Die Bestrebung, Gesellschaft des öffentlichen Rechts zu werden, ist zwar vorerst gestoppt. So mancher Zeuge stellt sich jedoch die Frage, warum eine Religion, die sich selbst als "kein Teil dieser Welt" versteht, mit allen rechtlichen Mitteln um diese Rechtsform kämpft.

Schließlich steht schon im "Großen Brockhaus" zu lesen: "K[örperschaften] des öffentlichen Rechts ... sind mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattete Verbände zur Erfüllung staatlicher Zwecke unter Staatsaufsicht..."

Doch wer sich an Selters wendet, um diese Frage zu klären, wird nicht etwa aufgeklärt, sondern schlicht und einfach für dumm verkauft.

Warum strebt also eine Religionsgemeinschaft, die sich selbst ausdrücklich als "kein Teil dieser Welt" sieht, eine rechtliche Form an, durch die sie ganz offensichtlich in allernächste Nähe zum Staat gerückt wird?

Ein Buchautor (der an dieser Stelle nicht genannt werden will) richtete genau diese Frage an die Zentrale der WTG in Selters:

1. Warum wurde versucht, den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechtes zu erlangen?

2. Welche Körperschaftsrechte hätte die WTG ausgeübt?

3. Besteht ein Konflikt mit der Aussage "kein Teil dieser Welt" zu sein?

4. Ist geplant, das Verfahren noch einmal aufleben zu lassen?

Interessant ist die Antwort der Rechtsabteilung der Wachtturm-Gesellschaft in Selters, die von einem gewissen Gaius Glockentin unterzeichnet wurde:

Der Grund für die Bemühungen der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas hängt mit der Wiedervereinigung zusammen. Nachdem ursprünglich von den Berliner Behörden erklärt worden war, daß Jehovas Zeugen durch die Wiedervereinigung die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechtes erlangt hätten, wurde dies später wieder zurückgenommen. Daraus resultierte das Ihnen bekannte Verfahren. Steuerliche Vergünstigungen spielten dabei keine Rolle. Weder zu dem damaligen Zeitpunkt noch heute wurde darüber entschieden, welche Körperschaftsrechte die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas als Körperschaft des öffentlichen Rechtes ausüben würde.

Religionsgemeinschaften ist die Möglichkeit eröffnet, sich als Körperschaft des öffentlichen Rechts zu organisieren, um von dem Staat größtmögliche Unabhängigkeit zu bewahren. Es ist also ein Ausdruck der Trennung von Staat und Kirche. Insofern ergibt sich auch kein Konflikt mit der Aussage Jesu Christi, kein Teil dieser Welt zu sein.

Da die Religionsgemeinschaft Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingelegt hat, ist das Verfahren noch nicht abgeschlossen.

Bemerkenswert an diesem Schreiben ist, daß man sich in Selters offensichtlich ganz auf die Ignoranz der Menschen verläßt, mit denen man es zu tun hat. Anders kann der plumpe Versuch, die Körperschaftsrechte als einen Ausdruck der Trennung von Staat und Kirche darzustellen, wohl kaum bewertet werden. Genau das Gegenteil trifft zu, eine Tatsache, die auch dem Schreiber dieser Zeilen bewußt gewesen sein dürfte. Schließlich steht schon in der Urteilsbegründung des Bundesverwaltungsgerichts:

Die Klägerin bringt dem demokratisch verfaßten Staat nicht die für eine dauerhafte Zusammenarbeit unerläßliche Loyalität entgegen. Wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat bestätigt hat, kann ein Zeuge Jehovas, der auf der Teilnahme an staatlichen Wahlen beharrt, nicht in ihrer Gemeinschaft verbleiben.

Von einer Gesellschaft des öffentlichen Rechts, die ja mit einer Reihe besonderer Vorrechte ausgestattet ist, wird also eine enge Loyalität zum Staat erwartet. Diesen besonderen Status als einen Ausdruck der Trennung von Kirche und Staat zu bezeichnen, kann man als Beispiel besonders dreister Irreführung bezeichnen.