Mit Erleichterung haben die Zeugen Jehovas in Hamburg die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts am Dienstag in Karlsruhe aufgenommen.

Der Zweite Senat hob das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts auf, das ihnen den Status als "Körperschaft des öffentlichen Rechts" verweigert hatte. "Das ist ein Teilerfolg für uns", sagte der Sprecher der Zeugen Jehovas, Bernd Klar, auf Anfrage. In der Hansestadt hat die Religionsgemeinschaft 2915 Mitglieder in 36 Gemeinden.

Somit ist sie ihrem Ziel, das sie seit zehn Jahren verfolgt, einen "großen Schritt" näher gekommen, sagte Klar. Der Körperschaftsstatus schafft zahlreiche Vergünstigungen. So könnten die Zeugen Jehovas - wie die beiden großen Kirchen auch - von der Körperschaftssteuer befreit werden, unter Umständen sogar von der Grunderwerbssteuer, der Schenkungs- und der Erbsteuer. "Sollten wir den Status bekommen, würden wir nicht mehr zahlen wollen, als wir tatsächlich müssen", sagte Klar.

Auch in Hamburg vermachen viele Mitglieder große Teile ihres Besitzes der Religionsgemeinschaft; dafür müssen sie Umsatzsteuer zahlen. Details zu Zahlen nannte der Sprecher allerdings nicht.

Die Zeugen Jehovas halten jedes Jahr im Sommer ihren Bezirkskongress in Hamburg ab. Er dauert drei Tage und ist öffentlich. Dieses Jahr nahmen an dem Kongress bis zu 10.000 Besucher teil. Dort wurden Vorträge gehalten; es wurde gebetet und gesungen. Um die Osterzeit feiern Zeugen Jehovas in Hamburg mit Teilnehmern aus ganz Deutschland das "Abendmahl des Herrn".

Würde die Religionsgemeinschaft künftig den Körperschaftsstatus erhalten, könnte sie - analog zu den beiden großen Kirchen - Kirchensteuer erheben. "So wie das Kirchensteuergesetz derzeit aussieht, würden wir das aber nicht tun", sagte Klar. Auch auf die Möglichkeit, ihre Mitglieder in Rundfunkräte zu entsenden, würden die Zeugen Jehovas verzichten: "Dazu", so Klein, "sind wir als Gemeinschaft noch zu klein".

Dagegen würde die Religionsgemeinschaft in Hamburg ihre Aktivitäten in der Seelsorge in Gefängnissen und in Heimen intensivieren. Als gemeinnütziger Verein, der die Jehovas Zeugen derzeit noch seien, hätten sie da "große Probleme".

Das Bundesverwaltungsgericht muss nun erneut prüfen, ob die Kindererziehung der Religionsgemeinschaft das Wohl der Kinder beeinträchtigt. Gerüchte, Kinder würden rigiden Verboten unterliegen, weist Bernd Klar zurück: "Wir erziehen unsere Kinder zur Selbstständigkeit".

Dass Mitglieder bei Regelverstößen gelegentlich mit sozialer Isolation und Kontaktsperre belegt würden, weist der Sprecher ebenfalls zurück: "Es reicht eine Unterschrift - und man ist kein Mitglied mehr", sagt Klar.

Wann das Bundesverwaltungsgericht sein Urteil fällt, ist derzeit nach Angaben des Sprechers nicht absehbar. Sollte es aber nicht der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Dienstag entsprechen, "gehen wir wieder dagegen an", so Klar. Allerdings habe das Gericht "eine klare Sprache zu unseren Gunsten" gesprochen.

Welt online 20.12.2000

"Wir können damit leben"

Die Kirchen bewerten das Urteil für die Zeugen Jehovas gelassen

Von Gernot Facius

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat gesprochen, aber die Sache ist damit noch nicht erledigt: Die Entscheidung, ob der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas der privilegierte Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts zusteht, liegt nun wieder beim Bundesverwaltungsgericht in Berlin. Es hatte am 26. Juni 1997 Nein gesagt. In dem "Verbot der Wahlteilnahme" aus Glaubensgründen erkannten die Berliner Richter einen eklatanten "Widerspruch zum Demokratieprinzip". Zumindest das Kriterium der Staatsloyalität trägt nicht - das haben die Verfassungshüter klargestellt. Sie legten auch fest, dass religiöse Körperschaften nicht mit dem Staat zusammenarbeiten müssen, sie sollen vielmehr frei von staatlicher Bevormundung agieren können. Insoweit hat der Spruch von Karlsruhe eine über den Fall der Zeugen Jehovas hinausreichende Bedeutung.

Der Streit um den Körperschaftsstatus der Zeugen Jehovas zieht sich seit der Wiedervereinigung Deutschlands hin. Am 14. März 1990 hatte die DDR-Regierung die "Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in der DDR" rechtlich anerkannt. Darauf gründete sich der Anspruch, im vereinten Deutschland gleich behandelt zu werden. Nun müssen die obersten Verwaltungsrichter auf Karlsruher Weisung herausfinden, ob die umstrittenen rigiden Erziehungspraktiken der Zeugen Jehovas das Wohl der Kinder beeinträchtigen, das Verbot von Bluttransfusionen das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Gesundheit tangiert und ob austrittswillige Mitglieder in der Gemeinschaft festgehalten werden - dies wären eindeutige Verstöße gegen Grundgesetznormen, und der Anspruch auf staatliche Anerkennung wäre nichtig.

Bisher, und das zeigen Berichte von Aussteigern, haben die Zeugen die gegen sie erhobenen Vorwürfe nicht widerlegen können. Und an diesem Punkt setzen die Hoffnungen der Großkirchen an, dass sich der Teilerfolg der Zeugen Jehovas von Karlsruhe am Ende als Pyrrhussieg erweisen könnte, wie der EKD-Sprecher Thomas Krüger erklärte. "Wir können mit dem Richterspruch leben." Unaufgeregt zeigte man sich auch auf katholischer Seite. Sie hielt sich "bis zur Prüfung der Begründung" mit einer offiziellen Stellungnahme zurück. Aber im Katholischen Büro in Berlin, der Verbindungsstelle zur Politik, wurde Einschätzungen widersprochen, dass sich am bestehenden Staat/Kirche-Verhältnis "etwas Gravierendes" verändern werde. Es gebe schon jetzt rund 30 kleinere Religionsgemeinschaften denen der Körperschaftsstatus verliehen worden sei. Im Übrigen verwiesen beide Kirchen auf die Passage der Karlsruher Entscheidung, in der die Beachtung fundamentaler Verfassungsgrundsätze eingefordert werde. Dies wird als eine Art Sperrriegel gegen Ansprüche etwa von islamischen Gruppen gewertet, die eine theokratische Herrschaftsordnung propagieren.

Entscheiden die Berliner Richter doch noch zu Gunsten der rund 160.000 Zeugen Jehovas in Deutschland, dann könnte die Religionsgemeinschaft theoretisch Kirchensteuern einziehen - was sie offenbar aber nicht beabsichtigt. Sie wäre auch berechtigt, testamentarisch als Erbe eingesetzt zu werden, erhielte Zugang zu Rundfunkräten (allerdings wäre dafür eine landesrechtliche Grundlage notwendig), zu Krankenhäusern und könnte sich in der freien Jugendpflege betätigen; Letzteres würde den Vertretern der Kirchen, wie sie einräumten, am meisten Sorge bereiten. Doch grundsätzlich, darin sind sich Experten einig, sei eine kleine Gemeinschaft wie die der Zeugen Jehovas gar nicht in der Lage, von allen Möglichkeiten Gebrauch zu machen, die ihr der Körperschaftsstatus eröffne. Das erklärt die relative Gelassenheit, mit der Protestanten wie Katholiken gestern auf die Entscheidung aus Karlsruhe reagierten. Das Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom August 1995 hatte noch wie die sprichwörtliche Bombe eingeschlagen. Vorübergehend war das Verhältnis vor allem der katholischen Kirche und den Karlsruher Verfassungshütern getrübt. Gemessen an den nachgerade eruptiven Äußerungen des Unmuts von damals, glichen die gestrigen Repliken eher einem leichten Säuseln.

Die Vollzeitdiener

Wenn sich die Zeugen Jehovas für die letzte Schlacht des Kampfes Gut gegen Böse rüsten, ist die ideale Stätte dafür ein Ort im Taunus

Von Uta Rasche

Wenn im Taunus gewählt wird, ist es immer derselbe Ort, in dem die Wahlbeteiligung am niedrigsten ist. In der 8500-Seelen-Gemeinde Selters liegt sie zehn Prozent unter dem Landesschnitt. Anfangs bekam Bürgermeister Norbert Zabel besorgte Anrufe von Bürgermeistern der Nachbargemeinden. Ob in seinem Dorf alles in Ordnung sei? Zabel hat sich daran gewöhnt. Er wird nichts dran ändern können, immer das Schlusslicht zu sein. In seiner Gemeinde leben 1100 Zeugen Jehovas. Sie dürfen nicht wählen, ihre Religion verbietet es ihnen.

Oberhalb des Ortsteils Niederselters haben die Zeugen Jehovas auf einem 30 Hektar großen Grundstück ihre Zentrale errichtet, rote Backsteinbauten an einem Berghang. Hier leben und arbeiten seit 1979 etwa 1100 erwachsene "Vollzeitdiener" unter "klosterähnlichen Bedingungen", wie die Zeugen sagen. Es ist die einzige Einrichtung dieser Art in Deutschland. Die Bewohner gehen selten ins Dorf, nur den Sportplatz der Gemeinde nutzen sie - allerdings stets unter sich.

600 Anfragen für etwa 80 frei werdende Plätze erhält Werner Rudtke, Vizepräsident der Wachtturmgesellschaft der Zeugen Jehovas, jedes Jahr. Ausgewählt werden nur Bewerber, denen man ein wahrhaft gottesfürchtiges Leben zutraut.

Jedes der 380 Ehepaare, die im "Bethel", dem "Haus Gottes", leben, hat ein gemeinsames Zimmer, etwa 40 Quadratmeter groß, mit Nasszelle und Küchenzeile. Die Räume der Singles sind kleiner. Im Speisesaal gibt es Gemeinschaftsverpflegung, schmutzige Kleidung wird von der hauseigenen Wäscherei abgeholt, und die Zimmer werden geputzt - damit auch der bescheidene Rest Privatsphäre unter Kontrolle bleibt. Nicht einmal einkaufen müssen die Bewohner, denn für das Wochenende, an dem die Gemeinschaftsküche geschlossen ist, wird ein Verpflegungsbeutel ausgeteilt. Der Begriff des "Vollzeitdienstes" ist wörtlich zu nehmen: Nach acht Stunden Arbeit in der Druckerei, der Hauswirtschaft oder auf den beiden Bauernhöfen soll jeder Zeuge mehrmals pro Woche in eine ihm zugeteilte Ortsgemeinde im Umkreis von etwa 100 Kilometern fahren und dort predigen. Dafür bekommt er kein Gehalt, sondern ein Taschengeld von 100 Mark im Monat und zwölf Tage Urlaub im Jahr. Alle verpflichten sich, nichts hinzuzuverdienen, sondern ihre ganze Arbeitskraft dem Predigen zu widmen. Oft ist es schwer, mit dem Geld auszukommen - Kleidung oder Bücher müssen selbst bezahlt werden, und die meisten Vollzeitdiener müssen noch ein eigenes Auto unterhalten, mit dem sie zu den Predigten fahren. Wer nicht zuvor Geld gespart hat, wird von seiner Familie unterstützt, die stolz darauf ist, einen Angehörigen im "Bethel" zu haben.

Kinder gibt es auf dem Gelände mit den sorgfältig gepflegten Grünanlagen nicht. Wer eine Familie gründen möchte, muss die Gemeinschaft verlassen. "Die Erziehung von Kindern gehört in die Hände der Eltern, dafür können wir keine Verantwortung übernehmen", sagt Bernd Klar, Sprecher der Zeugen Jehovas in Deutschland. Faktisch bedeutet das, dass die meisten - die mit Anfang 20 und oft ohne Berufsausbildung nach Selters kommen - sich für Kinderlosigkeit entscheiden. Denn später ohne Beruf den Schritt nach draußen, in ein komplett anderes Leben zu wagen ist risikoreich. Im Fall eines Austritts wird seit einem Rechtsstreit immerhin die Rentenversicherung an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte nachgezahlt. "Es ist für die Gemeinschaft bitter, wenn jemand geht", sagt Klar, "auch in finanzieller Hinsicht." Nicht immer ist ein Austritt der Bruch mit den Zeugen Jehovas. Wer sich allerdings gänzlich abwendet, wird als "Abtrünniger" behandelt und sozial isoliert, wie Berichte von Aussteigern zeigen. Klar, der selbst aus einer Zeugenfamilie mit acht Kindern kommt, ist 42 Jahre alt und vermisst den eigenen Nachwuchs manchmal schon. "Aber ich werde eines Tages unter besseren Bedingungen Kinder haben", sagt er. Bernd Klar meint damit das tausendjährige Friedensreich, dass seiner Überzeugung nach bald anbrechen wird - nach dem letzten großen Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen den satanischen Mächten und Jehova. "Harmagedon" nennen sie diese apokalyptische Schlacht, die in ihren Schriften in den grellsten Farben ausgemalt wird: "Blut wird in Strömen fließen, wenn Gottes Hinrichtungsstreitkräfte zur Tat schreiten." Und überleben werden das Anbrechen der Endzeit nur die "gerechtgesinnten Menschen". Bis es so weit ist, treiben sie ihr Missionswerk voran. Dafür rotieren in Niederselters die Druckmaschinen. 26,5 Millionen Seiten in 28 Sprachen werden in den riesigen Hallen jeden Tag gedruckt. Jedes Jahr sind das zwölf Millionen Bücher und 200 Millionen Zeitschriften. Geliefert werden sie nach Russland, Polen, in die Ukraine, nach Österreich, Frankreich, in die Niederlande und die Schweiz. Die Inhalte und Fotos kommen von der Zentrale in Brooklyn und sind für die 4,4 Millionen Mitglieder auf der ganzen Welt die gleichen.

Während weltweit die Zahl der Zeugen Jehovas wächst, ist sie in Deutschland leicht rückläufig. Zur Zeit gibt es etwa 160.000 Mitglieder, die in 2200 "Versammlungen" organisiert sind. 98 Prozent der Deutschen kennen die Zeugen Jehovas und kommen durchschnittlich pro Jahr 21 Minuten mit ihnen in Kontakt - eine Folge ihrer unermüdlichen Verkündigungsbemühungen in Fußgängerzonen und an Haustüren.

So bewegen sich die Zeugen Jehovas in der Welt, von der sie kein Teil sein wollen. Die Welt ist Schatten, Jehova ist Licht. Sie lehnen den Wehrdienst, die Abtreibung und vorehelichen Geschlechtsverkehr ab, feiern keine Geburtstage und verbieten Bluttransfusionen, weil das ihrer Ansicht nach so in der Bibel steht. Nicht nur im Nazideutschland, auch in der DDR gerieten sie in Konflikt mit dem Staat und wurden dort wegen angeblicher Spionage für den amerikanischen Imperialismus zu Zuchthausstrafen verurteilt. Dass sie nicht zur Wahl gehen, hat den Berliner Senat bisher davon abgehalten, sie als Körperschaft des öffentlichen Rechts anzuerkennen. "Wir haben unsere eigene Regierungsmannschaft, wir brauchen keine andere, aber wir schätzen diesen Staat", sagt Bernd Klar dazu. "Stellen Sie sich vor, ich hätte bei der letzten Bundestagswahl die SPD gewählt: Dann hätte ich den Krieg im Kosovo unterstützt und jetzt die Homo-Ehe!" Für den Kampf um die Anerkennung als Körperschaft geben die Zeugen diesen Grundsatz nicht auf. Letztlich unterliege es ohnehin Jehovas Willen, ob sie diesen privilegierten Status erlangen, sagt Klar. Wenn es nicht klappt, hat ihr Gott das eben nicht gewollt.

Karlsruhe sichert sich ab

Das Bundesverfassungsgerichthat Festlegungen getroffen, die auch auf das Denken der Großkirchen Einfluss haben werden

Kommentar von Gernot Facius

Dass die Bundesverfassungsrichter mit ihrer Entscheidung in punkto "Jehovas Zeugen" das bisherige Staat-Kirchen-Verhältnis aus den Angeln gehoben hätten, kann wohl nicht behauptet werden. Die Endzeitpropheten, die sich als "wahre Christen" verstehen, haben noch nicht das Gütesiegel einer Körperschaft des öffentlichen Rechts in Händen. Ob es ihnen verliehen wird, das hat nun das Bundesverwaltungsgericht zu entscheiden. Es wird ein langer Prozess werden, bis einwandfrei feststeht, dass sich die "Zeugen" mit ihren harten Erziehungspraktiken und ihrem restriktiven Verhalten gegenüber Austrittswilligen tatsächlich auf dem Boden des Grundgesetzes bewegen. Die Berliner Richter sind nicht zu beneiden. Sie werden sich nicht allein auf spektakuläre "Aussteiger"-Berichte, denen immer der Ruch des Subjektiven und der Selbstrechtfertigung anhaftet, verlassen können, sondern müssen tiefer in die Materie steigen. Das kostet Zeit; aber dieser Aufwand ist die Klärung der Causa wert.

Karlsruhe hat Festlegungen getroffen, die auch auf das Denken der Großkirchen Einfluss haben werden. Religiöse Körperschaften sind nicht zur Zusammenarbeit mit dem Staat verpflichtet. Das Postulat einer "wechselseitigen Zugewandtheit und Kooperation", 1997 vom Bundesverwaltungsgericht in die Debatte gebracht, hat keinen Bestand. Ohne Zweifel werden sich jetzt diejenigen bestätigt fühlen, die schon immer auf die volle Autonomie pochten und gegenüber einer zu grossen Staatsnähe der Kirche allergisch reagieren. Gewiss ist die Gefahr real, dass es bei einer rechtlichen Anerkennung der "Zeugen" zu einer Inflationierung des Körperschaftsstatus kommt. Doch Karlsruhe hat gewisse Siche-rungen eingebaut. Nur Gemeinschaften, die durch ihr Verhalten (nicht durch ihren Glauben) die Gewähr bieten, fundamentale Verfassungsgrundsätze zu beachten, sollen privilegiert werden. Diese Treue - etwa von islamischen Gruppierungen - herauszufinden wird ohne penible Prüfung kaum möglich sein; sie sollte nicht als Akt staatlicher Inquisition diffamiert werden. Die Kirchen wiederum ha-ben sich mit der Botschaft aus der Residenz des Rechts anzufreunden: Es ist nicht Aufgabe des Staates, Schutzwälle vor religiöser Konkurrenz zu ziehen.

Zeugen Jehovas auf dem Weg zum Kirchenstatus

Karlsruhe - Die Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas hat gestern vor dem Bundesverfassungsgericht einen Teilerfolg im Kampf um ihren rechtlichen Status errungen. Die Verfassungsrichter hoben ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Berlin auf, das der Glaubensgemeinschaft die Anerkennung als Körperschaft öffentlichen Rechts und damit die Gleichstellung mit den großen christlichen Kirchen verwehrte. Eine besondere Loyalität zum Staat sei nicht Voraussetzung für die Anerkennung als Körperschaft, so die Karlsruher Richter. Mit dem Argument, dass die Zeugen Jehovas nicht an Wahlen teilnehmen und den Staat ablehnen, waren ihnen die Körperschaftsrechte bisher verweigert worden. Der erstrebte rechtliche Status böte ihnen unter anderem die Möglichkeit, Kirchensteuern zu erheben und Kindergärten zu gründen.

Der kirchenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hermann Kues, sagte, eine Anerkennung der Zeugen Jehovas als Körperschaft wäre eine Katastrophe. "Dadurch käme eine Sekte in den Genuss von Vorteilen, die bisher wesentlich den großen Kirchen vorbehalten waren", sagte er. Nach Meinung von Kues gibt es gute Gründe, die christlichen Kirchen besser zu stellen als die Zeugen Jehovas. Die Sekte schaffe psychische Abhängigkeit und schüre durch ihre Endzeit-Ideologie Angst. Das passe nicht zur freiheitlichen Bürgergesellschaft. Kues warnte ausdrücklich vor einer Änderung des Staat-Kirche-Verhältnisses in Deutschland. "Wer das fordert, muss wissen, was er tut", sagte der CDU-Politiker. Wer etwa die Integration theologischer Fakultäten in staatliche Hochschulen infrage stelle, dürfe sich nicht wundern, wenn alle Glaubensgemeinschaften über einen Kamm geschoren würden, so Kues.

ura

Teilerfolg für Zeugen Jehovas

Etappensieg im Streit um rechtliche Gleichstellung mit den beiden großen Kirchen

Die Zeugen Jehovas haben gestern vor dem Bundesverfassungsgericht einen Etappensieg im Streit um ihre rechtliche Gleichstellung mit den beiden großen Kirchen errungen. Die Verfassungsrichter hoben ein Urteil auf, das der Glaubensgemeinschaft die Anerkennung als Körperschaft öffentlichen Rechts verwehrte. Eine besondere Loyalität zum Staat sei dafür keine Voraussetzung, so die Karlsruher Richter. Mit dem Argument, dass Zeugen Jehovas nicht an Wahlen teilnehmen und den Staat ablehnen, war ihnen der privilegierte Status bisher verweigert worden.

Nach Ansicht des Gerichts reicht aber die Verweigerung von Wahlen nicht aus, da sie "apolitisch" motiviert und nicht auf eine "Schwächung der Demokratie gerichtet" sei. Nun kommen allerdings die von den Zeugen Jehovas empfohlenen Erziehungspraktiken mit "Stock und Rute" oder das Festhalten austrittswilliger Mitglieder unter Zwang auf den Prüfstand. Im Urteil heißt es dazu, der Staat sei verpflichtet, menschliches Leben und die körperliche Unversehrtheit zu schützen. Auch Kinder von Zeugen Jehovas hätten darauf Anspruch.

Das Urteil ist nach Einschätzung des Frankfurter Kirchenrechtlers Hermann Weber, der die Zeugen Jehovas vor Gericht vertreten hat, von "grundlegender Bedeutung" für das Staatskirchenrecht, weil erstmals die Voraussetzungen geklärt würden, unter denen Religionsgemeinschaften den Körperschaftsstaus erhalten. Der Präsidiumssprecher der Zeugen Jehovas, Werner Rudtke, sagte, er gehe davon aus, dass die Prüfungen keine Schwierigkeiten bereiteten. Dann könne die bisher als Verein organisierte Religionsgemeinschaft "zentralisiert" und besser geführt werden.

DW

Senat bleibt bei Ablehnung der Zeugen Jehovas

Der Senat steht den Zeugen Jehovas weiterhin kritisch gegenüber und lehnt eine Anerkennung als Rechtskörperschaft ab. Auch nach einem Teilerfolg der Organisation, die weltweit über sechs Millionen Mitglieder verfügt, vor dem Bundesverfassungsgericht, bleibe Berlin bei seiner Haltung, erklärte Senatssprecher Peter-Michael Butz gestern.

Die Richter in Karlsruhe hatten ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes, mit dem den Zeugen Jehovas der Status als "Körperschaft des öffentlichen Rechts" verweigert wurde, aufgehoben und den Fall an Berlin zurückgewiesen. Das Argument der mangelnden Staatsloyalität sei kein Grund für die Statusverweigerung, erklärten Verfassungsrichter. Religiöse Körperschaften müssten nicht mit dem Staat zusammenarbeiten. Allerdings müsse das Bundesverwaltungsgericht die Wahrung der Grundrechte von Mitgliedern der Zeugen Jehova überprüfen. Darauf werde Berlin seine weitere Argumentation aufbauen, sagte Butz: "Wir bezweifeln, dass die Grundrechte von Kindern und denen, die die Organisation verlassen wollen, gewahrt werden."IG

Quelle: Die Welt, 20.12.2000