Die Siegener Zeitung berichtet von der Gerichtsverhandlung über einen Zeugen Jehovas mit pädophilen Neigungen. Ein erneutes Beispiel dafür, dass es eben auch unter den nach eigener Auffassung "einzig wahren Christen" geistig fehlgeleitete Menschen gibt, die psychiatrischer Hilfe bedürfen.

Auch der zuständige Richter kam zu dieser Erkenntnis und war über das Verhalten des Angeklagten äußerst verwundert, das im krassen Gegensatz zum Glauben des Zeugen Jehovas steht, der auch die Gerichtsverhandlung für seinen missionarischen Tatendrang nutzte. Immerhin tat er das, was Zeugen-Jehovas-Älteste in solchen Fällen geflissentlich versäumen, damit kein negativer Eindruck von "Jehovas Organisation" entsteht: Er wies den geistig Kranken in eine forensische Klinik ein.

„Noch viel Erkenntnis- und Handlungsbedarf”

Pädophilen 36-Jährigen in geschlossene Anstalt eingewiesen

Kirchen/Koblenz. Zweimal hat sich der 36-jährige Wojtek S. (Name von der Redaktion geändert) in Gegenwart seines damals dreijährigen Sohnes in seinem Badezimmer eingeschlossen und sich selbst befriedigt. Nach einigem Hin und Her gestand er schließlich gestern seine Taten vor der 4. Strafkammer des Koblenzer Landgerichts und entschuldigte sich mehrmals. Schon recht bald wurde während der Beweisaufnahme deutlich, dass es sich bei Wojtek S., der zuletzt in Kirchen lebte, um einen kranken Mann handelt, der dringend ärztlicher Hilfe bedarf. Die beiden vom Gericht hinzugezogenen Fachärzte attestierten dem 36-Jährigen übereinstimmend eine pädophile Neigung, die mit psychotischen Störungen einhergeht. Richter Winfried Hetger musste in erster Linie klären, was zum Tatzeitpunkt die Triebfeder seines Handelns war. Die Ärzte sahen dabei die pädophile Veranlagung des Angeklagten als maßgebliche Ursache.

Vermindert steuerungsfähig

Während der 36-Jährige uneingeschränkt zu seiner Schizophrenie steht und dieses Krankheitsbild für sich erkannt hat, leugnet er jedoch standhaft, eine abartige Vorliebe für minderjährige Kinder zu haben. „Hier ist noch viel Erkenntnis- und Handlungsbedarf”, so der Gutachter. Für beide Gutachter stand fest, dass seine pädophile Neigung ihn zur Tat angetrieben hat, dabei seine Steuerungsfähigkeit jedoch erheblich vermindert, aber nicht ausgeschlossen war. Dafür spricht die Tatsache, dass sich der Angeklagte bei seiner Tat bewusst mit dem Kind ins Bad eingeschlossen habe. Da es für beide Vorfälle keine Zeugen gibt und die Anklage nur auf den Aussagen der ausschließlich polnisch sprechenden Ehefrau basiert, ging Oberstaatsanwalt Gebhard Weber davon aus, dass sich durchaus mehrere Vorfälle dieser oder ähnlicher Art ereignet haben könnten.

Ein Zeuge Jehovas

Richter Hetger war angesichts der religiösen Überzeugung des Angeklagten über seine Verhaltensweise verwundert, die krass im Gegensatz dazu steht, was Wojtek S. glaubt und verbreitet: der Kirchener gehört den Zeugen Jehovas an und nutzte auch die Gerichtsverhandlung für seinen missionarischen Tatendrang. Sowohl Richter Winfried Hetger als auch Oberstaatsanwalt Gebhard Weber bekamen zunächst eine Bibel geschenkt: der Richter während der Beweisaufnahme, der Oberstaatsanwalt nach der Urteilsverkündung. Wojtek S. wurde mit 13 Jahren als Zeuge Jehovas getauft und bekam mit der damaligen polnischen Regierung Probleme, als er zum Militärdienst eingezogen werden sollte. Sein Glaube habe es ihm verboten, Waffen zu tragen. Deshalb sei er nach Deutschland ausgewandert, wo der gelernte Untertageschlosser krankheitsbedingt auf Lkw-Fahrer umschulte. Nach nur sechs Monaten als Lkw-Fahrer wurde Wojtek S. 1991 arbeitsunfähig und lebt seitdem mit seiner Familie von 1600 DM Erwerbsunfähigkeitsrente.

Dauerhafte Behandlung

Von der Tat als solche wurde Wojtek S. freigesprochen, dennoch sah es das Gericht als dringend geboten an, dass der 36-Jährige in eine forensische Klinik nach Nettetal eingewiesen wird, wo er zunächst ohne zeitliche Begrenzung behandelt werden soll. Jährlich wird eine Gesundheitsüberprüfung stattfinden, die darüber entscheidet, ob der Kirchener als geheilt gilt und entlassen werden kann oder ob eine Fortsetzung der Behandlung notwendig ist.

Quelle: Siegener Zeitung, 10.11.2000