Danach werden dann die Versammlungen neu strukturiert, es wird ein Königreichssalkomplex gebaut und es wird mit kostenlosen freiwilligen Helfern und vielen Spenden wieder neuer Grundbesitz geschaffen. Ein Vorgang, der eigentlich ganz einfach ist, den aber kaum einer durchschaut, weil kaum jemand über die genauen rechtlichen Zusammenhänge informiert ist.
Das ist hinter den harmlos klingenden Worten zu verstehen, es sei "erforderlich geworden", Doppel- und sogar Mehrfachsäle zu bauen.