1936 war das Jahr, wo die Gestapo zurückschlug. In jenem Jahre wurden etliche führende Zeugen Jehovas verhaftet. Unter anderem auch Fritz Winkler. Von ihm räumt auch die Wachtturmgesellschaft ein, dass er Aussagen gemacht hat, die weitere Fahndungserfolge der Gestapo ermöglichten.

Nach 1945 gelangte ein wesentlicher Teil der Akten des vormaligen S(icherheits) D(ienst) des Reichsführers SS in sowjetische Verfügung. Später wurde ein Teil davon, an Ostdeutschland zurückgegeben. Die SD-Akten wurden jedoch von der DDR-Staatssicherheit an sich gezogen, und standen der wissenschaftlichen Öffentlichkeit nicht zur Verfügung. Nach dem November 1989 bestand für das Stasiarchivgebäude Freienwalderstr in Berlin, eine neue Situation. Zeitweiliger Dienstherr wurde nun das Bundesarchiv. Es gab dann später noch ein Hickhack mit der Gauckbehörde, wer, worüber die Verfügungsgewalt hat. Jedenfalls war Anfang der 90-er Jahre die Sachlage noch so, dass in der Freienwalderstr. die SD-Akten sich noch in dem Zustand befanden, in den ihn die Stasi versetzt hatte. Das heißt, Ihre Erschließung war wohl primär unter dem Ordnungskategorium Personennamen gestaltet worden. Nicht sosehr unter dem Kriterium, wie der SD jene Akten einstmals angelegt hatte. Anfang der 90-er Jahre hatte ich den Antrag auf Einsichtnahme der bezüglich der Zeugen Jehovas dort vorliegenden Bestände gestellt. Die nachfolgenden Zitierungen geben einige meiner Notizen aus diesem Aktenstudium wieder. Vorstehende Aussage gilt analog auch für die dortigen Aktenbestände bezüglich Erich Frost und Konrad Franke:


Freienwalderstr. ZB1-1421 (nachfolgend ohne den Hinweis Freienwalderstr)

Berlin, den 24. August 1936

Winkler, Fritz Oswald geb. 20. 9. 98 verh. mit Agnes geb. Lange 1 Kind.

Versicherungsbeamter. Wohnung in Langenberg/Thüringen bei Vater: Oswald Winkler, Rentner. Mutter Anna Winkler, geb. Zewitsch. Ernst Schottstr. 17, Langenberg.

Seit dem Jahre 1920 besuchte ich die Veranstaltungen der Internationalen Bibelforschervereinigung. Im Jahre 1922 bin ich dort getauft worden. Von Mitte 1926 an bis Ende 1928 war ich Dienstleiter von Berlin. Von dieser Zeit an war ich bis zur Auflösung der IBV Bezirksdienstleiter von Brandenburg und Schlesien.

Innerhalb der illegalen IBV behielt ich bis zu meiner Festnahme den Bezirsdienstleiterposten für den gleichen Bezirk weiter und habe nach der Festnahme Balzereits dessen Stelle eingenommen. Ich bin bereit, die volle Wahrheit zu sagen und werde über meine Tätigkeit umfassenden Bericht erstatten."

(Er nennt dann die Dienstleiter, aufgegliedert in Bezirke, teilweise, soweit ihm bekannt mit voller Adresse).

(Berlin) Neukölln: Adlershof, Schöneweide.

(Berlin) Süden, Südwest: Schöneberg, Steglitz, Lichtenrade, Tempelhof, Stralau

(Berlin) Osten-Zentrum: Weissensee.

(Berlin) Nord-Ost: Pankow, Reinickendorf.

(Berlin) Norden: Moabit, Charlottenburg, Spandau, Potsdam, Wannsee, Wilmersdorf, Tegel, Lichtenberg.

Übrige Bezirke: Frankfurt/Oder, Küstrin, Landsberg, Brandenburg, Eberswalde, Hennigsdorf, Spremberg, Oranienburg.

Schlesien: Breslau, Brieg, Oppeln, Gleiwitz, Beuthen, Neissen, Glatz, Neurode, Waldenburg, Landshut, Hirschberg, Reichenbach, Schweidnitz, Striegau, Gottesberg, Fellhammer.

Für Berlin wurden mir die Wege zu den einzelnen DL von den Glaubensbrüdern Kasing (z. Zeit in Haft) und Kauss, Otto, etwa 50 Jahre alt, wohnhaft Berlin-Charlottenburg, Wilmersdorferstr. 125 abgenommen.

Im März 1933 habe ich im Auftrage des Leiters des Deutschen Werkes Balzereit (in angegebener Sache in Haft) einen Lagerschuppen (Stadtbahnbogen) in der Lüneburger Str. gemietet. Von Magdeburg wurden hier kurz danach 7 Waggons Bücher untergestellt. 96000 Broschüren sind aus diesem Lager kurz vor oder nach dem Verbot verteilt worden. Aus dem Lager sind nur wenige tausend zur Verbreitung gekommen. Es werden sich z.Zt. noch etwa 300.000 Bücher am Lager befinden.

Genau wie in Berlin wurden durch den damaligen DL Böhm, Willi (heute nicht mehr aktiv für die IBV tätig) in Breslau zwei Lager eingerichtet. Wo sie sich befinden, kann ich nicht angeben; hierüber muss der Mieter der Lagerräume Werner, Hermann, wohnhaft in Breslau, Hohenzollernstr. 15 Auskunft erteilen können.

Er ist auch derjenige, der die Miete für die Lagerräume, monatlich etwa RM 120,-- bezahlt hat. Die Gelder hierfür erhielt er durch mich.

Als BDL habe ich über meinen Bezirk die restlose Wahrheit gesagt. Bei entstehenden Unstimmigkeiten bin ich zur Klärung bereit. Anschließend werde ich über meine Tätigkeit als Vertreter des Leiters des Deutschen Volkes umfassend Auskunft erteilen."

(Berlin, den 28. August 1936 …)

Kurz nach der nationalen Erhebung wurde von der Leitung des Bibelhauses Magdeburg mit Schwierigkeiten für die Zeugen Jehovas gerechnet. Aus diesem Grunde wurden auch verschiedentlich Bücherniederlager eingerichtet.

Am 13. April 1933 erfolgte dann auch das erste Verbot der IBV für Sachsen, kurz danach schloss sich Bayern dem Verbot an. Durch Balzereit wurde am 25. Juni 1933 eine Hauptversammlung in Berlin einberufen. Ich war zu dieser Zeit Bezirksdienstleiter. Wir BDL aus dem Reich wurden kurz vor der großen Versammlung durch Balzereit zusammen gerufen. Uns wurde ein Brief verlesen, zudem wir unsere Zustimmung gegeben haben und der an den Führer, sowie den verschiedensten Regierungsstellen gerichtet war. Durch ihn sollte Zweck und Ziel der IBV erklärt werden. Gleichzeitig wurde um Aufhebung der Verbote in Sachsen und Bayern gebeten. Dieser Brief ist dann auch in der Hauptversammlung verlesen worden, ebenso ein Traktat mit dem gleichen, aber erweiterten Inhalt. Das Traktat ist nachher im Reich und im deutschsprachigen Ausland verbreitet worden. Zwei Tage nach der Hauptversammlung erfolgte dann das Verbot für Preußen.

Die Leitung der IBV behielt Balzereit bis zu seiner Verhaftung im Mai 1935.

Als Balzereit in Haft war, übernahm die Reichsleitung der Bruder Harbeck, M. C. Bern, Allmendstrasse 39, Bibelhaus, der auch heute noch als eigentlicher Leiter der IBV in Deutschland gilt.

Ich gelte nur als ein Vertreter des Leiters, weil ich mich in Deutschland aufhalte und durch Mittelsmänner in Verbindung mit Harbeck stehe.

Etwa Mitte Mai 1935 fuhr Harbeck nach Brooklyn/USA, um dort an einer Hauptversammlung teilzunehmen. Als er im Juli 1935 zurückkam, setzte er sich mit Dwenger, Heinrich, Bern, Allmendstr. 39, Bibelhaus in Verbindung. Durch Dwenger erhielt ich den Bescheid, dass ich als Vertreter des Leiters des Deutschen Werkes zu gelten habe.

Harbeck wünscht, dass ich ständig mit den deutschen BDL in Verbindung bleibe. Außerdem sollte ich aus ganz Deutschland etwa alle Vierteljahre einen Bericht über den Umsatz an Literatur, über eingegangene Gelder und besonders bemerkenswerte Angelegenheiten anfertigen.

Um die Berichte in die Hände des Harbeck gelangen zu lassen, wurde ich beauftragt, diese über das Amerikanische Konsulat gehen zu lassen. Ich habe die Berichte in einem verschlossenen Briefumschlag eingelegt und diesen wiederum mit einem Umschlag versehen. Auf diesen schrieb ich Herrn oder Mr. Jenkins, Amerikanisches Konsulat, Berlin W., Bellevuestraße 8, mit der Bitte, den inliegenden Brief in Sachen Watch Tower nach Bern weiterzuleiten.

Ich nehme bestimmt an, dass die Briefe im Bibelhaus angekommen sind, denn sie sind nie reklamiert worden.

Frost, Erich, z. Zeit flüchtig, ist von mir Anfang Juni für den verhafteten Großmann eingesetzt worden.

Franke, Konrad, wohnhaft in Mainz, Straße ist mir unbekannt, zuständig für Pfalz, Maingebiet und Baden.

Welche Zahlen von den einzelnen BDL angegeben worden sind, kann ich jetzt nicht mehr angeben. Auf Grund meines Notizbuches kann ich für sämtliche BDL für die Zeit vom 16. Mai bis Juni 1936 nachfolgendes Resultat bekannt geben.

5.930 Arbeiter (Verkündiger)

38.255 Stunden.

Ruhnau hat die Treffs mit den einzelnen BDL nur einmal wahrgenommen. Dann erhielt er durch Harbeck den Auftrag, als Verbindungsmann zwischen mir und Harbeck tätig zu sein.

Harbeck schrieb seine Wünsche an Rubau (falsche Schreibweise) in Danzig, da die polnische Post keiner Kontrolle unterliegt. Rubau kam in der Folgezeit dann zu den Treffs mit den BDL in Berlin. Hier erhielt ich von ihm die Informationen, die ich dann noch an die anderen BDL weitergeleitet habe.

Der Prozess gegen Fleischhauer findet am 26. 8. 1936 in der Schweiz statt.

Fleischhauer ist wahrscheinlich ein deutscher Arzt (hier irrt Winkler) aus Erfurt, gegen den die IBV und er gegen diese Beleidigungsklage angestrengt hat.

Ich habe noch nie gehört, dass durch Zeugen Jehovas das Winterhilfswerk des Deutschen Volkes sabotiert wird. Von unseren Glaubensgeschwistern wird gegeben und auch genommen. Den deutschen Gruß 'Heil Hitler' können wir nicht anwenden, weil durch den Gruß zum Ausdruck kommt, dass nur durch Adolf Hitler Heil käme. Unsere biblische Überzeugung geht dahin, dass das Heil für alle Menschen in der Aufrichtung des Königreiches Gottes liegt und dass der Heilbringer Jesus Christus ist.

Der Deutschen Arbeitsfront treten verschiedene Glaubensgeschwister nicht bei, weil die Deutsche Arbeitsfront eine politische Gliederung der Partei ist und die Bibel von uns erwartet, dass wir uns von den Dingen der Welt, wozu auch die politischen Angelegenheiten zählen, freihalten sollen. Ich erkläre ausdrücklich, dass keinerlei Anweisung gegeben ist, wie sich die einzelnen Glaubensgeschwister der DAF gegenüber verhalten sollen. Über den Reichsluftschutzbund trifft das gleiche zu, was ich über die DAF angegeben habe.

Ich muss betonen, dass wir Zeugen Jehovas alle Maßnahmen der Regierung anerkennen können, soweit sie nicht im Gegensatz zur Bibel stehen. Wir werden uns allen Maßnahmen der Regierung unterwerfen, soweit sie eben nicht im Gegensatz zur Bibel stehen, wie z. B. das Wehrgesetz.


Berlin, den 28. August 1936

Preußische Geheime Staatspolizei

Geheimes Staatspolizeiamt

Der Politische Polizeikommandeur der Länder

II I B I - S 1035/36

An alle Staatspolizeistellen und Politischen Polizeien der Länder

- nachrichtlich den Herren Regierungspräsidenten und Oberpräsidenten in Preußen

Betreff: Internationale Bibelforschervereinigung …

In der Anlage übersende ich zur Kenntnisnahme Abschrift der Vernehmungsniederschrift des IBV-Mitgliedes Winkler v. 24.8.1936 … Winkler hatte die oberste Leitung der IBV in Deutschland. Aus seinen Aussagen sind im einzelnen der Aufbau, die Hauptfunktionäre, die Arbeitsweise, insbesondere die Art der Nachrichtenübermittlung, des Buchvertriebs, die Verteilung von Grammophonapparaten und Schallplatten, sowie des Geldverkehrs zu ersehen. Im Zuge einer größeren Aktion ist bereits die gesamte Zentralleitung der IBV ausgehoben worden.

Ich ersuche nunmehr, auf Grund der anliegenden für den jeweiligen Bezirk in Betracht kommenden Unterlagen, in den einzelnen Bezirken die weiteren Maßnahmen zu treffen. In erster Linie sind die von Winkler angegebenen Bezirksdienstleiter festzunehmen. Durch ihre anschließende Vernehmung sind die ihnen unterstellten Dienstleiter, Postanlaufstellen Bücherlager, W.T.-Hersteller, Literaturanlaufstellen usw. festzustellen. Die Untergliederung bei den dortigen Bezirksdienstleitern muss in den übrigen Bezirken der aus der Skizze ersichtlichen Untergliederung des Berliner- und des Brandenburgisch-Schlesischen Bezirks entsprechen. Die süddeutschen BDL haben möglicherweise die Literatur über die Schweizer bezw. französische Grenze erhalten.

Mit Rücksicht darauf, dass voraussichtlich an der am 4. 9. 1936 in Luzern (nicht wie auf Seite 21 der Vernehmung Winklers angegeben) beginnenden Tagung auch deutsche Funktionäre teilnehmen werden, ersuche ich, die Maßnahmen einheitlich am 31.8.1936 einzuleiten. Über das Ergebnis ist fortlaufend und ausführlich unter Beifügung der wesentlichen Vernehmungsniederschriften zu berichten."

www.manfred-gebhard.de/19362Winkler.htm