Hallo, ich möchte mich gerne vorstellen. Ich heiße Barbara Curran Castillo, und ich habe die Zeugen Jehovas überlebt. Ja, ich sagte "überlebt", weil das der Weg ist, wie ich zu einem Verständnis meiner Erfahrungen mit dieser speziellen Gruppe gekommen bin.
Ich glaube wirklich, wenn ich noch länger bei ihnen geblieben wäre, wäre ich gestorben oder umgebracht worden. Wenn das im Augenblick schwer zu verstehen ist, so wird es sicher im Verlauf der Erzählung meiner Geschichte ganz deutlich.
Als ich zwei Jahre alt war, kam meine Mutter wegen eines gerissenen Trommelfells, das ihr mein Vater beigebracht hatte, ins Krankenhaus. Im Bett neben ihr war eine nette Frau namens Emma, die sofort, als sie Mutter sah, über ihre Religion zu sprechen begann, die voller wunderbarer und liebenswerter Leute sei. Wenn sie sich anschlösse, sei eine Fahrkarte zu ewigem Leben im Paradies garantiert. Mutter schloß sich an. Sie begann fast sofort mit dem Studium und war schon bald eine hingegebene und getaufte Zeugin. Sie tat alles, was eine gute Zeugin tut, ging zu jeder Zusammenkunft, jedes Wochenende in den Predigtdienst, und sie begann, mich dasselbe zu lehren. Ich lernte anhand des Paradiesbuches, und als ich vier war, ging ich mit Mutter an die Türen.
Als ich etwas älter war und mit der Schule anfing, begann ich zu sehen, wie sehr ich mich von anderen Kindern unterschied. Ich hatte keine Geburtstagsfeiern und durfte auch nicht auf die von Klassenkameraden gehen. Ich durfte nie die neueste Mode tragen und war so von anderen Kindern geächtet, weil ich anders aussah und handelte. Ich hatte, außer bei den Zeugen, keine Freundinnen. Weihnachten gab es nicht bei uns zu Hause, und ich haßte es immer, nach dem Ende der Ferien wieder zur Schule zu gehen, weil mich alle Kinder fragten, was ich bekommen hatte, und ich mußte immer sagen: "Nichts." Ich habe versucht zu erklären, daß wir kein Weihnachten feierten, weil es ein heidnisches Fest und daher gegen Gott sei, aber das wollte natürlich niemand hören, und es brachte noch mehr Entfremdung.
Oh ja, zumindest hatte ich meine Freundinnen im Königreichssaal, nicht wahr? Falsch! Ich war ein Kind mit starkem Willen, das sichergehen wollte, daß es in der richtigen Religion ist, denn wir waren ja so anders als die anderen Leute auf der Welt. Ich stellte immer Fragen, die jeder andere, ob Erwachsener oder Kind, auch stellen würde, wenn er zu sehen anfing, was ich sah. So war ich schnell als "schlechte Gesellschaft" und als "ungehorsames Kind" verschrieen. Da meine Mutter mich allein aufzog und sie eine Frau war, entschieden die Ältesten, daß ich die starke Hand eines Mannes brauchte, um mich zu lehren, gut von böse zu unterscheiden. Meine Mutter, mit etwas schwachem Willen und gleichfalls eine hingebungsvolle Zeugin, war einverstanden, daß sie mich bestraften. Ich möchte nicht in die Einzelheiten gehen; nur soviel: Es war keine angenehme Erfahrung für mich. Mutter war auch immer kränklich und oft im Krankenhaus, und dann mußte ich bei den verschiedenen Ältesten leben, bis sie sich wieder erholte. Das war der wahre Alptraum. Einer behandelte mich mit 10 Jahren wie eine Magd und ließ mich auf dem Boden schlafen. Er sagte, ich müsse gedemütigt werden, und daß ein Bett zu gut sei für ein eigensinniges und überhebliches Kind wie mich. Unnötig zu sagen, daß ich ein geringes Selbstbewußtsein entwickelte. Es hat Jahre gebraucht, um darüber hinwegzukommen. Das Traurige daran ist, daß meine Mutter am Ende immer geglaubt hat, ich sei ein schlechter Mensch, weil ich mich weigerte, eine Zeugin zu sein.
Als ich etwa 12 Jahre alt war, war ihr Treuhandvermögen, von dem wir bis dahin gelebt hatten, so daß sie Pionierin sein konnte, aufgebraucht, und sie beschloß, Sozialhilfe zu beantragen. Ihr gehörte wohl unser Haus und einer der Ältesten sagte ihr, deshalb bekäme sie wohl keine Sozialhilfe. Er machte den Vorschlag, ihm das Haus für US-$ 1,00 zu verkaufen, dann wäre er ihr Vermieter und er würde sie dort wohnen lassen und sie müßte Miete zahlen. Ich protestierte, und bat sie, die Sache von einem Rechtsanwalt aus der Welt nachprüfen zu lassen, aber natürlich hörte sie nicht auf mich. Sie verkaufte ihm das Haus, und damit begannen die Probleme erst richtig.
Zuerst fand sie heraus, daß der Älteste sie angelogen hatte, als er sagte, wenn sie ein Haus besitze, bekäme sie keine Sozialhilfe. Dann begann der Mann, Druck auf Mutter auszuüben, damit wir auszögen und in einen anderen Bundesstaat gingen. Mutter weigerte sich natürlich, weil sie unser Haus liebte, und das war, als die Einbrüche begannen. Ja, jemand fing an, regelmäßig in unser Haus einzubrechen. Es wurde nichts gestohlen, aber die Wohnung wurde verwüstet. Mutter sagte das dem sogenannten Vermieter, und alles, was er sagte, war: "Wenn du dir solche Sorgen machst, zieh einfach aus." Schließlich überzeugte ich Mutter, eine formelle Anklage vor dem Rechtskomitee der Ältesten vorzubringen, aber der Vermieter beschuldigte MICH wegen der Einbrüche; er sagte, ich sei wahrscheinlich nicht mehr als ein rebellischer Teenager und habe ein paar Schulfreunde für die Einbrüche bezahlt. Da er als Ältester in gutem Ansehen stand, wurde ihm geglaubt.
Nach dieser Sache konnte ich nicht einmal mehr vorgeben, eine gute Zeugin zu sein. Zwischen mir und Mutter wurde es schlimm, weil ich mich weigerte, zu den Zusammenkünften zu gehen, und als ich 16 war, zog ich aus und heiratete. Wunderbarerweise hörten die Einbrüche auf, da der Älteste niemanden mehr hatte, den er verantwortlich machen konnte, und erkannte, daß Mutter nie ausziehen würde.
Mit den Jahren hatte ich nur eine oberflächliche Beziehung zu Mutter, da ich in der Versammlung geächtet war, weil ich gegangen war, und sie sah mich wirklich als schlechten Menschen an und ging so weit, all meinen Freunden, die sie traf, zu sagen, man könne mir nicht trauen. 1986 half sie meinem Ex-Mann, das Sorgerecht für meine beiden Kinder zu erhalten, indem sie auf Vorschlag der Ältesten vor Gericht gegen mich aussagte. Ich würde schon Einzelheiten dazu erzählen wollen, aber das ist eine ganz andere Geschichte. Es genügt zu sagen: Als ich sie am meisten brauchte, wählte sie statt meiner die Zeugen, wie sie es immer getan hatte. Es war allerdings nicht ihr Fehler, man lehrt die Zeugen ganz einfach, so zu sein.
Ich versuchte wirklich, mit der Zeit die Dinge zwischen mir und Mutter ins Lot zu bringen, aber sie schob mich immer beiseite und sagte, sie brauche mich nicht, sie habe Jehova. Ihre Gesundheit wurde schlechter, und ein paar Jahre zuvor hatten der Druck, auszuziehen, und die Einbrüche wieder begonnen, da der Vermieter ein gutes Angebot für das Haus erhalten hatte. Diesmal heuerte er einen verrückten Drogensüchtigen an, einmal im Monat einzubrechen, wenn Mutter ihr Geld von der Sozialhilfe erhielt, und sie zusammenzuschlagen und das Geld zu stehlen. Das ging etwa sechs Monate lang so. Beim letzten Mal wurde sie auch noch vergewaltigt. Das war zuviel für sie. So erlaubte sie den Ältesten, sie in einem Pflegeheim leben zu lassen. Ich habe das alles erst sechs Monate nach den Ereignissen erfahren, weil sie sich weigerte, mit mir Kontakt zu haben. Ich habe entdeckt, was passiert war, als ein Sozialarbeiter aus dem Pflegeheim meine Nummer in ihren Sachen versteckt entdeckte und mich anrief.
Traurigerweise hatte meine Mutter (die Epileptikerin ist) einen Anfall in dem Heim, fiel und schlug mit dem Kopf auf und fiel ins Koma; und so blieb sie seitdem. Der Vermieter verkaufte unser Familienhaus, und ich bin das letzte Jahr über verantwortlich für Mutter gewesen. Alle ihre Zeugenfreunde verließen sie, und ich brachte sie in ein Pflegeheim, das näher an meinem Wohnort gelegen ist. Sie ist nun schon seit einem Jahr ohne Besinnung, und es ist wirklich schwer für mich, sie zu besuchen, da damit so viele Erinnerungen zurückkehren.
Seit meiner letzten Zusammenkunft sind 15 Jahre vergangen, und es hat lange zu heilen gebraucht. Ich war eine Zeitlang in einer Therapie, und ich habe gelernt, das Gefühl zu überwinden, ich sei ein schlechter Mensch. Es brauchte allerdings Jahre des Sich-selbst-Verletzens und des Andere-beiseite-Schiebens. Ich erkannte auch, daß Mutter mich wahrscheinlich beiseite schob, um mich vor dem Vermieter zu schützen, der alles tun würde, um das zu erhalten, was er wollte. Darum habe ich gesagt, ich könnte tot sein, wenn ich weiter geblieben wäre.
Ich führe jetzt ein recht gutes Leben. Eine gute Arbeit, ein nettes Zuhause und ein paar wirklich gute Freunde. Es ist auch schon etwas Großartiges, wenn ich mich selbst gut fühle. Aber das reicht mir noch nicht. Ich möchte für alle Menschen etwas tun, die Opfer dieser Sekte sind oder waren, besonders für Kinder. Das letzte Jahr über sind mir über Internet viele Menschen begegnet, die so wie ich oder noch schlimmer gelitten haben. Ich habe etwas Wunderbares entdeckt: ICH BIN NICHT ALLEINE. Diese Website ist Teil meines Heilungsprozesses, und ich heiße alle, die Hilfe benötigen, willkommen, mich hier zu besuchen. Ich will mein Bestes tun, um euch zu stützen. Hätte es das nur gegeben, als ich selbst es gebraucht hatte.