Meine Eltern waren Zeugen Jehovas, als ich geboren wurde - und sind es bis heute. Die Familie meiner Mutter, mit der wir am häufigsten zusammen waren, war das nicht. Und doch sorgte mein Vater mit strenger Hand dafür, dass wir uns an die Regeln hielten und wenn das bedeutete, uns mit Schlägen unter Omas Weihnachtsbaum weg zu holen, weil wir kein Weihnachten feierten.
Mein Aufwachsen war von den starren Regeln und dem festen Wochenablauf bestimmt. Meine Eltern bildeten ein eng zusammen haltendes Team. Für uns Kinder war nur ein Randplatz vorgesehen, an dem wir uns nicht wirklich geborgen und aufgehoben fühlten.
Meine erste große Liebe begann mit 14 Jahren und war unerreichbar im Ausland, so dass ich erneut das Abgeschnittensein von der Liebe in aller Deutlichkeit empfand und mich den Toten näher fühlte als den Lebenden. Kurz bevor ich 18 wurde und hätte heiraten können, was geplant war, beendete er die Beziehung und ich stürzte in ein tiefes schwarzes Loch, ohne zu verstehen, was vor sich ging.
Ich glaube, ich habe so manches Vorleben aus enttäuschter Liebe im Kloster zugebracht. So versuchte ich mich auch diesmal zu retten, indem ich mich in die religiöse Welt meiner Eltern so tief einließ, wie es mir möglich schien. Vielleicht würde Gott mich aufnehmen, wenn Liebe unter Menschen nicht möglich war. Damit geriet ich jedoch rasch an meine Grenzen.
Lernte dann den künftigen Ehemann - Ungar aus Budapest - kennen, mit dem ich zwei Kinder bekam und mich der Rolle als Hausfrau und Mutter voll und ganz widmete. Mein Mann war ein liebevoller Vater und treusorgender Ehemann. Aber unsere Wege entfernten sich zwangsläufig, da er sich aus tiefen Ängsten heraus den Zeugen Jehovas als Zufluchtsort zugewandt hatte, während ich anfing meinen eigenen Weg und die Freiheit zu suchen.
So wurde mir während des Aufwachsens meiner Kinder durch das Fühlen mit ihnen bewusst, was meine eigene Erziehung mit mir gemacht haben musste. Es war mir nicht möglich, meine Kinder mit Schlägen zu Rosen ohne Dornen heran zu ziehen, wie empfohlen wurde. Mit Hilfe einer ersten Psychotherapie wurde mir der eingeschränkte Rahmen bewusst, in dem ich lebte und was unter meinen Depressionen und der Platzangst lag. Der Wunsch zu sterben war übermächtig geworden. Und weckte mich schließlich doch auf.
Weder meine Eltern, noch mein Mann konnten mir bei dem helfen, woran ich krankte. Ich musste meine Erlösung selbst finden und meinen Weg gehen. Er führte zur Loslösung von den Zeugen Jehovas und ins Frauenhaus. Zum vorübergehenden, äußerst schmerzlichen Verlust meiner Kinder und zu einem neuen Partner. Die Zeugen Jehovas schlossen mich als Ehebrecherin aus und ich orientierte mich insgesamt neu.
Holte das Abitur nach und verließ nach sieben Jahren den zweiten Partner, als die Kinder zu uns kamen und die neue Situation uns alle überforderte.
Ich studierte ein Semester Psychologie. Die Idee, Psychotherapeutin zu werden, verwarf ich jedoch rasch, als ich merkte, dass ich Uni, Arbeit und Kinder auf Dauer nicht unter einen Hut bekommen würde und ich außerdem hinter die Kulisse der psychologischen Ausbildung sehen konnte und nicht bereit war, mich in dieses System und ihre Regeln zwängen zu lassen.
Es wurde mir eine interessante neue Herausforderung beim Süddeutschen Verlag angeboten und auf diese Weise war ich in der Lage, mein Leben mit den Kindern zu finanzieren, während diese so richtig in die Pubertät einstiegen. So dass ich manches Mal am liebsten auf und davon gelaufen wäre.
Nach verschiedenen Versuchen, unbedingt einen neuen festen Partner zu finden, der mir beistehen könnte, wobei ich mich sehr weit selbst aufgab, lernte ich schließlich Iwan kennen, einen Schweizer. Wir begannen eine Fernbeziehung, bis er nach drei Jahren Pendeln nach München zog. Mein Sohn war bereits ausgezogen, meine Tochter lebte noch bei uns. Und ging zunächst in den Kampf um meine Liebe und Aufmerksamkeit.
Doch schließlich entstand auch zwischen ihm und ihr eine immer stabilere Beziehung, bis sie bereit und in der Lage war, in ihr eigenes Leben zu gehen.
Wir heirateten, nachdem wir uns beide nach dem Feststellen vieler Verschiedenheiten doch immer mehr auf dem spirituellen Weg trafen und uns tief austauschen und begleiten konnten. Unsere Beziehung beinhaltete von Anfang an viel Entwicklungsarbeit und beiderseitiges Entgegenkommen. Bis wir Spiegel um Spiegel entdeckten, in denen wir uns zunächst nicht sehen konnten und abstießen. Es gab viel zu tun. Und doch bemerkten wir auch, dass wir einander weit bringen, so anstrengend diese Beziehung streckenweise auch war.
Im Moment haben wir beide unsere selbständige spirituelle Tätigkeit begonnen und viel Freude an der Aussicht, was auf diesem Weg noch alles erfahrbar und möglich sein wird.
Die Abstoßung scheint endlich erlöst, tiefer Friede kehrt ein, wir kommen heim, in uns selbst und miteinander.