DORTMUND - In der Öffentlichkeit treten die "Zeugen Jehovas" in der Regel leise und zurückhaltend auf, sie missionieren an der Haustür oder bieten auf der Straße ihr Organ "Wachtturm" an. Am nächsten Dienstag aber werden sie für Schlagzeilen sorgen.

Dann entscheidet der Zweite Senat des Karlsruher Bundesverfassungsgerichts über eine Verfassungsbeschwerde der Religionsgemeinschaft: Sie beansprucht den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Was bedeutet: Derzeit noch privatrechtlicher Verein, will sie gleichgestellt werden mit der Evangelischen und der Katholischen Kirche, mit der Jüdischen Gemeinde und weiteren rund 30 Gruppierungen, die bundesweit oder in einzelnen Ländern Körperschaftsstatus haben (darunter Methodisten, Alt-Katholiken, Baptisten, Hugenotten, Mormonen, Mennoniten). Diese Anerkennung war den Zeugen Jehovas vom Bundesverwaltungsgericht 1997 verweigert worden.

Was auf den ersten Blick aussieht wie spröde Juristerei, hat einen realen, auch finanziellen Hintergrund. Denn "mit der Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ist eine Reihe von Hoheitsrechten verbunden, die sonst nur dem Staat selbst zustehen", heißt es in einer Expertise der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Und zwar mit einem ganzen "Privilegienbündel", wie in der mündlichen Verhandlung im September deutlich wurde. Dazu gehören das Recht, Anstalten und Stiftungen zu gründen, Beamte zu beschäftigen und eigenes (Kirchen-) Recht zu setzen; die Anerkennung als freier Träger in Sozialhilfe und Jugendwohlfahrt; das Recht auf Entsendung von Beauftragten in Rundfunkräte. Und nicht zuletzt dürfen Körperschaften Steuern erheben.

Nicht im Einklang mit dem Grundgesetz Mit der Verleihung dieses Status verzichtet der Staat zugleich auf originäre Befugnisse. Das aber, so das (aus einem anderen Anlass, nämlich zu den hier lebenden Muslimen erstellte) EKD-Papier, setze voraus, dass "die Religionsgemeinschaft dem Staat loyal gegenübertritt". Auch das Bundesverwaltungsgericht sah es so: Von einer Religionsgemeinschaft, die Körperschaft werden wolle, also "die Nähe zum Staat" suche, könne erwartet werden, "dass sie die Grundlagen der staatlichen Existenz nicht in Frage stellt".

Daran bestehen bei den Zeugen Jehovas, zu denen sich in Deutschland rund 160.000 (weltweit: 4,4 Millionen) Menschen bekennen, starke Zweifel. So hielten sie "austrittswillige Mitglieder zwangsweise in ihrer Gemeinschaft fest" und beeinträchtigten "durch ihre Erziehungsgrundsätze das grundrechtlich geschützte Kindeswohl", urteilte das Bundesverwaltungsgericht 1997.

Verfolgung während der Nazi-Diktatur Noch schwerer wiege, so die Richter, dass die Zeugen Jehovas die Teilnahme an Wahlen sowie den Wehr- und Ersatzdienst ablehnen. Dies sei ein "nicht hinnehmbarer Widerspruch" zum Demokratieprinzip, also zum "unantastbaren Kernbestand der Verfassung".

Ob sich das Bundesverfassungsgericht dem Argument anschließt, die Zeugen Jehovas, "die die legitimen Ansprüche des Staats an seine Bürger nicht anerkennen", könnten "nicht verlangen, vom Staat als Körperschaft anerkannt zu werden", bleibt abzuwarten. Die Religionsgemeinschaft selbst beruft sich auf die Glaubensfreiheit des Artikel 4 Grundgesetz und beteuert, sie habe "alle Voraussetzungen erfüllt". Wenn sie nicht an Wahlen teilnehme, sei das "religiös motiviert und nicht Ausdruck mangelnder Loyalität gegenüber dem Staat".

Auch einen weiteren Punkt wird Karlsruhe prüfen müssen: Eben wegen dieser "gewissen Weltabkehr" wurden die Zeugen Jehovas während der Nazi-Diktatur verfolgt - bis hin zur massenhaften Einkerkerung in Konzentrationslagern.

Quelle: Westfälische Rundschau, Autor: Rainer Zunder