Eine der am meisten angeführten Veranschaulichungen Jesu, um Barmherzigkeit und was sie bewirken kann, aufzuzeigen, ist die Parabel vom verlorenen Sohn.

Unter Jehovas Zeugen nimmt diese Veranschaulichung einen wichtigen Platz ein; denn jährlich verlassen viele Mitglieder die >Organisation< oder werden ausgeschlossen. Laut Statistik verläßt jeder vierte Zeuge Jehova irgendwann die Organisation. In den >Komiteeverhandlungen< wird dann anhand dieses Gleichnisses von den Ältesten beurteilt, ob der Missetäter bereut oder nicht; ob er mit einer öffentlichen Zurechtweisung abgestraft wird oder ob ihm die Gemeinschaft zu entziehen sei. Aber das Gleichnis vom >verlorenen Sohn< veranschaulicht nicht den Ausschluß, sondern die Wiederaufnahme. Wie sollte die Wiederaufnahme eines Sünders von statten gehen? Wieviel an Barmherzigkeit darf er erfahren? Wieviel Barmherzigkeit sollte ihm zugebilligt werden? Welche >Werke, die der Reue entsprechen< muß der reuige Sünder hervorgebracht haben, um die Ältesten von seinem Gesinnungswandel zu überzeugen, damit er erfolgreich >wieder eingegliedert< werden kann? Hier haben Älteste eine große Verantwortung; abzuwägen zwischen der Schwere der Sünde und dem Maß der Vergebung.

Im Laufe der Jahre hat die Wachtturmgesellschaft unterschiedliche Standpunkte eingenommen. Mal fielen die >Urteile < milder, mal fielen sie drastischer aus. Vor allem aber sollte ein Exempel statuiert werden, um Menschen vom >Sünde-Treiben< abzuhalten. Der Maßstab, der gegenwärtig, in allen Zweifelsfällen zu Rate gezogen wird, ist der Wachtturm vom 15.12.1981 - und nicht so sehr die Bibel. Der Artikel basiert auf Matthäus 18:15-18, wo Jesus Anleitung gibt, wie in der Versammlung mit leichten bis schweren Verfehlungen umzugehen ist. Den Hirten in der Versammlung ist also ein nicht gerade beneidenswertes Los aufgetragen worden, hier mit Augenmaß, Sensibilität und göttlichem Geist Recht zu sprechen. Dies verleiht aber den >Hirten< ein gewisses Maß an Autorität, ja, Macht. Wo aber unvollkommenen Menschen Macht verliehen wird, da ist auch der Machtmißbrauch nicht fern. Zweifellos gibt es unter Jehovas Volk reuelose Sünder, bei denen ein Gemeinschaftsentzug durchaus gerechtfertigt ist. Wie aber verhalten sich die selben Ältesten, die dem Sünder die Gemeinschaft entzogen haben, bei seiner Wiederaufnahme?

Wie geht ein reuevoller Sünder vor, wenn er wieder aufgenommen werden möchte? Er besucht den Königreichssaal. Und wie wird er dort aufgenommen? Was hat die Organisation in diesem Fall vorgesehen? In der Regel wird er von niemanden begrüßt; zumindestens nicht von den einfachen Glaubensbrüdern. Dies ist streng verboten und wird unbarmherzig geahndet. Einem Ausgeschlossenen die Hand zur Begrüßung entgegenzustrecken, gilt als große Sünde gegen Gott. Der betreffende könnte des ewigen Lebens verlustig gehen. Das Begrüßen von Ausgeschlossenen ist ausschließlich den Ältesten vorbehalten. In der Ältestenschulung wird diesbezüglich gesagt, daß die Ausgeschlossenen, beim Besuch eines Königreichssaals, erst nach dem Lied und Gebet, den Saal betreten dürfen und vor dem Schlußlied wieder den Saal zu verlassen haben. Diese Maßnahme ist vorgesehen, um einer >geistigen Infektion< vorzubeugen. Der Ausgeschlossene soll keinerlei Möglichkeit erhalten, auch nur ein einziges Wort mit irgendeinem Zeugen Jehovas wechseln zu können. Keinem Abtrünnigen soll die Gelegenheit gegeben werden, seine Irrlehren zu verbreiten. Schließlich ist er mit >geistigem Aussatz< behaftet - und jede Berührung mit einem Aussätzigen kann >tödlich< sein. Mußten doch zur Zeit Jesu die Aussätzigen „Unrein, Unrein“ ausrufen, damit sich kein Gesunder in ihre Nähe wagte, um somit einer Ansteckung vorzubeugen. So heißt es auch im Wachtturm vom 15.12.1981, Seite 19-25; Absatz 12: >>Ja, die Bibel gebietet Christen, keinen Umgang oder keine Gemeinschaft mit einer Person zu pflegen, die aus der Versammlung ausgeschlossen worden ist. Jehovas Zeugen sprechen daher passenderweise von einem >Gemeinschaftsentzug<, wenn ein reuelose Missetäter ausgeschlossen und anschließend von ihnen gemieden wird. Daß sie mit einem Ausgeschlossenen weder auf geistiger noch auf gesellschaftlicher Ebene Gemeinschaft haben wollen, verrät Loyalität gegenüber den Maßstäben Gottes und Gehorsam gegenüber seinem in 1.Korinther 5:11, 13 aufgezeichneten Gebot.<< Soweit das Zitat. Aber hatte Jesus nicht Umgang mit Huren und Steuereinnehmern? In dem erwähnten Wachtturm heißt es auf Seite 15-19; Absatz 18: >>Es waren Männer, die unwissentlich gesündigt hatten, ...<< Es ist hier von Matthäus, dem Steuereinnehmer die Rede. Wurde Matthäus unwissentlich und aus Versehen Steuereinnehmer? Absurd! Und wie steht es mit Jesus? Daß er mit Steuereinnehmern und Huren Umgang hatte, ist in der Bibel festgehalten. Aber wie stand er zu Ausgeschlossenen? Die Juden mieden Ausgeschlossene, wie Aussätzige. Jesus hatte einen Blind geborenen sehend gemacht. Den Pharisäern war das nicht geheuer und so luden sie den sehend gewordenen vor den Rat, der untersuchen sollte, ob Betrug im Spiel war. Am Ende hielten sie ihn für einen starrsinnigen Rechthaber und schlossen ihn aus der Synagoge aus. Als Jesus davon hörte suchte er ihn auf! (Joh.9:35-41). Unter Jehovas Zeugen eine Unerhörtheit. Jehovas Zeugen hätten Jesus ohne weiteres mit ausgeschlossen! Er hat nämlich mit einem Ausgeschlossenen geredet und das ist bei Jehovas Zeugen verboten! Und womit begründen sie dieses Vorgehen? Sie zitieren dazu 2. Joh.9-11; dort heißt es: >Jeder der vorausdrängt und nicht in der Lehre des Chrstus bleibt, hat Gott nicht. Wer in dieser Lehre bleibt, der hat sowohl den Vater als auch den Sohn. Wenn jemand diese Lehre nicht bringt, so nehmt ihn niemals in euer Haus auf, noch entbietet ihm einen Gruß. Denn wer ihm einen Gruß entbietet, hat an seinen bösen Werken teil.<

Jehovas Zeugen argumentieren, daß hier der eindeutige Beweis geliefert wird, daß man mit Ausgeschlossen kein Wort reden darf. Die würden nämlich alle Lügen und Irrlehren verbreiten. Zweifellos gibt es Menschen die die Organisation der Zeugen Jehovas verlassen und sich anschliesend an ihr rächen, indem sie Unwahrheiten über sie erzählen. Wenn man aber die Zeugen fragt, von welcher Irrlehre hier die Rede ist, dann sagen sie, die Irrlehren über die Organisation – und desshalb darf man nicht mit ihnen reden. Stimmt das aber? Machen sich die Zeugen das nicht zu einfach? Gehen wir doch einmal zu 2. Johnannes zurück, und lesen den Vers 7; dann kommen wir der Sache schon näher, dort heißt es: >>Denn viele Betrüger sind in die Welt ausgegangen, Personen, die das Kommen Jesu Christi im Fleische nicht bekennen. Dies ist der Betrüger und der Antichrist.<< In Gesprächen mit Zeugen Jehovas, vertraten diese die feste Meinung, daß man den Vers 7 auf keinen Fall zusammen mit den Versen 9-11 lesen dürfe. Reißen die Zeugen etwa die Verse 9 bis 11 aus dem Zusammenhang und wenden sie dann auf alle möglichen Menschen an, die die Organisation einmal verlassen haben? Genau so ist es! Dabei empfiehlt doch die Organisation, man solle immer den Kontext mit einbeziehen. - Pure Heuchelei - die Zeugen tun nämlich gar nicht, was sie lehren! (Matth.23:3).

Prüfen wir doch einmal selber nach. In Vers 10 wird von >dieser Lehre< gesprochen, wohlgemerkt, von einer Lehre, nicht von mehreren. Welche Lehre ist damit gemeint? Die Argumentation der Zeugen, hiermit seien alle falschen Lehren gemeint. Ihre Argumentation: >Wer ausgeschlossen wird verläßt somit die Lehre des Christus<. Alles unbiblisch und Falsch! In Vers 7 wird von einem Betrüger gesprochen, der eine bestimmte Lehre nicht bringt, und an Hande dessen könnte man den Betrüger entlaven. Die Irrlehre der Betrüger sagt: >>Christus war kein Mensch aus Fleisch und Blut<< (2.Joh.7, Gute Nachricht). Was waren das für Leute? Um was für Menschen handelt es sich hier? Es handelt sich hier um eine Gruppe von Menschen, die sich Gnostiker nannten und die ersten Religionsphilosophen waren. Sie glaubten nicht, daß Jesus am Kreuz starb, sondern am Kreuz starb Simon von Kyrene, der wirkliche Christus hätte sich aus dem Staub gemacht. Somit war die Lehre vom Lösegeld, daß Jesus für unsere Sünden starb, wertlos. Jesus war umsonst gestorben, sein Tod sinn- und zwecklos. Da die Betrüger das Loskaufsopfer Jesu verwarfen widersetzten sie sich Christus; sie wurden zu Wider-Christen, das bedeutet nämlich das Wort Anti-Christ.

Aber nicht jeder der einer schweren Sünde zum Opfer gefallen ist gehört in diese Kategorie von Christusleugnern. Die meisten Gemeinschaftsentzüge werden bei den Zeugen wegen Unmoral ausgesprochen, aber der >Treue und verständige Sklave< hat anscheinend noch nicht soviel >Licht< diesen Unterschied zu erkennen, geschweige denn zu verstehen; Irrlehre Nr.1.

Wie steht aber das eingangs erwähnte Gleichnis vom ‘verlorenen Sohn’ in Bezug zur Wiederaufnahme eines Ausgeschlossenen? Was lesen wir in dem Lucas Evangelium (Luk.15:11-32) diesbezüglich? Wie verhielt sich der Vater des ‘verlorenen Sohnes’ zu seinem Sohn, der als reuiger Sünder bei seinem Vater ankam?

Es war früher Nachmittag gewesen. Der Vater stand vor dem Haus und sein Blick glitt den staubigen Weg hinunter ins Tal. Vor geraumer Zeit war sein jüngster Sohn diesen Weg hinab gewandert; ein frohes Liedchen pfeifend. Wie ungeduldig war er doch gewesen; konnte es kaum erwarten die große weite Welt zu entdecken. Zu Hause war ihm alles viel zu eng geworden. Immer nur Pflichten; wenig Entspannung und von Fete und Tanz ganz zu schweigen. Ja, so war er fortgezogen; er wollte die Welt erobern. „Endlich sich selbst verwirklichen, ohne Papa immer im Genick. Freiheit, ich komme!“

Die Blicke des Vaters schweifen die Straße hinab; so wie jeden Tag. Es ist so, als würde er auf etwas warten, das er sich nicht erklären konnte. Wartete er insgeheim auf die Rückkehr seines ‘Springinsfeld’?

Als seine Augen den Weg ins Tal folgen, entdeckt er, daß da jemand auf dem Weg herauf zu ihm war. Als er genauer hinsieht, glaubt er seinen Augen nicht zu trauen. Die Statur und der Gang dieses Menschen kannte er durch und durch. Ja, er wußte wer es war; niemand brauchte es ihm zu sagen. Sein Vaterherz verriet es ihm. Fast wie ein Jubel jauchzte es in ihm: Da kommt mein Sohn! Aber warum war sein Gang schleppend? Die Schultern nach vorn gebeugt, die Arme fast hängend. Ganz anders, als er ausgezogen war, die Welt zu erobern. Fast keck Lebewohl sagend. Ein riesengroßes Mitleid bemächtigt sich seiner. Es hält ihn nicht mehr auf dem Fleck. Er macht das Tor auf und läuft die Straße hinunter, seinem Sohn entgegen. Als er näher kommt sieht ihn sein Sohn immer noch nicht; er hält seinen Blick gesenkt, so als wollte er die Steine auf dem Weg zählen. Plötzlich steht sein Vater vor ihm; fast hätte er ihn umgerannt. Langsam wandern die Blicke des Sohnes an der Statur des Vaters empor. Aber er traut sich nicht ihm in die Augen zu sehen. Er schämt sich. Einen Augenblick steht es so da, hört noch wie sein Vater sagt „Mein Sohn“, dann wird er von seinen Gefühlen übermannt und wirft sich in die ausgebreiteten Arme des Vaters. Ein Kloß sitzt ihm im Hals. „Vater, ich - ich bin ein Versager, habe nur Mist gebaut. Habe im Grunde gegen dich und Gott gesündigt. Das schöne Erbe - alles futsch. Ich verdiene es nicht dein Sohn genannt zu werden. Laß mir ganz einfach einen Arbeitsplatz zuweisen; es kann auch die primitivste und dreckigste Tätigkeit sein. Ich habe mich benommen, wie ein Idiot und ein Schwein obendrein. Nein, - Sohn kannst du mich nicht mehr nennen. Ich habe dir nur Schande bereitet. Ich tauge nichts!“.

Der Vater lächelt ihn an; und jetzt stehen in seinen Augen auch noch ein paar Tränen. Liebevoll drückt er seinen Sohn; der zu schluchzen beginnt. Er gibt seinem Jüngsten einen dicken Kuß auf die Wange und herzt ihn, so wie er es tat als er noch ein kleiner Steppke war. Nun muß der Sohn erst recht schluchzen. Der Vater beruhigt ihn, legt seinen Arm um ihn und beide machen sich gemächlich auf den Nachhauseweg.

Aber zurück zu Jehovas Zeugen: Wie lange mußten Ausgeschlossene regelmäßig die Zusammenkünfte besuchen? Viele Monate lang, manche sogar einige Jahre lang - und nie hat jemand mit ihnen geredet, sie willkommen geheißen. Treu und brav sind sie nach dem Lied und Gebet in die Zusammenkünfte geschlichen, wie ein geprügelter Hund, mit eingezogenem Schwanz und angelegten Ohren, und haben sich auf die letzte Stuhlreihe gesetzt. Am Ende der Zusammenkunft, sobald der Redner von der Bühne herab sagte: „Jetzt wollen wir die Zusammenkunft mit Lied und Gebet abschließen, mußten sie unverzüglich ihre Sachen einpacken und fluchtartig den Saal verlassen. Ein Vergleich mit dem Gleichnis vom >verlorenen Sohn< zeigt eindeutig, daß die Praxis, wie man mit verirrten Schafen umgeht, unbiblisch und zutiefst unchristlich ist. Als der >Vater< sah, daß sein Sohn auf dem Weg zu ihm war, blieb er nicht stocksteif auf dem Fleck stehen, sondern ging dem reuigen Sünder entgegen! Wenn ein Ausgeschlossener den Königreichssaal betritt geht kein Ältester dem Sünder entgegen. Der >Vater< fiel seinem Sohn um den Hals und küßte ihn. Niemand in der Versammlung würde auch nur im entferntesten auf die Idee kommen solch eine menschliche Geste zu zeigen; keiner nimmt den Sünder in den Arm. Im Gegenteil. Wenn sich ein einfacher Verkündiger von seinen inneren Empfindungen dazu hinreißen lassen würde; dann riskiert er vor ein Rechtskomitee gezerrt zu werden. Und sollte er seinen >groben Fehler< nicht einsehen und bereuen, dann kann ihm ein Ausschluß drohen. Menschliche Regungen sind in Verbindung mit Ausgeschlossenen absolut tabu. Die menschlichen Regungen, die der Vater zu seinem verlorenen, reumütigen Sohn hatte, gibt es bei Jehovas Zeugen nicht! Was gilt ist: Du hast eine Norm übertreten und dafür mußt du BESTRAFT werden! Daher auch dieses Mißtrauen, das man Ausgeschlossenen Personen entgegenbringt, wenn sie einen Königreichssaal betreten. Dann sehen die Zeugen in dem betreffenden gleich einen Wolf der es darauf abgesehen hat in die Herde einzudringen und dieselbe durch seine Irrlehren zu verderben (Eph.20:29). Aber zurück zum Gleichnis:

Vater und Sohn sind am Haus angekommen. „Am besten du nimmst zuallererst einmal ein Bad“, sagt der Vater und seine Blicke wandern an den verschmutzten Klamotten seines Sohnes rauf und runter. Er ruft einen Diener herbei und gibt ihm Anweisungen. Der Sohn sollte nach dem Bad ein Festtagsgewand bekommen. Heute soll ein Tag der Freude sein. Trauer, Schmerz und Leid sollten außen vor bleiben. Einigen anderen Dienern gibt er die Anweisung ein Bankett, mit Musik und Tanz zu organisieren - und dazu sollte auch das Mastkalb geschlachtet werden. An nichts sollte es fehlen. Die Rückkehr seines Sohnes sollte unvergeßlich bleiben.

Alles läuft, wie am Schnürchen. Bloß sein ältester Sohn macht quer. Schon zweimal hatte der Vater zu ihm gesandt, aber der glänzt durch Abwesenheit. Er könne nicht kommen. Der Vater kennt seinen Ältesten; alles nimmt er so genau; will alles perfekt machen. Er weiß, auf ihn ist immer Verlaß. Aber jetzt weigert sich der Dickkopf zu kommen und an dem Freudenfest teilzuhaben. Die Musik spielt, es wird getanzt, gesungen, das Essen ist vorzüglich. Bloß der Dickkopf fehlt noch. „Nun, da werde ich ihn eben selber holen müssen“, sagt sich der Vater. „Sohn, warum willst du nicht kommen, alles ist doch fertig und alle freuen sich“, sagt der Vater etwas außer Atem, der die Anhöhe erklommen hat, auf dem der Sohn mit einigen Knechten arbeitet. „Macht doch für Heute Schluß, und kommt, laßt uns fröhlich sein“, redet der Vater beruhigend auf seinen Ältesten ein. Das Gesicht seines Ältesten ist trotzig, verschlossen und ernst zu Boden gerichtet. „Ich hab’s ja schon immer gesagt, an deinem Nästhäkchen hast du schon immer einen Narren gefressen“, bricht es jetzt aus ihm hervor. „Du hattest schon immer eine Schwäche für diesen Taugenichts. Hast du vergessen, daß er dein schönes Erbe im Puff verschwendet hat! Und jetzt, da er abgebrannt ist, kommt er zu dir untergekrochen? Erkennst du denn nicht, daß das der Typ von Schmarotzer ist, die ihre Väter schamlos ausnehmen? Und du merkst es nicht mal! Nein, so etwas kann ich nicht auch noch unterstützen. Nein und Nein und abermals NEIN!“ „Beruhige dich doch“, entgegnet der Vater und legt seinem Ältesten die Hand auf die Schulter. „Weißt du - für uns alle war er, solange er in seinem selbstmörderischen Lauf verharrte, so gut, wie gestorben. Aber jetzt hat er seine Denkweise geändert. Er sieht ja selber ein, daß sein bisheriger Lebensstiel falsch war. Ich bin der Meinung man sollte ihm diese Gelegenheit geben. Sein Erbe hat er gehabt und leider Gottes vergeudet. Aber jetzt bist du sowieso derjenige der alles einmal erbt. Aber bis es soweit ist, gehört alles, was ich besitze sowieso dir. Aber bitte, verstehe mich richtig. Auch er ist unser Fleisch und Blut. Und ich liebe doch euch beide. Unter diesen Umständen mußten wir einfach fröhlich sein. Kannst du das Verstehen?“ Hier endet das Gleichnis.

Warum erzählte Jesus diese Veranschaulichung? An jenem Tag waren vor ihm versammelt die Zöllner und Leute mit schlechtem Ruf - also die Klasse des >verlorenen Sohnes<, und auch die selbstgerechten, unbarmherzigen Pharisäer und Gesetzeslehrer, - die Klasse des >älteren Sohnes<; die es nicht begreifen konnte, daß auf eine Verfehlung nicht Strafe folgen sollte (Luk.15:1,2; Gute Nachricht). Die Denkweise Gottes, der von dem Sünder lediglich eine Sinnesänderung und Umkehr verlangt, konnten sie nicht nachvollziehen. Sie waren so besessen von der Gesetzmäßigkeit von Rache und Vergeltung, daß sie die ausgestreckte Hand Gottes, in ihrer maßlosen Selbstgerechtigkeit, völlig übersahen. Und genau in dieser Falle sitzen Jehovas Zeugen. Ein >Redeverbot< gegenüber dem betreffenden Sünder sei zwingend geboten, argumentieren sie, denn sollten die Glieder in der Versammlung mit ihm reden, oder ihn gar freudig empfangen, dann wäre es ja keine BESTRAFUNG mehr. Eine BESTRAFUNG müsse in jedem Falle erfolgen – im Gegensatz zu dem Vater des Verlorenen Sohnes, der auf Strafe verzichtete. Ihre Argumentation: >>Jehova Gott stellt zwar den Vater des verlorenen Sohnes dar, aber Jehova und sein Sohn sind in den Himmeln, wir aber sind auf der Erde. Jehova sieht das Herz, wir nicht – folgedessen müssen wir BESTRAFEN!<<. Eine Zeugin erzählte, daß sie zehn Jahre lang kein einziges Wort mit ihrem Vater gesprochen habe während er ausgeschlossen war; dies sei ihr sehr schwer gefallen, aber sie schlußflogert, daß sie durch diesen schier unmenschlich praktizierten Liebesentzug, den Vater dazu bewegen konnte endlich wieder in die Versammlung zurückzukehren. Fazit: In den Zeugen Jehovas sind die unbarmherzigen, selbstgerechten Pharisäer wiedererstanden; die von der Gesetzmäßigkeit von Rache und Vergeltung förmlich besessen waren, infolgedessen jeder Fehler, jede Sünde erbarmungslos BESTRAFT werden müßte. Ihre geistige Blindheit hindert sie daran, das Gleichnis vom Verloren Sohn so zu verstehen, wie Jesus es vestanden haben wollte; Irrlehre Nr. 2. Jeder ernst zu nehmende Christ, der sich diesem pharisäischen Diktat beugt, und sich der menschenverachtenden Prozedur einer Wiedeaufnahme über sich ergehen läßt, begeht vor Gott und seinem Sohn eine Sünde – denn jeder der dagegen nicht die Stimme erhebt, bestärkt gerade die Wachtturmgesellschaft in ihrem unchristlichen Tun - in ihrem >Sündetreiben<!

Die meisten Ausgeschlossenen kehren aber nicht wieder zur Organisation zurück. Von den Zeugen wird ihnen Hochmut und Stolz vorgeworfen. Sie würden sich weigern, sich unter die >fürsogliche Hand Jehovas< zu begeben. Kann es sein, daß die Zeugen hier das Opfers eines Denkfehlers geworden sind? Die meisten Ausgeschlossenen stellen fest, daß sie nach dem Ausschluß, nicht wie prophezeit, ins Bodenlose fallen, sondern - daß sie sich einer nie geahnte Freiheit erfreuen: >>Endlich aus dem Hühnerhof raus, mit seiner festgelegten >Hackordnung<, endlich nicht mehr angepaßt und gleichgeschaltet leben!<<

Die Pharisäer glaubten ihre Rettung >erarbeiten< zu können - ja, zu müssen. Der verlorene Sohn wußte, daß er dem Vater nichts bieten konnte, außer das Eingestehen der persönlichen Schuld. Der Sohn fiel unter >Amnestie<. Er konnte sich seine Wiederaufnahme nicht mehr erarbeiten oder verdienen. Er hatte das Erbe bereits verschleudert. Alleine das Zurückkehren zum Vater sollte belohnt werden.

Bei Jehovas Zeugen werden >verirrte Schafe< genau beobachtet, ob sie auch >Werke die der Reue entsprechen< hervorbringen. Sie müssen sich ihre Wiederaufnahme förmlich verdienen. Vor Gott - alles vergebliche Werke. Wir stehen unter Amnestie! Wenn es nach Gerechtigkeit geht, - dann sind wir alle verloren. Als Jesus einmal einen Blindgeborenen sehend gemacht hatte, sagte er zu dem Geheilten: „Ich bin in diese Welt gekommen, damit die Blinden sehen und die Sehenden blind werden“ (Joh.9:30). Christen, die das Gleichnis vom Verlorenen Sohn, mit den Augen des Herzens begriffen haben, „sehen“, wie dieses Gleichnis angewandt werden muß – und die Wachtturmgesellschaft?

Willi