Kids e.V. kämpft gegen Jehovas Zeugen und andere Gemeinschaften

LEVERKUSEN - Der Streit beginnt, als die Ex-Ehefrau von Frank Grote zu Jehovas Zeugen stößt. Zuvor war fünf Jahre lang alles glatt gelaufen. Grote besuchte regelmäßig seinen autistischen Sohn Thomas, nahm ihn übers Wochenende mit zu sich.

Kaum lernte seine Ex-Frau einen Zeugen Jehovas kennen und heiratete ihn, war alles ganz anders, berichtet der 44jährige. Heute bestimmten Urteile, Gutachten und der Zank das Leben des elfjährigen Thomas.

Zwei helle Zimmer warten in Recklinghausen auf den Jungen. Eingerichtet hat Vater Grote noch nichts. "Das soll Thomas selbst entscheiden", sagt er und schränkt ein, "wenn er denn kommt." Seit April 1996 hat Vater Grote seinen Sohn nicht mehr gesehen. Er ist überzeugt: "Da stecken ganz klar die Zeugen Jehovas hinter. Denn die Probleme begannen, als meine ehemalige Frau zu der Sekte kam".

Obwohl das Kind sich klar für seinen Vater entschieden habe, übertrug das Amtsgericht Varel das Sorgerecht für den behinderten Jungen vorläufig der Mutter. FürFrank Grote eine Fehl-entscheidung. Denn Thomas müsse bereits Straßeneinsätze von Jehovas Zeugen mitmachen, müsse stundenlang in Versammlungen stillsitzen, dürfe keinerlei Feste feiern und nur ausgesuchtem Spielzeug spielen. Der Vater selbst hat zwar rein juristisch das Besuchsrecht. Doch die Mutter verhindert jeden Kontakt zum Kind. Selbst Briefe dringen nur bis zu Thomas vor, wenn sie per Einschreiben mit Rückantwort aufgegeben werden, berichtet der kaufmän-nische Leiter: "Man versucht, mir mein Kind zu entziehen".

Der Fall von Frank Grote steht nicht allein. Die Leverkusenerin Jutta Birlenberg hat einen Verein gegründet, der sich für "Kinder in destruktiven Sekten" einsetzt. Kids e.V. hat die Rentnerin diesen Zusammenschluß betroffener Eltern genannt.

Justiz versteht zu wenig von Sekten

Er unterstützt Elternteile, deren Ex-Partner das gemeinsame Kind mit in eine Sekte gezogen haben. 106 Auseinandersetzungen um das Sorgerecht betreut der Verein, zu dem auch etliche Anwälte gehören. In 82 Fällen geht es um Probleme mit Jehovas Zeugen.

Häufig seien es die Väter, die ihre Kinder aus der Sekte holen wollen, berichtet Birlenberg. Lediglich zwei Mütter streiten mithilfe von Kids e.V. um das Sorgerecht. Birlenberg: "Das größte Problem ist, daß die Justiz zu wenig von den Sekten versteht. Die Richter wissen nichts, was hinter den Kulissen der Gemeinschaften mit den Kindern passiert." In der Verhandlung säße die nett lächelnde, liebe Mutter mit dem artigen Kind. Das gefalle. Doch der Druck auf die Kleinen sei groß. Auch bei den Zeugen Jehovas. Mit Schlägen würden die Kinder zum Stillsitzen gezwungen, sie würden aus der Gesellschaft ausgegrenzt, es gebe dort gar nicht um die Bibel, sondern um die Zeugen-Jehova-Theologie. Es ist entsetzlich, was für ein Weltbild den Kindern vermittelt wird."

Bei Kids e.V. treffen sich die Eltern, bekommen Informationen und Zuspruch. "Wie oft rufen nach einem verlorenen Sorgerechtsprozeß meine Väter bei mir an. Auch nachts", seufzt die 63jährige. Denn nach wie vor urteilen die Gerichte meist zugunsten der Mutter.

Nur zwei Urteile kann Jutta Birlenberg vorweisen, in denen dem Vater das Sorgerecht zugesprochen wurde. Doch das lag nicht allein an der Zugehörigkeit der Mutter zu den Zeugen Jehovas. "Wegen der Glaubenszugehörigkeit kann die Eignung zur Ausübung der elterlichen Sorge nicht abgesprochen werden", so das Oberlandesgericht Düsseldorf 1995. So bleibt Kids e.V. noch viel Arbeit. Und Frank Grote hofft, daß er schließlich doch seinen Sohn zurückbekommt. Das Verfahren läuft noch. Grote: "Man sieht von Jehovas Zeugen nur die freundlichen Leute in der Straße. Was dahinter steckt sieht man nicht."

>Neue Westfälische vom 4.6.1997