Vielfach wirft die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas Kritikern und ehemaligen Mitgliedern vor, sie würden geschickt Dokumente fälschen und andere unredliche Maßnahmen gebrauchen, um Menschen in die Irre zu führen. Schauen wir uns ein aktuelles Zitat an:

Abtrünnige schleusen "unauffällig" schädliches Gedankengut ein, "schmuggeln" ihre verkehrten Ansichten also heimlich, still und leise in die Versammlung. Und wie Betrüger, die mit geschickt gefälschten Dokumenten arbeiten, so versuchen Abtrünnige, anderen "verfälschte Worte", also irreführende Argumente, unterzuschieben, um ihnen ihre verkehrten Ansichten als "echt" zu verkaufen. Abtrünnige haben nicht das geringste Interesse daran, dass es uns gut geht.

Der Wachtturm 15.07.2011, Seite 16

Ich möchte anhand der Literatur der Zeugen Jehovas belegen, dass die Religionsgemeinschaft vor Gericht Aussagen tätigt, die nicht der Wahrheit entsprechen. Damit mir nicht vorgeworfen werden kann, ich würde Inhalte verfälschen, habe ich bei jedem Zitat die Quelle mit angegeben. Ich empfehle auch jedem Interessierten die Quellen im Zusammenhang zu lesen, damit nicht der Vorwurf der Textfledderei vorgebracht wird.

Beginnen möchte ich mit dem Urteil des Bundesverwaltunggerichts in Berlin, OVG 2 B 12.01 / VG 27 A 214.93:

Aussage des Gerichts, Seite 5:

Der Aufklärung bedürfe ferner, ob die Religionsgemeinschaft gegenüber den in der Gemeinschaft verbliebenen Familienmitgliedern in einer den Bestand der Familie oder der Ehe gefährdenden Weise aktiv darauf hinarbeite, dass diese den Kontakt zu aus der Gemeinschaft ausgetretenen oder ausgeschlossenen Angehörigen "auf das absolut Notwendige" beschränken oder ganz aufgeben. Ein solches aktives Hinarbeiten auf eine Trennung von Ehepartnern oder Familien stelle einen ausreichenden Grund für die Versagung des Körperschaftsstatus dar. Habe der Austritt aus der Gemeinschaft typischerweise derartige Konsequenzen, wirke sich dies regelmäßig auch als nachhaltige Sperre gegen einen Austritt aus. Ein solches Verhalten - sei es als schwerwiegende Nebenfolge, sei es als gezielte Maßnahme - gefährde zugleich das Grundrecht der Austrittswilligen aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, welches das Recht umfasse, mit Wirkung für den Bereich des staatlichen Rechts aus der Religionsgemeinschaft auszutreten. Als gezielte Maßnahme wäre ein solches Festhalten austrittswilliger Mitglieder mit vom Grundgesetz missbilligten Mitteln (Art. 6 Abs. 1 GG) ein Grund, der der Verleihung der Körperschaftsrechte entgegenstehen könne.

Aussage der Zeugen Jehovas, Seite 9:

Der Vortrag des Beklagten zur angeblichen Praxis der Zeugen Jehovas beim Umgang mit Ausgeschiedenen verkenne, dass unter die Grundrechtsgewährleistung nach wie vor nur die Kleinfamilie im Sinne von Eltern bzw. Elternteilen und Kindern falle, nicht aber die darüber hinaus gehende Groß- oder Mehr-Generationen-Familie. Was die Eltern-Kind-Beziehung im engeren Sinne anbelange, könne keine Rede davon sein, dass von ihr gefordert werde, dass sich Eltern - außer zur Vermittlung geistiger Lehrsätze - von ihrem Kind abwenden müssten. Vielmehr betone sie das natürliche Recht auf Kontaktpflege zwischen Eltern und Kindern; auch nach dem Ausscheiden eines Familienmitglieds blieben sowohl die Ehe als auch die Eltern-Kind-Beziehung intakt.

Die Religionsgemeinschft behauptet also, das Eltern-Kind-Verhältnis und das "natürliche Recht" auf Kontaktpflege blieben bestehen.

Ist das aber wirklich so?

Zitate aus dem Wachtturm vom 15.07.2011, Seite 30 ff:

Nehmen wir zum Beispiel an, der einzige Sohn zweier vorbildlicher Christen sagt sich von der Wahrheit los. Den "zeitweiligen Genuss der Sünde zu haben" ist ihm wichtiger als sein gutes Verhältnis zu Jehova und seinen gottesfürchtigen Eltern. Also wird dem jungen Mann die Gemeinschaft entzogen.

Hier beginnt schon der erste Trugschluss. Dem Sohn wird unterstellt, er wende sich aktiv von den Eltern ab. In den allermeisten Fällen aber wendet sich jemand vom Glauben der Zeugen Jehovas ab. Hier wird jedoch unterstellt, der Sohn entscheide sich durch die Abkehr von der Religion auch gegen seine Eltern, was natürlich falsch ist. Es ist die Führung der Religionsgemeinschaft die diese Regeln aufstellt, nicht derjenige der nicht mehr an diese glaubt. Den Eltern wird vermittelt, dass der Sohn sich auch von ihnen entfernt, was grundsätzlich gar nicht der Fall ist. Ein Unding, wie ich finde. Zudem wird so getan, als würde sich jemand nur von der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas trennen, um in den "zeitweiligen Genuss der Sünde" zu kommen. Dabei gibt es doch so viele Gründe diese totalitäre Gemeinschaft zu verlassen!

Weiter heißt es:

Die Eltern sind am Boden zerstört! Ihnen ist natürlich klar, dass die Bibel gebietet, "keinen Umgang mehr mit jemandem zu haben, der Bruder genannt wird, wenn er ein Hurer oder ein Habgieriger oder ein Götzendiener oder ein Schmäher oder ein Trunkenbold oder ein Erpresser ist, selbst nicht mit einem solchen zu essen" (1. Kor. 5:11,13). Sie sehen auch ein, dass das Familienangehörige einschließt, die nicht mehr bei ihnen wohnen.

Der Wachtturm vom 15.07.2011, Seite 30 ff.

Hier wird ganz klar eine Grenze gezogen. Solange der Familienangehörige nicht mehr bei den Eltern wohnt, wird jeglicher Kontakt vermieden und der soziale Tod mit seinen harten Folgen tritt in Kraft. Wie sollen sich Eltern in dieser Situation verhalten? Der Wachtturm gibt die Antwort:

Oder werden sie [die Eltern] sich einreden, sie könnten ruhig weiter normalen Umgang mit ihrem ausgeschlossenen Sohn pflegen, weil es ja immer um „wichtige Familienangelegenheiten“ gehe? Bei ihrer Entscheidung darüber dürfen sie nicht außer Acht lassen, wie ihr Verhalten Jehova berührt. Er arbeitet darauf hin, die Organisation rein zu erhalten und gleichzeitig Ausgeschlossene, wenn möglich, zur Besinnung zu bringen.

Die Empfehlung ist eindeutig. Die Eltern sollten ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn sie "wichtige Familienangelegenheiten" konstruieren, um ihre Kinder, ihr eigen Fleisch und Blut, zu sehen und Umgang mit ihnen zu haben. Wem das nicht genügt, der solle dann noch bedenken das Jehova Gott höchstpersönlich wünscht, dass seine Organisation rein bleibt. Ein enormes Druckmittel, um seitens der Eltern den Kontakt vollständig abzubrechen und den Kinder durch die soziale Isolation "zurückzuzwingen".

Erinnern wir uns noch einmal an das Zitat aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Berlin. Ich wiederhole es hier gerne noch einmal. Was hat die Wachtturm-Gesellschaft zu den Vorwürfen gesagt?

Was die Eltern-Kind-Beziehung im engeren Sinne anbelange, könne keine Rede davon sein, dass von ihr gefordert werde, dass sich Eltern - außer zur Vermittlung geistiger Lehrsätze - von ihrem Kind abwenden müssten. Vielmehr betone sie das natürliche Recht auf Kontaktpflege zwischen Eltern und Kindern; auch nach dem Ausscheiden eines Familienmitglieds blieben sowohl die Ehe als auch die Eltern-Kind-Beziehung intakt.

Hat die Religionsgemeinschaft hier gelogen? In meinen Augen JA. Auf der einen Seite sagt sie, dass Eltern-Kind-Beziehungen weiterhin intakt bleiben, jedoch die geistige Vermittlung von Lehrinhalten unterbleibt. Auf der anderen Seite schreibt sie in ihrem Lehrmedium, dem Wachtturm, eindeutig, dass es Familienangehörige einschließt, die nicht mehr bei ihnen wohnen. Sie nehmen also außerhalb des Gerichtssaales eine Differenzierung vor. Vor Gericht behaupten sie, das Eltern-Kind-Verhältnis bleibe intakt, intern dagegen differenzieren sie. Von einem "natürlichen Recht auf Kontaktpflege" ist nicht mehr die Rede. Die Religionsgemeinschaft hat hier wieder einmal rhetorisch geschickt den Eindruck erweckt, als würde das Eltern-Kind-Verhältnis weiterhin bestehen. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Sie tut so, als würde lediglich auf "geistigem" Gebiet - sprich dem Vermitteln von Lehrinhalten - der Kontakt unterbunden.

Ich möchte zur Untermauerung noch ein weiteres Zitat anführen. Entnommen ist es aus dem Buch "Bewahrt euch in Gottes Liebe" (herausgegeben von der Wachtturm-Gesellschaft), ab Seite 207 ff. Thema: Wie man sich gegenüber Ausgeschlossenen verhalten sollte

Wir reden mit Ausgeschlossenen nicht über unseren Glauben und haben keinen sozialen Kontakt mit ihnen. Im Wachtturm vom 15. Dezember 1981 hieß es auf Seite 24, dass „ein einfacher Gruß der erste Schritt zu einer Unterhaltung und vielleicht sogar zu einer Freundschaft sein kann. Möchten wir bei einem Ausgeschlossenen diesen ersten Schritt tun?Ist es wirklich nötig, den Kontakt völlig abzubrechen? Ja, aus mehreren Gründen.

Grundsätzlich wird hier gesagt, dass man keinen sozialen Kontakt mehr mit jemanden haben soll, der als "ausgeschlossen" gilt. Es folgen einige biblische Begründungen, die ich mir an dieser Stelle erspare. Weiter heißt es:

Was, wenn ein Verwandter ausgeschlossen wird? Da durch einen Gemeinschaftsentzug die Familienbande nicht gelöst werden, könnte der Ausgeschlossene weiter am normalen Familienalltag beteiligt sein. Allerdings hat er das Band, das ihn im Glauben und im Dienst für Gott mit der Familie verbunden hat, durch sein Verhalten ganz bewusst zerrissen. Deshalb können ihn die anderen in der Familie, die treu zu Jehova stehen, in nichts mehr mit einbeziehen, was sie im Rahmen ihrer Anbetung tun. Falls der Ausgeschlossene zum Beispiel beim Familienstudium dabei sitzt, würde er sich nicht daran beteiligen. Handelt es sich allerdings um ein minderjähriges Kind, sind die Eltern nach wie vor dafür verantwortlich, es liebevoll anzuleiten und zu korrigieren, und können daher mit ihm die Bibel studieren.

Es ist schon interessant, dass die Religionsgemeinschaft behauptet, der Ausgeschlossene könne weiterhin am normalen Familienalltag teilnehmen. Ich denke es ist verständlich, dass ein minderjähriges 17jähriges "Kind" keine Lust verspürt, täglich "angeleitet" und "korrigiert" zu werden, wenn es sich doch gegen den Glauben der Zeugen Jehovas gestellt hat. Die Religionsfreiheit wird in diesem Zusammenhang meiner Meinung nach nicht gewährt.

Lesen wir weiter...

Zweite Situation: Der Ausgeschlossene wohnt außerhalb des engsten Familienkreises, das heißt nicht in derselben Wohnung. In seltenen Fällen könnten es gewisse Familienangelegenheiten zwar erfordern, dass man mit dem Ausgeschlossenen begrenzt Kontakt hat, doch sollte dieser auf ein Minimum beschränkt werden. Wer Jehova treu sein möchte, sucht nicht nach Vorwänden für Kontakte mit einem ausgeschlossenen Verwandten, der eine eigene Wohnung hat. Aus Herzenstreue gegenüber Jehova und seiner Organisation wird er die biblische Regelung des Gemeinschaftsentzugs nicht unterlaufen. Seine konsequente Treue zeigt, dass er für den Ausgeschlossenen nur das Beste will, und trägt möglicherweise dazu bei, dass die korrigierende Maßnahme bei ihm greift.

Eindeutige Empfehlung der Religionsgemeinschaft:

Der Kontakt seitens der Eltern sollte auf ein "Minimum" reduziert werden, man solle keinen "Vorwand" zur Kontaktaufnahme suchen und die soziale Isolation ist das "Beste" für den Ausgeschlossenen. Über Ausgeschlossene allgemein haben wir weiter oben gelesen, dass "keine sozialen Kontakte" mit ihnen aufgenommen werden sollen.

Stimmt daher das Bild, welches die Religionsgemeinschaft über das intakte Eltern-Kind-Verhältnis vor Gericht zeichnet, tatsächlich?

In meinen Augen ist es die Religionsgemeinschaft, die hier "verfälschte Worte", also irreführende Argumente gebraucht. Sie verkauft ihre Ansichten als "wahr" und handelt somit genau so, wie sie es ihren Gegnern, die sie "Abtrünnige" nennt, unterstellt.