Berufung gegen Gemeinschaftsentzug

Liebe Brüder,

das Rechtskomitee der Versammlung [...] hat mir am 20 November 2000 telefonisch mitgeteilt es sei verpflichtet mich auszuschließen. Ich lege hiermit gegen diesen Beschluss Berufung ein.

Gründe: Die Ältesten hielten mir vor, man habe mich mit der ausgeschlossenen ehemaligen Schwester Monique ... aus [...] sprechen sehen, und man verlangte, dies künftig gemäß den Anweisungen zu unterlassen; ich müsse diese Frau wie nicht existent behandeln.

Monique ... wohnt im gleichen Haus mit mir, in der Wohnung direkt unter mir; wir sind die beiden einzigen Mietparteien, was schon ersichtlich macht, dass es manchmal Dinge notwendig zu besprechen gibt, ähnlich wie wenn zwei Personen am gleichen Arbeitsplatz tätig sind. Darüber hinaus kennen wir uns seit vielen Jahren und sind befreundet, ich weiß, dass ihr Gemeinschaftsentzug auf einer falschen Beschuldigung beruht. Aus diesem Grund konnte und kann ich es vor meinem Gewissen nicht verantworten, sie wie eine Schuldige zu verurteilen, gar wie eine Antichristin zu behandeln. Wohlgemerkt ich stelle nicht die biblische Einrichtung und Verfahrensweise des Gemeinschaftsentzugs in Frage. Es handelt sich hier um den konkreten Fall dieser Schwester, was ja auch die Anklage war, um nichts anderes.

Auch die Ältesten wissen inzwischen, dass die Anklage gegen Monique falsch war. Doch sie sagten: Auch wenn sie das nicht getan hat, wessen man sie beschuldigte, so hat sie dann doch bei der Verhandlung nicht die Wahrheit gesagt, und der Gemeinschaftsentzug ist dann eben für die Unwahrheit, für Lüge.' Man zitierte mir Offenbarung 21:8 und den Fall von Ananias und Sapphira. Das erscheint mir so, wie wenn ein Richter der Welt. sagen würde : der Mensch Ist wegen schweren Raubes verurteilt; nun stellt sich heraus, dass er an der Tat unschuldig ist; aber er hat, wie mir jetzt bekannt wurde, irgend wann einmal eine Sachbeschädigung verursacht. Darum übertragen wir einfach das Urteil Nicht einmal im satanischen Weltsystem - um es mit dem Wortlaut unserer Veröffentlichungen auszudrücken - wäre das möglich; selbst dort erwarten die Brüder, wenn sie die Gerichte anrufen, doch Gerechtigkeit; sollte unsere theokratische Gerechtigkeit geringer und schlechter sein? Und sollte jemand, der von einem ungerechten Urteil weiß, dann zu einem lieblosen und ungerechten Verhalten gegen sein eigenes Gewissen aufgefordert, genötigt oder gar unter Androhung von Sanktionen gezwungen werden? (Der Wachtturm 15.7.1997 S.13 § 21)

Ich dachte immer, dass die Gesellschaft die Ältesten in ihren Informationen angewiesen hat, bei der Behandlung von Unwahrheiten oder Lügen gutes Urteilsvermögen, Ausgeglichenheit und Vernünftigkeit walten zu lassen, besonders wenn der Betroffene psychischem Druck oder Stress ausgesetzt war oder er Menschenfurcht hatte, und wenn bekannt Ist, dass sich jemand nicht schamloses und böswilliges Lügen zur Gewohnheit gemacht hat. Man sollte diejenigen vielmehr mit liebevoller biblischer Ermahnung wieder zurecht bringen und nicht einfach ein falsches Urteil auf einen völlig anderen Sachverhalt übertragen, weil man sich vielleicht davor fürchtet. ein Unrecht eingestehen zu müssen. Aber ein anderes Unrecht hebt das frühere nicht auf.

Ein weiterer Punkt ungerechten Verhaltens seitens der Ältesten muss ich hier leider erwähnen. Man erlaubte mir, Monique als Zeugin zur Verhandlung mitzubringen; aber während mehr als einer Stunde, in der die Ältesten mit ihr sprachen, wurde ich aus dem Raum verwiesen. Vor welchem Gericht jedoch wird der Angeklagte aus dem Raum gewiesen. wenn sein eigener Zeuge gehört wird? Es war meine Verhandlung, nicht die von Monique! Ist das gerecht oder Machtmissbrauch ? Danach sagte man mir unter anderem, man könne einen (ungerechtfertigten) Gemeinschaftsentzug nicht aufheben, denn welchen Eindruck würde das bei den Brüdern und Schwestern in der Versammlung machen! Aber hat nicht der Wachtturm vom 15.9.1996 gezeigt, daß man Vertrauen gewinnt, wenn man sich entschuldigt, und dazu gehört doch sicher auch das Berichtigen von Irrtümern oder Unrecht, wie ja auch der Wachtturm vom 15.11.1993 sagt. Niemand macht den Ältesten Vorwürfe, denn sie waren damals bei ihrer Entscheidung im guten Glauben, aber jetzt wissen sie, dass diese Entscheidung - ohne ihr Verschulden - falsch war, da Monique nicht getan hat, was unter 1 Kor. 5 und 2 Joh. 10-11 fallen sollte. Sollte man diese deshalb nicht doch in Ordnung bringen, statt am Unrecht festzuhalten wegen ihres Ansehens'?

Man verwies mich wiederholt auf Matt. 18:13-17. Mir ist nicht bekannt, dass ich gegen jemanden im Sinne von Matt. 18 gesündigt hatte. Falls man nur den Vers 17 gemeint haben sollte, aus dem Zusammenhang heraus, nur um die Verhaltensweise gegen Fremde und Steuereinnehmer' zu erläutern, so bin ich gern bereit, diese Worte Jesu zu beachten. Und hat Jesus den Jüngern nicht selbst vorgelebt, wie er seine Worte verstand? Er erfüllte das Gesetz Jehovas vollkommen, also auch die Worte in 5. Mose 10:18-19. Oder wollten die Brüder mir sagen. er habe seinen Jüngern die Nachahmung des hartherzigen und unbiblischen Beispiels der Pharisäer empfohlen und nicht die Beachtung des Gesetzes und seines eigenen Beispiels?

Man stellte mich vor die Wahl, zu gehorchen oder die Konsequenzen zu tragen. Aber kann mich jemand zwingen, gegen mein Gewissen zu handeln, was ja Sünde ist (Röm. 14:23). Der Einwand, ein Gewissen könne sogar gewissen Verhaltensweisen zustimmen wie zum Beispiel, wenn Menschen aus der Welt finden, dass ein Leben in wilder Ehe' völlig normal sei, halte ich für geschmacklos, ja für widerwärtig, wenn man dies einer Schwester sagt, die sich wirklich bemüht hat und bemüht, nach Gottes Wort zu leben. Kann man von mir verlangen, etwas zu tun. was ich als Unrecht erkenne ? Sind Älteste Herren meines Glaubens (2. Kor. 1:24)? Wenn Älteste (unbewusst und deshalb auch unfreiwillig) ein Unrecht getan haben, sollten sie es dann nicht von sich aus in Ordnung bringen statt zu verlangen, das Unrecht um der Einheit willen mit zu tragen?

Und kann man mir vorwerfen, der Organisation nicht unterwürfig zu sein oder zu gehorchen? Wo hat die Organisation je verlangt, eine bekanntermaßen falsche Entscheidung der Ältesten gegen das eigene Gewissen zu vertreten? Die Brüder in Frankreich haben gerade jetzt in ihrem Traktat Welches Komplott wird in Frankreich geschmiedet ?', den sie in 12 Millionen Exemplaren verteilen. deutlich gesagt, dass sie die Gewissensfreiheit sehr hoch halten'. Das ist doch wohl die Meinung der Organisation, oder? Denken hier die Ältesten nicht auch so? Wollen sie mich zu einer Abtrünnigen' machen, nur um an ihrem Unrecht festzuhalten?

Ich habe in den Jahren der Gemeinschaft mit den Brüdern - sowohl als Pionierin wie als Verkündigerin - die Bruderschaft schätzen und lieben gelernt, und ich würde sie jederzeit gegen Unrecht und falsche Anklagen verteidigen, aber ich habe auch gelernt, dass wir vor unserem Schöpfer Jehova eine persönliche Verantwortung tragen (Röm. 14:12; 2. Kor. 5:10).

Ich habe nichts getan, was ich vor Jehova und seinem Sohn, dem Richter aller, nicht bekennen würde, nichts, was nach meiner Erkenntnis einen Gemeinschaftsentzug verdienen würde. Und ich kann vor Jehova nicht gegen mein Gewissen handeln.

Zusammenfassend stelle ich fest, dass die Ältesten mich keiner Sünde anhand der Bibel überführt haben. Der Eindruck verstärkt sich, dass ich gerichtet und verurteilt werde aufgrund von Regeln und Anweisungen, zu denen nur Älteste Zugang haben und der Wachtturm vom 15.1.1994 S. 17 und 20 verstärkt mich noch in meinem Unbehagen. Darin war über die Anweisungen, die Älteste als gerechte Richter anwenden sollten, folgendes zu lesen: Älteste müssen die Bibel regelmäßig studieren und zu Rate ziehen sowie mit den biblischen Publikationen gründlich vertraut sein, die der treue und verständige Sklave veröffentlicht (2. Timotheus 3:14, 15). Dazu gehören die Zeitschriften Der Wachtturm und Erwachet! sowie andere Veröffentlichungen, die die Anwendung biblischer Grundsätze in speziellen Situationen zeigen.' Eine dieser Veröffentlichungen wird dann in einer Fußnote wie folgt beschrieben; .Zu diesen Veröffentlichungen gehört das Buch 'Gebt acht auf euch selbst und auf de ganze Herde', das biblische Richtlinien enthält und für ernannte Versammlungsaufseher oder Älteste bestimmt ist. Welche andere Veröffentlichungen gibt es noch? Ich glaube zu wissen, dass die Israeliten nur ein Gesetz hatten, sowohl für die Richter wie für die Angeklagten. Abschließend möchte ich noch sagen, dass ich nie den Eindruck hatte, dass meine Verhandlung im Geiste des Wachtturms vom 17.1992 S.15-16 verlief. Auszugsweise war zu lesen: Mit ehrerbietiger Furcht müssen Älteste, die einen Rechtsfall behandeln, ihr Äußerstes tun, um sicherzugehen, dass Jehova tatsächlich 'mit ihnen ist in der Sache des Gerichts'. Ihre Entscheidung sollte genau widerspiegeln, wie Jehova und Christus den Fall betrachten ... Die Atmosphäre bei einer Verhandlung vor dem Rechtskomitee sollte zeigen, daß Christus tatsächlich in ihrer Mitte ist.' Zu keiner Zeit verspürte ich diese Gegenwart Christi, noch dass man bestrebt gewesen wäre, ein Schaf mit den Worten zu retten, die ihm sein Vater anvertraut hatte!

Für all diese Gründe lege ich hiermit Berufung gegen den beabsichtigten Gemeinschaftsentzug ein in der Hoffnung, gerechte Richter zu finden

In Erwiderung Eurer Antwort sende ich Euch meine brüderlichen Grüße.


[...], den 10. Dezember 2000

Lieber Bruder, liebe Schwester,

ich schreibe Euch heute diesen Brief aus aufrichtiger brüderlichen Zuneigung und um meine Freude über all das, was uns in der Anbetung des wahren Gottes Jehova und unseres Retters Jesus Christus verbindet, zum Ausdruck zu bringen. Obwohl ich fest entschlossen bin, treu bis zum Ende auszuharren, könnte dieser Brief möglicherweise leider ein Abschiedsbrief werden. Es ist wahrscheinlich, dass Ihr schon bald allerlei Gerüchte und Behauptungen über mich zu hören bekommt (vielleicht ist es schon der Fall), was bei Euch Verwunderung und Traurigkeit verursachen könnte. Ich habe mich also entschlossen, Euch über das, was geschah, zu informieren.

Man sah mich mit Monique ... sprechen, eine ausgeschlossene Schwester die im selben Haus wie ich wohnt, in der Wohnung direkt unter mir. Wir sind die einzigen Hausbewohner; schon daraus ergibt sich manchmal die zwingende Notwendigkeit, gewisse Dinge miteinander zu besprechen. Darüber hinaus kenne ich sie seit vielen Jahren; sie ist eine Freundin, und ich weiß, wie auch die Ältesten jetzt wissen, dass die Anschuldigungen, die zu ihrem Gemeinschaftsentzug führten, falsch sind. Deshalb konnte ich sie vor meinem Gewissen und vor Jehova Gott nicht als Schuldige oder Antichristin behandeln oder verurteilen. Man verlangte von mir, künftig die Anweisungen der Gesellschaft zu beachten, die besagen, kurz gefasst, diese Frau gleichsam als nicht existierend zu betrachten.

Statt von sich aus den auf falschen Gründen beruhenden Gemeinschaftsentzug von Monique in Ordnung zu bringen, erklärte man mir, 'wenn sie auch das, wessen man sie beschuldigte, nicht getan hat, so hat sie eben nicht die Wahrheit gesagt, und drum gilt dann der Ausschluss für die Lüge'. Man sagte mir deutlich, Lüge sei schlimmer als Hurerei, da letzteres aus Schwäche getan werden kann, Lüge aber aus Berechnung geschieht (obwohl ihnen bekannt sein müsste, dass die Gesellschaft die Ältesten ermuntert, zu berücksichtigen, ob die Person unter starkem psychischen Druck oder in einer stressigen Situation sich befand und vielleicht auch unter Menschenfurcht sprach, besonders wenn bekannt ist, dass sie keine gewohnheitsmäßige Lügnerin ist). Wie würdest Du empfinden, wenn Dich ein weltlicher Richter wegen eines schweren Verbrechens verurteilen würde, dann aber, wenn sich Deine Unschuld herausstellt, sagt: Gut, das Verbrechen hat der Betreffende nicht begangen; aber ich weiß, dass er irgendwann einmal Sachbeschädigung verübt hat, und so lassen wir das Urteil einfach dafür bestehen'. Würdest Du nicht laut 'Unrecht' schreien? Eine solche Verfahrensweise wäre in der Welt nicht möglich, aber sie scheint im theokratischen Recht erlaubt zu sein; ist das das Rechtssystem der neuen Ordnung? Könnte man da von 'einem neuen Himmel und einer neuen Erde, in denen Gerechtigkeit wohnt' reden? Und ferner verlangt man noch von jedem einzelnen Zeugen, dass er sich am Unrecht des Urteils durch sein Verhalten beteiligt! Ja, man will ihn dazu zwingen, indem man ihn mit Ausschluss bedroht, wenn er sich dieser Forderung nicht beugt und statt dessen seinem Gewissen folgt. Man sollte auch nicht vergessen, dass zur Zeit auch andere treue Zeugen in [...] wegen der gleichen Anklage gerichtet werden.

Ich habe immer gelernt, dass man Unrecht berichtigen, nicht im Unrecht beharren und andere noch dazu zwingen soll. Nun aber habe ich große Schwierigkeiten, weil ich der Bibel und meinem Gewissen folge, und dies führte zu einer Vorladung vor ein Rechtskomitee. Zu der Verhandlung mit den Ältesten möchte ich noch ausfuhren, dass die Ältesten sich durchweg freundlich verhalten haben; aber 'liebevolle Älteste', wie der Wachtturm immer schreibt? Von dieser Liebe konnte ich nichts empfinden; man befolgte loyal die Anweisungen, Anweisungen der Gesellschaft. Ich dachte bisher immer, dass die Anweisungen für Älteste lauten würden: Unterscheidungsvermögen, Vernunft, Ausgeglichenheit und Verständnis, ja Liebe zu bekunden, an dem einzelnen Menschen interessiert zu sein; man war aber trotz mehrstündigen Diskussionen nur an einem interessiert; an meinem Gehorsam, an meiner Unterwerfung! Mein Gewissen interessierte Überhaupt nicht und niemanden, und ich hatte nicht den Eindruck, dass Ihr eigenes Gewissen, angesprochen durch die biblischen Argumente, die ich ihnen vortrug, irgendeine Bedeutung hatte. Ja man ging in der Bewahrung der eigenen Macht und Autorität so weit, dass man mich aus dem Raum verwies, als man meine eigene Zeugin, Monique. anhörte, Alles findet statt unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Man ist allein, ohne Verteidiger, vor drei Richtern die nur die Regeln der Organisation kennen! Bei welchem weltlichen Gericht gibt es so etwas? Die Gesellschaft würde es sich verbitten, würde man sie in ihren zahlreichen Prozessen aus dem Raum verweisen, wenn ihre eigenen Zeugen vernommen werden! Selbst im alten Israel waren die Gerichtsverhandlungen öffentlich, und der Wachtturm schrieb, dass dadurch ein höheres Maß von Gerechtigkeit gewährleistet wurde. Sie können es doch nicht einfach ignorieren, denn alle haben es in der Bibel gelesen!

Man stellte mich vor die Alternative, entweder zu gehorchen oder die Folgen zu tragen. Ist das nicht schon erpresserisch? Wer ist von Gott berechtigt, von mir zu verlangen, gegen mein eigenes Gewissen zu handeln, was ja nach Römer 14:23 Sünde ist? Wollte man meinen Glauben dirigieren, beherrschen, was schon ein Paulus ablehnte (2.Kor. 1:24)? Ich war sehr schockiert, als man mir erklärte, man könne einen Gemeinschaftsentzug nicht einfach aufheben; man müsse das Ansehen der Ältesten in der Versammlung in Betracht ziehen. Was würde man von ihnen denken? Haben sie sich so geirrt? Unvorstellbar! Aber schrieb nicht der Wachtturm vom 15.09.1996, dass man Vertrauen gewinnt, wenn man sich ehrlich entschuldigt, und der Wachtturm vom 15.11.1993, dass man Fehler, Ungerechtigkeiten oder Irrtümer in Ordnung bringen sollte? Gelten diese Worte nur Ihr die einfachen Verkündiger und für die Öffentlichkeit, nicht aber für Älteste oder noch 'höhere Aufgabenträger'? Oder sind letztere unfehlbar -- genießen sie sogar theokratische Immunität?

Dennoch empfinde ich keinen Groll oder Verbitterung gegen die Ältesten; aus ihrer Sicht bemühten sie sich, mich zum Gehorsam gegenüber den Anweisungen zu bewegen; mein Gewissen, mein Verständnis der Aussagen der Bibel war für sie nicht von Belang, denn auch sie hatten ja ihre Anweisungen, denen sie Folge leisten mussten. Da Jehova Gott ein Prüfer der Herzen ist, bitte ich Ihn um Vergebung für meine Richter, denn sie stehen ja in der Gefahr, mit dem Maß gerichtet zu werden, mit dem sie selbst gerichtet haben, und da tun sie mir wirklich leid.

Bei all den Überlegungen und Ausführungen der Ältesten hatte ich das Empfinden, dass nicht der Mensch, nicht ich, im Vordergrund stand, dass es nicht um mich ging, auch nicht um die Bibel, sondern um die Organisation, um ihre Autorität, um Gehorsam ihr gegenüber; das Recht auf Gewissensentscheidung wurde nicht anerkannt, nicht einmal gesehen oder gewürdigt! Es wurde schlicht und einfach Gehorsam verlangt, wie von einem Sklaven, aber nicht von einem Sklaven Jesu Christi, sondern von einem Sklaven von Menschen, auch wenn diese Menschen Brüder sind.

Gehorsamsforderungen treten an die Stelle der biblischen Argumentation; dazu drei wesentliche Beispiele:

a) 1 Kor. 5:11; obwohl die Ältesten wussten, dass Monique nichts von dem getan hatte, was dort angeführt wird, verlangte man von mir, nicht mehr mit ihr zu sprechen; das wird aber nicht einmal von Paulus in diesem Text gefordert. Man ging hier über die Forderung der Bibel hinaus, über das, was geschrieben steht (1. Kor. 4:6).

b) 2. Johannes 10-11; dort wird deutlich von Menschen gesprochen, die nicht die biblische Lehre über den Christus bringen; es geht hier nicht um andere Sünden wie in 1. Kor. 5. Hier wird eindeutig von der Lehre über den Christus, den Kern des christlichen Glaubens gesprochen, nicht von unwesentlichen Lehrpunkten. Monique aber glaubt nach wie vor an Gottes Wort und an Christus als den für sie gestorbenen Erlöser. Obwohl der Text auf Monique in keiner Weise zutrifft, zitierte man ihn wiederholt, um mich anzuklagen, an ihren schlechten Werken teilzuhaben.

c) Matthäus 18:17; obwohl Monique auch hier nichts Vergleichbares getan hat, wurde mir dieser Vers wiederholt vorgehalten. Ich anerkenne selbstverständlich das Wort Jesu; aber hat Jesus wirklich gemeint, die Jünger sollten das unbiblische Beispiel der Pharisäer und hartherzigen Juden nachahmen oder nicht vielmehr sein eigenes Beispiel? Er hielt das Gesetz vollkommen, auch das über die Behandlung der Menschen aus den Nationen in 5.Mose 10:18-19! Wie könnte er seine Jünger auffordern, das Gesetz zu übertreten?

Entscheidend waren in all diesen Fällen nicht die Aussagen der Bibel, sondern die Unterwerfung unter die Gehorsamsforderung. Wäre der Wachtturm vom 1.11.1974 noch maßgebend, dann wäre in meinem Fall nichts, nicht das Geringste geschehen; aber seit Dezember 1981 hat sich hier eine harte, unbarmherzige Linie durchgesetzt, die den Gemeinschaftsentzug, so wie er gehandhabt wird, noch als liebevolle Vorkehrung preist. Doch hat sich Gottes Wort seit 1974 verändert? 'Neues Licht'? Unser 'Neues Licht' ändert sich, wie Du weißt, sehr oft; denke nur zum Beispiel an den Zivildienst, an das Wählen, an die Aussagen über die Generation von 1914, über Teile der Prophezeiung Daniels wie etwa den König des Nordens, über den Zeitpunkt von Michaels Aufstehen, usw.

Und was sagt uns die Bibel? Jesus stellte das Gebot der Liebe zum Nächsten direkt neben das größte Gebot, der Liebe zu Jehova Gott; er gab die goldene Regel in Matthäus 7:12 gleichsam als konzentriertes Grundgesetz seines Reiches, und er lebte diese Regel aus in seinem Umgang mit Zöllnern, Sündern, Samaritern, Frauen und Menschen aus den Nationen. Und das durch den Heiligen Geist inspirierte Wort zeigt, dass wir als Einzelne - nicht als Klasse oder Angehörige einer Organisation - uns vor Gott verantworten müssen (Römer 14:12, 23; 2 Kor. 5:10).

Gegen Liebe gibt es kein Gesetz (Galater 5:22-23). Dies scheint jedoch in unseren Reihen nicht zu gelten, denn ich werde verurteilt, weil ich gegenüber Monique Liebe bekundete! Sollte ich - wie es auf dem letzten Kongress geäußert wurde - mein warmes Kaminfeuer, das in meinem Herzen brennt, gegen ein kaltes Kunstlicht tauschen ? Befinden wir uns in der Situation, die Jesus in Matt. 23:3 von den religiösen Führern beschrieb: Alles daher was sie euch sagen, tut und haltet, aber handelt nicht nach ihren Taten, denn sie sagen es wohl, aber handeln nicht entsprechend"? Werden wir nicht von Jesus ermuntert, diese Liebe gegenüber allen zu bekunden, sogar gegenüber unseren Feinden? Kann man dieses Feuer kurzfristig - um eine Situation zu bereinigen - einfach löschen, um es danach wieder anzuzünden? Man gab mir zu verstehen, dass man sich manchmal in gewissen Situationen über die Liebe hinwegsetzen sollte, um den Frieden und die Einheit in den Versammlungen bewahren zu können! Einheit um jeden Preis? Um den Preis der Härte?

Ich konnte mich jedoch nicht einer Forderung fügen, die gegen mein Gewissen geht; muss man nicht Gott mehr gehorchen als Menschen (Apg. 5:29)? Ich bin mit allem guten Gewissen vor Gott gewandelt bis auf diesen Tag (Apg. 23:1); ich bekenne mich in dieser Sache als schuldlos vor Gott. Ihn rufe ich zum Zeugen und Richter an, nachdem man andere Zeugen - die Bibel und Monique - nicht anerkannte!

Das von Gott gegebene Recht auf eine eigene Gewissensentscheidung, (in meinem Fall noch auf die Bibel gestützt) habe ich in Anspruch genommen. Hat das übrigens nicht auch die Gesellschaft im Interesse von Brüdern wie auch im eigenen Interesse vor weltlichen Gerichten und selbst vor internationalen Gerichtshöfen (wie die Europäische Menschenrechtskommission) als Bestandteil der Menschenrechte immer wieder eingeklagt? Das genügte, um mich 'zum ewigen Tod' zu verurteilen, denn nach Auffassung der Ältesten bedeutet ja ein Gemeinschaftsentzug den Verlust des ewigen Lebens. Weil man mit einem hilfsbedürftigen, jedoch ausgeschlossenen Menschen spricht, wird man schon 'zum Tode verurteilt'? Ist das die Liebe, die wir in der Öffentlichkeit verkünden, die es angeblich nur bei uns, nicht aber im weltlichen System gibt?

Ich habe nicht die Absicht, die Gemeinschaft der Brüder und Schwestern, die ich sehr liebe, zu verlassen; aber ich wünsche in dieser Gemeinschaft nach meinem Gewissen leben und handeln zu dürfen, ohne Menschen versklavt zu werden (Galater 5:1)! Ich wünsche, in der Liebe Gottes und Christi zu leben, nicht in Furcht und Angst. Doch das alles interessierte nicht. Die Worte der Bibel wurden zwar verwendet, letztlich aber beiseite geschoben; Autorität hieß das Losungswort. So wie in Matt. 24:45-51 der zuerst treue Sklave dann anfängt, den Herr über seine Mitknechte zu spielen und sie zu schlagen, so fühle ich mich nun von den bisher so 'liebevollen' Ältesten mit einer Verurteilung zum Tode 'geschlagen'. Indem sie mich ausschließen wollen, verurteilen sie mich zum ewigen Tod. Ich bin ja nur eine einfache hilflose Schwester! Doch ich wende 'mich an den, der das geknickte Rohr nicht zerbricht, und den glimmenden Docht nicht auslöscht (Jesaja 42:3), der für die Rechte der Geringen eintritt (Psalm 72:13 und 82:3) und den Hilflosen ein Helfer ist (Psalm 10:14). Ich vertraue nicht auf Urteile von Menschendienern, sondern auf die Worte Jesu: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen" (Johannes 6:37), wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern wird das Licht des Lebens haben" (Johannes 8:12) ... niemand wird sie (die Schafe) aus meiner Hand rauben ... niemand kann sie aus der Hand meines Vaters rauben" (Johannes 10:28-28); und Paulus jubelt: Denn ich bin überzeugt; dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, noch Mächte, weder Höhe noch Tiefe, noch irgendein anderes Geschöpf uns wird scheiden können von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn" (Römer 8:18+39). Das kann auch kein Ältesten-Komitee!

Zu Beginn schrieb ich, dass dies vielleicht ein Abschiedsbrief sein könnte. Es hängt nun von jedem von Euch ab. Ich selbst werde Euch weiterhin lieben und Euch eine Schwester sein, daran können auch all diese Ereignisse nichts ändern, Ich empfinde auch keinerlei Groll gegenüber den Ältesten, selbst wenn sie mich ausschließen. Nun war auch meine Berufung bei der Gesellschaft ohne Wirkung, denn die erste Entscheidung wurde heute von einem Komitee, bestehend aus 6 Ältesten, bestätigt. Hauptgrund: schädliche Überlegungen (Markus 7:20-23). Wegen angeblichen 'schädlichen Überlegungen' werden alle Opfer, all diese Jahre des treuen Dienstes, alle Freunde von jetzt auf nachher einfach gelöscht. Aber selbst in diesem Fall bleibe ich bei meiner Bitte an Gott: 'Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun,' obwohl ich mir Sorgen um sie machen werde, denn jeder wird mit dem Maße gerichtet, wie er andere gerichtet hat.

Mit dieser Entscheidung des Gemeinschaftsentzuges ist meine ganze Vergangenheit als treuer Zeuge annulliert, aber ich bin überzeugt, dass im Himmel die Liebe, die ich bekundet habe und weiterhin bekunden werde, nicht von Jehova Gott und Jesus Christus vergessen wird. Und ich kann Euch versichern, dass ich mich in bester Gesellschaft befinden werde, denn sagte Jesus nicht in Verbindung mit sich selbst: Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich in ihrer Mitte"?

Die Liebe unseres Gottes Jehova und unseres Herrn Jesus Christus möge mit Euch sein.

Eure Schwester


An Herrn
Gerrit Lösch
Glied der Leitenden Körperschaft
von Jehovas Zeugen
124 Columbia Heights
Brooklyn, N.Y. 11201
USA

[...], den 20.01.2001

Lieber Bruder Lösch,

ich wende mich in meinem Anliegen an Dich, da ich weiß, dass Du die deutsche Sprache beherrschst, und durch Dich gleichsam an die Brüder der Leitenden Körperschaft, wie mir dies von mehreren Brüdern - auch von Ältesten - empfohlen wurde, mit der Bitte um Gerechtigkeit.

Der Sachverhalt: mir wurde im von einem Rechtskomitee der Versammlung [...] im November 2000 und dann von einem Berufungskomitee im Dezember 2000 die Gemeinschaft entzogen; die Ältesten hielten mir vor, man habe mich mit einer ausgeschlossenen Schwester sprechen sehen, und man verlangte, dies künftig nicht mehr zu tun, sondern sie wie nicht existierend zu behandeln.

Diese ehemalige Schwester wohnt im gleichen Haus unmittelbar unter mir; wir sind die beiden einzigen Hausbewohner, beide alleinstehend, was schon ersichtlich macht, dass es manchmal Dinge gibt, die ein Gespräch unvermeidlich machen, ähnlich wie am Arbeitsplatz, was ja auch der Wachtturm vom 15.12.1981 (deutsch) sagte. Darüber hinaus kennen wir uns seit vielen Jahren und sind befreundet. Voriges Jahr wurde ihr die Gemeinschaft auf Grund einer falschen Beschuldigung entzogen. Da ich dies wusste, konnte ich es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, sie wie eine Schuldige zu behandeln oder gar wie eine Antichristin anzusehen und zu verurteilen. Auch die Ältesten, die sich damals auf Grund falscher Information zu einem Gemeinschaftsentzug entschlossen, wissen inzwischen, dass die Anklage unberechtigt war. Sie haben sie in Zusammenhang mit meiner Verhandlung dazu noch einmal über eine Stunde gehört. Dennoch sehen sie keine Möglichkeit, einen ungerechten Schuldspruch aufzuheben. Es schien mir, dass ihr Ansehen ihnen wichtiger war als das Eingeständnis eines Irrtums. Und obwohl sie nun wissen, dass die Schwester die Handlungen nicht begangen hat, wegen derer sie ausgeschlossen wurde, verlangen sie von mir, diese Schwester trotzdem so zu behandeln, als ob sie schuldig wäre. Mein eigenes Gewissen spielte für sie überhaupt keine Rolle.

Ich lege Dir hier zu Deiner Information eine Übersetzung meines Berufungsschreibens (Original in französisch) bei, mit dem ich mich auch an das Büro der Gesellschaft in Thun wandte. Doch das Berufungskomitee war leider nicht an meinen Gewissensproblemen interessiert; es behandelte den Fall nicht noch einmal, sondern forderte mich nur zu Gehorsam - und Unterwerfung auf. Der Wachtturm vom 1. Dezember 2000 sagt auf S. 12: 'Christliche Älteste sorgen für geistige Hilfe und Ermunterung'. Ich habe davon leider nichts gespürt.

Wie ich schon in meinem Berufungsschreiben sagte, kann ich mir nicht vorstellen, dass die Leitende Körperschaft mit solchen Auswirkungen ihrer Anweisungen einverstanden ist; wie könnte man denn einen Bruder oder eine Schwester unter Androhung des Gemeinschaftsentzugs zwingen wollen, gegen sein oder ihr Gewissen zu handeln? Dann würde er nach Römer 14:23 ja in jedem Fall sündigen.

Nachdem man mich ausgeschlossen hatte, war ich gezwungen, den beiliegenden Abschiedsbrief an meine ehemaligen Freunde und Brüder zu senden (Original ebenfalls in französisch). Denn Du weißt ja, dass in den Zusammenkünften bei der Bekanntgabe eines Gemeinschaftsentzugs keine Gründe angegeben werden; damit ist aber Gerüchten Tür und Tor geöffnet, und besonders gern werden ja Vermutungen auf Übertretungen auf sittlichem Gebiet geäußert; vor solchen Verleumdungen wollte ich mich schützen und nicht etwa jemanden angreifen, auch wenn die Ältesten meiner Versammlung die Briefe von den Brüdern einforderten. Ob das den Anweisungen der Gesellschaft entspricht, weiß ich nicht.

Ich wende mich an Dich und die Brüder dort, damit ihr seht, wie das biblische Verfahren eines Gemeinschaftsentzugs missbraucht werden kann, und ich bin sicher nicht die einzige; zur Zeit läuft ein weiteres Verfahren in unserer Versammlung gegen eine Schwester aus dem gleichen Grund. Ich bitte die Brüder, durch ihre Weisungen doch die Lasten, die uns hier auferlegt werden - bis hin zur Verurteilung zu ewigem Tod! Und weswegen? - zu erleichtern.

In der Hoffnung, Dein Herz, Dein Mitgefühl und Deinen Sinn für Gerechtigkeit zu erreichen, mit der Bitte um die Leitung durch Gottes Wort für Euch, bin ich


An Herrn
Gerrit Lösch
Glied der Leitenden Körperschaft von Jehovas Zeugen
124 Columbia Heights
Brooklyn, N.Y. 11201
USA

[...], den 10.04.2001

Zu meinem Schreiben vom 20.01.2001

Lieber Bruder Lösch,

vielleicht erinnerst Du Dich noch an meinen Brief vom 20.01. dieses Jahres, in dem ich Dir als einem Glied der Leitenden Körperschaft die Umstände meines Gemeinschaftsentzugs schilderte und um Hilfe. Verständnis und um - ja, auch um Gerechtigkeit bat.

Bis heute habe ich weder von Dir noch von einer von Dir oder Euch beauftragten Stelle eine Antwort oder auch nur eine Mitteilung erhalten. Sage bitte nicht, ich hätte keine Antwort erwarten können, da ich ja ausgeschlossen worden sei und man mit Ausgeschlossenen keinen Kontakt haben dürfe. Du weißt, dass alle Ältesten, die von Ausgeschlossenen angesprochen werden (zum Beispiel von solchen. die um Wiederaufnahme nachsuchen wollen), mit ihnen sprechen dürfen und auch sprechen, und erst recht Brüder der Leitenden Körperschaft und in anderen Leitungsfunktionen tun dies, wenn es im Interesse der Gesellschaft ist. Erstere dürfen sogar Lehrpunkte ändern, für deren öffentliches Bezweifeln ein einfacher Zeuge mit disziplinarischen Maßnahmen rechnen müsste.

Ich nehme an, dass Du viel zu tun hast, aber wir wurden immer belehrt, Zeit für Menschen einzusetzen, weil dies biblisch und von Gott gewollt sei; in diesem Zusammenhang wurde im Wachtturm vom 15.01.2001 sogar mitgeteilt und betont, die Leitende Körperschaft habe sich von den administrativen Aufgaben in den Rechtskörperschaften der Gesellschaft zurückgezogen, um sich ganz den geistigen Angelegenheiten und den Bedürfnissen der 'Schafe' zu widmen. Ist denn dies wirklich so? Ich habe von dieser Fürsorge nichts gemerkt! Bis jetzt bin ich nicht einmal einer Antwort gewürdigt worden! Oder war die Veröffentlichung im Wachtturm nur eine 'Erklärung zum Fenster hinaus', für die Öffentlichkeit und zur Imagebildung? Soll nur dann Zeit für Menschen aufgewendet werden, wenn man diese zu Gliedern der Organisation machen will? Ist für einen Menschen, der bereits ein Zeuge Jehovas ist, bei den verantwortlichen Brüdern keine Zeit mehr vorhanden? Oder sollten die Stimmen - die auch unter den Brüdern umlaufen - Recht haben, die meinen, die Leitende Körperschaft sei an den 'Kleinen', am 'Fußvolk', nur insoweit interessiert, als diese für den Predigtdienst und das Zeugniswerk mit entsprechender Literaturverbreitung eingesetzt werden können; im übrigen sollten sie zufrieden sein und sich fügen.

Habt Ihr vergessen, dass Jehova, der Vater Jesu Christi, so wie auch Christus selbst besonders an den 'Kleinen und Schwachen' in seinem Reich interessiert sind (Matth. 18:6), an den Kleinen und Schwachen wie Witwen und Waisen, aber auch an den einflusslosen Alten, Armen, Bedrückten wie auch an den Frauen? Ja, auch ich zähle zu diesen 'Kleinen', denen Ihr keine Beachtung schenkt, und wegen derer Jesus jene warnte, die diesen Kleinen Anstoß geben durch Lieblosigkeit, Rücksichtslosigkeit, Hochmut, Nichtbeachtung, durch Kühle und Kälte im Benehmen. Jesus, dem Herrn, liegen diese Kleinen wahrhaft am Herzen; ist das auch bei seinem 'Sklaven' so? Jehova beauftragt sogar seine Engel im Interesse der Kleinen und Schwachen (Matth. 18:10-11); für Engel, die vor Gott stehen, sind die 'Kleinen' nicht zu klein. Doch wie werden diese von Euch geachtet?

Ich habe Dir, lieber Bruder Lösch, meine Gewissensnöte schriftlich vorgetragen, zuvor schon den Ältesten als Vertretern der Organisation, dann dem Zweigbüro in Thun, zuletzt Dir als einem Glied der Leitenden Körperschaft. Ich habe mich verhalten wie die Frau in Jesu Gleichnis gemäß Luk. 18:1-8; jener Richter, der Gott nicht fürchtete, verhalf der Frau schließlich zu ihrem Recht, doch von der Seite der ernannten Brüder kam keine Hilfe, von Dir (bisher) ebenfalls keine Antwort. Was soll man da sagen? Fürchtet Ihr Gott oder nur den Verlust von Autorität? Wir sprechen von Gottes Organisation, vom Kanal Gottes, von seinem irdischen Sprachrohr und kollektiven Propheten, von Elia-, Johannes- und anderen Klassen, vom 'treuen und verständigen Sklaven' des Herrn! Fürchtet Ihr diesen Herrn oder nur die Begrenzung Eures Einflusses? Seid Ihr besorgt um die Worte und Dinge des Herrn oder um Eure Macht? Warnt nicht Jesus in Matth. 24 davor, dass die Gefahr besteht, dass j e n e r Sklave - der in den Versen 45-47 besprochene, k e i n a n d e r e r - ein Sklave werden könnte, der beginnt, seine Mitsklaven(!) zu schlagen? Ich fühle mich geschlagen!

Man hört auf Kongressen viele schöne und gute Worte, man liest sie auch in den Veröffentlichungen, wo aber ist die Anwendung im Leben? Sprach da nicht einmal jemand von Menschen, nach deren Worten man handeln solle, aber nicht nach ihren Werken? War das nicht Jesus (Matth. 23:3)? Du magst das anders sehen, aber ich fühle und empfinde es so, und wohl nicht wenige außer mir; das zeigen ja auch die rückläufigen Zahlen der Verkündiger in Westeuropa, deren Anstieg doch immer als Zeichen des Segens Jehovas gewertet wurde. Waren es 'liebevolle Älteste', obgleich sie nur an meiner Unterwerfung interessiert waren, und ist es ein 'geistiges Paradies', wenn Brüder Angst haben müssen zu sagen, was sie denken, wenn ihre Gedanken von der 'offiziellen Linie' abweichen? Ich kann es nicht so sehen, aber Du weißt, dass es - leider - so ist! Ein geistiges Paradies entsteht nicht dadurch, dass man seine Existenz immer wieder behauptet, sondern indem man Gottes Geist wirken lässt, der nach 2. Kor. 3:17 mit geistiger Freiheit verbunden ist! Die Einheit in Christus ist eine Einheit in der Freiheit des Geistes, keine Einheit eines Gefangenen- oder Straflagers.

Ich hätte früher nicht gedacht - und viele Zeugen tun das heute noch nicht, vor allem jene nicht geringe Zahl derer, die mich aufforderten, mich doch an die fürsorgende und liebevolle Leitende Körperschaft zu wenden - dass es so völlig sinn- und zwecklos ist, sich an jene mit seinen Nöten zu wenden, die doch 'der Herr über seine ganze Habe' gesetzt hat. Da dem nun aber so ist, bin ich gewillt, das zu tun, wovon Jesus nach seinem Gleichnis von jenem Richter in Luk 18 sprach (Vers 7). Ich habe meine Sache dem höchsten Richter und seinem Sohn übergeben, demjenigen, der jedes verirrte oder verlorene Schaf sucht! Möge Er richten zwischen mir und Euch, möge der von Ihm eingesetzte Richter Euer und mein Verhalten beurteilen. Mag sein, dass Euch diese Aussicht keine schlaflosen Nächte bereitet. Aber mein Vertrauen gründet auf Ihm, und Sein Sohn ist mein Heiland und Erretter, der sein Leben gab, auch für mich! Er, der Freund der Armen und Rechtlosen, der Helfer der Unterdrückten und Entrechteten, sei mein Anwalt und Fürsprecher. Ihm ist meine Sache übergeben.

Dir wünsche ich in Aufrichtigkeit die Gnade unseres Herrn Jesu Christi (Philemon 23).

(Übersetzung aus dem Französischen)