Falls sie das letzte Mal zusammengekommen sein sollten, würden die tausende Zeugen Jehovas, die sich letzte Woche im New Yorker Yankee Stadion zu einem internationalen Kongreß versammelten, in keinster Weise überrascht sein.
Tatsächlich erwarten sie für die nächsten Jahre die Katastophe von Harmagedon. Die letzten Berechnungen dieser energiegeladenen, endzeit-bewussten Sekte datieren das Ende der Welt auf den Herbst 1975.
Auch wenn es für andere religiöse Gläubige eher beängstigend ist, erfreut ist die Aussicht auf das Ende die Herzen der 323.688 US-Mitglieder der Wachtturm Bibel und Traktat Gesellschaft, wie die Zeugen offiziell heißen (weltweite Mitgliedschaft: 1.155.826). Gemäß der Berechnung der Sekte führte 1914 "Gottes Zeitplan" in die letzten Tage. Seitdem ersehnen die Zeugen das Ende "des bösen Systems der Dinge" und den Beginn des Milleniums. Nach ihrer buchstäblichen Interpretation der Bibel wird basierend auf Offenbarung 14,1 Gott der Herr 144.000 Zeugen auswählen, um mit Christus im Himmel zu regieren. Die Übrigen bleiben auf der Erde und konvertieren Ungläubige. Am Ende der 1.000 Jahre würden die Bösen vernichtet, die Erretteten sich dagegen eines irdischen Paradieses erfreuen. In seiner Schlußansprach der einwöchigen Versammlung Delegierter aus 78 Ländern, erörterte der in Pennsylvania geborene Präsident der Sekte Nathan H. Knorr überzeugt das Thema "Tausend Jahre des Friedens sind nahe".
Disziplinierte Theokratie
Der New Yorker Kongreß ist der Beginn einer Serie von moralisch aufrichtenden Vortragsreihen und biblischen Dramen, die die Zeugen in 25 Städten rund um die Welt, von Pomona über Paris bis Papeete, bis Dezember halten werden. Die Zeugen beanspruchen, unter der Aufsicht einer von Knorr geführten disziplinierten Theokratie ihre Version des Evangeliums in 200 Ländern zu predigen.
Im Gegensatz zu den meisten reliösen Gläubigen sind die Zeugen fast immer in Schwierigkeiten mit dem Gesetz, in der USA und auch anderswo. Sie lehnen Militärdienst nicht aufgrund von Gewissensgründen ab, sondern wegen des zweifelhaften Anspruchs jedes getaufte Mitglied der Sekte sei ein Geistlicher. Eine Umfrage zeigte, daß im letzten Jahr 300 junge amerikanische Zeugen zur Vermeidung der Einberufung im Gefängnis waren. Gegenwärtig haben sie in mehreren afrikanischen Gebieten Probleme. In Sambia zum Beispiel wurden 3.700 Kinder von Zeugen von den öffentlichen Schulen verwiesen, weil sie den Fahnengruß verweigern, wie sie es im übrigen überall tun, weil es eine Art von Zusammenarbeit ausdrückt, die man Gott allein schuldet.
Rückbesuche
Da Harmagedon so nahe ist, verschwenden die Zeugen keine Zeit auf soziale Aufgaben, an denen sich andere Kirchen beteiligen, sondern konzentrieren sich vielmehr hartnäckig auf Evangelisation auf der Straße und von Tür zu Tür. Im letzten Jahr predigten Zeugen 208.666.762 für Stunden, machten 89.903.578 Rückbesuche bei Personen, die ausreichend am Kauf von Büchern oder Zeitschriften interessiert sind, führten allerdings nur 82.842 Taufen durch, das sind damit mehr als 1.000 Rückbesuche für jeden Konvertierten.
Die Zeugen glauben einen biblischen Beweis für das kommende Ende zu haben. Zum einen wurden nach ihrer Interpretation biblischer Chronologie Adam und Evas vor 5994 Jahren im Herbst 4026 v.Chr. erschaffen. Angeknüpft an 6.000 Jahre für die 6 Schöpfungstage glauben sie, passenderweise gäbe es beginnend im Jahre 1975 im Anschluß eine sabbatähnliche Ruhe, obwohl die Zeugen vorsichtig eine offene Vorhersage in Bezug auf das Jahr vermeiden. Außerdem bedeutet Christi Versprechen, "diese Generation werde nicht vergehen, bis alle Dinge geschehen sind", daß die Generation, die 1914 am Beginn der letzten Tage lebte, Harmagedon erleben werden. Da sie beobachten, wie diejenigen dieser Generation immer weniger werden, sind sich Jehovas Zeugen sehr bewußt, daß die verbleibende Zeit zu Ende geht.
Time, 18. Juli 1969