Hallo XXX,
meine Frau hat mir erzählt, dass du dich von der Versammlung zurückziehen willst, weil du gewisse Dinge nicht verstehst bzw. akzeptieren kannst. Das macht mir große Sorge.
Ich habe mir auch schon so manche Fragen gestellt, bin aber immer zu dem Schluss gekommen, das es nichts Besseres gibt, als Jehova mit seinen Zeugen gemeinsam zu dienen. Unser ewiges Leben hängt davon ab, dass wir die Brüder Christi, den „treuen und verständigen Sklaven“ unterstützen (Math. 25:31-46)
Zur UNESCO: Es kann verschiedene Gründe geben, warum JZ an der UNESCO interessiert sind. Zum einen ist die UNESCO für Menschenrechte und damit auch für Religionsfreiheit zuständig. Die Kontakte können nützlich sein zur „Verteidigung und gesetzlichen Befestigung der guten Botschaft“ (Php 1:7). Wir erwarten von Seiten der UN einen Angriff auf alle Religionen der Welt, und so können Kontakte zur UNESCO nützlich sein, um wachsam zu bleiben, wie Jesus uns ermahnte. Außerdem können Archive als Quellenmaterial genutzt werden.
Wir sind momentan in XXX im Urlaub. Das ist ja nicht weit von [Euch]. Wenn du willst können wir uns ja treffen und über diese Dinge sprechen. Meine Handynr. ist *** und die von meiner Frau kennst du ja.
Ansonsten können dir unten angeführte Artikel helfen über alles gründlich nachzudenken.
- w88 15.1. S. 22 Warst du früher mit Jehovas Organisation verbunden?
- w01 1.2. S. 9 Haben wir uns die Wahrheit zu eigen gemacht?
- w01 15.4. S. 22 Wie man negative Gefühle überwinden kann
- w92 15.7. S. 19 Du kannst Trost finden in Zeiten der Bedrängnis
- w01 1.7. S. 18 Unseren Glauben nicht durch Zweifel zerstören lassen
Herzliche Grüße
XXX
Hallo XXX,
vielen Dank für deine Bemühungen mir zu helfen. Ich habe die von dir angeführten Artikel durchgelesen, aber ich glaube, sie haben mich weniger ermuntert Zeuge Jehovas zu bleiben, als eher davon abgebracht.
Warum sind wir, bin ich, ist jeder Mensch, angeblich nur dann ein richtiger, guter, wahrer Christ bzw. Nachfolger Jesu Christi, wenn er (1) ordentlich in den Haus-zu-Haus-Dienst geht, (2) in alle Versammlungen geht und sich (3) an Tausend Regeln der Wachtturmgesellschaft hält und (4) jede Information des treuen und verständigen Sklaven ungeprüft glaubt und er es (5) niemals wagt eine Webseite, ein Buch oder eine Fernsehsendung anzusehen, in der auch mal die nicht-goldene Seite der Wachtturmgesellschaft angesprochen wird, und er (6) niemals darüber redet, dass in den 1970er Jahren, andere Religionsgemeinschaften im Wachtturm verteufelt wurden, weil sie Körperschaft des öffentlichen Rechts werden wollten, heute aber die Wachtturmgesellschaft selbst diesen Status in 15jährigem Rechtsstreit erstritten hat, und er (7) niemals darüber redet, dass sich die Wachtturmgesellschaft im Wachtturm in den 1980er Jahren darüber aufgeregt hat, dass die Schmerzensgeldzahlungen an Opfer sexuellen Missbrauchs in einigen Kirchen durch Spenden finanziert werden, die Wachtturmgesellschaft in diesem Jahr aber in Amerika mindestens 16 Opfern von sexuellem Missbrauch durch Älteste und andere der Wachtturmgesellschaft wegen der dazgehörige Androhungspraxis vom Ausschluss wegen Rufmord, falls das Opfer seine Behauptungen nicht durch zwei Zeugen beweisen kann und trotzdem vor Gericht zieht, in außergerichtlichen Vergleichen Millionen Dollar an Schmerzensgeld gezahlt hat, und er (8) niemals darüber redet, dass die Wachtturmgesellschaft alle anderen Relgionen wegen UNO-NGO-Sein verurteilt hat, selbst diesen Status aber jahrelang mit den verschiedensten von ihr gegründeten NGOs innehatte, und er (9) niemals darüber reden darf, dass der Wachtturm in den 1950er Jahren über einen Mann schrieb, dass er Spiritist sei, Jahre später die eigene Bibelübersetzung mit seiner Meinung stützte und dann wieder Jahre später im Wachtturm behauptete man hätte erst Jahre nach dieser Bibelerklärung erfahren, dass er überhaupt Spiritist sei, und er (10) niemals darüber reden darf, dass Zeugen Jehovas vor 1935 völlig andere Dinge geglaubt haben als heute, dass sie daran geglaubt haben, dass alle Menschen gerettet werden, dass alle Menschen die Tausendjahrherrschaft erleben werden, dass selbst die Menschen die in Harmagedon sterben, wieder auferweckt werden und er (11) niemals darüber redet, dass Zeugen Jehovas noch in den 1930er Jahren erklärten, es sei in Ordnung Jesus Christus anzubeten, und er (12) niemals darüber redet, dass Zeugen Jehovas im Wachtturm von 1928 schrieben, dass Wachttürme an Menschen schwarzer Hautfarbe verschwendet seien, weil diese zu dumm dazu seien?
Viele Dinge, die die Wachtturmgesellschaft tut, sind vielleicht durch irgendwelche Bibeltexte und irgendwelche langatmigen Erklärungen zu entschuldigen, aber wie ist es unter einen Hut zu bringen, dass sie selbst ihre eigene Handlungsweise wenige Jahre zuvor bei anderen ankreidet?
Ich kenne einen Ältesten, der letztens eine Anfrage an die Wachtturmgesellschaft geschickt hat, weil er das Engagement der Wachtturmgesellschaft bei der OSCE nicht nachvollziehen kann. Nun, Wochen später, ist noch keine Antwort da. Wahrscheinlich weiß man im Bethel selbst nicht, warum man sich da so engagiert, aber ich habe diesem Ältesten schon gesagt, dass man sich schon rauszureden weiß und nannte ihm eben den Bibeltext, den du mir auch schriebst, Phillipper 1:7. Aber wie kommt die Wachtturmgesellschaft darauf, das Verhalten, sich an die UNO, UNESCO, OSCE oder sonstwen zu wenden bei anderen Religionsgemeinschaften als „Liebe zur Welt“, „Hurerei mit Babylon der Großen“, „Kollaboration mit Ägypten“ und ähnlich bezeichnet, wenn sie selbst so handelt, es jedoch entschuldigt wird, da es nützlich ist zur „Verteidigung und gesetzlichen Befestigung der guten Botschaft“ (Php 1:7).
Würden andere Religionen so handeln, würde der Wachtturm dies als „Heuchelei“, „Messen mit zweierlei Maß“, „handelt nach ihren Worten, aber nicht nach ihren Taten“ verurteilen.
1919 wurden angeblich die Zeugen Jehovas als wahre Religion erkannt, seitdem hat sich das Licht in mehr oder weniger allen Fragen 180° gedreht. Zum Beispiel: (13) Wer in den Himmel kommt, (14) wer auf der Erde lebt, (15) wer wieder auferweckt wird, (16) wer vernichtet wird, (17) wann Harmagedon kommt, (18) wann die Auferweckung Abrahams stattfindet, (19) wie lang ein Schöpfungstag ist, (20) welche Bedeutung die einzelnen Verse des Offenbarungsbuches haben, (11) ob Jesus anzubeten ist, (12) ob schwarze Menschen weniger wert sind, (21) wer der treue und verständige Sklave ist, (22) wer ausgeschlossen werden sollte, (23) wie mit denen umzugehen ist, die keine Zeugen Jehovas mehr sein möchten, (24) wann die letzten Tage beginnen, (24) wann sie enden, (25) wann 6000 Jahre Menschheitsgeschichte zu Ende sind, (26) wann die Generation endet, (27) wann der letzte Gesalbte gesalbt wird, (28) dass Predigen überhaupt wichtig ist, (29) dass der Name Gottes so wichtig ist, (30) selbst die Streitfragen gab es damals noch nicht, (31) die Anzahl der Zusammenkünfte war wesentlich kleiner, (32) Juden sollten die Welt beherrschen, (33) Rauchen war erlaubt, (34) Blutspenden wurde gelobt, (35) Blut essen war gestattet,...
Und alles wird damit erklärt, dass das Licht heller wird. Und in 100 Jahren? Wird sich dann wieder alles 180° gedreht haben? Wo stand noch mal in der Bibel, dass Gott nach der aktuellen Erkenntnis der Zeugen Jehovas auf der Erde seine Schafe richtet? Oder gab es bei Gott keine Veränderung von der Drehung des Schattens? Er bleibt immer der selbe, oder?
Was darf ich mir denn anhören, wenn ich in den Königreichssaal gehe? Dass ich ein schlechter Mensch bin, weil ich nicht alles so sehe, wie es der treue und verständige Sklave sieht, dass ich ein schlechter Mensch bin, weil ich nicht mit ungeteiltem Herzen Gott exakt so diene, wie es die Wachtturmgesellschaft vorschreibt, dass ich ein schlechter Mensch bin, weil ich nicht so viel in den Predigtdienst gehe, dass ich ein schlechter Mensch bin, weil ich nicht alle Zusammenkünfte besuche, dass ich ein schlechter Mensch bin, weil ich Zweifel habe, dass ich daher ein böses Herz habe und dass Gott mich daher vernichten wird und ich nicht in seine Ruhe eingehen werde.
Ich bin ein guter Mensch und das weiß Gott und ich lasse nicht zu, dass irgendeine Religionsgemeinschaft, die ihre Lehren innerhalb von nicht einmal Hundert Jahren um 180° dreht, mir erzählt, dass Gott denkt, ich sei nach aktueller Lehrmeinung schlecht, nach der Lehrmeinung von vor 90 Jahren nicht, als sie als wahre Religion erkannt wurden, und vielleicht in 100 Jahren auch nicht mehr, aber momentan bin ich SCHLECHT.
Hatte ich erwähnt, dass ich nicht ein biblisches Gebot kenne, gegen das ich verstoße? Aber wen interessiert schon, was die Bibel sagt, wichtig ist ja nur, was die aktuelle Auslegung der Bibel durch den „treuen und verständigen Sklaven“ sagt. Je nach aktueller Lehrmeinung schließt man Leute aus, sind sie abtrünnig, ist es verboten, sich mit ihnen zu unterhalten, oder eben auch nicht. Je nachdem, wie es gerade aussieht.
Jehovas Zeugen sind aber das einzige Volk hier auf der Erde, dass seinen Namen hochhält? Ist sein Name „Jehova“ denn so wichtig? Oma nennt man Oma, nicht Inge Müller oder Else Hansen. Also nennt man Gott Gott. Dadurch, dass man Gott sagt, negiert man nicht die Existenz eines Namens noch die Wichtigkeit eines Namens. Den Namen ehren heißt nicht unbedingt ihn ständig zu gebrauchen, sondern sein Ansehen nicht zu beschmutzen. (36) Warum steht denn der Name Gottes nicht im neuen Testament, wenn er denn doch so wichtig ist? Warum hat Gott es nicht bewerkstelligt, dass er da reingeschrieben wurde? (37) Warum ist es nicht überliefert, dass Jesus den Namen Jehova benutze? Warum steht das nicht in der Bibel? (38) Warum ist in der Bibel nicht die Benutzung des Namens Jehova durch die ersten Christen überliefert? (39) Warum wurde wohl (teilweise völlig willkürlich) im Neuen Testament der Name Gottes in der Neuen-Welt-Übersetzung eingefügt?
Die Argumentation, dass die Benutzung des Namens „Jehova“ den Juden damals verboten war, zählt nicht, weil die ersten Christen zu einem guten Teil aus Nichtjuden bestanden, die ohne jegliche Bestrafung den Namen hätten benutzen dürfen. Außerdem: Seit wann werden wichtige Dinge nicht getan, nur weil sie unter Strafe stehen? Predigen gegangen sind die ersten Christen trotz Verbot, aber den Namen Jehova verwandten sie wegen Verbot nicht? Komisch. Außerdem war zur Zeit der Niederschrift der meisten Bücher der „Christlich Griechischen Schriften“ die Benutzung des Eigennamen Gottes den Juden in der Liturgie gestattet. Trotzdem steht der Eigenname nicht im neuen Testament.
Lieber ***, wie du erkennst, gibt es Unterschiede zwischen „dem Stoßen an einigen Lehren“ und dem „Infragestellen der Leitmotive einer Organisation“. Sicher sind viele Probleme zu erklären und ergeben durch Wachtturmartikel und passende Erläuterungen auch Sinn, doch resultiert aus dieser vermeintlich logischen Argumentation nicht zwangsläufig Wahrheit.
Du schriebst, dass ein Grund bei der UNESCO mitzuwirken gewesen sein könnte, dass Archive als Quellenmaterial genutzt werden können. (40) Du weißt hoffentlich, dass diese Behauptung der Wachtturmgesellschaft, dass eine Mitgliedschaft als NGO bei der UNO nötig gewesen wäre, um an irgendwelche Archive heranzukommen, obwohl die Wachtturmgesellschaft dies in einem Brief an alle Ältestenschaften so schrieb, von der UNO regelmäßig von den verschiedensten Sachbearbeitern dort als Lüge dargestellt wird. Beispielsweise kannst du einfach mal auf deren Website nach Watchtower suchen, da findest du ein Dokument, der behauptet, dass der Rest dieses Briefes vom Bethel an die Ältesten ebenfalls gelogen sei. Dass sich zum Beispiel die Bedingungen, unter denen man Mitglied werden kann und die man als Mitglied erfüllen muss, nicht geändert hätten. Über den Wahrheitsgehalt der Aussagen des Briefes der Wachtturmgesellschaft lässt sich ebenso trefflich streiten wie über die Aussagen der Stellungnahme der UNO.
Lieber ***, noch einmal vielen Dank für deine Bemühungen. Ich glaube nicht, dass wir an einem Nachmittag auch nur einige der oben genannten 40 Probleme lösen könnten. Vielleicht sind diese Probleme auch gar nicht zu lösen. Ich weiß es nicht. Ich maße es mir auch gar nicht an, zu wissen, ob es eine Lösung gibt oder wie die Lösung aussieht.
Vielleicht weißt du es ja, kannst du diese Probleme lösen. Wahrscheinlich wären dir für die Lösung auch noch viele andere Menschen, die die gleichen Probleme haben wie ich, dankbar.
Lieben Gruß, auch an deine Frau.