Ist das nicht Manipulation zu nennen?
Im Wachtturm vom 15. April 2008 werden unter anderem drei Artikel geschrieben, welche für die Betrachtung in der Zusammenkunft gedacht sind. Ich möchte sie hier in ihrer Zielaussage schildern, damit jeder selbst beurteilen mag, ob hier sachliche Ermahnungen oder tendenziöse Gedanken vorgetragen werden.

Wertloses entschieden von uns weisen

Niemand wird bestreiten, daß es nützlich ist, Wertloses von sich zu weisen. Doch der Wachtturm will mehr als nur den Rat geben, Dinge auf ihren Wert hin zu untersuchen. Zunächst definiert er Wertloses als alles, was uns davon ablenkt, Jehova von ganzem Herzen zu dienen (Seite 3). Da, wie bekannt, der Dienst für Jehova ebenfalls von dem treuen und verständigen Sklaven bestimmt wird, ist hier schon eine bestimmte Tendenz erkennbar.

Nachdem man erklärt hat, dass gegen Entspannung grundsätzlich nichts einzuwenden sei, wird aber doch die Gefahr, der Entspannung zu viel Zeit zu widmen, hervorgehoben, und es wird deutlich gemacht, dass man sie auch als etwas Wertloses betrachten könne und solle.

Auf Seite 4 wird dann die Bildung angeführt als ein Beispiel, wie etwas Nützliches zu etwas Wertlosem werden könne. Dabei wird ausdrücklich die Hochschulbildung angesprochen und die Akademiker als Gruppe werden in ein sehr schiefes Licht gesetzt. Wissenschaftler und Evolutionisten machen arrogante Aussagen (Seite 6), mit denen sich Christen nicht befassen sollten. Nun steht ja die Wachtturm-Organisation schon lange im Ruf, im Grunde bildungsfeindlich zu sein. Zu Recht! Zwar war der Besuch weiterführender Schulen nie verboten, aber Zeugen, die ihre Kinder auf solche Schulen schickten, wurden als glaubensschwach, materialistisch, ehrgeizig usw. bezeichnet. Das ist auch heute nicht anders. Natürlich bestreitet die Wachtturm-Gesellschaft, bildungsfeindlich zu sein; sie behauptet, lediglich einen ausgeglichenen Standpunkt in dieser Frage einzunehmen. Doch dazu einige Zitate aus ihren Schriften:

Wenn du eine weltliche Bildung anstrebst, die über das gesetzlich geforderte Mindestmaß hinausgeht, solltest du dir über deine tatsächlichen Motive im klaren sein. Möchtest du dir dadurch einen Namen machen oder materiellen Reichtum erwerben?

Der Wachtturm 1.12.1996, Seite 19

Mit der schlimmste Umgang, den ein Christ haben kann - sowohl in geistiger als auch in moralischer Hinsicht - ist an den Universitäten zu finden. Viele Eltern sind der Auffassung, dass der mögliche Nutzen eines Universitätsstudiums den möglichen schrecklichen Preis nicht wert ist; statt dessen bereiten sie ihre Kinder auf einen Beruf vor.

Der Wachtturm 15.10.1982, gekürzt

Die Angehörigen akademischer Berufe können als gute Beispiele dafür angesehen werden, wie sich die „akademische Bildung“ auswirkt. Sie bilden die Intelligenz, eine Schicht der wissenschaftlich Gebildeten.

Sie sind oft stolz, den Bedürfnissen der weniger begünstigten Bevölkerung gegenüber kalt, eingebildet, ehrgeizig, eigenwillig und rücksichtslos. Sucht man nicht, sobald Gesetze erlassen werden, einen Weg, sie zu umgehen? Und wer verletzt sie am häufigsten? Es sind diejenigen, die den Vorteil einer „akademischen Bildung“ haben, die gewissenlos ihre Fähigkeiten dazu verwenden, auf Kosten des Mannes von der Straße schnell reich zu werden.

Es ist bekannt, dass Studenten und Studentinnen, die auf Wunsch ihrer Eltern die Hochschule besuchen, Rauschgift nehmen, einen losen Wandel führen und sich an wilden Demonstrationen gegen Gesetz und Ordnung beteiligen. An den höheren Schulen werden die jungen Mädchen gelehrt, mit Männern zu wetteifern, ihnen ebenbürtig zu sein. Es ist daher nicht zu verwundern, dass sie es dann später, wenn sie heiraten, schwierig finden, eine gute Gattin und Mutter zu sein. Die weibliche Eigenschaft der Unterwürfigkeit, die sie einst besaßen, ist fast ganz verschwunden. Personen, die sich für die „akademische Bildung“ entscheiden, werden die Erfahrung machen, dass sie mit zahllosen Personen, die Gott, den Verfasser der Bibel, weder lieben noch respektieren, vertrauten Umgang haben.

Erwachet! 22.12.1968, gekürzt

Diese Zitate sind nur Beispiele; selbst wenn sie (manchmal) gesellschaftliche Zustände schildern, sind sie „hochschultypisch“ oder trifft das nicht mehr oder weniger auf alle Kreise des gesellschaftlichen Lebens zu, auf die Charaktere und die Möglichkeiten von Menschen, ungeachtet ihrer „Bildung“? Aber das will man ja nicht sagen; man will gegen die Hochschulbildung, ja schon gegen die „höhere Bildung“ argumentieren, ja intrigieren durch einseitige, ja oft falsche Darstellung. Hier wird die Tendenz offen sichtbar.

In den fünfziger Jahren wurde empfohlen, nur den gesetzlich vorgeschriebenen Schulbesuch abzuleisten, zumal ja auch Harmagedon vor der Tür stand. In den siebziger Jahren wurde dann auf einem Kongress erklärt, dass leider der Hauptschulabschluß nicht mehr ausreiche, um eine Halbtagsbeschäftigung mit genügendem Einkommen zu erhalten, so daß Pionierdienst (Vollzeitdienst) möglich wäre; daher nahm man - aber keineswegs aus Bildungsfreundlichkeit - den Realschulabschluss „in Kauf“. Wie gesagt, waren das immer nur Empfehlungen; aber wer die Auswirkung von Empfehlungen des Sklaven auf die Zeugengemeinschaft kennt, wird sich nicht wundern, dass - nach eigenen Angaben der Gesellschaft (in der Broschüre Jehovas Zeugen - Menschen in Deiner Nachbarschaft) - prozentual nur halb so viel Kinder von Zeugen weiterführende Schulen besuchen wie die Kinder der übrigen Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland.

Da man aber davon ausgehen kann, dass die schulische Eignung der Kinder von Zeugen Jehovas derjenigen der Kinder der anderen Bevölkerungsteile entspricht, muss man sagen, dass somit einem großen Teil der Kinder von Zeugen eine weitergehende schulische Bildung gemäß ihren Fähigkeiten und damit die Voraussetzung für ein erfülltes Leben vorenthalten wurde; auch wenn der Wachtturm noch so viele Beispiele anführt von Personen, die ihre Ausbildung und ihre Berufe zu Gunsten des Vollzeitdienstes für die Organisation aufgegeben haben. Selbst wenn solche einzelnen Fälle zutreffen sollten, können sie doch nur als Propaganda bezeichnet werden, weil gegenteilige Fälle, die es ja auch gibt, nie erwähnt werden, schon gar nicht solche, die mit dem Verlassen der Organisation endeten. Und Hochschulbildung wurde und wird immer noch verteufelt, so dass viele Zeugen Jehovas auf studierende Brüder sogar „herabblicken“ als auf ehrgeizige, materialistische und glaubensschwache Menschen. Dabei werden Verhältnisse und Verhaltensweisen auf Hochschulen konzentriert, wie zum Beispiel Alkohol, Drogen, Sex usw., die eher allgemeine gesellschaftliche Probleme darstellen. Sollte man nicht eher offen sagen, dass das für die Organisation wirklich Abschreckende an den Hochschulen die Unterweisung im selbständigen Denken oder - wie sie es nennt - im unabhängigen Denken ist. Menschen, die unabhängig denken, sind schwerer zu überzeugen und zu leiten. Steht hier nicht im Hintergrund der Spruch „je dömmer, je frömmer“ (je dümmer, je frommer). So wie ein Glied der leitenden Körperschaft einmal in einer Ansprache auf einem Kongress sagte: „Ihr braucht gar keine anderen Bücher zu lesen; der Sklave liest für euch, und was wichtig ist, erscheint im Wachtturm“.

Nach Auffassung der Organisation gibt es natürlich noch weitere wertlosen Dinge. So sagt der Wachtturm auf Seite 6, dass die religiösen Führer der Christenheit wertlose Worte äußern, und dass natürlich auch Worte von sogenannten Abtrünnigen unter diese wertlosen Dinge fallen. Ja, so sagt der Absatz 18, wenn uns auch nur eine kritische Bemerkung über die Wahrheit - die Lehre der Organisation - zu Ohren kommt, dann behandeln wir sie als etwas Wertloses.

Das Ziel des Ganzen taucht dann auf Seite 7, Absatz 19 auf: die Ermahnungen in den Veröffentlichungen des treuen und verständigen Sklaven! Sie stellen natürlich die wertvollen, zu beachtenden Dinge dar.

Ist eine solche Darlegung nicht als manipulativ zu bezeichnen? Ist sie nicht geistige Manipulation?

Uns immer von Gott leiten lassen

Diesem Artikel kann man in seinem Thema nur zustimmen; welcher Christ möchte sich nicht von Gott leiten lassen? Der Artikel behandelt verschiedene Fragen mit Beispielen aus der Vergangenheit, spricht aber auch schon (Seite 9) Themen an wie Entspannung, Kleidung, Beruf, Bildung und Umgang, in denen man sich von Jehova leiten lassen solle. Selbst das könnte ein Christ ja bejahen. Aber hat er das Recht, nach seiner eigenen Erkenntnis, seinem eigenen Verständnis diese Entscheidungen zu treffen?

Der ganze Artikel ist eine zielgerichtete Ausführung zu dem Punkt, wie denn Jehova sein Volk leitet. Und dazu heißt es dann auf Seite 11, Absatz 18 als Höhepunkt des ganzen Themas: Die bedeutendste Rolle spielt dabei (in der Leitung durch Jehova) der treue und verständige Sklave mit seiner leitenden Körperschaft! Hier nun ist die Katze aus dem Sack, das Ziel der Ausführungen erreicht. Unterwerfung unter die Anweisungen des Sklaven! Wer sich also von Gott leiten lassen will, muss sich vom Sklaven leiten lassen: hier kommt der „Pferdefuß“ zum Vorschein! Ist das nicht Manipulation zu nennen?

Junge Leute, denkt heute schon an euren großen Schöpfer

Wer hätte gegen einen solchen Rat im Sinne von Prediger 12:1 etwas einzuwenden? Bestimmt kein Christ. Doch worauf werden hier junge Leute hingewiesen, wenn sie an ihren Schöpfer denken sollen?

So wird zum Beispiel auf Seite 14 ausgeführt, dass sie in der Schule fleißig lernen sollen, sich klar auszudrücken, logisch zu denken und ruhig und respektvoll argumentieren zu können. Minimale Ziele, aber wichtig für den theokratischen Predigtdienst. Man lobt das Beispiel der Israeliten, die hauptsächlich von ihren Eltern unterrichtet wurden, und warnt vor Ratschlägen von Lehrern und Berufsberatern, denen es ja hauptsächlich nur um den beruflichen Erfolg gehe (zugegeben; um den geht es der Organisation und dem Sklaven nicht!). Darum wird unmittelbar im Anschluss an diese Warnung gesagt, man solle nachforschen, was der treue und verständige Sklave dazu veröffentlicht habe. Das Ziel:

ein einfaches Leben (Absatz 15). Würdest Du solche Gedanken als Förderung für junge Menschen in der heutigen Welt ansehen oder als Ratschläge, die sie ganz in Abhängigkeit dieses Sklaven bringen? Paulus warnte davor: ihr seid um einen Preis erkauft; laßt euch nicht wieder versklaven (Galater 5:1). Doch auch in diesem Artikel, wie in den beiden zuvor besprochenen, ist das Hauptziel trotz der Anführung vieler auch biblischer und an sich zutreffender Gedanken nur in einem zu sehen, in der Unterwerfung unter den Sklaven, in der bedingungslosen Anerkennung seiner Autorität und in der Befolgung von allem, was dieser Sklave sagt. Und eine solche Berieselung Woche für Woche mit dem wundervollen Sklaven! Ist das nicht Manipulation von feinster Art?

Ist das alles nicht Manipulation zu nennen?