DÜSSELDORF. Die Zeugen Jehovas haben in ihrem Bemühen um Gleichstellung mit den großen Kirchen einen Teilerfolg errungen. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hob gestern ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts auf.

Darin wurde der Religionsgemeinschaft 1997 der Status einer „Körperschaft des öffentlichen Rechts" mit der Begründung verweigert, die Gemeinschaft bringe gegenüber dem Staat nicht die nötige Loyalität auf, denn für die Zeugen Jehovas sei der Staat die „Welt Satans" und die Teilnahme an demokratischen Wahlen verboten. Diese Argumentation wies Karlsruhe nun zurück. Der generelle Wahlboykott müsse als Ausdruck religiöser Freiheit respektiert werden.

Ob die Religionsgemeinschaft ihrem Ziel wirklich nähergerückt ist, ist allerdings weiter offen. Denn Karlsruhe deutete an, dass es andere Gründe für eine Verweigerung des Status geben kann. Es wies den Fall zurück an das Bundesverwaltungsgericht mit der Auflage zu prüfen, ob etwa harte Erziehungspraktiken in der Gemeinschaft das Wohl der Kinder beeinträchtigen (auch durch das Verbot von Bluttransfusionen) oder austrittswillige Mitglieder „zwangsweise oder mit vom Grundgesetz missbilligten Mitteln" festgehalten werden. Das Misstrauen bleibt also, und das Bundesverwaltungsgericht wird sich nun ein genaues Bild vom Innenleben der Gemeinschaft machen müssen.

Mit dem begehrten Rang einer „Körperschaft" ist ein Bündel von Privilegien wie Steuervergünstigungen verbunden. Die Bestimmungen im Grundgesetz sind aus der Weimarer Verfassung übernommen worden und stammen damit aus einer Zeit, als noch 95 Prozent der Deutschen den beiden großen Kirchen angehörten. Das Karlsruher Urteil ist ein fundamentaler Schritt, der religiösen Vielfalt der Gegenwart gerecht zu werden. Dazu gehören auch muslimische Verbände, die „Körperschaften" werden wollen. Erstmals beschrieb das Verfassungsgericht nun Kriterien, nach denen einer religiösen Gemeinschaft dieser ,Status zugesprochen werden kann. Zwar brauche eine solche Gemeinschaft nicht mit dem Staat zusammenarbeiten, müsse aber rechtstreu sein, zentrale Verfassungsprinzipien und die Rechte Dritter achten, erklärten die Richter.

Während ein Sprecher der Zeugen Jehovas insbesondere die Vorwürfe wegen der Kindererziehung zurückwies, üben Selbsthilfegruppen nach wie vor harte Kritik an der „Wachtturmgesellschaft". So ist der Umgang mit Kindern nach Einschätzung von Jutta Birlenberg von dem in Leverkusen ansässigen Verein „Kinder in destruktiven Sekten" (KIDS) „dramatisch" und folgt einem „rigiden System", in dem „mit Züchtigung und Angst" gearbeitet werde. KIDS betreut bundesweit rund 160 Elternteile aus Familien, die zerbrochen sind, weil ein Partner meist die Mutter mit ihren Kindern Mitglied der Zeugen Jehovas wurde.

Harsche Kritik auch von der evangelischen Stelle für Weltanschauungsfragen: Die Zeugen Jehovas reklamierten Freiheiten für sich, die sie ihren Mitgliedern vorenthielten, erklärte sie gestern. Der kirchenpolitische Sprecher der CDU/CSU Bundestagsfraktion, Hermann Kues, sagte, es wäre eine „Katastrophe, wenn die Zeugen Jehovas als Körperschaft öffentlichen Rechts anerkannt würden". Eine Sekte dürfe nicht die gleichen Vorteile genießen wie die großen Kirchen. Er forderte wie auch die sektenpolitische Sprecherin der SPD, Renate Rennebach, die Kriterien für die Anerkennung zu konkretisieren. (AZ: 2 BvR 1500/97)

Quelle: Rheinische Post, Düsseldorf, 20.12.2000, Autor: Jens Voss