Wer vor Gericht zieht, geht normalerweise davon aus, dass dort Recht gesprochen wird. Dass dem nicht immer so ist, zeigt ein Beispiel aus Kanada, einem Land, in dem es offensichtlich rechtens ist, wenn das Opfer sexuellen Kindesmissbrauchs für sein Leben finanziell ruiniert ist, während die Täter unbehelligt bleiben. Und in dem man es einer Sekte ermöglicht, das Spendengeld ihrer Mitglieder dazu zu verwenden, um ihre Kritiker mundtot zu machen.

Original Gerichtsurteil (englisch)

Meinungen zum Ausgang des Prozesses "Vicky Boer gegen die Wachtturm-Gesellschaft" aus dem infolink Forum

Nachfolgend einige Auszüge aus dem Infolink Diskussionsforum zur obigen Pressemeldung:

Bauer am Mittwoch, den 1. Oktober, 2003 - 15:47:

Es empört mich, wie wenig Gerechtigkeit einem Opfer von Kindesmissbrauch widerfährt. Der Fall Vicki Boer ist ein besonders krasser Fall.

Ich fordere eine öffentliche Entschuldigung von Jehovas Zeugen ob ihrer Vernachlässigung und Pflichtvergessenheit.

Andernfalls fordere ich eine öffentliche Verurteilung von Jehovas Zeugen und der immer wieder bekannt gewordenen Praktiken der Gemeinschaft, gerade Fälle von Kindesmissbrauchs zu vertuschen.

Im Falle Boer fordere ich Jehovas Zeugen auf, zum Zeichen ihres aufrichtigen Bedauerns, gerade weil das Gericht an der Schuldfrage keinen Zweifel gelassen hat, aus moralischen Gründen das Opfer der Handlungen von Jehovas Zeugen nicht in den persönlichen Ruin zu stürzen. Jehovas Zeugen sollten zum Zeichen ihrer aufrichtigen Reue, keine Forderungen wegen der Kosten der eigenen Verteidigung an das Opfer richten und auch die Kosten des Opfers übernehmen. Dies aus moralischen Gründen und weil Jehovas Zeugen durch das Gericht der Obliegenheitsverletzung im Falle eines Kindesmissbrauchs verurteilt wurden.

Vicki Boer wurde von ihrem Vater sexuell missbraucht. Sie gehörte der Gemeinschaft Jehovas Zeugen an. Den örtlichen Repräsentanten waren die Vorfälle bekannt. Offenbar wegen des schlechten Gewissens ob des eigenen Verhaltens haben Jehovas Zeugen eine Entschädigung angeboten: 20.000 US$ Vicki Boer gewann den Prozess in dem sie wegen Vernachlässigung und Pflichtvergessenheit klagte. Weil das Gericht ihr nur eine geringere Entschädigung zusprach, muss Vicki Boer über 200.000 US$ an Rechtskosten zahlen. Den größten Teil der Summe an Jehovas Zeugen, deren Schuld vom Gericht festgestellt wurde.

Somit ist Vicki Boer heute erneut Opfer geworden. Neben dem psychischen und physischen Schmerz des Missbrauchs, steht Vicki Boer heute vor ihrem wirtschaftlichen Ruin.


LuckyX am Mittwoch, den 1. Oktober, 2003 - 15:53:

Dass Vicky zuden ZJ gehörte ist hier weniger relevant als dass ihr Vater offenbar einer war und die Ältesten um des guten Rufes der Versammlung willen alles vertuschten - vermutlich auf Weisung aus Brooklyn.

LuckyX am Mittwoch, den 1. Oktober, 2003 - 16:02:

vielleicht auch ein Hinweis darauf, dass solche Täter auch unter langjährigen Ältesten zu finden sind, zum Beispiel der Pädophile James Baratt aus Warwickshire, der 10 Jahre lang Jugendliche seiner Versammlung missbrauchte und rechtskräftig verurteilt wurde:

http://parpen.tripod.com/TJ_pedof.htm

Das Opfer Gordon Grant hat seinen Prozess gewonnen. Und musste offenbar die Prozesskosten nicht bezahlen - es geschah ja in UK.

Unbekannter Zeuge Jehovas in einer Mail am Mittwoch, den 1. Oktober, 2003 - 17:20:

Hoffentlich hält der Ausgang andere davon ab, Jehovas Namen durch den Dreck zu ziehen. Am Ende hat die Frau (die Jehova verlassen hat) verloren.

Eventhorizon am Mittwoch, den 1. Oktober, 2003 - 21:32:

Ich verstehe die Richterin nicht.

  1. Sie scheint nicht anzuzweifeln, dass der Missbrauch passiert ist.
  2. Sie scheint nicht anzuzweifeln, dass die Ältesten von dem Missbrauch wussten (sonst würde Vicki gar nichts bekommen).
  3. Dass die Ältesten keine Anzeige machten, wird doch wohl nachgewiesen sein.
  4. Wäre es aus meiner Sicht schlüssig, der Anklage vollständig zuzustimmen, weil eben keine Anzeige gemacht wurde...

LuckyX am Donnerstag, den 2. Oktober, 2003 - 09:43:

PT, die Mail, die Du erhieltest, beleuchtet doch, wie die meisten ZJ ticken : man kann jedes Verbrechen begehen so lange es nur nicht an die große Glocke gehängt wird, eben auch Kindesmissbrauch, aber erst wenn man das NICHT unter den Teppich kehrt, DANN zieht man den Namen Jehovas in den Dreck...

Stephan E. am Freitag, den 3. Oktober, 2003 - 12:35:

Ich frage mich immer wieder, weshalb die WTG all die Jahrzehnte nicht das Naheliegendste getan und Pädophile radikal aus ihren Reihen entfernt hat. Wäre das nicht der allerbeste Beweis dafür gewesen, dass man wirklich daran interessiert ist, "die Versammlung rein zu halten"?

Statt dessen hat man Menschen mit derart problembehafteten Neigungen bewusst gedeckt und damit weiter agieren lassen. Mit der Folge, dass sie sich, gestärkt durch den Schutz einer verschwiegenen Organisation, immer neue Opfer suchen konnten und viele Unschuldige in eine Krise gestürzt haben, die sie vermutlich ihr ganzes Leben lang begleiten wird.

Ich kann mir nicht helfen, aber ich werde den Verdacht nicht los, dass dahinter nicht nur Unvermögen, sondern eine klare Absicht steckt. Man will ganz bewusst ein Klima aufrecht erhalten (und hat das ja über viele Jahre hinweg auch geschafft), in dem die Opfer nicht zu sprechen wagen und sich die Täter sicher fühlen können.

Was die Vermutung nahe legt, dass es hier eine Solidarität zwischen Männern gibt, die eine gemeinsame Neigung miteinander verbindet. Und dass diese Solidarität bis in die Spitze der WT-Organisation reicht.

Warum sonst tritt man nicht jetzt die Flucht nach vorn an und entledigt sich aller bekannten Pädophilen, anstatt die angeblich für das weltweite Königreichswerk gesammelten Spenden in 6- bis 7stelliger Höhe für Rechtsstreitigkeiten auszugeben? Warum sonst setzt man auch jetzt wieder auf eine Strategie der Einschüchterung, indem man die Schwächen des amerikanischen/kanadischen Rechtssystems nutzt, um nach bester Scientology-Manier die Opfer in den Ruin zu klagen und den Tätern hochbezahlte Rechtsanwälte zur Seite zu stellen?

Nichts auf dieser Welt geschieht ohne Absicht.

Meinung eines kanadischen Zeugen Jehovas

Nachfolgend eine eMail von einem Freund in Kanada an silentlambs, der die Gefühle Vieler vermutlich am deutlichsten zum Ausdruck bringt:

Ich habe das Telefonat mit Scott Boer, Vicki Boers Mann und vorher mit Vicki selbst gerade beendet. Die Ehrenwerte Richterin Anne Molloy hat soeben über die Rechtskosten im Fall Boer entschieden.

Die Ehrenwerte entschied, daß Vicki die Rechtskosten der Wachtturmgesellschaft bis zurück ins Jahr 2001 bezahlen muß, obwohl sie den Fall gewonnen hat. Die Wachtturmgesellschaft muß die Rechtskosten vor dem Jahr 2001 bezahlen.

Der Grund für dieses Urteil scheint das ursprüngliche Angebot im Jahr 2001 über 20.000 Dollar als Entschädigung für die Tortur während der "Konfrontationen". Vicki lehnte das 20.000 Dollar Angebot aufgrund des Rats des Anwalts ab, doch wurde dies als "offizielles" Angebot angesehen.

Die Wachtturmgesellschaft machte dann, wie ich annehme, kein "offizielles Angebot" über 56.000 Dollar und entschuldigte sich bei Vicki. Sie lehnte dieses Angebot jedoch ab, nicht nur aufgrund des Rats ihres Anwalts sondern, noch wichtiger, auch aufgrund des Rats eines Untersuchungsrichters (der nicht identisch war mit Richterin Molloy), weil die Wachtturmgesellschaft Vicki und ihren nächsten Angehörigen "den Mund verbieten" wollte.

Und so hat die Richterin heute entsprechend dem Ontario Courts of Justce Act entschieden, daß Vicki, obwohl sie den Fall gewonnen hat, 142.000 Dollar an Rechtskosten an die Wachtturmgesellschaft bezahlen muß, weil das Urteil unter den gesamten Rechtskosten der Wachtturmgesellschaft und dem Angebot lag, und es ist zu erwarten, daß ihr eigener Anwalt etwa 92.000 Dollar kosten wird. Ich kenne nicht allzu viele Leute, die soviel Geld haben. Vicki wollte ihre Geschichte natürlich öffentlich bekannt machen, einschließlich ihrer Famlie um zu zeigen, daß sie nicht gelogen hat und um anderen Opfern zu helfen. Ein hoher Preis für ein junges, unschuldiges Vergewaltigungsopfer, das die Öffentlichkeit darauf aufmerksam machen wollte, was geschehen ist und das ihrer Zeugen-Familie beweisen wollte, daß sie nicht alles erfunden hat.

Vicki redete also und versuchte, ihre Geschichte in der Öffentlichkeit zu berichten und wie sie von ihrem Vater und der Wachtturmgesellschaft behandelt wurde, und sie gewann gegen die Wachtturmgesellschaft die Summe von 5000 Dollar. Und was tat die Wachtturmgesellschaft? Sie nageln sie fest mit über 140.000 Dollar.

Ich erinnere mich daß jemand, den ich als guten Freund betrachte, mir einmal erzählte, daß die Wachtturmgesellschaft niemals die Gerichte benutzt um andere Zeugen zu verletzen oder andere, einschließlich Zeugen Jehovas, zu verklagen. Ich erinnere mich auch, in Wachtturmzeitschriften unzählige Artikel gelesen zu haben, daß Zeugen Jehovas nach der offiziellen Doktrin der Leitenden Körperschaft niemals andere Zeugen mit denen sie Streit haben, vor Gericht zerren sollen, und daß sie niemals Rache suchen sollten ob über ein Gericht oder andere Wege. Ich erinnere dich daran, daß Vicki immer noch Zeugin Jehovas in gutem Ansehen ist, und genau das ist passiert im vollen Wissen und der vollen Unterstützung des kanadischen Bethels (die Zentrale der Zeugen Jehovas in Kanada) in Halton Hills und der Leitenden Körperschaft (Zentrale in Brooklyn, New York).

Ich möchte auch alle daran erinnern, daß es hier um ein Vergewaltigungsopfer geht, das als psychisch schwer angeschlagen gelten muß. Ich habe beobachtet was Menschen wie Vicki bei solchen Rückschlägen passieren kann. Die Wachtturmgesellschaft wußte genau dasselbe wie ich und hat sogar öffentlich erklärt, als Organisation sehr viel "Mitleid" mit diesen Vergewaltigungsopfern in ihren Königreichssälen zu haben. Für jeden mit auch nur "halb soviel Mitleid" hätte das bedeutet, zu wissen, daß es einem Vergewaltigungsopfer wirklich psychisch schaden kann, wenn man sich finanziell zu rächen versucht, so wie die Wachtturmgesellschaft es in diesem Fall tat.

Ich vermute stark, daß Vicki glaubt, gerade wieder vergewaltigt worden zu sein. Ich vermute, daß dies sehr schmerzlich ist und ich möchte alle drängen, sie in diesem Durcheinander zu unterstützen. Ich bin sehr stolz auf das, was sie erreicht hat indem sie aufdeckte was geschah und ich weiß, dank ihr wird der Tag kommen an dem Kinder und Frauen von dieser Organisation in angemessener Weise geschützt sind.

Ich hoffe daß die Zeugen Jehovas und jene, die überlegen, welche zu werden, lange und intensiv über diese Angelegenheit und die Organisation, zu der sie gehören, nachdenken. In genau dieser Weise behandeln die Kirche von Scientology und andere destruktive Gruppen jene Anhänger, die nicht immer gehorchen, diese Informationen vor dem Rest der Basis zu verheimlichen oder zu verleugnen und die Menschen, die sie zu rekrutieren versuchen, einem "Love Bombing" aussetzen.