KARLSRUHE. (dpa) Im Prozess um ihre Gleichstellung mit den großen Kirchen haben die Zeugen Jehovas vor dem Bundesverfassungsgericht einen Erfolg errungen.

Der Zweite Senat hob am Dienstag ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts auf, das der Religionsgemeinschaft den privilegierten Status einer "Körperschaft des öffentlichen Rechts" verweigert hatte. Das religiöse Verbot, an staatlichen Wahlen teilzunehmen, reiche nicht für eine Ablehnung, befanden die Karlsruher Richter. Nun geht der Streit vor dem Bundesverwaltungsgericht in eine neue Runde.

Der Zweite Senat verwarf das Hauptargument der Vorinstanz, die Religionsgemeinschaft bringe gegenüber dem Staat nicht die erforderliche Loyalität auf. Die Zeugen Jehovas seien keine reale Gefahr für die Demokratie, ihre Bestrebungen seien "apolitisch" und richteten sich auf ein Leben jenseits des politischen Gemeinwesens. Die Zeugen Jehovas betrachten den Staat als "Bestandteil der Welt Satans".

Die Richter bekräftigten jedoch, dass nur "rechtstreue" Religionsgemeinschaften Anspruch auf den Status hätten, der mit Vergünstigungen wie dem Kirchensteuereinzug versehen ist. In einem neuen Verfahren müssten die unteren Gerichte nun prüfen, ob die rigiden Erziehungspraktiken der Religionsgemeinschaft sowie der angebliche Zwang gegen "Aussteiger" Grundrechte verletzten.

Keine Glaubensgrenze

Unser Redaktionsmitglied Stefanie Ball zum Thema "Zeugen Jehovas"

Rechtlich sind Staat und Kirche in Deutschland seit mehr als 80 Jahren getrennt, tatsächlich gibt es bislang jedoch nur die beiden großen Kirchen - die katholische und die evangelische - denen der Staat den privilegierten Status einer "Körperschaft des öffentlichen Rechts" gewährt. Ihr Status ist mithin ein besonderer, der dem einer Staatskirche gleichkommt. Solange die Mehrheit der Bevölkerung einer der beiden Glaubensrichtungen angehörte, war das auch nicht weiter problematisch. Angesichts von Kirchenaustritten, Zuwanderung und einer Vervielfältigung von Glaubensrichtungen war allerdings eine Neuformulierung der Kriterien überfällig, nach denen Religionsgemeinschaften der Status einer Körperschaft zuerkannt wird. Dabei geht es vor allem um die damit verbundenen Vergünstigungen wie das Recht, Kirchensteuern einzuziehen.

Mit ihrem Grundsatzurteil haben die Verfassungsrichter die Aufnahme in den Kreis der Privilegierten nun erleichtert. Die Gemeinschaft muss dabei weder demokratisch organisiert sein, sie darf sich vom Staat sogar abwenden wie es die Zeugen Jehovas tun, indem sie Wahlen ablehnen. Der Staat ist zur Neutralität verpflichtet: nicht der Glauben ist entscheidend, sondern das Verhalten. Aber das, so stellen die Richter ebenfalls unmissverständlich klar, hat sich an Recht und Gesetz zu orientieren. Und daran werden die Zeugen Jehovas, denen rigide Erziehungspraktiken und die Unterdrückung von Ausstiegswilligen vorgeworfen werden, noch zu messen sein.

Quelle: Mannheimer Morgen