Öffentliche Anhörung vor Rechtsausschuss, Bremen, 16.02.2011
Persönliches Protokoll der Sitzung des Rechtsausschusses der Bremischen Bürgerschaft
Zunächst ein paar Zahlen:
Angemeldete Teilnehmer 28,
davon
- 11 Mitglieder der Bremer Bürgerschaft
- 1 Ausschussassistenz
- 1 Vertreter der Zeugen Jehovas
- 1 Vertreterin des Amtes für soziale Dienste
- 1 Vertreter der Senatorin für Bildung und Wissenschaft
- 3 VertreterInnen von Ausstieg Karlsruhe e.V.
- 1 Dr. med. des Rotes-Kreuz-Krankenhauses
- 1 Prof. Dr. med. des Klinikums Bremen-Mitte
- 1 Rechtsanwalt von KIDS e.V.
- 1 Vertreterin von Zeugen Jehovas-Ausstieg i. Gr.
- 1 Vertreter von Netzwerk Sektenausstieg e.V.
- 1 Pastorin und
- 1 Pastor der Evangelischen Landeskirche
- 1 Dr. jur. und
- 1 Ministerialrat vom Justizministerium Baden-Württemberg
- 1 Prof., Staatsrat beim Senator für Justiz und Verfassung
Außer diesen geladenen Personen waren noch etliche Vertreter der Medien sowie einige Zuschauer im Raum. Es war eine doch recht umfängliche Runde und die Tische waren in einem entsprechend großen Karree angeordnet. Nebenbei bemerkt war der Vertreter vom Netzwerk Sektenausstieg e.V. unpünktlich zur Sitzung erschienen, da er sich naiverweise allzu vertrauensselig auf die Zuverlässigkeit der Deutschen Bahn AG verlassen hatte. Dadurch konnte ich leider nicht mehr den Bericht aus Baden-Württemberg verfolgen.
Ich habe heute früh in der Bremer Bürgerschaft angefragt, ob ich das Protokoll der Sitzung bekomme. Mal sehen.
So, nun einige ganz persönliche Bemerkungen:
Die Stimmung im Raum war sehr offen, freundlich, respektvoll und höflich. Das machte es für alle Beteiligten leichter, sich der Situation zu stellen und frei und offen ihre jeweiligen Anliegen vorzutragen. Meinen Redeplan konnte ich weitgehend vergessen, da die Nachfragen der Bremer Abgeordneten recht themenübergreifend waren, so dass man achtgeben musste, nicht alles unnötig zu wiederholen. Alle waren sehr gut vorbereitet, Abgeordnete wie auch sämtliche Referenten. Von Letzteren darf ich sagen, sie haben samt und sonders ihre Sache sehr gut gemacht. Aufzählung der Fakten, persönliche Berichte, vor allem aber - und darin waren insbesondere die Vertreter der Ausstiegsvereine unschlagbar - Zitate aus den Schriften der Religionsgemeinschaft. Es ist uns gelungen, Schein und Sein der Religionsgemeinschaft aufzuzeigen - die Doppelbödigkeit in Außendarstellung und knallharter innerer Verfasstheit gründlich auszuleuchten. Alle Referenten der Ausstiegsvereine waren bestens mit Originalen der WT-Literatur präpariert, aus denen ganz nach Belieben der Abgeordneten und deren akribische Nachfragen zitiert werden konnte.
Was die beiden Ärzte der Bremer Kliniken über die Praxis der Blutverweigerung von Zeugen Jehovas im "real life" berichteten, verschlug allen Anwesenden schier die Sprache. Beide betonten, dass diese Angelegenheit für sie stets ein Drahtseilakt sei und dass sie in all ihren Bemühungen sich zu allererst um das Wohl von Kindern sorgten. Dabei hätten sie zu entscheiden, ob sie den Eltern oder auch einem erwachsenen Patienten, die Blut verweigerten, helfen wollten oder ob sie den Patienten im Zweifelsfall "auf dem OP-Tisch liegen lassen" würden. Da sei jeder Arzt allein seinem Gewissen gegenüber verantwortlich und niemand könne einem Arzt in dieser Beziehung eine Weisung erteilen. Auf die "Krankenhausverbindungskomitees" waren sie nur leidlich gut zu sprechen. Diese Abgesandten der Religionsgemeinschaft, diese "Betreuer oder wie die richtig heißen" übten allein durch ihre Gegenwart einen massiven psychischen Druck auf Patienten oder Eltern aus. Es sei nicht ein einziges Mal vorgekommen, dass ein Zeuge Jehovas im Beisein eines solchen "Betreuers" einer Bluttransfusion zugestimmt habe, wohl aber komme es durchaus vor, dass nach deren Verabschiedung der Patient oder die Eltern sich noch einmal im Vertrauen an die Ärzte wendeten, mit den Worten: "Herr Doktor, tun Sie, was Sie für richtig halten; es muss ja sonst niemand wissen." O-Ton eines der referierenden Ärzte: "Im Zweifel sind wir länger im Krankenhaus, als die Betreuer. Die gehen abends irgendwann nach Haus' und dann bieten wir dem Patienten im Vieraugengespräch unsere Hilfe an."
Auch die Doppelbödigkeit in Verbindung mit Bildung konnten wir anhand einschlägiger Zitate belegen. Dabei kam es mir zum Beispiel darauf an, deutlich zu machen, dass Eltern ihren Kindern Schulbildung vor allem deshalb angedeihen lassen, damit diese nachher umso "wirkungsvollere Königreichsverkündiger" würden.
Wie gesagt, wir brauchten bloß aus dem umfangreichen Material, mit dem wir uns "bewaffnet" hatten, eins zu eins vorzulesen.
All diesen zum Teil sehr nahe gehenden Berichten, persönlichen Erfahrungen sowie den vielen Zitaten hörten die Abgeordneten mit für mein Wahrnehmen stetig steigendem Interesse zu. Das zeigten die zuweilen nicht enden wollenden Nachfragen beinahe sämtlicher Abgeordneter.
Dann kam Glockentin. Zunächst beschwerte er sich, erst ganz am Ende der Anhörung und auch nur für 5 Minuten gehört zu werden. Dann tat er etwas, was die Abgeordneten aufhorchen lies. Er bezeichnete die Anhörung wörtlich als "Inszenierung", bei der von vornherein das Endergebnis feststehe. Die ganze Zeit sei es nicht darum gegangen, ob die friedlichen 2000 Bremer Bürger, die sich in ihrer Religion wohlfühlten, rechtstreu wären, denn allein die Rechtstreue der Zeugen Jehovas stehe zur Debatte und solle untersucht werden. Stattdessen erlebe er, wie diese friedlichen Bürger die ganze Zeit mit Schmutz beworfen würden, er erkenne seine Religionsgemeinschaft in dem Zerrbild, das hier von ihnen gezeichnet werde, nicht wieder. Um aber feststellen zu können, ob die Zeugen Jehovas rechtstreu seien oder nicht, müssten Belege herbeigeschafft werden, wo seien diese? Es verließen schließlich jährlich 1000 bis 2000 Zeugen die Gemeinschaft, wo seien deren Berichte über Rechtsverstöße? Haben Zeugen Jehovas gegen konkrete Gesetze verstoßen? Und dann bitte keine Grundrechtsverstöße, darum ginge es hier nicht, da diese letztlich auch nicht justiziabel seien, sondern Verstöße gegen konkrete Einzelgesetze aus dem BGB. Aber er habe verstanden, dass es um eine objektive Beurteilung der Religionsgemeinschaft nicht gehe, denn damit man objektiv urteilen könne, müsse man vor allem die Betroffenen selbst hören, nur dann seien Richter in der Lage, ein faires Urteil zu fällen. Er bezweifle, bei der ganzen Verfahrensweise, ob die Bürgerschaft überhaupt zu einem ausgewogenen Urteil in dieser Angelegenheit gelangen könne. Zwar erkenne er an, dass es persönliche Schicksale gebe, die man als tragisch bezeichnen könne, und "das tut jedem anständigen Menschen leid". Im Großen und Ganzen aber erschienen ihm besonders die Berichte von Aussteigern doch eher unglaubwürdig. "Sie wollen doch nicht im Ernst Personen glauben, die mit Schmutz um sich werfen."
Interessant war, dass zu den Ausführungen Glockentins von Seiten der Abgeordneten keine einzige Nachfrage kam. Dafür aber kam etwas ganz anderes: Zunächst ergriff die Ausschussvorsitzende das Wort: "Herr Glockentin, ich möchte Ihnen zunächst sagen, dass ich den Vorwurf, hier würde eine Inszenierung stattfinden, entschieden zurückweise." Hier gehe es nicht darum, die Zeugen Jehovas zu verunglimpfen, auch sitze hier niemand über sie zu Gericht. Der Rechtsausschuss habe diese Anhörung organisiert, um sich ein möglichst umfassendes Bild der Angelegenheit zu machen und "es ist das souveräne Recht dieses Ausschusses", die Experten und Referenten dazu zu laden, die seiner Meinung nach zu diesem vollständigen Bild beitragen können. Wie der Ausschuss am Ende befinde, dürfe Glockentin getrost den Abgeordneten überlassen. Diese seien sehr wohl fähig, nach Anhörung aller Berichte, Zitate und Fakten zu einem selbständigen Gesamturteil zu gelangen. (Gedächtniszitat) Auch die Vertreter anderer Parteien meldeten sich zu Wort, und zwar nicht, um Fragen zu stellen, sondern um Herrn Glockentin zu bedeuten, dass er sich mit seinem "Rundumschlag" keinen Gefallen getan habe. "Es kommt nicht gut, wenn man hier einen solchen Angriff startet", war die Replik eines Juristen, den Glockentin in einer Anspielung mit dem Hinweis erwähnte, man solle mal einen ehemaligen FDP-Abgeordneten nach dessen Beurteilung der FDP befragen.
In Glockentins Ausführungen fehlte eine konkrete Stellungnahme zu unseren Argumenten völlig. Insgesamt hat er jedoch mit seinem Statement der Sache der Aufklärung über die Zeugen Jehovas einen großen Dienst erwiesen. Besser als es bei ihm zu beobachten war, konnte die Janusköpfigkeit dieser Organisation nicht vorgeführt werden.
Man könnte meinen, die Religionsgemeinschaft wird allmählich nervös und dünnhäutig, jetzt, da ihre Argumente nicht mehr verfangen und da man endlich das Versäumnis der vergangenen Verfahren nachholt, die Kritiker zu hören.
Wie auch immer die Bremer Bürgerschaft in hanseatischer Souveränität entscheidet, die Anhörung würde ich in jedem Fall als Erfolg der Aufklärung bezeichnen. Wir hatten Öffentlichkeit, unsere Argumente, Berichte und Erfahrungen sind gehört worden. Es liegt nun beim Bremer Gesetzgeber, sie zu würdigen und ggf. in die Gesamtbeurteilung der Religionsgemeinschaft einfließen zu lassen.
Soweit meine Aufzeichnungen während der Sitzung und meine nachträglichen Ergänzungen aus meiner Erinnerung.
Nun folgt das Manuskript, mit dem ich in die Anhörung gegangen bin. Es war nicht nötig, dass ich alle Argumente vortrug. Die anderen Referenten und ich haben uns die Argumente regelrecht "aufgeteilt". Ich kann aber guten Gewissens sagen, dass alle Kritikpunkte und auch der Inhalt der Zitate weitgehend abgearbeitet wurden.