Die Zeugen Jehovas behaupten von sich, schon deshalb die einzig wahren Christen zu sein, weil sie einen liebevollen Umgang untereinander pflegen. Auch so mancher Besucher eines Königreichssaals geht mit dem Eindruck nach Hause, auf außergewöhnlich freundliche, zuvorkommende und liebevolle Menschen gestoßen zu sein.
Doch diese Fassade trügt. Wie viele ältere und/oder bedürftige Zeugen Jehovas bestätigen können, ist es nämlich mit der Nächstenliebe unter ihren geistigen Brüdern nicht weit her. Im Gegenteil. Der für einen Christen eigentlich selbstverständliche Dienst am Nächsten zählt unter Zeugen Jehovas eher zur Ausnahme. Und so ist es keine Seltenheit, dass Menschen, die ihr ganzes Leben der Wachtturm-Gesellschaft aufgeopfert haben, am Ende schlicht und einfach vergessen werden und ihre letzten Lebensjahre einsam und verlassen in irgendeinem Altersheim verbringen.
Ein besonders trauriger Fall wird in dem Brief dargestellt, den Christina L. Scott an die Ältestenschaft der Versammlung in Preston Park, Texas, schieb. Ein Brief, der ein Stück Realität hinter den Mauern des Wachtturms offenbart und zu Recht mit den Worten endet: "Schämt euch."
An die Ältestenschaft
Versammlung Preston Park (Plano), Texas, 1912 Hedgecoxe Road Plano, Texas
Sehr geehrte Herren,
am 16. Februar 2003 hat mein Vater, William C. Bibbee, Selbstmord begangen, indem er sich durchs linke Ohr schoss. Am 19. September 2002 versuchte er, sich das Leben mit Tabletten und Alkohol zu nehmen. Hiermit informiere ich euch, dass ich euch, die Ältestenschaft der Versammlung Preston Park (Plano), Texas, als schuldig am Tod meines Vaters befinde. Er war 78 Jahre alt, als er starb.
Mein Vater wurde 1960 getauft. Er war in jeder Versammlung, die wir besuchten, Versammlungsdiener, von Pennsylvania bis Kalifornien, den Virgin Islands, Australien und Texas. Als in den frühen 1970er Jahren die Vorkehrung der Ältestenschaft begann, wurde er zum Ältesten ernannt und blieb dies bis 2001. Im September 2000 mussten wir trauriger Weise die Entscheidung treffen, meine Mutter, die 50 Jahre lang seine Ehefrau gewesen war, in ein Pflegeheim zu geben. Diese Begebenheit veränderte meinen Vater sehr, und ob es ihn körperlich oder emotional veränderte, werde ich niemals wissen.
An dieser Stelle stellt euch einmal diese Fragen:
- Hat einer von euch ihn jemals zum Essen ausgeführt oder dazu in euer Haus eingeladen?
- Habt ihr ihn jemals im Krankenhaus besucht?
- Habt ihr ihn jemals angerufen, nur um zu reden und zu fragen, wie es ihm geht?
- Habt ihr jemals einen Hirtenbesuch bei ihm gemacht?
- Was hat jeder einzelne von euch persönlich getan, um Bill Bibbee zu ermuntern oder ihm zu helfen?
Anfang 2001 hatte Dad wegen seiner extremen Einsamkeit eine kurze Affäre mit einer Frau, die in seinem Altenheim lebte. Er bekannte euch diese Affäre. Er wurde am 01. März 2001 ausgeschlossen. Am 09. März 2001 kam er zu uns und danach zu euch, und er sagte, er habe die Affäre beendet und bereue aufrichtig.
Das ganze nächste Jahr bat mein Vater euch immer wieder um Wiederaufnahme und wurde stets zurückgewiesen. Er besuchte jede Zusammenkunft, hielt sich an eure Regeln, wo er sitzen sollte und wo nicht, wann er hereinkommen und wann er gehen sollte, und wurde wegen eurer wagen Erklärungen, er müsse „mehr“ Demut zeigen oder dass er nicht „genug“ bereute, immer frustrierter. Er wurde mehrfach wegen Schmerzen in der Brust ins Krankenhaus gebracht, unter denen er auf Grund eures gefühllosen Verhaltens litt. Nicht ein einziges Mal habt ihr ihn besucht, wenn er im Krankenhaus war, oder rieft ihn an, um euch nach seinem Gesundheitszustand zu erkundigen. Tatsächlich gab ich sogar einmal Wayne Christensen die Telefonnummer meines Vaters im Krankenhaus und bat ihn, anzurufen, und er weigerte sich, uns zu helfen, meinem Vater zu helfen.
Anfang März 2002 geruhtet ihr endlich, meinem Vater zu erlauben, in die Versammlung zurückzukehren, und er war begeistert, wieder mit seinen geistigen Brüdern und Schwestern reden zu können. Jedoch bemerkte er bald, dass die Akzeptanz nur Schein war. (Lukas 17:1-4) Er war extrem einsam und wurde ernstlich depressiv. Ihr behandeltet ihn, als hätten die letzten 40 Jahre treuen Dienstes nie existiert.
Und noch einmal, stellt euch diese Fragen:
- Hat einer von euch ihn jemals zum Essen ausgeführt oder dazu in euer Haus eingeladen?
- Habt ihr ihn jemals im Krankenhaus besucht?
- Habt ihr ihn jemals angerufen, nur um zu reden und zu fragen, wie es ihm geht?
- Habt ihr jemals einen Hirtenbesuch bei ihm gemacht?
- Was hat jeder einzelne von euch persönlich getan, um Bill Bibbee zu ermuntern oder ihm zu helfen?
Im September 2002, im Zustand schwerer Depression und den Tränen nahe, sprach mein Vater den Kreisaufseher, William Osbeck, an, und erzählte ihm, wie deprimiert und einsam er war, dass ihn niemand einlud, wegzugehen, oder mit ihm irgendetwas außerhalb der Zusammenkünfte und dem Predigtdienst unternahm. Die Antwort des Kreisaufsehers war „Nun, dann ergreife doch DU die Initiative. Lade DU jemand ein, wegzugehen“. Das ist eine der dümmsten und taktlosesten Dinge, die ich jemals eine Person einer anderen sagen hörte, speziell einem 78jährigen Mann, der von einer kleinen Rente lebte und in einer Ein-Zimmer-Wohnung im Altenheim wohnte. Dies waren die Worte eines weiteren Menschen, den es nicht kümmerte. Drei Tage später trank mein Vater 12 Gläser Wein und schluckte 18 Xanax (Anm.: in Deutschland verschreibungspflichtiges Beruhigungsmittel), um sich das Leben zu nehmen. Ich sagte euch nichts davon, weil ich nicht wollte, dass ihr so eine weitere Möglichkeit habt, meinen Vater unter Druck zu setzen. Ihr hattet schon gezeigt, dass ihr das sehr gut könnt: „gehe nicht mit einer Schwester in den Predigtdienst“; „berühre nicht die Hand einer Schwester oder umarme sie“; „sitze nicht so weit hinten im Königsreichssaal.“ (Matt. 23:24; Matt. 12:1-14).
Ein paar Monate später rief mich mein Vater aufgeregt an, weil zwei von euch Ältesten gesagt hatten, ihr würdet ihn besuchen. Er war glücklich bei dem Gedanken, dass er endlich einen Hirtenbesuch bekommen würde, den er von euch Ältesten NIE erhalten hatte, weder vor seinem Gemeinschaftsentzug noch nach seiner Wiederaufnahme. Er war so stolz, einen Besuch zu erhalten, dass er dafür einen Besprechungsraum in seinem Altenheim reservierte. Nach eurem Besuch rief er mich an und klang so deprimiert, so niedergeschlagen, weil der EINZIGE Grund eures Besuches der war, ihn zu schelten, weil er Becky Potts, eine Freundin der Familie, die wir seit 20 Jahren kannten, am letzten Kreiskongress umarmt hatte. Wieder sagte ich nichts, weil ich nicht wollte, dass er noch mehr Schwierigkeiten mit euch bekommen sollte.
Jetzt hat er seinen Frieden, und zwar dort, wo ihr ihm nicht mehr wehtun könnt, und ich habe keinen Grund mehr, zu schweigen. Ihr habt euch exakt wie die Pharisäer verhalten, die Jesus verurteilte. Ihr werdet euch für eure Taten vor Jehova verantworten müssen. (Matt. 25:41-46) Ich habe nur noch Verachtung und Ekel für euch übrig. Jetzt verstehe ich, warum die Höllenfeuerlehre erfunden wurde, denn manche Verbrechen an Menschen sind so abscheulich, dass der bloße Verlust des Bewusstseins nicht genug Strafe zu sein scheint.
Ich schicke diesen Brief an die Mitglieder der Versammlung der Zeugen Jehovas in Preston Park (Plano), Texas, für die ich Adressen habe, weil sie ein Recht haben, zu erfahren, was geschehen ist. Hoffentlich wird dank dieses Wissens niemand mehr so leiden müssen, wie mein Vater es tat. Ich möchte nicht, dass diese Angelegenheit stillschweigend ignoriert wird oder zum Thema eines kurzen, wage gehaltenen, „Örtliche Bedürfnisse“-Programmpunktes gemacht wird, wo über Gastfreundschaft gesprochen wird, Respekt vor den Älteren, was mit einem hastig arrangierten Besuch bei mir endet, um mich zum Schweigen zu bringen. Ich sende diesen Brief an William Osbeck, da der erste Selbstmordversuch meines Vaters ein direktes Ergebnis seiner gefühllosen Worte war. Ich sende diesen Brief an das Hauptbüro in Brooklyn, weil sie für die allgemeine Versammlungspolitik verantwortlich sind, auch wenn sie versuchen werden, sich von der Schuld reinzuwaschen, indem sie sagen, sie seien nicht für die Taten einzelner Ältester verantwortlich. Ich sende dies an Valerie Williams vom Channel 8, da ich denke, dass sie angesichts ihrer exzellenten Reportage über das Thema Kindesmissbrauch bei Zeugen Jehovas an einem weiteren Aspekt eurer liebevollen Bruderschaft interessiert sein dürfte. Aus dem gleichen Grund sende ich dies ebenfalls an den Herausgeber der Abteilung Religion der Dallas Morning News.
Schließlich, wenn ihr Ältesten wirklich Gottes Stellvertreter seid, wie es immer wieder im Wachtturm (1. August 2002, Seiten 13, 14) und von der Bühne behauptet wird, dann müsst ihr einige drastische Änderungen vornehmen, um weitere Blutschuld zu vermeiden. Euer Verhalten geht weit über die faule Ausrede „Unvollkommenheit“ hinaus. Die sogenannten „Weltmenschen“ im Dad’s Altenheim zeigten ihm gegenüber mehr christliche Nächstenliebe und Mitgefühl als seine „geistigen Brüder und Schwestern“, weshalb wir seine Beerdigung auch dort abhielten. Ihr habt vielen Menschen ein sehr schlechtes Zeugnis gegeben.
"So werden sie erkennen, dass ihr meine Jünger seid, indem ihr Liebe unter euch habt." Johannes 13:35
SCHÄMT EUCH!
Hochachtungsvoll,
Christina L. Scott
PS: An die Mitglieder der Versammlung, die meinen Vater zum Essen zu sich nach Hause eingeladen oder ihn dazu ausgeführt haben, speziell Pat & Mindy Leary und Will & Sharon Laws und die Crocketts, und alle anderen, die ich übersehen haben mag – DANKE SEHR. An alle diejenigen, die es nicht getan haben, sich aber jetzt wünschen, sie hätten es getan, folgendes könnt ihr im Andenken an meinen Vater tun: schaut euch um und findet jemanden, der einsam ist, egal ob jung oder alt, und ladet diese Person zu euch nach Hause zum Essen ein. Zeigt persönliches Interesse an jemandem, der es braucht. Lächelt und umarmt jemanden, der deprimiert aussieht. Wenn ihr diese Dinge tut, werdet ihr euren großen Lehrer, Jesus Christus, nachahmen, ihr werdet das Andenken meines Vaters ehren, der so vielen so viel gegeben hat, und ihr werdet all denen, die ihr trefft, ein gutes Zeugnis geben.
cc: Mitglieder der Versammlung der Zeugen Jehovas in Preston Park (Plano), Texas
William Osbeck
Watchtower Bible & Tract Society, Brooklyn, New York
Ms. Valerie Williams, WFAA Channel 8 News
Editor, Religion Section, Dallas Morning News