Worum ging es beim Fall Frost? Letzterer hatte nach vorangegangenen Verhaftungen im September 1936 die Leitung der deutschen Bibelforscher übernommen, die er bis zu seiner eigenen Verhaftung, im März 1937 innehatte. Frost wiederum wurde durch Verrat aus den eigenen Reihen enttarnt, namentlich durch Georg Rabe.

In einer Reihe von sieben Vernehmungen im April 1937, gelang es der Gestapo aus Frost ein umfassendes Bild der internen deutschen Zeugenorganisation herauszupressen. So erfuhr sie aus seinem Munde auch, dass Heinrich Ditschi als sein Nachfolger vorgesehen war, für den (jetzt eingetretenen Fall) seiner Verhaftung.

Im Jahre 1961 wurde Frost durch offenbar aus der DDR zugespielte Dokumente vom Hamburger Magazin „Der Spiegel“ bezichtigt, bei den Gestapo-Vernehmungen eine Reihe seiner Untergebenen der Gestapo preisgegeben zu haben. In der DDR wurden diese Vorwürfe nachgedruckt und partiell inhaltlich erweitert.

Es ist offensichtlich, dass die DDR, Frost für den „scharfen antikommunistischen Kurs“ der Zeugen Jehovas nach 1945 mit verantwortlich machte. So auch nachlesbar in dem Buch von Dirksen (S. 586). Das auch Frost kein Übermensch war, wird auch an einem Statement dazu des „Politisch-Parlamentarische Pressedienstes“ deutlich, der 1961 vermerkte:

Um einen der leitenden Männer des deutschen Zweiges der Zeugen Jehovas, Erich Frost, alias Erich Meinl, ist in der Anhängerschaft ein Meinungsstreit entbrannt, weil auf Grund von Gestapo-Unterlagen Verdacht besteht, dass Frost nach seiner Verhaftung durch die Gestapo im Jahre 1937, damals war er „Reichsdiener“ und damit höchster Funktionär der Zeugen Jehovas, eine große Anzahl von Zeugen Jehovas denunziert hat. In der Verbandszeitung „Wachtturm vom 1. Juli 1961 schrieb er dagegen: „Ich rief unablässig Jehova um Hilfe an, damit ich um der Brüder willen schweigen könnte. Als ich wieder vor die Gestapo-Meute geführt wurde, dachte ich an Daniel in der Löwengrube. Ihr zorniger Wortschwall verriet mir, was ich hören wollte: die Brüder waren nicht in das Netz geraten, das die Polizei gelegt hatte.

Die tatsächliche Sachlage sieht so aus, dass die Gestapo auch von Frost in intensiven Vernehmungen letztlich das mitgeteilt bekam, was sie wissen wollte. Und die Gestapo war rabiat genug, dass auch durchzusetzen. Symptom dafür ist z.B. der Vermerk im Frost Vernehmungsprotokoll vom 2.4.1937: „das die Vernehmung wegen der vorgeschrittenen Zeit (4 Uhr morgens) abgebrochen wird.“

Heuzeroth kommentiert: „Und etwas verschweigen die Zeugen Jehovas heute: Zwei Männer wurden nach dem Krieg Führer der deutschen Wachtturmgesellschaft, die während der Naziherrschaft ihre Glaubensbrüder an die Gestapo verraten hatten. … Selbstverständlich muss festgehalten werden, dass die Zeugen Jehovas keine Menschen in Konzentrationslager gesteckt oder ermordet haben, sich nicht am Kriege beteiligten und nie persönliche Gewalt ausgeübt haben. Dies darf jedoch nicht den Blick auf die Tatsache verstellen, dass Fanatismus immer potentiell gewalttätig ist; Berichte von ehemaligen Zeugen Jehovas über die zum Teil massive psychische Unterdrückung innerhalb dieser Sekte sprechen hier eine deutliche Sprache.“

Wrobel zitiert eine bislang nicht im vollen Wortlaut veröffentlichte Stellungnahme von Frost dazu. In ihr kann man bezüglich der Spiegel-Anschuldigungen lesen:

Ich hatte über diese Anschuldigungen Bruder Knorr befragt, ob ich vielleicht etwas tun sollte. Doch er sagte mir: „Nein, lass das sein, Bruder Frost! Was glaubst du, wie viele Anschuldigungen gegen mich gemacht werden. Wir schenken solchen keine Aufmerksamkeit. We put them in the file, d.h. wir legen sie ab, aber haben keine Zeit sie zu lesen.“

Dirksen (S. 592) zitiert jenes Frost-Votum noch dergestalt weiter, indem Frost diesbezüglich noch die Meinung vertrat:

Eine Privatklage hätte die Redakteure des Spegels in eine unangenehme Lage gebracht. Sie hatten sich bei diesem Pamphlet-Artikel schuldig gemacht, Aufzeichnungen der für menschenunwürdig erklärten Gestapo zur Anklage gegen unbescholtene Bürger des Landes gebraucht zu haben. Denn ihre Behauptungen waren unwahr, und ein Gericht hätte sie damals zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. Doch wir als Zeugen Jehovas hatten wichtigeres zu tun, und ich dachte im Stillen: „Wo waren diese jungen Redakteurdachse damals, als ich so maßlos gefoltert wurde?“

Dazu ist zu sagen. Die emotionelle Betroffenheit, dass „junge Redakteurdachse“, die nie von der Gestapo gefoltert wurden, sich dieses Themas annahmen, ist verständlich. Dennoch „sticht“ dieses Argument nicht. Frost war zum fraglichen Zeitpunkt eine Person der Öffentlichkeit. Kein „kleiner unbedeutender“ Zeuge Jehovas. Auch andere Personen der Öffentlichkeit müssen es sich gefallen lassen, dass in einem freiheitlichem Lande durch die Presse ihre „dunklen Punkte“ beleuchtet werden, so sich diesbezügliche Anhaltspunkte dafür ergeben. Die Behauptung von Frost, ein Gericht hätte den „Spiegel“ verurteilt ist reines Wunschdenken. Solange er keinerlei Rechtsweg einschlug, hatte er durch sein öffentliches Schweigen, gegenüber einer öffentlichen Anklage, deren Sachverhalt indirekt bestätigt.

Zum Fall Erich Frost liegt seitens der Zeugen Jehovas noch eine weitere Stellungnahme vor. In der Zeitschrift „Kirchliche Zeitgeschichte“ (1/1999), herausgegeben von dem bekannten Gerhard Besier, verbreitet sich darin Waldemar Hirch zu diesem Fall.

Die Stasi war kein „Mädchenpensionat“. Mit dieser grundsätzlichen Feststellung, inklusive ihrer sich daraus ergebenden Weiterungen, dürfte sich der Konsens mit dem Waldemar Hirch aber auch schon erschöpft haben. Was bietet er in der Sache?

Auch er zitiert das Stasipapier vom 1.9.1956 indem unter anderem ausgeführt wurde:

Er (Frost) ist ein großer Gegner der DDR und trat auch bei den sogenannten Kongressen der „ZJ“ als Hetzer gegen das sozialistische Lager auf. … Frost war während der Nazizeit ebenfalls Leiter der Sekte und nach seiner Verhaftung durch die Gestapo machte er dieser umfangreiche Angaben über den Aufbau, Zusammensetzung der Sekte und Mitglieder. Dieses Gestapo Material ist in unserem Besitz.

Mit diesen dürren Worten wird also dokumentiert, dass schon im Jahre 1956 die Stasi die konkreten Gestapo-Frostakten kannte.

Die Stasi wäre nicht die Stasi gewesen, wenn sie dieses Material irgendwo in einem Archiv weiter schlummern lassen würde. In Kenntnis der Gestapoprotokolle ging man nun daran, dies möglichst in „klingende Münze“ umzusetzen (bildlich gesprochen). Zu diesem Zweck bediente man sich eines im Dienste der Stasi stehenden Theologen, den man direkt nach Wiesbaden sandte.

Seine Legende war, dass er in seiner Doktorarbeit auch eine „dogmengeschichtliche Gegenüberstellung der erstarrten Landeskirchen zu den freien religiösen Gemeinschaften“ erarbeiten wolle. Er versuchte Frosts Vertrauen zu erhalten, indem er ihm erzählte, dass er aus seiner Jugend noch einige Bibelforscher kenne, mit denen er auch schon viele theologische Gespräche geführt habe. … Am 12. Juli 1956 fand das eigentliche Treffen zwischen dem (Stasiagenten) und Frost … in Wiesbaden statt.

Dabei wurde Frost auch mit seinen Gestapo-Protokollen konfrontiert:

Der (Stasiagent) sagte im Gespräch, dass er durch seine Arbeit im Archiv Potsdam die Gestapo-Akten von Frost gefunden hätte und sich „um ihn als Christ sorge“. Im Bericht über dieses Treffen heißt es: „Über diese Mitteilung war Frost keineswegs erschüttert oder verstört, sondern er habe sofort zugegeben, dass er die und die Personen damals gemeldet hätte.“ Er begründete dies damit, dass er einer der letzten Funktionäre gewesen sei, die die Gestapo verhaftet habe. Weiter habe er gesagt: „Die Gestapo hätte bereits über alles von ihm gesagte Bescheid gewußt.“

Letztere Aussage macht nun Hirch zu seiner Grundthese. Nach Hirch waren die Aussagen des Frost faktisch „wertlos“, da sie alles schon vorher gewusst habe. Folgt man seiner Logik, dann hätte die Gestapo mit ihren Frostvernehmungen, eigentlich nur belanglosen „Zeitvertreib“ betrieben, da sie ja schon vorher „alles“ wusste.

Sicherlich wusste die Gestapo seit der Verhaftung des Winkler schon sehr vieles. Dennoch ist der Interpretation von Hirch zu widersprechen. Frost war bei seiner Verhaftung der ranghöchste deutsche ZJ-Funktionär der illegalen ZJ-Organisation. Seine Aussagen hatten schon deshalb besonderes Gewicht, weil sie zumindest vorhandene Erkenntnisse bestätigten, wenn nicht sogar darüber hinausgehend zusätzliche Erkenntnisse vermittelten. So nannte Frost neben den Namen anderer ZJ-Funktionäre beispielsweise auch den Treffpunkt der illegalen Funktionäre wie da beispielsweise war „bei Reiche in Zeuthen-Niersdorf, Lange Straße 5.“ Hirch ist nicht in der Lage zu „beweisen“, dass diese Angabe bereits bei der Vernehmung des Fritz Winkler oder eines anderen ZJ-Funktionärs ermittelt wurde.

Die Aussagen des Frost enthielten daher sehr wohl auch neue, die Gestapo weiterführende Aspekte. Viele verhaftete Zeugen Jehovas haben unter Druck „gesungen“, auch Frost und dies kann auch Hirch nicht bestreiten. Aus den vielen Mosaiksteinchen gewann die Gestapo das Gesamtbild, wobei es müßig ist darüber zu lamentieren, dass in diesen Aussagen auch bereits bekannte Fakten erneut genannt wurden.

Auch jene Passage im „Wachtturm“-Artikel des Frost vom 1.7.1961 lässt Hirch mit Bedacht unerwähnt, wo er sich rühmt bei seiner Verhaftung ein Papierröllchen mit wichtigen Informationen versteckt zu haben, dass nie gefunden wurde. Frost wäre besser beraten gewesen, er hätte diesen Passus in seinem Bericht nicht gemacht. Schriftliche Unterlagen mag er beiseite geschafft haben, dafür plauderte er unter Druck mündlich aus, was er vorgab schriftlich beiseite geschafft zu haben.

Zweimal wurde laut den Ausführungen von Dirksen, Frost durch Direktbesuch eines Stasiagenten in Wiesbaden kontaktiert. Das zweite entscheidende Gespräch am 12.7.1956 dauerte etwa eine Stunde. Im Vorfeld hatte die Stasi ein umfängliches Szenario erstellt, was sie sich alles von diesem Gespräch erhoffte. Die Stasiisten hatten sich vorgestellt, wenn ihr Agent Frost die Gestapoprotokolle unter die Nase reiben würde, wäre er ins „Boxhorn“ gejagt und würde mit Angstreaktionen reagieren, die die Stasi nutzen wollte, um ihm ihre Bedingungen zu diktieren. Also eine typische Erpressungssituation. Selbstredend kann man, da wie sowohl Dirksen als auch Hirch schreiben, dass der bürgerliche Name des Stasiagenten noch nicht enttarnt sei. Selbstredend kann man daher nur das zur Kenntnis nehmen, was die Stasi selbst, in eigener Diktion, dazu in ihren Akten schrieb.

Laut Dirksen (S. 590) liest man dazu in dem Stasiprotokoll, nachdem Frost mit seinen Gestapoakten konfrontiert wurde:

Über diese Mitteilung war Frost keineswegs erschüttert oder verstört, sondern er habe sofort zugegeben, dass er die und die Personen damals gemeldet hätte. Er begründete dies damit, daß F. einer der letzten Funktionäre der ZJ gewesen sein soll, den die Faschisten geholt hätten. Er sei erst das Ergebnis von Verrat gewesen, den die Brüder vor ihm gemacht hätten. Die Gestapo hätte bereits über alles von ihm Gesagte Bescheid gewusst. Er habe auch betont, dass einige von den Personen nicht mehr am Leben sind. Lediglich war F. erstaunt, dass die Unterlagen noch vorhanden seien. Dass er und die übrigen Brüder die Organisation habe „hochgehen“ lassen, hat F. ohne Reue oder bedrückendes Gefühl dem ... gleich mitgeteilt

Soll man nun, dass Frost sich „als keineswegs erschüttert oder verstört“ erwies als Pluspunkt für Frost ansehen? Oder doch vielmehr als Ausdruck seines „dicken Felles“? Der Leser mag sich die Frage selbst beantworten.

Der 1956-er Versuch der Stasi Frost durch direkte Konfrontation mit seinen Gestapo-Protokollen vielleicht gar erpressen zu können, führte nicht zum gewünschten Resultat. So wurden denn in der Folge Presseorgane wie die „Spiegel“ und der SPD-nahe „Politisch-Parlamentarische Pressedienst“ mit diesen Fakten „gefüttert“. Hirch erwähnt eine 23seitige Broschüre „Erich Frost - Der Verräter an der Sache Jehovas“, die seitens der Stasi erstellt wurde, die aber wohl doch nicht in größerem Umfang in die Öffentlichkeit gelangte. Dirksen schätzt die Sachlage so ein, dass diese Broschüre überhaupt nicht zur Verteilung kam. Jedenfalls war der Frost-Wachtturmartikel vom 1.7.1961 eine Initialzündung. Die Stasi fütterte daraufhin verschiedene Presseorgane mit ihren Erkenntnissen in Sachen Frost und hatte damit beim Hamburger „Spiegel“ bekanntlich Erfolg. Hirch vermerkt auch noch, dass selbst die WTG mit sogenannten „Offenen Briefen“ diesbezüglich von der Stasi informiert wurde. Auch in englischsprachiger Übersetzung wurden diese „Informationen“ lanciert.

Die WTG stellte sich angesichts dieser auch für sie erkennbar aus dem Osten geschürten Aktion, in Schulterschluss zu Frost. Zumindest im kritischen Jahr 1961. Bezeichnend finde ich diesbezüglich den Satz bei Dirksen (S. 592): „Die Gestapo-Verhörsprotokolle sind wohl keine Fälschung aus der DDR-Zeit, sondern wurden tatsächlich in NS-Beständen aufgefunden.“ Eine bemerkenswerte Wortwahl, die man noch dadurch untermauern kann, dass noch im Hesse-Buch an der Legende weitergestrickt wurde, es handele sich dabei möglicherweise um Fälschungen. Dirksen, der nun selbst einschlägiges Aktenmaterial eingesehen hat, muss dieser Zweckthese, endgültig den Laufpass geben. Einige Jahre später (1965), verlor Frost seinen letzten amtlichen Posten als verantwortlicher Redakteur der deutschen Ausgabe des „Wachtturms“. Auch verbrachte er, entgegen den Gepflogenheiten der sonstigen hohen ZJ-Funktionäre seinen Lebensabend nicht mehr in der deutschen Zentrale der Zeugen Jehovas. Auch ist Hirch näheren Aufschluss darüber schuldig geblieben, dass Frost in einer unbedeutenden Kleinstadt (Tuttlingen/Donau) die letzten Jahre seines Lebens in sehr zurückgezogener Art und Weise verbrachte. So endete er also, jener Erich Frost, der in den entscheidenden Jahren nach 1945 jahrelang führend im Rampenlicht gestanden hatte.



Annahmebefehl Berlin, den 2. April 1937

Vorgeführt erscheint Erich Frost, geboren 22.12.00 zu Leipzig, ohne festen Wohnsitz, und erklärt:

Ich stehe jetzt im 36. Lebensjahr und bin seit 1922 Zeuge Jehovas. Die diesbezügliche Taufe habe ich am 4. März 1922 erhalten. Wer mich getauft hat, kann ich heute nicht mehr angeben. Ich will hierbei bemerken, dass auch meine Eltern bereits um diese Zeit Bibelforscher, wie wir uns früher nannten, waren.

Nachdem Balzereit festgenommen und an seiner Stelle der Glaubensbruder Winkler das deutsche Werk der Zeugen Jehovas leitete, befand ich mich in der Tschechoslowakei, wo ich das Schöpfungsdrama aufführte. An dem Luzerner Kongress im September 1936 habe ich teilgenommen und wurde von Richter Rutherford an Stelle des festgenommenen Winkler mit der Leitung des deutschen Werkes unter Anlehnung an das Prager Büro, dem der Bruder Dwenger vorsteht, beauftragt. In Luzern fand daraufhin eine Konferenz statt, die sich lediglich mit der Weiterführung des deutschen Werkes befasste. Es fand eine Neueinteilung der Bezirke in Deutschland statt, die von folgenden Brüdern übernommen wurde.

Georg Rabe. Bezirksdiener für 1. Ostpreußen 2. Westpreußen 3. Pommern 4. Mecklenburg.

Arthur Nawroth. Bezirksdiener für 1. Ostschlesien 2. Grenzmark.

August Fehst. Bezirksdiener für 1. Westschlesien 2. Sachsen (östlich der Elbe), nach der Festnahme des Bezirksdieners Wilhelm Engel, festgenommen im Dezember 36 oder Januar 37.

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Otto Daut. Bezirksdiener für 1. Berlin 2. Mark Brandenburg.

Fred Maier. Bezirksdiener für 1. Westsachsen bis einschließlich Anhalt.

Walther Friese. Bezirksdiener für 1. Thüringen 2. Harzgebiet 3. Hannover.

Heinrich Ditschi. Bezirksdiener für 1. Schleswig-Holstein 2. Oldenburg 3. Ruhrgebiet, Westfalen.

Albert Wandres. Bezirksdiener für 1. Rheinland 2. Baden 3 Württemberg.

Karl Siebeneichler. Bezirksdiener für 1. Bayern.

Über eine direkte Einteilung der Bezirke in sogenannte Unterbezirke bin ich nicht genau orientiert. Bekannt ist mir lediglich, dass in den großen Bezirken von Ditschi und Wandres Mitarbeiter bzw. sogenannte Unterbezirksdiener tätig waren.

Für Ditschi kamen hierfür in Frage: 1. Lüdenschloß, Vorname vermutlich Ernst.

2. Fennhofen, die Schreibweise seines Namens und sein Vorname sind mir nicht bekannt; er heißt mit Vornamen vermutlich Erich; Ditschi sprach immer von einem Erich.

Für Wandres kommen hierfür in Frage: 1. Schlömer, vermutlich Hermann. 2. Stickel, Ludwig. Soweit in den einzelnen Bezirken keine Unterbezirke eingerichtet waren, wurden diese einzelnen Bezirke organisatorisch in Gruppen und diese wiederum in Zellen eingeteilt

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Eine Zelle umfasste jeweils 4-6 Glaubensgeschwister. Die Gruppen setzten sich dagegen je nach der örtlichen Lage der einzelnen Zellen zusammen. Diese Einteilung wirkte sich dann praktisch so aus, dass z.B. jede mittelgrosse Stadt eine Gruppe bildete. Eine Ausnahme hierzu machte Berlin, das in Folge seiner Ausdehnung in 3-4 Gruppen eingeteilt war.

Meine Informationen über die Leitung des „Deutschen Werkes“ bekam ich von Bern über Prag. In meiner Eigenschaft als Reichsdiener war ich aus diesem Grunde etwa sechsmal in Prag. Ich bin stets hierbei über die illegale Grenze (grüne Grenze) gegangen. Ich habe die Grenze bei Altenberg-Zinnwald (Erzgebirge) und Adorf, Roßbach, Asch (Vogtland) überschritten. Zwischen den einzelnen Treffs, die ich wiederum mit den Bezirksdienern monatlich bis sechs Wochen vereinbart hatte, war ich jeweils in Prag. Meine Mitteilungen wurden dann durch die Bezirksdiener an die Gruppendiener und von diesen an die Zellendiener weitergeleitet, die ihrerseits wiederum den einzelnen Glaubensgeschwistern Nachrichten überbrachten.

Meine Informationen betrafen vor dem 12. Dezember 1936 im wesentlichen die Verbreitung der in Luzern gefassten Resolution, sowie allgemeine Tagesfragen über Vorgänge innerhalb unserer Bewegung in den verschiedenen Ländern. Nach der Verbreitung der Resolution wurde die Verteilung einer zweiten Flugschrift in Erwägung gezogen. Diese Flugschrift betraf ein ausführliches Zeugnis über die Wahrheit der Bibel und nahm auch Bezug auf die Verfolgung der Zeugen Jehovas in Deutschland. Näheres kann ich über diese Flugschrift nicht angeben, da sie bisher noch nicht im Druck erschienen ist. Soweit mir bekannt ist, sollte sie Auszüge aus neuzeitlicher Literatur der I.B.V. enthalten.

Ausser den gemeinsamen Treffen mit den Bezirksdienern habe ich in der Zwischenzeit durchschnittlich die einzelnen Bezirksdiener in ihren Bezirken aufgesucht. Diese Treffs wurden gelegentlich des gemeinsamen Haupttreffen vereinbart. So hatten wir z.B. bei dem Haupttreffen im November 1936 erwogen, die Resolution in der Zeit zwischen 5- und 12. Dezember zur Verteilung bringen zu lassen. Nachdem ich übersehen konnte, dass die einzelnen Bezirksdiener mit den Exemplaren zeitig genug

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beliefert werden würden, suchte ich laut Vereinbarung die einzelnen Bezirksdienstleiter auf und bestimmte die Verteilung der Resolution ab 12. 12, von 5 Uhr nachmittags ab durchzuführen. Die Resolution wurde in Bern gedruckt und dann über die Tschechoslowakei nach Deutschland eingeführt.

Im Prager Büro habe ich erfahren, dass die gedruckten Exemplare durch eine Gruppe von Sudentendeutschen unter der Führung des Glaubensbruders Wagner, Warnsdorf Tschechoslowakei, wohnhaft, illegal über die Grenze geschafft werden. Der Transport der Resolution ging bei Zittau und an einigen Plätzen des Riesengebirges vor sich. Eine bestimmte und genauere Ortsangabe vermag ich nicht anzugeben. Bereits in Luzern wurde Fehst bestimmt die Exemplare in Deutschland in Empfang zu nehmen. Fehst hatte sich hierzu bereit erklärt, weil er als Grenzbewohner mit den Grenzverhältnissen am besten Bescheid wusste. Eine bestimmte Adresse bezw. Aufenthalt des Fehst kann ich nicht angeben. Es ist mir nur bekannt, dass er aus dem Waldenburger-Dittersbacher Gebiet stammt. Zur Übernahme der Exemplare hatte sich Fehst, wie er mir selbst mitteilte, persönlich mit Wagner in Verbindung gesetzt. Das illegale Material wurde von Fehst an die ihm von den Bezirksdienern aufgegebenen Adressen per Bahnexpress weitergesandt. Bei unserm Haupttreffen im November 36, es kann am 21. November gewesen sein, hatten die einzelnen Bezirksdiener dem Fehst angegeben, nach welchem Bahnhof er die erforderlichen Exemplare zu schicken hatte. Gleichzeitig haben ihm in diesem Sonderfall die einzelnen Bezirksdiener auch Anschriften gegeben, an die Fehst die Gepäckscheine zu senden hatte. Die im Vervielfältigungsverfahren hergestellten und zur Verteilung gelangten Resolutionen wurden in den einzelnen Bezirken angefertigt. Ausser Rabe und Meier war in jedem Bezirk ein Vervielfältiger vorhanden. Wer im Einzelnen diese Vervielfältigungen hergestellt hat, kann ich nicht angeben. Ich weiss auch nicht wo diese Apparate aufgestellt waren. Hierüber müssen die einzelnen Bezirksdiener Auskunft geben können.

Durch das Prager Büro habe ich erfahren, dass auch die gleiche Resolution die aus Holland nach Deutschland gebracht werden sollte, beschlagnahmt wurde. Es handelt sich hierbei um etwa 100.000 Exemplare, die nach den Vereinbarungen in Luzern für Ditschi und andres bestimmt waren.

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Auf die gleiche Art wie diese Resolution gelangte auch die Neuere Literatur durch Vermittlung des Fehst über die Grenze und in die Hände der Bezirksdiener.

Das hier in Deutschland irgendwelche Literaturlager von alter bezw. neuerer Literatur unterhalten werden, ist mir nicht bekannt. Ich glaube auch nicht, dass überhaupt noch grössere Literaturlager bestehen. Diesbezügliche Mieten sind von den Bezirksdienstleitern während der letzten Zeit von mir auch nicht gefordert worden. Es besteht jedoch die Möglichkeit, dass bei einzelnen Glaubensgeschwistern noch einige Kartons mit Literatur untergestellt sind.

Bei den von mir bereits eingangs erwähnten Haupttreffs mit den Bezirksdienern habe ich die für die I.B.V. eingegangenen Beträge entgegengenommen. Der monatliche Gesamtbetrag belief sich durchschnittlich auf 2600,-- - 2800,-- RM. Bei dem letzten von mir wahrgenommenen Haupttreff am 6. 3. 37 in Berlin habe ich als besonders günstiges Ergebnis sogar 3600,-- RM von den Bezirksdienern entgegengenommen. Den grössten Teil der von mir entgegengenommenen Beiträge habe ich jeweils an den von Prag aus beauftragten Bahner abgeführt; ich selbst behielt ungefähr ein Drittel zur eigenen und zur dienstlichen Verwendung. Dieses Geld hat Bahner an eine mir unbekannte Hinterlegungsstelle, die sich in Deutschland befindet, abgeführt. Bahner selbst ist dann jeweils nach Prag zurückgegangen. Bahner ist meines Wissens als Sudetendeutscher im ordnungsgemässen Besitz des Passes regulär über die Grenze gegangen. Er ist dann zu den mit mir verabredeten Treffpunkt (so z. B. das letzte Mal nach Dresden gereist und hat mich dort erwartet). Die Reisekosten von der Grenzübergangsstelle Tetschen-Bodenbach nach Dresden und zurück kostet ungefähr 7,- - 8,- RM. Wenn wir zusammenwaren habe ich für Bahner auch die Speisen und Getränke bezahlt. Wenn ich nach Prag fuhr, habe ich entsprechend in der Tschechoslowakei auf Kosten des Prager Büros gelebt. Ich habe überdies bei den Grenzübergang immer gegen 30,- - 40,- RM bei mir gehabt. Bei meinem letzten Übergang am 8. März habe ich sogar in die Tschechoslowakei gegen 200,- RM unangemeldet eingeführt. Ich habe jedoch dieses Geld dort nicht verausgabt, da ich vom Hauptbüro in der bereits

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dargelegten Weise, ausgehalten worden bin. Ich habe des Weiteren auch von dem mitausgeführtem deutschen Geld drei Reichsdeutsche Glaubensbrüder in Prag unterstützt, da diese für uns arbeiteten.

Diese Glaubensbrüder waren:

der Sudentendeutsche Wagner aus Warnsdorf, der 30,- RM erhalten hat, der Reichsdeutsche Steiger vom Prager Missionsdienst, der 40,- RM erhalten hat und der Reichsdeutsche Platt (Missionsarbeiter), der 47,- RM erhalten hat. Nach meiner Rechtsbeurteilung stellt dieses Geschäftsgebaren ein Devisenvergehen dar.

Ich war mir wohl darüber im Klaren, dass ich mich gegen die Devisengesetze vergehe, wenn ich die 200,- RM ohne Genehmigung in die Tschechoslowakei ausgeführt habe. Ich glaubte jedoch nicht, mich strafbar zu machen, wenn ich einen Ausländer in Deutschland freihielt und andererseits in gleicher Weise selbst im Ausland freigehalten worden bin.

Aufbau der Organisation.

a) Deutsches Reich:

Leiter des „Deutschen Werkes“ ist der Reichsdiener Dwenger in Prag. Ich selbst bin lediglich als Vertreter Dwengers eingesetzt. Wie bereits eingangs meiner Vernehmung erwähnt, ist das deutsche Reichsgebiet in 9 Bezirke eingeteilt. Diese einzelnen Bezirke sind wiederum in Gruppen eingeteilt. Die Anzahl der Gruppen ist ganz verschieden und richtet sich nach Grösse des Bezirks, Grösse der Städte und Bevölkerung der einzelnen Landkreise. Dies trifft auch für die nächst niedigere Zelleinteilung zu. Genaue Angaben hierüber kann nur der jeweilige Bezirksdiener erstatten.

b) Internationaler Aufbau:

Das Zentralbüro der I.B.V. befindet sich in Brooklyn (Amerika) unter Leitung des Richters Rutherford, der den Titel eines Präsidenten der I.B.V. führt. Ihm unterstehen die gesamten Zweigbüros der Welt. Die europäischen Zweigbüros werden von drei Zentralstellen aus geleitet.

1.) das englische Zweigbüro mit Sitz in London, Leiter J. Hemery, ihm unterstehen Grossbritannien und Irland.

2.) das nordeuropäische Zentralbüro mit Sitz in Kopenhagen,

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Leiter Dey, ihm unterstehen Norwegen, Schweden, Dänemark, Finnland, Lettland, Litauen.

3.) das mitteleuropäische Zentralbüro, mit Sitz in Bern, Leiter M. C. Harbeck, ihm unterstehen:

Holland, Sitz des Zweigbüros in Amsterdam, Leiter Werner

Belgien, Sitz des Zweigbüros in Brüssel, Leiter Knecht

Frankreich, Sitz in Paris, Leiter Gubler

Schweiz, Sitz in Bern, Leiter Harbeck

Polen, Sitz in Lodz, Leiter Scheidter

Danzig, wird von Polen geleitet

Balkan, Sitz in Belgrad, Leiter unbekannt

Tschechoslowakei, Sitz in Prag, Leiter Dwenger

Deutschland, wird von Prag aus geleitet.

Berichterstattung und Zusammenarbeit.

die Berichterstattung umfasst die Meldung der Anzahl der aktiv tätigen Zeugen Jehovas, die geleisteten Arbeitsstunden, Anzahl der verbreiteten Bibeln, Bücher und Broschüren, sowie Meldung über Festgenommene Glaubensgeschwister. Die Unterlagen zu diesen Berichten lieferten die Zellendiener an die Gruppendiener, die dann bei den Bezirksdienern gesammelt und mir bei den verabredeten Hauptreffs übergeben wurden. Ich übergab diese Berichte in Form von fünf Zahlen, die auf die vereinbarte Reihenfolge (1. Arbeiter, 2. Stunden, 3. Bibelverbreitung, 4. Bücher, 5. Broschüren). Auf besonderem Zettel meldete ich den Stand des gegenwärtigen Geldbetrages, sowie bei der letzten Berichterstattung den gegenwärtigen Stand der festgenommenen Glaubensgeschwister. Zuletzt habe ich eine derartige Berichtserstattung am 8. März 37 persönlich in Prag abgegeben. Auf Vorhalt erkläre ich, dass ich Meldungen über angebliche Misshandlungen von Glaubensgeschwistern während meiner Tätigkeit als stellvertretender Reichsdiener nicht erstattet habe. Es ist mir jedoch bekannt, dass diesbezüglich Meldungen von Glaubensgeschwistern durch

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Briefe direkt an die Leitung nach Bern eingesandt worden sind. Absender solcher Briefe kann ich persönlich nicht namhaft machen. Ich habe nur über Prag erfahren, dass derartige Schreiben in Bern eingegangen sind. Diese Meldungen sollen, wie ich weiter gehört habe, auch nie mit vollem Namen unterschrieben gewesen sein. Dies haben die in Frage kommenden Glaubensgeschwister zweifellos aus Vorsicht heraus nicht getan weil an der Grenze mit einer Briefkontrolle gerechnet werden muss.

Zur Aufrechterhaltung der Organisation habe ich in einer Zeitspanne von 4-6 Wochen sogenannte Haupttreffs mit den Bezirksdienern festgelegt. Nachdem Kongress in Luzern wurde noch in Luzern der erste Haupttreff Mitte 36 festgelegt. Als Treffpunkt wurde der Stadtbahnsteig Alexanderplatz vereinbart. Daut bekam gleichzeitig den Auftrag in der Zwischenzeit einen geeigneten Versammlungsort festzulegen. An diesem Treffen haben sämtliche von mir aufgeführten Bezirksdiener, außer Meier, der zur damaligen Zeit noch nicht eingesetzt war, teilgenommen. Sämtliche Haupttreffs haben wir dann durch Vermittlung von Daut bei Reiche in Zeuthen-Miersdorf, Langestr. 5, wahrgenommen. Ich will hierbei bemerken, dass an sämtlichen Treffs außer den Bezirksdienern die mit mir verhaftete Ilse Unterdörfer teilgenommen hat.

Vermerk: Über Besprechungen, Anzahl der Teilnehmer bei den einzelnen Treffs, Abrechnungen usw. wird Frost später gehört.

Gelegentlich dieser Treffs wurde dann auch der nächste Treff festgelegt. Gleichzeitig vereinbarte ich mit den einzelnen Bezirksdienern einen Zwischentreff in ihrem Bezirk. Wenn diese Zwischentreffs aus irgendwelchen Zwischenfällen nicht zustande kamen, blieb dem Bezirksdiener nur die Möglichkeit am nächsten Haupttreff teilzunehmen. Sämtliche Bezirksdiener hielten sich illegal auf. Mir selbst war irgendwelche Adresse noch Aufenthaltsort der Bezirksdiener bekannt.

v.g.u. Erich Frost

geschlossen mit dem Bemerken, dass die Vernehmung wegen der vorgeschrittenen Zeit (4 Uhr morgens) abgebrochen wurde.


Berlin, den 15. April 1937

Weiter verhandelt.

Vorgeführt erscheint der Musiker Erich Frost, geb. am 22. 12. 1900 in Leipzig, zuletzt ohne festen Wohnsitz, früher wohnhaft gewesen in Leipzig, Preussenstr. 117, und erklärt auf Vorhalt:

Meine am 2. April 1937 gemachten Aussagen entsprechen der Wahrheit. Die Einteilung der Bezirke für die illegale IBV innerhalb des Deutschen Reiches sowie die Besetzung mit Bezirksdienern wurde auf meine Anregung hin und nach den Vorschlägen der einzelnen Bezirksdiener vom 4. bis 7. 9. 36 vorgenommen. Jeder einzelne Bezirksdiener erhielt den Teil einer ausgeschnittenen Karte für das Deutsche Reich, den er zu betreuen hatte.

Der Bezirksdiener Arthur Nawroth, seine Wohnung ist mir nicht bekannt, m.E. muss er aber aus Schlesien stammen, wurde für das Gebiet Ostschlesien und Grenzmark eingesetzt. Ich kenne ihn in meiner Eigenschaft als Reichsdiener seit Herbst 1936. Es ist möglich, dass Nawroth mich schon früher anlässlich von Gruppenbesuchen kennengelernt hat. Zum ersten Mal verhandelte ich mit Nawroth in Luzern, wo die Einteilung der Bezirke vorgenommen wurde. Nach dieser Zeit hatte ich mit ihm Zusammenkünfte und zwar bei 5 Treffs in Berlin, sowie zu 3 verschiedenen Zeitpunkten in Breslau. Die Namen der Gruppen vom Bezirk des Arthur Nawroth sowie deren Besetzung sind mir unbekannt. Ich begnügte mich mit der Meldung, dass die Gruppen im Sinne der Luzerner Besprechung eingeteilt worden waren, für die Zahl und die Namen der Gruppendiener hatte ich kein Interesse.

Bei allen 5 Treffs, die wir in Berlin hatten, lieferte Nawroth bei mir einen Betrag von durchschnittlich 150,- RM ab. Die Gelder setzten sich aus „Gute Hoffnung“-Erlösen und solchen Beiträgen zusammen, die aus der verkauften Literatur erlöst wurden. Von welchen Gruppendienern Nawroth diese Summen erhielt ist mir bestimmt unbekannt.

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Literatur habe ich Nawroth nicht geliefert. Ich nehme an, dass in seinem Bezirk noch einige kleinere Bestände vorhanden sind. Die Lager dieser Bestände weiss ich allerdings nicht anzugeben.

Nach dem Bezirk Ostschlesien und Grenzmark wurden von uns keine Wachttürme geliefert. Ich nehme an, dass Nawroth oder einer seiner Glaubensbrüder die Wt. angefertigt hat. Ich besinne mich jetzt, dass anlässlich des ersten Treffs in Berlin zwischen Nawroth und Fehst die Vereinbarung getroffen wurde, den Wachtturm für die Zukunft gemeinsam herzustellen. Fehst war Bezirksdiener für Westschlesien und Sachsen (östlich der Elbe). Fehst hat nach dieser Besprechung in Berlin einen Vervielfältigungsapparat gekauft. In wessen Bezirk dieser Apparat heute steht, ist mir unbekannt. M.E. muss Nawroth die Gruppendiener seines Bezirkes kennen. Eine Liste hierüber ist nicht vorhanden.

Der Bezirksdiener Georg Rabe, welcher den Bezirk 1.) Ostpreussen, 2.) Westpreussen, 3.) Pommern, 4.) Mecklenburg zu betreuen hatte, ist mir schon seit etwa 10 Jahren, also schon aus der legalen Zeit, als „Pilgerbruder“ und dann als Bezirksdiener bekannt. Ich traf ihn während der illegalen Zeit in Luzern und dann mit den anderen Bezirksdienern zu den 5 Haupttreffs in Berlin. Ausserdem bin ich mit ihm 2 mal in Stettin und einmal in Königsberg zusammengekommen. Ich suchte ihn damals während meiner Zwischenbesuche auf, um mich mit ihm über biblische Dinge zu unterhalten. Ich erkundigte mich bei solchen Gelegenheiten über seinen Bezirk und befragte ihm im besonderen darüber, ob der Bezirk in Ordnung wäre. Auf nähere Angaben über den Bezirk verzichtete ich. Ich verzichtete immer auf Namensnennungen der Gruppendiener, um mich und diese nicht zu gefährden. Auch Rabe lieferte seine … Gelder anlässlich der Treffs in Berlin ab. Bei jedem Treff händigte er durchschnittlich 150,- RM aus. Die Literatur muß m. E. Rabe aus kleineren Lagern erhalten haben, die in seinem Bezirk bei einzelnen Glaubensgeschwistern noch versteckt waren. Den Wachtturm bezog er aus Berlin von dem Bezirksdiener Otto Daut. Die Zahl der gelieferten Exemplare muss Otto Daut angeben können.

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Den Bezirksdiener August Fehst kenne ich seit dem Jahre 1931. Ich war früher mit ihm in der Tschechoslowakei als Bibelforscher tätig. Seine Wohnung ist mir nicht bekannt. In Deutschland muss er sich mindestens 1 Jahr lang ohne feste Wohnung aufhalten. Auch er war mit in Luzern, seit dieser Zeit ist er der Bezirksdiener für Westschlesien und Ostsachsen. Fehst lieferte bei den bekannten Treffs in Berlin wenig oder überhaupt kein Geld ab, im Gegenteil, er ließ sich von mir noch größere Beträge aushändigen, die er zur Bezahlung der Schmuggler, welche ihm verbotene Literatur der illegalen IBV aus der Tschechoslowakei nach Deutschland brachten, benötigte. Außerdem benötigte er viel Geld zur Versendung dieses Schriftenmaterials an die Deckadressen der einzelnen Bezirksdiener. Nur in einem Falle in Berlin am 6. März 37 übergab mir Fehst einen Betrag von ca. 500,-- RM. Quittungen über alle mir ausgehändigten Gelder wurden nicht ausgestellt. Dies trifft in jedem Falle zu. Fehst selbst verschaffte sich die Literatur aus der Tschechoslowakei durch den Glaubensbruder Wagner aus Warnsdorf/CSR. Durch Wagner stand Fehst in ständiger Verbindung mit dem Zweigbüro der IBV wegen Belieferung von IBV-Literatur. Schätzungsweise sind durch Wagner 40 000 Bücher und Broschüren der IBV über die Grenze bei Spindlersmühle im Riesengebirge, sowie bei Warnsdorf (Zittauer Gebirge) gebracht worden. Fehst übernahm diese Sendungen und verschickte sie an die einzelnen Deckadressen der anderen 6 Bezirksdiener. Einen Teil der Literatur hielt Fehst für seinen Bezirk zurück. … Außerdem wurden noch in der Zeit von 6 Monaten etwa 3 bis 4000 'Goldene Zeitalter' aus der Tschechoslowakei durch Wagner über die Grenze geschmuggelt. Diese Zeitschriften brachte Fehst mit zu den Treffs in Berlin, wo sie an die einzelnen Bezirksdiener verteilt wurden. Die gesamte Literatur ist in Bern/Schweiz gedruckt worden, von dort aus wurde es unentgeltlich nach Prag an das Zweigbüro der IBV geliefert. Auch wir in Deutschland erhielten diese Literatur ohne Bezahlung. Fehst hatte lediglich eine Vergütung für die Schmuggler zu zahlen, die ihm von mir ausgehändigt wurde.

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Insgesamt habe ich Fehst für die eingeschmuggelten Bücher ungf. 600,- RM vergütet. Auch die in Deutschland verbreiteten Resolutionen (in Luzern verfasst und am 12. 12. 36 hier in Deutschland verbreitet) wurden durch Vermittlung des Fehst in Deutschland eingeschmuggelt und zwar an den von mir vorbezeichneten Stellen.

Das Buch „Reichtum“ wurde zum Preise von 1,50 RM an die Glaubensbrüder verkauft. Dieser Preis ist der der üblichen der illegalen IBV. Für die Broschüren setzte ich für 10 Stück den Preis von 0,75 RM fest. Ganz vereinzelt ist es auch vorgekommen, dass unbemittelten Glaubensgeschwistern das Buch „Reichtum“ sowie Broschüren kostenlos überlassen wurden. Der Erlös für die verkauften Bücher und Broschüren ist an mich nach Abzug der Spesen abgeliefert worden.

Richter Rutherford ist der Herausgeber und Verfasser der „Wachttürme“. Diese Wt werden dann für die deutschsprachigen Länder von dem Leiter des Mitteleuropäischen Zentralbüros Harbeck in Bern übersetzt, dort im Druck hergestellt und an die einzelnen Zweigstellen je nach Anforderung geliefert. Ich will hierbei bemerken, dass auch die Druckherstellung in Prag teilweise durchgeführt wird. Da es besonders in letzter Zeit vorgekommen ist, dass Einzelsendungen von derartigen Wachtturm-Exemplaren bei der Grenzkontrolle angehalten wurden, und demzufolge auch Verhaftungen von Glaubensgeschwistern vorgekommen sind, entschlossen wir uns, nur noch eine geringe Anzahl Original-Wt. aus Prag zu beziehen. Für Deutschland wurden von diesen Exemplaren durch Fehst 30 Stück bezogen (pro Ausgabe, monatlich 2 mal). Diese Nummern gelangten dann gelegentlich der Haupttreffs bzw. meiner Einzeltreffs mit den Bezirksdienern in die Hände der Bezirksdiener. Diese stellten dann die für ihren Bezirk erforderliche Anzahl der Wt. im Vervielfältigungsverfahren her. Wie ich bereits erwähnt habe, wurden die Vervielfältigungen für Rabe und Meyer durch Daut veranlasst. Nawroth und Fehst haben, wie ich auch schon vorstehend angegeben habe, für ihre Bezirke gemeinsam die benötigten Exemplare angefertigt. Hierbei will ich bemerken, dass nicht jedes einzelne Mitglied ein Wt-Exemplar erhielt. Das Exemplar wurde vielmehr durch en Gruppendiener dem Zellendiener überreicht und ging dann in die Zelle, die sich von 4 bis 6 Glaubensgeschwistern zusammensetzt, von Hand zu Hand. Diese Massnahme wurde getroffen, weil bei der geringern Anzahl der Exemplare auch die Gefahr der

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Entdeckung der illegalen Schrift ganz erheblich geringer war. Für das Lesen eines jeden Exemplars des Wt. hatte die Zelle 0,25 RM an den Zellendiener abzuführen. Das letzte Zellenmitglied hatte den Wt. dem Zellendiener zurückzugeben, der ihn zu vernichten hatte.

Den Bezirksdiener Otto Daut, der für den Bezirk Berlin und Mark Brandenburg tätig war, habe ich im vorigen Jahre zum Luzerner Kongress kennengelernt. An der bereits erwähnten Sonderkonferenz, der für das deutsche Reichsgebiet neueingeteilten Bezirksdiener nahm Daut teil. Zur Zeit des Luzerner Kongresses war gerade der bisherige Reichsdiener für Deutschland, der Glaubensbruder Winkler verhaftet. Daut ist einer der ältesten Glaubensgeschwister aus Berlin und erstattete gelegentlich dieser Konferenz Meldungen über in Berlin vorgekommene Verhaftungen von Glaubensgeschwistern. Daut erhielt in Luzern noch keinen Bezirk. Da ich erkannte, dass Daut ziemlich genau über die Berliner Verhältnisse orientiert war, vereinbarte ich mit ihm in Berlin einen Treff. Ich habe ihn gebeten, seine Informationen in der Zwischenzeit noch zu vervollständigen. Wenn mir vorgehalten wird, dass Daut erklärt hat, ich hätte mit den anderen Bezirksdienern in Luzern nicht den ersten Treff für Berlin vereinbart, so habe ich hierzu folgendes zu erklären:

Ich bleibe auch heute noch dabei, dass ich bereits in Luzern mit den sämtlich neu ernannten Bezirksdienern den ersten Treff für Oktober festgelegt habe. Es besteht die Möglichkeit, dass Daut von dieser Vereinbarung nichts gewusst hat. Mein Treff mit Daut persönlich lag jedenfalls vor dem ersten Treff. Ich glaube, mich zu entsinnen, dass ich bei diesem Treff Daut beauftragte, einen geeigneten Ort für unsere Zusammenkunft herauszusuchen. Da mir heute vorgehalten wird, dass der erste Treff bei dem Glaubensbruder Rehmer in Pichelsdorf stattgefunden hat, muss ich meine bisherige Angabe insofern berichtigen, dass ich mich geirrt habe, wenn ich bisher angegeben habe, der erste Treff sei bereits bei Reiche gewesen. Es ist also zutreffend, dass wir uns zuerst bei Rehmer getroffen haben. Ich kann mich auch jetzt darauf besinnen, dass ich mit Daut gemeinsam bereits vorher bei Rehmer war.

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Vermerk:

Über den Treff bei Rehmer äussert sich Frost im Sinne der Angaben des Daut. Von einer Vernehmung des Frost zu diesem Treff wird daher Abstand genommen.

Bei meinem ersten Treff mit Daut nach der Luzerner Konferenz in Berlin, erklärte sich Daut nach Rücksprache einverstanden, den Berliner Bezirk sowie die Mark Brandenburg zu übernehmen. Er sagte mir, dass er sich nicht zu Hause aufhalten könne, weil er polizeilich gesucht werde. Über die Einteilung seines Bezirks habe ich nicht im einzelnen mit ihm verhandelt, ich habe ihm lediglich zum Vorschlag gemacht, Berlin in mehrere Gruppen einzuteilen. Von Daut erhielt ich an jedem Treff den Betrag von durchschnittlich 400 bis 600,- RM ausgehändigt. Insgesamt wird Daut etwa 25 000 RM. an mich bezahlt haben.

Ausser den üblichen Treffs bin ich mit Daut in Berlin wiederholt zusammengekommen. Er berichtete mir von Verhaftungen der Anhänger der Illegalen IBV. Ferner teilte er mit, dass der Wachtturm hergestellt und demnächst zur Verteilung komme. Auch unterhielten wir uns über organisatorische Angelegenheiten. Die neue Literatur erhielt Daut von Fehst zugestellt. Bei meinen häufigen Zusammenkünften mit Daut befand sich die Glaubensschwester Ida Strauss, die den Decknamen „Moritz“ führte. Von Daut habe ich erfahren, dass die Strauss die Vervielfältigungen der Wachttürme herstellt.

Der Bezirksdiener Fred Meyer war nicht mit auf der Luzerner Konferenz anwesend. Ihn lernte ich im Oktober 1936 in Gesellschaft des Bezirksdieners Walter Friese in Hannover kennen. Er bot sich z.Zt. mir gegenüber an, den Bezirk Westsachsen bis einschliesslich Anhalt übernehmen zu wollen. Hierzu will ich bemerken, dass ich zunächst diesen Bezirk für mich selbst freigehalten hatte. Da ich mich als Reichsdiener aber nicht eingehend mit meinem Bezirk beschäftigen konnte, übernahm die mit mir festgenommene Glaubensschwester Ilse Unterdörfer vor Meyer diesen Bezirk. Auch Meyer war immer bei den Berliner Haupttreffs zugegen. Ausser den Berliner Treffs kam ich mit Meyer nach vorheriger Vereinbarung vor den Bahnhöfen in Chemnitz, Leipzig und Dessau. Ich erkundigte mich bei ihm über organisatorische Angelegenheiten seines Bezirkes

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und überzeugte mich von seiner Arbeit als Bezirksdiener. Der Bezirk Westsachsen einschl. Anhalt war in 5 Gruppen eingeteilt, und zwar

1.) Chemnitz, bestehend aus dem Stadtgebiet Chemnitz sowie der Umgebung, wozu folgende Orte gehören: Markersdorf, Meinersdorf, Hartmanndorf, Burgstädt, Limbach, Freiberg, Zschopau,

2) Gruppe Erzgebirge: bestehend aus den Orten Schwarzenberg, Annaberg, Buchholz und Sehma,

3) Gruppe Vogtland: bestehend aus den Orten Zwickau, Planitz, Howel, Crittzschau, Gössnitz, bis nach Plauen einschliesslich und Reichenbach,

4) Gruppe Leipzig: bestehend aus den Orten Leipzig, Lützen, Pegau, Meuselwitz, Wurzen.

Ich bemerke, dass die Orte Lützen, Meuselwitz und Pegau später herausgenommen wurden und dem Bezirk Walter Friese zugeteilt worden sind.

5) Gruppe Dessau: bestehend aus der Stadt Dessau, Coswig, Wittenberg und Elster an der Elbe.

Diese 5 Gruppen sind mir bekannt. Diese Angaben entsprechen dem Stande vom September 1936. Ich nehme aber an, dass Umorganisationen stattgefunden haben. Davon hatte mir der Bezirksdiener Meier gelegentlich eines Treffs in Chemnitz berichtet. Näheres hierüber kann ich aber nicht angeben, weil für mich ein Einschalten meiner Person zu gefährlich würde.

Folgende mir bekannte Gruppendiener des Bezirks Westsachsen Anhalt sind meines Wissens in Haft:

für Gruppe 1.) Chemnitz: Max Quellmals aus Chemnitz,

Otto Ebert aus Chemnitz,

Walter Hauke aus Chemnitz,

Richard Meise aus Chemnitz,

für Gruppe Erzgebirge: Fritz Boschan aus Beiersfeld,

Arthur Dietzsch aus Annaberg.

für Gruppe Vogtland: zwei Brüder aus Mosel bei Zwickau,

namens Hoh, Vorn.: ?

Walter Tetzner aus einem Dorf bei Glauchau, Wernsdorf oder ähnlich lautend,

für Gruppe Leipzig: Karl Siebeneichler, bis September 1936 als Gruppendiener, sodann Bezirksdiener in Bayern, aus Leipzig,

für Gruppe Dessau. Fritz Zietsch aus Dessau.

Ich muß mich berichtigen. Es kann sein, dass Zietsch aus Dessau sowie die Gebrüder Hoh aus Mosel sowie Walter Hauke aus Chemnitz noch nicht verhaftet sind. Genaueres hierüber

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kann ich aber nicht angeben, weil ich mich als Reichsdiener nicht damit beschäftigen kann und darf.

Die neuere Literatur erhielt Meier durch Fehst zugestellt, entweder durch die Bahn oder mit der Post. Der Empfangstag und die Empfangsadresse, die bahnlagernd oder Postlagernd (letzteres wurde in letzter Zeit nicht mehr angewendet) angegeben wurde, wurde beim Treff vorher in Berlin zwischen den einzelnen Bezirksdienern und Fehst vereinbart. Es kann im Bezirk Westsachsen - Anhalt alte Literatur bei Glaubensbrüdern nicht mehr vorrätig gewesen sein. Mir ist jedenfalls nicht bekannt, dass Bücher alter Literatur im vorbenannten Bezirk verkauft oder verbreitet worden sind. Die Belieferung von Sachsen und Anhalt mit Wachttürmen wurde durch Daut, Berlin, durchgeführt. Bei jedem Treff lieferte Meyer mit etwa 300,- RM aus. Insgesamt habe ich von ihm 1000,- bis 1200,- RM erhalten.

Walter Friese, der Bezirksdiener von Thüringen und dem Harzgebiet ist, ist mir seit dem Jahre 1930 bekannt geworden. Als Bezirksdiener für die vorgenannten Bezirke wurde er von mir nach meiner Rückkehr aus Luzern und nach Rücksprache mit Siebeneichler und Ditschi eingesetzt. In Luzern war vereinbart, dass Siebeneichler diesen Bezirk übernehmen sollte. Weil aber Friese im Bezirk Thüringen und Harzgebiet bekannt und eingearbeitet war, habe ich ihn entgegen der Luzerner Abmachung als Bezirksdiener eingesetzt. Siebeneichler erhielt nach Rücksprache mit den anderen Bezirksdienern den bayerischen Bezirk. Wie ich schon in den anderen Fällen angegeben hatte, erhielt auch Friese durch den Bezirksdiener Fehst neue Literatur zugestellt. Die im Bezirk Moringen und Harzgebiet zur Verteilung kommenden Wt. wurden vom Bezirksdiener Friese selbst hergestellt. Mir ist bekannt, dass im Bezirk des Friese ein Verfielfältigungsapparat zur Herstellung von Wt. verwendet wurde. Ich kann aber nicht angeben in wessen Besitz sich dieser Apparat befindet.

Von Friese habe ich bei jedem Treff in Berlin durchschnittlich etwa 350,- RM bekommen. Insgesamt händigte er mir 1500 bis 1800 RM aus.

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Der Bezirksdiener Heinrich Ditschi wurde in Luzern als mein Stellvertreter vorgeschlagen und bestimmt. Es war vorgesehen, dass er im Falle meiner Verhaftung das Amt des Reichsdieners zu übernehmen hatte. Ihn kenne ich als Anhänger der illegalen IBV seit unserem Zusammentreffen in Luzern. Ditschi mit der Betreuung des Bezirkes Schleswig-Holstein, Oldenburg, Ruhrgebiet und Westfalen beauftragt. Wie schon erwähnt, wurde auch Ditschi durch den Bezirksdiener Fehst mit neuer Literatur beliefert. Ich nehme an, dass auch jetzt noch im vorgenannten Bezirk alte Bestände von IBV-Literatur vorhanden sind. Ich schliesse das da heraus, weil über diese verkauften Bücher Gelder bei mir zur Ablieferung gekommen sind. Die Wt. liess auch Ditschi in seinem Bezirk anfertigen. Wie in allen anderen Fällen ist auch hier mir unbekannt, in wessen Händen sich der Vervielfältigungsapparat und die Schreibmaschine befinden. Bei jeder Zusammenkunft mit Ditschi händigte er mir den Betrag von durchschnittlich 400,- RM aus. Zusammen habe ich von ihm etwa 2000,- RM erhalten.

Wandres, Albert, Bezirksdiener, lernte ich im Jahre 1928 in Süddeutschland, in Wiesbaden, gelegentlich der Aufführung „Das Schöpfungsdrama“ als Anhänger der IBV kennen. Ich bin dann noch einmal mit ihm zusammengekommen. Auch Wandres war mit in Luzern. Er war s. Zt. schon Bezirksdiener für Rheinland, Baden und Württemberg. Er wurde in Luzern als Bezirksdiener nur nochmals bestätigt. Anlässlich der Verteilung der einzelnen Bezirke in Luzern erhielt er zu seinem Bezirk die Gruppe in Saarbrücken im Saargebiet noch zugeteilt. Gruppendiener der Saarbrückner Gruppe ist ein gewisser Hassel aus Saarbrücken. Über Hassel kann ich nähere Angaben nicht machen, insbesondere weiss ich nicht, ob er verhaftet ist. Für den vorgenannten Bezirk lieferte auch Fehst die neuere Literatur, die an Deckadressen, die mir unbekannt sind, abgesandt wurde. Von Wandres erhielt ich von allen Bezirken das meiste Geld. Bei jedem Berliner Treff händigt er mir durchschnittlich 1500,- RM aus, so dass ich insgesamt 8000 bis 10 000,- RM von ihm erhalten habe.

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Die Vernehmung wurde abgebrochen.

Laut diktiert gelesen unterschrieben

geschlossen Erich Frost


Berlin, den 21.4.1937

AD. II B

Weiter verhandelt.

Vorgeführt erscheint Frost, Personalien bekannt, und erklärt:

Zu meinen Angaben vom 15.4.37 über die Bezirksdiener habe ich im einzelnen folgendes zu bemerken:

Bezirksdiener Nawroth.

Ausser den von mir bereits erwähnten Treffs habe ich mit Nawroth Ende 1936/ Anfang 1937 noch einen weiteren Treff in Breslau gehabt. Vereinbarungsgemäss trafen wir zunächst auf dem Breslauer Hauptbahnhof zusammen. Hier wurde von uns gleichzeitig der Bezirksdiener Fehst erwartet. Da Fehst nicht erschien, führte mich Nawroth in die Wohnung eines Glaubensbruders unweit des Hauptbahnhofs. Die Lage der Wohnung vermag ich heute nicht mehr näher anzugeben. Mir ist auch der Name des Glaubensbruders entfallen. Nawroth liess mich mit der Glaubensschwester in der Wohnung zurück, um, wie er mir sagte, noch einmal zu versuchen, Fehst zu treffen. Ich habe heute auch nicht mehr in Erinnerung, ob Nawroth dann mit Fehst selbst oder mit einem unserer Glaubensbrüder in der Wohnung erschien. Während der Abwesenheit des Nawroth hatte ich von der Glaubensschwester erfahren, das ihr Mann bereits verhaftet sei. Dies war für mich mitbestimmend, vorzuschlagen, die Wohnung sofort wieder zu verlassen. Ich kann mich heute noch darauf erinnern, dass Nawroth, Fehst, ein weiterer Glaubensbruder, dessen Name mir entfallen ist, durch die Stadt gingen und dann irgendein Lokal betraten. Bei dieser Gelegenheit habe ich mich von Nawroth und Fehst über ihre Bezirke informieren lassen. So wurde hier über erfolgte Festnahmen gesprochen,

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auch haben wir uns über biblische Dinge unterhalten. Hierbei will ich erwähnen, dass diese Treffs in erster Linie lediglich zeigen sollten, dass dieser oder jener von uns noch nicht verhaftet sei. Ausserdem waren die Treffs dazu bestimmt, uns gegenseitig ermunternde Worte zu sagen.

Bezirksdiener Rabe.

U. a. bin ich mit Rabe Ende November 1936, in Stettin, im Dezember 1936 oder Anfang 1937 in Königsberg und Februar 1937 wieder in Stettin zusammengetroffen.

In Stettin trafen wir nach vorangegangener Vereinbarung auf dem Hauptbahnhof zusammen. Von hier aus gingen wir den Strassenbahnschienen nach in die Stadt, wo wir einen Glaubensbruder in seiner Wohnung aufsuchten. Den Namen und die Wohnung des Glaubensbruders kann ich nicht näher angeben. Vom Bahnhof würde ich allerdings die Wohnung wiederfinden. In dieser Wohnung fanden sich dann noch 2 weitere Glaubensbrüder ein, die m. E. von Rabe bzw. dem dort wohnenden Glaubensbruder der unsere Anwesenheit durch Rabe bereits vorher erfahren haben dürfte, eingeladen waren. Auch dieser Treff sollte in der Hauptsache gegenseitige Erbauung bezwecken. Wir haben auch über biblische Dinge gesprochen.

Treff in Königsberg.

Rein zufällig traf ich bereits mit Rabe im Schnellzug auf der Fahrt nach Königsberg zusammen. Wo er zugestiegen ist, weiss ich heute nicht mehr. Wir suchten in Königsberg gemeinsam einen Glaubensbruder auf, dessen Name und Wohnung ich auch nicht angeben kann. Der Glaubensbruder ist von Beruf Gärtner. Ich habe bei diesem Glaubensbruder übernachtet. Rabe hat in den späten Abendstunden die Wohnung verlassen. Wo er sich hinbegeben hat, weiss ich nicht. Zweck des Treffs war, lediglich wieder einmal mit Rabe zusammen zu sein, um uns davon zu überzeugen, dass wir uns beide noch in Freiheit befinden.

Bezirksdiener Fehst

Wie ich bereits zum Ausdruck gebracht habe, oblag dem Fehst neben Betreuung seines Bezirkes in erster Linie die Literaturbeschaffung. Bei dem letzten Treff in Berlin-Zeuthen habe ich von Friese erfahren, dass sich noch in Kassel ein größeres Lager befinden sollte.

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Es wurde nun vereinbart, dieses Lager zu räumen und die Bestände bei einzelnen Glaubensgeschwistern unterzustellen. Die Räumung des Lagers sollte durch Fehst, Daut und noch 2 weitere Glaubensbrüder durchgeführt werden. Ich selbst fuhr am 8. 3. 37 nach der Tschechoslowakei. Nach meiner Rückkehr erfuhr ich von Daut, dass das Lager in Kassel bereits entdeckt und von der Polizei geräumt war. Zur beabsichtigten Räumung des Lagers wurde ein von mir für die IBV angeschafftes Auto benutzt. Über die Anschaffung dieses Kraftfahrzeuges werde ich mich später äussern. Ich möchte hierbei gleich erwähnen, dass es sich meines Wissens bei diesem Kasseler Lager um das letzte Lager der IBV handelt. Die Bezirksdiener haben jedenfalls von mir nicht die geringsten Gelder zur Begleichung von Lagermiete gefordert. Über die Lage des Lagers kann ich nähere Angaben nicht machen. Hierzu dürfte Daut in der Lage sein. Friese hat mir gesprächsweise mitgeteilt, dass sich in diesem Lager ca. 15.000 broschürte Bücher „Schöpfungen“ befunden hätten.

Die Wohnung des Bezirksdieners August Fehst, der etwa 36 Jahre alt, etwa 1,73 m gross, blasse Gesichtsfarbe, kurz geschnittene blonde Haare, Augen blau oder grau, Zähne vollständig, spricht hochdeutsch, weiss ich nicht anzugeben; er muss aus Niederschlesien stammen, ich vermute, dass er in Gottesberg gewohnt hat. Ich schliesse das daraus, dass Fehst während eines Aufenthaltes in der Tschechoslowakei wiederholt mit Glaubensgeschwistern aus Gottesberg zusammen war. Mit Fehst bin ich nur gelegentlich vereinbarter Treffs, die in Berlin, sowie in Breslau, Görlitz und Dresden stattfanden, zusammengekommen. Bei solchen Gelegenheiten habe ich mich nur an Bahnhöfen mit ihm getroffen. In keinem Falle waren wir in den Wohnungen von Glaubensgeschwistern. Eine Deckadresse für Fehst ist mir nicht bekannt. Ich kann nicht angeben, ob Fehst im Besitz eines Reisepasses oder anderer Ausweispapiere ist.

An dieser Stelle möchte ich noch folgendes bemerken:

Nach meiner Ansicht wurden für die Bezirke des Fehst (Schlesien) und Nawroth (Ostschlesien und Grenzmark) die „Wachttürme“ auf einem Abzugsapparat hergestellt worüber Fehst Aufschluss geben kann. Fehst hatte im Oktober 1936 gelegentlich eines Treffs einen Abzugsapparat Marke „Primus II“ für etwa 100,- RM gekauft und mitgenommen. Auf diesem Apparat sollte die Vervielfältigung der Wt. für die

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Bezirke Fehst und Nawroth vorgenommen werden. Der Aufbewahrungsort des Vervielfältigungsapparates ist mir unbekannt. Hierüber kann nur Fehst Angaben machen.

Bezirksdiener Friese

Mit Friese, der als Bezirksdiener für Thüringen und Harzgebiet in Frage kommt, bin ich im Oktober in Hannover zusammengetroffen. Bei diesem Treff waren ferner die Bezirksdiener Ditschi und Meyer zugegen. Ich wurde von Friese im Wartesaal 2. Klasse erwartet. Soweit ich mich erinnere gingen wir dann nach dem Mindener Markt Nr. 8, wo ein Glaubensbruder Hartmann oder so ähnlich im Hinterhaus parterre wohnt. Hier waren bereits Meyer und Ditschi anwesend. Bei diesem Treff handelte es sich ebenfalls um einen so genannten Zwischentreff. An diesem Treff habe ich dann dem Meyer den Bezirk Westsachsen-Anhalt zugeteilt. Diesen Bezirk hatte ich vorher persönlich betreut. Auch bei diesem Treff handelte es sich um einen sogenannten Zwischentreff, bei dem wir uns gegenseitig ermunterten und uns in erster Linie nur davon überzeugen wollten, wer sich von uns noch in Freiheit befindet. Im übrigen nehme ich Bezug auf meine Angaben in der Vernehmung vom 15.4.37, Seite 8.

Bezirksdiener Wandres

Meine Angaben auf Blatt 9 in der Vernehmung vom 15.4.37 habe ich wie folgt zu ergänzen:

Mit Wandres traf ich in Stuttgart 2 mal zusammen. Der erste Treff lag im November oder Dezember 1936. Wir trafen uns am Bahnhof und suchten die Wohnung einer Glaubensschwester auf. Den Namen der Glaubensschwester kann ich nicht angeben. Die Wohnung befindet sich schräg rüber vom Café „Olga“ und zwar in der Straße, die die Olgastr. schneidet. Die Hausnummer selbst kann ich nicht angeben. Die Wohnung ist aber im 2. Stockwerk gelegen. Soweit ich mich entsinnen kann sind in diesem Grundstück keine Geschäfte untergebracht. Es handelt sich um ein reines Wohngrundstück. In der Wohnung wozugegen waren: Bezirksdiener Wandres, sein Unterbezirksdiener Ludwig Stickel aus Pforzheim. Unterhielten wir uns über die Wahrheit und erörterten Fragen des Glaubens. Organisatorische Fragen, insbesondere, ob im Bezirk alles in Ordnung sei, wurden schon auf dem Wege zu dieser Wohnung behandelt.

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Die mir namentlich nicht bekannte Glaubensschwester stellte uns für die Unterredung ihr Wohnzimmer zur Verfügung und bewirtete uns mit Kaffee und Kuchen. Sie selbst nahm an der Besprechung nicht teil, sondern beschäftigte sich in der Küche. Nach 1 ½ stündigen Aufenthalt verliess ich allein die Wohnung. An dieser Stelle möchte ich bemerken, dass ich mich immer so verhielt. Sobald meine Besprechungen beendet waren, verabschiedete ich mich und ging fort. Ich wollte mich so unauffällig wie nur möglich verhalten und die Glaubensgeschwister nicht gefährden.

Ein zweites Mal hatte ich in der gleichen Wohnung im Februar d.Js. einen Treff. Damals waren zugegen: Siebeneichler, Karl, mit dem ich mich schon auf der Hinfahrt nach Stuttgart im D-Zug in Nürnberg traf, Wandres, Albert, Ludwig Stickel, der Unterbezirksdiener Schloemer, 2 mir namentlich unbekannte Glaubensbrüder aus der Umgebung Stuttgarts und ich selbst. Wir unterhielten uns zunächst über den Inhalt mehrerer Wt.s und erörterten Glaubensfragen. Gleichzeitig übergab ich Wandres einige Original-Wt., die er für die Glaubensgeschwister seines Bezirkes zu vervielfältigen hatte. Ausserdem erhielt Wandres einige Zeitschriften neuester Ausgabe „Das Goldene Zeitalter“. Wenn wir uns bei solchen Gelegenheiten über die Auslegung der Bibel, sowie über die Wahrheit unterhalten haben, so betrachteten wir das als Andacht. Eine besondere Form einer Feierstunde kennen wir als Anhänger Jehovas nicht.

Ein andermal traf ich mit Wandres zufällig in Berlin. Wandres hatte sich in diesem Falle zunächst mit Daut verabredet. Durch Daut wusste ich davon, und ich war bei diesem Treff zugegen. Wir trafen uns vor dem Potsdamer Bahnhof und gingen zu dritt nach der Fürstenberg-Brücke am Potsdamer Bahnhof. Bei dieser Gelegenheit unterhielten wir uns über Vorkommnisse unserer IBV und sonstige Tagesfragen. Dabei übergab mir Wandres 2 in meiner Brieftasche vorgefundene Notizzettel, deren Inhalt mir nicht bekannt ist sowie einen Brief, der an die Adresse eines Glaubensbruders oder Glaubensschwester gerichtet ist. Ich hatte noch keine Gelegenheit vom Inhalt dieser Schriftstücke Kenntnis zu nehmen, weil ich 2 Tage nach diesem Treff verhaftet wurde. Die Schriftstücke müssen sich in meiner Brieftasche bei den Effekten befinden.

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Bei dieser Gelegenheit möchte ich folgendes bemerken:

Gelegentlich des Haupttreffs im Januar d. Jahres in Berlin teilte mir Wandres mit, dass er zur Vervielfältigung eine Schreibmaschine gekauft habe. Er legte mir eine Abrechnung vor, wonach er für 240,-- RM eine neue Schreibmaschine, Marke unbekannt, gekauft habe. Den Lieferanten vermag ich nicht anzugeben, da wir uns darüber nicht unterhalten haben. Ich vermute aber, dass Wandres die fragliche Schreibmaschine in Süddeutschland gekauft hat. …

Zu meinen am 15.4.37 über den Bezirksdiener Heinrich Ditschi gemachten Angaben ergänze ich noch folgendes:

Mit Ditschi war ich im Oktober 1936 und dann noch einmal im Dezember 1936 in Dortmund zusammen. Wir trafen uns beide Male vorerst auf dem Hauptbahnhof in Dortmund und gingen zusammen nach der Wohnung des Glaubensbruders Beike oder Peike in der Uhlandstr., Nr. unbekannt. Beike muss Inhaber einer im gleichen Grundstück gelegenen Bäckerei sein, die sich im Erdgeschoss befindet. In beiden Fällen waren bei diesen Treffs anwesend: Wandres, Ditschi, sowie der Unterbezirksdiener Lünenschloss vom Bezirk Ditschi und ich selbst. Bei diesen Treffs behandelten wir die Auslegung der Bibel und unterhielten uns über die Wahrheit. Der Wohnungsinhaber war nicht mit zugegen. Ich muss an dieser Stelle hervorheben, dass ich außer den abgehaltenen Andachten mich immer überzeugen wollte, ob und wie die verschiedenen Bezirksdiener überhaupt noch für die IBV arbeiten. Es konnte ja möglich sein, dass in einigen Fällen Verhaftungen vorgenommen waren und der Bezirk dann ohne Leitung gewesen wäre. In solchen Fällen war es meine Aufgabe, einen neuen Bezirksdiener zu finden und einzusetzen.

Ditschi war bereits in Luzern als Nachfolger in dem Falle vorgeschlagen und bestimmt worden, wo ich als Reichsdiener verhaftet werde. Im Falle meiner Verhaftung hat sich Ditschi sofort an das Zweigbüro in Prag zu wenden. Nebenher möchte ich noch erwähnen, dass Ditschi nach seinen Äußerungen Beziehungen zu Glaubensgeschwister in Holland hat und mit diesen in ständiger Verbindung steht. Näheres hierüber weis ich nicht anzugeben. Mir ist nur bekannt, dass Ditschi wiederholt mit Glaubensgeschwistern über Sterkrade mit Holland in Verbindung steht. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass Ditschi wiederholt in Sterkrade war.

Die Vernehmung wird abgebrochen


Berlin, den 26. April 1937

Über unsere Stellung zur Wehrpflicht, sowie über die Leistung des Beamteneides sind von Seiten der Wachtturm- und Bibel- und Traktat-Gesellschaft Informationen nicht ergangen. Aus der Bibel, sowie aus den Auslegungen der Bibel durch den WT wird jeder Zeuge Jehovas nach dieser Richtung hin zur Genüge gelehrt, so dass sich besondere Informationen erübrigen. In der Bibel steht geschrieben: 'Du sollst nicht töten'. Und 'wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen.' Diese Leitsätze sind im WT wiederholt behandelt worden. Es steht nun jedem Zeugen Jehovas frei, danach zu handeln. Ich selbst lehne jedenfalls jegliche Leistung zur Wehrpflicht ab und werde auch zukünftig danach handeln. Dasselbe gilt für die Leistung des Eides auf den Führer. Ein Zeuge Jehovas, der als Beamter den Eid leistet, wird aufgehört haben, ein Zeuge Jehovas zu sein. Wir werden ihn für die Zukunft mit Sorge betrachten, da wir erfahrungsgemäß wissen, dass sich solche Leute allmählich von uns zurückgezogen haben. Solche Fragen sind auf dem Luzerner Kongress und auch woanders nicht erörtert worden. Ein Zeuge Jehovas, der als Beamter den Eid auf den Führer leistet begibt sich in die Gefahr, seinem Eid Jehova gegenüber untreu zu werden, wenn er die Folgerungen des Führereides auf sich zu nehmen hat. Ich für meinen Teil lehne daher ab, Arbeitsdienst zu verrichten, Untergliederungen der NSDAP beizutreten (Luftschutzbund, NSV) den deutschen Gruß anzuwenden und überhaupt mich an solchen Verbänden zu beteiligen, die der Wehrhaftmachung des deutschen Volkes dienen.


Berlin, den 29. April 1937

Weiterverhandelt. Vorgeführt erscheint Erich Frost

(Von Frost laut Protokoll als Zeugen Jehovas bezeichnete Namen)

Fehst, August,

Daut, Otto,

Friese, Walter

Nawroth, Arthur

Ditschi, Heinrich

Meyer

Wandres, Albert

Stickel, Ludwig

Siebeneichler, Karl

Lünenschloss

Koebel

Jung, Johannes

Großmann

„Gertrud“ Unterdörfer, Ilse

Schloemer, Hermann

Rabe, Georg

Meier, Fred

Rehmer

Reiche

Winkler, Fritz

Quellmalz

Wagner

Dwenger, Heinrich

Keller, Frieda

Hermann

Rahner, Josef.

(In den weiteren Protokollen befinden sich dann nach die nachfolgenden Angaben, teilweise an unterschiedlichen Tagen protokolliert)

Am 6. März 1937, also am Tage des letzten Haupttreffs in Berlin, war Siebeneichler nicht zugegen. Weil wir über ihn besorgt waren, schickte ich die Ilse Unterdörfer sofort nach München, um über Siebeneichler Erkundigungen einzuziehen. Ich übergab der Unterdörfer eine mir von Siebeneichler genannte Münchener Telefonnummer. Nach Anruf beim Inhaber dieser Nummer traf sich die Unterdörfer in München mit einer mir unbekannten Glaubensschwester, die mit Vornamen „Gertrud“ hieß. Mir ist in Erinnerung, dass die Gertrud personengleich ist mit Elfriede Löhr aus München. Ich vermute das wenigstens so, eine nähere Begründung habe ich allerdings hierzu nicht.

Der in Prag im Zweigbüro der IBV tätige Bahner, Josef, ist Sudetendeutscher, schätzungsweise 34 Jahre alt. Bahner befindet sich für die IBV dauernd auf Reisen in der Tschechoslowakei, sein Wohnort ist Brünn, in der CSR, Straße unbekannt. Bahner war früher Offizier im Heere der CSR, er ist etwa 1,63 m groß, hat blasses Aussehen, blondes Haar. Bahner muss früher zeitweilig im Bibelhaus der Wachtturmgesellschaft in Magdeburg beschäftigt gewesen sein. Von Beruf ist er meines Wissens Kaufmann.

Heinrich Dwenger ist der frühere Leiter der Dienstabteilung der WT-Gesellschaft in Magdeburg gewesen. Er war dort viele Jahre tätig und ist Reichsdeutscher. Ich schätze ihn auf 45 Jahre, er wird 1,70 m groß sein, trägt kurzgeschnittenen Schnurrbart, hat Haare von bräunlicher Farbe, gescheitelt. Dwenger ist unverheiratet und in seiner Art ein Sonderling.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich angeben, dass die bei mir gefundenen Schweizer Francs, es können etwa über 50 gewesen sein, von dem Bezirksdiener Wandres stammen, der sie mir im Februar dieses Jahres beim Haupttreff übergeben hatte. Wandres erhielt diese Francs von süddeutschen Glaubensgeschwistern, die zum Kongress in Luzern waren und das Geld nicht restlos verbraucht hatten, Die Francs hatten die Glaubensgeschwister als G(ute)H(offnung)-Gelder dem Deutschen Werke zur Verfügung gestellt. Wenn ich nicht verhaftet worden wäre, hätte ich die Francs bei der Reichsbank eingetauscht. Bisher hatte ich dazu noch keine Gelegenheit gefunden.

(Freienwalderstr.ZB I - 561 und ZBI - 1279, „Gauckbehörde“ XX/4 1415)


Befreiung von totalitärer Inquisition durch den Glauben an Gott

von Erich Frost erzählt

„Der Wachtturm“ 1. Juli 1961 S. 408f.

... Durch ihr (seine Mutter, seit 1919 Bibelforscherin) wurden mein Vater und ich schließlich veranlaßt, uns am 4. März 1923 in meiner Heimatstadt, Leipzig, als Zeugen Jehovas taufen zu lassen. Ich brach mein Musikstudium ab und begann meinen Lebensunterhalt dadurch zu verdienen, daß ich in Kaffeehäusern und Vergnügungslokalen spielte, und gewann so viel Zeit für die Arbeit im Werke des Herrn. Im Jahre 1924 nahm ich den Vollzeitdienst für Jehova auf, indem ich im Literaturdepot der Gesellschaft in Leipzig zu arbeiten begann.

Das Zeugniswerk breitete sich in Deutschland sehr rasch aus. Von 1919 bis 1933 verbreiteten die eifrigen deutschen Zeugen 48.000.000 Bücher und Broschüren und überdies 77.000.000 Exemplare des „Goldenen Zeitalters“, das nun den Titel „Erwachet!“ trägt. ...

Als ich im Januar 1933 bei einem Mitzeugen in Nürnberg wohnte, hörten wir durch den bombastischen Rundfunk aus Berlin die Bekanntgabe der Machtergreifung durch Hitler. Wir ahnten, was dies für uns bedeuten würde. Der Sturm brach los, als im April darauf die Polizei die große neue Druckerei und das Bethelheim der Gesellschaft in Magdeburg besetzte und unsere Druckpressen versiegelte...

Da keine Beweise einer aufwieglerischen Tätigkeit vorlagen, wurde uns das Eigentum am 28. April zurückgegeben. Im Juni versammelten sich siebentausend Zeugen in Berlin und faßten eine Resolution, in der sie stark gegen die Gewaltmaßnahmen der Hitler-Regierung protestierten. Diese Resolution wurde in Millionen von Exemplaren verbreitet. Drei Tage danach wurde das Eigentum in Magdeburg zum zweiten Male beschlagnahmt und das Personal, das 180 Personen zählte, zur Abreise gezwungen, unsere religiösen Feinde freuten sich.

Da die Gesellschaft in Amerika das Eigentumsrecht auf das Besitztum hatte, wurden Verhandlungen zwischen dem Staatsdepartment der Vereinigten Staaten nach Deutschland geführt. Das Eigentum wurde wieder freigegeben, das Verbot unserer Predigttätigkeit jedoch nicht aufgehoben. Die Versammlungen wurden verboten. Bibeln und bibelerklärende Schriften im Wertre von mehr als 90.000 Mark wurden öffentlich verbrannt. Vom Jahre 1934 an verloren viele Zeugen ihre Arbeit, weil sie sich weigerten, zu wählen oder „Heil Hitler!“ zu sagen.

Im Frühjahr 1934 wurde ich verhaftet und sah zum ersten Male eine Gefängniszelle von innen, ich wurde jedoch nach zehn Tagen wieder freigelassen. Kurz danach gelang es mir, in die Tschechoslowakei zurückzugelangen, wo ich zuvor das Photo-Drama aufgeführt hatte.

Mittlerweile ergriffen die Brüder in Deutschland unerschrocken entscheidende Maßnahmen. Obwohl die Bewegung verboten war, fanden am 7. Oktober 1934 in allen Versammlungen Zusammenkünfte statt, und sie faßten eine Protestresolution, die sie an die Hitlerregierung richteten, mit der Mitteilung, daß sie Jehova um jeden Preis weiterhin dienen würden. Nach einem ernsten Gebet wurden die Proteste nach Berlin telegraphiert. Gleichzeitig hatten sich Jehovas Zeugen in fünfzig anderen Ländern versammelt und an die Nazi-Regierung kraftvolle Warnungen gekabelt.

Nach meiner Rückkehr nach Deutschland im Mai 1935 schaltete ich mich in das Untergrundwerk ein. In der Nacht des 13. Juni wurde ich in meinem Hotel verhaftet und in das „Columbia-Haus“ von Berlin geführt, wo ich die schlimmsten fünf Monate meines Lebens verbrachte. Unter Kolbenstößen und Fußtritten, stets in Einzelhaft, täglich grausam schikaniert und gedemütigt, erfuhr ich damals, dass Menschen zu Bestien werden können. Die sinnlosen Fragen eines Gestapobeamten konnten mich nicht einer umstürzlerischen Tätigkeit überführen. Unerwartet wurde ich entlassen und verschwand bald wieder im Untergrundwerk, um Jehova weiter zu dienen.

Vorbereitungen auf einen Kongress in Luzern, Schweiz, waren im Gange. Mittlerweile hatten die Nazis eine neue Aktion gegen uns eingeleitet. Fast die meisten der Brüder, die verantwortliche Stellungen bekleideten, waren verhaftet worden. Ich bemühte mich nun, die zerrissenen Fäden aufzunehmen und die Dinge wieder in Gang zu bringen. Unzählige Hintertüren und Fenster verhalfen mir immer wieder im letzten Augenblick zur Flucht vor der Gestapo; meine Mutter und mein Bruder aber wurden verhaftet.

Beim Kongress in Luzern, im September 1936, waren der Präsident der Gesellschaft, Bruder Rutherford, und auch 2 500 Brüder aus Deutschland anwesend. Ich erhielt den Auftrag, das entwurzelte Untergrundwerk wieder zu organisieren, und begann sogleich damit. Auch planten wir, in Deutschland eine schlagartige Verbreitung einer Kongressresolution vorzunehmen.

Am Sonnabend, dem 12. Dezember 1936, zwischen fünf und sieben Uhr abends, wurden in allen größeren Städten 300 000 Exemplare davon in aller Stille in Briefkästen oder unter die Tür gesteckt. Schwärme von Polizisten und SS-Patrouillen konnten keinen einzigen Zeugen dabei erwischen!

Natürlich wurde die Untergrundtätigkeit durchgeführt, trotz der Verfolgung und Gefahr, die Freiheit und selbst das Leben zu verlieren ... Kontrollen in Eisenbahnzügen waren beständige Gefahren. Schon der Ankauf größerer Papiermengen war verdächtig. Viele Kuriere fielen in die Hände der Gestapo...

Am 27. März 1937 sollte die jährliche Feier zum Gedächtnis an Christi Tod stattfinden. Ich hatte mich mit zehn Brüdern verabredet, um die Untergrundtätigkeit zu besprechen, doch sollte es anders kommen. Am 21. März, um zwei Uhr morgens, dröhnen heftige Schläge und Fußtritte gegen die Wohnungstür. Binnen weniger Sekunden lasse ich ein dünnes Papierröllchen mit wichtigen Aufzeichnungen in der Matratze der Bettcouch verschwinden, und schon treten zehn Mann der Geheimen Staatspolizei ein: „So, ziehen Sie sich an, Frost. Das Spiel ist aus!“ Ich betete zu Jehova und begann mich anzuziehen, während sie das gastliche Zimmer zu einer Räuberhöhle machten. Das Papierröllchen wurde nie gefunden.

Alles wickelte sich nun sehr schnell ab. Die Gestapo hatte Kenntnis von unserem Plan, uns an jenem Freitag zur Gedächtnismahlfeier zu treffen, doch wusste sie nicht, wo. Mehr als einmal schlug man mich, bis ich bewusstlos war, überschüttete mich dann mit Wasser, um mich wieder zum Bewusstsein zu bringen. Bald konnte ich nicht mehr liegen und nicht mehr sitzen. Von Freitag bis Montag aß und trank ich kaum etwas, rief aber unablässig Jehova um Hilfe an, damit ich um der Brüder willen schweigen könnte. Als ich wieder vor die Gestapo-Meute geführt wurde, dachte ich an Daniel in der Löwengrube. Ihr zorniger Wortschwall verriet mir, was ich hören wollte: Die Brüder waren nicht in das Netz geraten, das die Polizei gelegt hatte. Meine Freude war unbeschreiblich.

Im Juli erreichte mich die Nachricht von der Verhaftung meiner Frau. Unser Sohn sollte national erzogen werden. Viele andere Kinder von Zeugen wurden ihren Eltern entrissen und in Nazi-Heime gesteckt. Die meisten dieser Kinder wurden durch diese Feuerprobe gestärkt. ...

In den Lagern des Emslandmoors trieben die unmenschlichen Arbeitsbedingungen und die grausame Behandlung einen fast zur Verzweiflung. Vielleicht hat jemand schon etwas von der „Hölle am Waldesrand“ gehört. Der Glaube und die Gesellschaft treuer Zeugen befähigten mich, dort das Schlimmste zu ertragen ... Meine Strafzeit endete nach dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges, und ich wurde nach Berlin zurückgebracht. Neunundneunzig Tage später schlossen sich hinter mir die Tore des Konzentrationslagers Sachsenhausen. Unvorstellbar war der grausame Empfang durch die SS, unvorstellbar aber auch meine Freude, als mich 280 Zeugen begrüßten, alle erprobt und gestärkt durch ähnliche harte Prüfungen. Das waren die treuen Christen, die im Bestseller The Theory and Practice of Hell (Theorie und Praxis der Hölle) erwähnt wurden: „Als der Krieg ausbrach, wurden die Zeugen im Konzentrationslager Sachsenhausen aufgefordert, sich freiwillig zum Militärdienst zu melden. Auf jede Weigerung folgte die Erschießung von zehn Männern aus ihren Reihen. Als vierzig Opfer getötet worden waren, gab es die SS auf ... Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass - um psychologisch zu sprechen - die SS der Herausforderung der Zeugen Jehovas niemals ganz gewachsen war. ...

Als Strafe dafür, dass wir „Rädelsführer“ waren, erhielten sechzehn von uns je fünfundzwanzig Schläge mit einer Stahlrute, worauf die Versetzung in die Strafkompanie folgte. Schließlich landeten wir als sogenannte SS-Baubrigade auf der Felseninsel Alderney, die zwischen der französischen und der englischen Küste liegt. Obwohl wir durch die, die uns gefangen hielten, viel Ungemach zu erdulden hatten, hatten wir doch auch Gelegenheiten, unsere Mitgefangenen vor Gefahren und Leiden zu bewahren. So, wie sich alles entwickelte, begann Hitlers Stern zu sinken, nachdem seine Armeen in Stalingrad angehalten worden waren. Im Lager der Nazis begann man, die Handschrift an der Wand zu verstehen.

In einer sternklaren Juninacht des Jahres 1944 stand ich unten am Hafen und beobachtete die Invasion der Alliierten. Dann erfolgte unser Rücktransport nach St. Malo, den wir in alten Schiffen antraten. Mit der Bahn ging es weiter, je sechzig Mann in einem Güterwagen, durch Frankreich, Belgien, Holland und zurück nach Deutschland. Die Absicht, uns in der Kieler Bucht auf Schiffen zu versenken, zerschlug sich, als unser Transport nach Österreich abgedrängt wurde. Am 5. Mai 1945 wurden wir schließlich von Panzertruppen befreit.

Etwa zur selben Zeit öffneten sich durch den Druck der vorrückenden alliierten Heere die Tore verschiedener Konzentrationslager, und Tausende der Elendsgestalten ergossen sich über das zerbombte Land. Sie marschierten noch unter Bewachung, und die SS erschoss jeden, der zu schwach war weiterzugehen oder der am Wegesrand plünderte. Es gab viele Tote. Jehovas Zeugen halfen einander weiter. Oft predigten sie Dorfbewohnern, die ihre Wertschätzung dadurch zum Ausdruck brachten, dass sie das, was sie an Nahrungsmitteln besaßen, mit ihnen teilten, was eine weitere Fürsorge Jehovas war. Die frohen Worte eines Zeugen wurden bald typisch: „Jetzt bin ich frei. Ich bin dem himmlischen Vater und unserem Führer, Jesus Christus, dankbar, dass ich seinen Namen weiterhin lobpreisen kann.“

Die Inquisition hatte ihren Zweck verfehlt!

Jehovas Geist spornte uns zur Tat an. Viele von uns dachten nicht daran, heimzukehren, obwohl wir noch ein Heim hatten. Unsere erste Sorge galt dem Eigentum der Gesellschaft in Magdeburg. Dort stand man gerade im Begriffe, das Gebäude in ein Hotel für die Russen zu verwandeln. Den sowjetischen Offizieren verständlich zu machen, wer Jehovas Zeugen sind, erwies sich als eine zermürbende Aufgabe. Unsere Arbeit in der Ostzone wäre wahrscheinlich nie in Fluß gekommen, wenn wir nicht tagtäglich betont hätten, daß in Magdeburg früher die Zentrale unserer Organisation gewesen sei und wir die Absicht hegten, von diesem Büro aus auch weiterhin unsere Organisation in allen vier Zonen zu leiten. Schließlich gab man, und das Werk ging in der kommunistischen Zone wie anderswo weiter. ...

Als die Kommunisten in den Nazi-Konzentrationslagern noch unsere Mitgefangenen waren, sagten sie oft drohend: „Sollten wir je an die Macht kommen, hängen wie euch Himmelskomiker auf!“ Im Jahre 1950 begann die totalitäre Inquisition im kommunistischen Ostdeutschland von neuem, indem man die Bewegung der Zeugen Jehovas verbot. Das Büro in Magdeburg wurde von neuem beschlagnahmt. Und nochmals haben unsere Brüder, in dem Glauben, daß Jehova sie befreien kann, die Herausforderung angenommen. ...

Die totalitäre Inquisition kann Glieder des Volkes Jehovas wohl gefangensetzen und sie drangsalieren, wenn Jehova es zu einem Zeugnis zuläßt, nichts aber kann den Geist Jehovas in Fesseln legen!

Mögen Christen, die unter totalitären Inquisitionsmethoden leiden, und auch ihre Bedrücker niemals vergessen, daß Jehova während der Zeit der Nazi-Inquisition beständig mit seinen Zeugen war.

[Ende des Wachtturm-Artikels]


Im Wachtturm vom 1.2.1980 berichtete Ilse Unterdörfer auch über ihre eigene Biographie. Man liest dort auch die Worte:

J.F. Rutherford, der damalige Präsident der Watch Tower Society, betraute dort (in Luzern) Erich Frost mit der Aufgabe, unser schwer angeschlagenes Untergrundwerk zu reorganisieren. Einige Tage später wurde bestimmt, daß ich mit ihm zusammenarbeiten sollte.

Das alles hört sich irgendwie banal an. Seitens der DDR wurde bekanntlich Erich Frost massiv publizistisch attackiert. In der Regel wurde dabei auf die Stasiakten über ihn abgestellt. Der Publikation von Andre Gursky „Zwischen Aufklärung und Zersetzung“ ist es zu danken, dass jetzt wieder ein Dokument aus der „Versenkung“ hervorgeholt wurde, dass auch in den Stasiakten enthalten ist. Auf Seite 96 bei Gursky reproduziert. Bezüglich der von der Gauckbehörde vorgenommenen Namensschwärzungen ist anzumerken. Es handelt sich dabei eindeutig um Ilse Unterdörfer. Sicherlich. Dieses Dokument will Frost in ein schiefes Licht stellen. Ob das Licht wirklich so schief ist, darüber indes mag sich jeder so seine eigenen Gedanken einmal machen.

Erster sogenannter „Frost-Brief“


DER SPIEGEL

DAS DEUTSCHE NACHRICHTEN-MAGAZIN

19. Juli 1961 Nr. 30

SEKTEN

ZEUGEN JEHOVAS

Väterchen Frost

Tausende Zimmerleute, Installateure und Erdarbeiter - sämtlich freiwillige unbezahlte Helfer - verwandeln in diesen Tagen die große Festwiese des Hamburger Stadtparks in einen „Königreichssaal unter freiem Himmel“.

In diesem windigen Lokal will eine religiöse Sekte tagen, die insgesamt über 700.000 Mitglieder zählt, in der zivilisierten Welt aber nicht auftreten kann ohne belächelt oder verfolgt zu werden: die Zeugen Jehovas.

Missionseifrig predigen die in Amerika heimischen Sektierer, dass sich Gott vor der Welt rechtfertigen müsse, weil er Luzifer erlaubt habe, Menschen, Staaten und Kirchen, einschließlich des Papstes in Rom, zu vergiften.

In dem hansestädtischen Saal ohne Dach wollen die Zeugen vom 18. bis zum 23. Juli einen internationalen Kongress mit Delegierten aus 50 Ländern abhalten. Für die Tage der Erbauung werden 75.000 Stühle aufgestellt, Proviant-Zelte errichtet und 12 000 Blumen eingepflanzt.

Inmitten dieser Bühnenflora wird sich dem Jehova-Publikum eine Dreieinigkeit darbieten, bestehend aus dem Chef der weltweiten Organisation, Mister Nathan Homer Knorr aus Brooklyn (New York)

dem Chef des deutschen Zeugen-Jehovas-Zweiges, „Zweigdiener“ Konrad Franke aus Wiesbaden, und dem Vorgänger Frankes, Erich Frost.

Der sechzigjährige Frost gilt in diesem Triumvirat als ideologische Autorität: Er leitet die Wiesbadener Wachtturm-, Bibel- und Traktat-Gesellschaft, die geistige Zentrale der deutschen Zeugen Jehovas, und ist außerdem verantwortlicher Redakteur des „Wachtturms“.

Väterchen Frost, wie er wegen seiner Leutseligkeit in vertrautem Kreis genannt wird, will den würdigen Rahmen unter anderem nutzen, um der 2000 Opfer aus der Zeit des Hitler-Regimes zu gedenken, die seine Sekte zu beklagen hat.

Die Rolle, die Frost selbst auf diesem Leidensweg der Zeugen Jehovas gespielt hat, wird allerdings in überlieferten Gestapo-Akten anders dargestellt, als in einem Aufsatz, den der frühere Cafehaus-Musikus Frost noch vor dem Hamburger Kongress im „Wachtturm“ unter dem Titel „Befreiung von totalitärer Inquisition durch Glauben an Gott“ veröffentlichte. (Jehovas Reichsdiener Frost Inquisition im Wachtturm) Frost bekleidete in der NS-Zeit, als die Zeugen Jehovas in Deutschland nur untergründig wirken konnten, das Amt des sogenannten Reichsdieners. Der Reichsdiener war der oberste Jehova-Funktionär; ihm unterstanden die Bezirksdiener, diesen wiederum die Kreis- und Ortsdiener.

Da die Diener Jehovas sich tapfer gegen das Dritte Reich auflehnten und behaupteten, auch Hitler-Deutschland sei Luzifers Werk, ereilte sie nach 1933 des Führers Auflösungs-Dekret: Büros und Traktat-Druckereien wurden geschlossen, die Vereinsgelder der NS-Volkswohlfahrt übereignet und sämtliche Schriften beschlagnahmt.

Die Zeugen ließen sich aber durch derartige Schikanen nicht unterkriegen. Als 1936 ein Jehova-Kongreß in Luzern beschloss, in Deutschland eine große Flugblatt-Aktion wider das Verbot der Sekte zu starten, konnte Frost alsbald den prompten Vollzug melden. Am 12. September 1936 zwischen 17 und 19 Uhr, wurden in fast allen größeren Städten des Reiches die Flugblätter mit der sogenannten Luzerner Resolution - insgesamt 300.000 Exemplare - unbemerkt in Briefkästen und Türschlitze gesteckt. Außerdem schickten die ausländischen Zeugen Jehovas 20.000 Protest-Telegramme an „Exzellenz Hitler, Deutschland“.

Die Jehova-Zeugen verweigerten im Hitler-Deutschland - wie auch weniger gefahrvoll in allen anderen Staaten - den Militärdienst, und zwar sogar in Friedenszeiten und als Sanitäter.

Die aus den USA und aus der Tschechoslowakei ferngesteuerten deutschen Bibelforscher enthielten sich überdies couragiert des Deutschen Grußes. Die Folge: Viele Zeugen Jehovas wanderten im Dritten Reich in die Gefängnisse und Konzentrationslager.

Aber selbst nach einer großen Verhaftungswelle im Jahre 1936 arbeitete die Organisation noch exakt, weil der oberste Funktionärskörper nach wie vor anonym blieb. Das änderte sich erst, nachdem es der Geheimen Staatspolizei 1937 gelungen war, des Reichsdieners Frost habhaft zu werden. Erinnert sich Frost:

Am 21. März, um 2 Uhr morgens, dröhnen heftige Schläge und Fußtritte gegen die Wohnungstür. Binnen weniger Sekunden lasse ich ein dünnes Papierröllchen mit wichtigen Aufzeichnungen in der Matratze der Bettcouch verschwinden, und schon treten zehn Mann der Geheimen Staatspolizei ein: „So, ziehen Sie sich an, Frost. Das Spiel ist aus!“

Nach dieser drehbuchreifen Story seiner Sistierung ist es Frost damals gelungen, die Liste seiner Getreuen vor der Gestapo zu verstecken. Als Frost später vernommen wurde, habe er am „zornigen Wortschall“ der Inquisitoren erkannt, dass „die Brüder … nicht in das Netz geraten (waren), das die Polizei gelegt hatte“.

Frost flehte damals, wie er jetzt im „Wachtturm“ schildert, tagelang Jehova um Hilfe an, „damit ich um der Brüder willen schweigen könnte“. In seiner Leidensgeschichte erweckt Frost denn auch den Eindruck, dass er seinen Vernehmern tatsächlich „wie Daniel in der Löwengrube“ widerstand.

Im Haftbuch Nr. 292 des Geheimen Staatspolizeiamtes in Berlin, Dienststelle II B 2, steht es freilich anders. Nach den noch vorhandenen Verhör-Protokollen, die von Frost unterschrieben sind, hat nämlich der Jehova-Reichsdiener am 2., 15., 20., 21., 24., 26., und 29. April 1937 ausführlich über seine Gefolgsleute berichtet.

Frost schilderte - laut Verhör-Protokoll - detailliert die Tätigkeit seiner Organisation und verriet auch zwei Treffpunkte seiner Funktionäre: „der (Berliner) Stadtbahnsteig Alexanderplatz“ und „bei Reiche in Zeuthen-Niersdorf, Lange Straße 5.“

Schließlich nannte er - laut Verhörprotokoll - den Gestapo-Leuten auch noch die Namen seiner Bezirksdiener.

Arthur Nawroth (Ostschlesien, Grenzmark)

August Fehst (Westschlesien, Teile Sachsens),

Otto Dauth (Berlin, Mark Brandenburg),

Fred Meier (Westsachsen, Anhalt),

Walter Friese (Thüringen, Harzgebiet, Hannover),

Heinrich Ditschi (Schleswig-Holstein, Oldenburg, Westfalen, Ruhrgebiet),

Albert Wandres (Rheinland, Baden und Württemberg) und

Karl Siebeneichler (Bayern).

Frost selbst durfte nach seinen Verhören durch die Gestapo die Haftzelle mit einer Zwangsarbeitsstelle im Emslandmoor vertauschen, wurde entlassen, kam im Krieg zeitweilig in das Konzentrationslager Sachsenhausen, und „schließlich landeten wir als … SS-Baubrigade auf der (Frankreich vorgelagerten) Felseninsel Alderney“.

Auf dieser Kanal-Insel, so schreibt Frost jetzt in seinem „Wachtturm“-Artikel, beobachtete er „in einer sternklaren Nacht … die Invasion der Alliierten“.

Zum Schluss des Frost-Berichts - die „Wachtturm“-Ausgabe wird jedem Teilnehmer des Hamburger Kongresses zum besseren Verständnis der Frost-Gedanken in die Hand gedrückt - zitiert der ehemalige Reichsdiener unvermittelt den schwedischen Journalisten Björn Hallström, der über die Leiden der Jehova-Zeugen unter Hitler sagte: „Durch ihren Glauben an Gott gelang es ihnen besser als allen anderen, die Dinge zu überleben.“

Sicher ist Frost eine tragische Figur. Hätte er nach 1945 im Höhenrausch seines Zweigdienerpostens (also faktisch des höchsten Repräsentanten der Zeugen Jehovas in Deutschland), seine Rolle in diesen Gestapo-Vernehmungen nicht so verklärt, so könnte man eher mit ihm Mitleid haben. Er hat sich dieser Chance durch sein eigenes Verhalten, nach 1945 beraubt. Es kann hier nicht darum gehen, den „Oberlehrer“ zu spielen. Ohne Zweifel hat sich nicht Frost selbst aus „freien“ Stücken an die Schreibmaschine gesetzt und der Gestapo offeriert, was er so alles wusste. Die hat das in intensiven Vernehmungen, die nicht selten erst um 4 Uhr morgens, auch wegen der Übermüdung der Vernehmer, abgebrochen wurden, zu Protokoll notiert.

Ich mache es Frost nicht zum Vorwurf, dass er geredet hat. In seiner Position hätte er ein konsequentes Schweigen, angesichts der bekannten Brutalität der SS-Schergen, nicht überlebt. Frost hat aber überlebt. Er musste den dafür fälligen Preis zahlen, und er hat ihn gezahlt. Das alles ist menschlich nur zu verständlich. Nicht verständlich ist hingegen die Verklärung, die Frost und die Wachtturmgesellschaft mit dieser Tragödie betrieben haben und noch betreiben. Zu den dabei mit zu erwähnenden Namen Hirch und Yonan habe ich mich schon an anderer Stelle näher geäußert und werde dies bei sich bietenden weiteren Anlass, fernerhin tun.

Zum Fall Frost sei vielleicht noch durch ein weiteres Dokument aus der Kollektion der Freienwalderstr. zitiert: ZBI - 1421

Berlin, den 14. Juni 1937

An die Geheime Staatspolizei

Geheimes Staatspolizeiamt II B 2

Betreff: Reichsdiener der IBV Erich Frost, z.Zt. in Haft

Bei einer Rücksprache auf der Stapo Leipzig teilte der Oberwachtmeister der Schupo Frank 2 mit, dass Frost über ein Bücherlager in bzw. in der Umgebung von Hannover Bescheid wissen müsse. Er sei selbst mit seinem BD Siebeneichler dort gewesen. Weiter hat Frost sich im September 36 an der Grenze bei Lörrach mit 6 Glaubensbrüdern, die keinen Pass besitzen, getroffen und ist mit diesen über die „grüne“ Grenze nach Luzern gegangen. Dieser Treff ist aus einem Brief ersichtlich, der dem Reichsleiter Winkler seiner Zeit abgenommen wurde und sich in dessen Personalakten befinden muss. Es wird gebeten, den Frost zu diesen Punkten nochmals eingehend zu vernehmen, zwecks Aufdeckung des Bücherlagers und Feststellung der Namen der 6 Bibelforscher.

Weiter soll die Frau des Frost eine 4-Zimmer-Wohnung besitzen (Adresse dort aktenkundig), zu der der Staat einen Zuschuss zahlt. Der Sohn des Frost besucht eine Sprachklasse, die ebenfalls staatlicherseits finanziert und unterstützt wird. Es wird vorgeschlagen, die örtlichen Behörden über die staatsfeindliche Einstellung und Betätigung des Frost aufzuklären, damit der Frau eine andere Wohnung zugewiesen wird, die sie selbst aus eigenen Mitteln bezahlen muss.

Über Erich Frost verbreitete Horst Kühn einmal die nachfolgende Meinungsäußerung, die hier auch noch unkommentiert wiedergegeben sei:

In der Haftanstalt Bautzen lernte ich einen Bruder kennen, er hieß Hubert Nobis, er war nach 1945 als Sonderpionier in der Gegend von Meiningen-Suhl eingesetzt. Von ihm erfuhr ich sehr viel über E. Frost, denn er war mit ihm im KZ Sachsenhausen. Hubert sagte wörtlich: „Alle wunderten sich, wie Erich Frost nur zum Landesdiener ernannt werden konnte, denn nach den Satzungen wäre das unmöglich gewesen!“ Der Auffassung waren Brüder, welche mit Frost zusammen im KZ waren. Erich Frost hat noch ein viel größeres Sündenregister, was an unbrüderlichem Verhalten nichts zu wünschen übrig läßt. Frost hatte im KZ durch seine guten Beziehungen zur SS-Aufsicht, immer sehr viel zu essen, daß sogar das Brot in seinem Schrank verschimmelte, wohingegen andere Brüder dort verhungerten Frost wohnte nicht in den Baracken unter den anderen Brüdern, er wohnte im Hause der Wache, weit er dort bei allen Gelegenheiten für die SS-Wache Musik spielen musste, als ehemaliger Musiker. Von einem Bruder, welcher auf Grund seines Berufes überall Zutritt hatte, wurde Frost auf sein unbrüderliches Verhalten hingewiesen. Der Bruder bat um Brot von seinem Überfluß, da andere Brüder hungerten Frost antwortete: „Wenn ich dir von dem Brot geben würde, würde es womöglich mein Leben kosten, und ich bin nicht gewillt, für meine Gutmütigkeit zu büßen!“


Ergänzend sei noch aus einem Posting von Gerd Borchers-Schreiber zitiert. Es ist zwar hier nicht das Hauptthema, aber doch der beiläufigen Beachtung wert, wie selbst vormalige hauptamtliche WTG-Mitarbeiter (in diesem Fall der langjährige österreichische WTG-Zweigdiener Voigt), gezwungen wurden, mangels einer regulären Altersversorgung, noch im Rentneralter sich eine Arbeit zu suchen. Namentlich wenn sie sich in zunehmendem Dissenz zur WTG befanden. Zu Frost ist noch anzumerken; auch er konnte nicht seinen Lebensabend in der WTG-Zentrale verbringen, sondern wurde nach der Kleinstadt Tuttlingen abgeschoben. Formale Begründung. Dort seien seine Kinder wohnhaft.

Von Gerd am Freitag, den 25. Januar, 2002 - 20:10:

Zu Erich Frost:

Als nach dem Krieg der österreichische Zweigaufseher W.E. Voigt bei einer WTG-Tagung Erich Frost traf, fragte er diesen bezüglich der „Verleumdungen“ von denen er besonders im (DDR) Buch „über die Zeugen Jehovas“ las. Da sagte ihm Frost, daß dies leider stimmt. Er war bei den Befragungen durch die Gestapo derartig fertig, daß er wie in Trance deren Fragen beantwortete und Namen von Brüdern nannte. Danach glaubte er einen bösen Traum gehabt zu haben und nicht er selbst gewesen zu sein. Er bereute sehr seine Tat, erzählte er Voigt.

Daß Frost dann von der WTG ausgebootet wurde, war auch die Folge dieser „Missetat“.

Das erfuhr ich in einem Gespräch durch Voigt, der mit 68 Jahren vom Bethel-Wien freiwillig ausstieg und in meiner Abteilung für ca. 3 Jahre ein „weltlicher“ Mitarbeiter wurde.

Der Fall Frost erinnert doch in einiger Beziehung auch an den Fall Honecker. Letzterer Funktionär des kommunistischen Jugendverbandes, über seine Nachkriegskarriere ist genügend bekannt und braucht deshalb im Detail nichts ausgeführt zu werden. Honecker geriet 1935 in die Hände der Gestapo. Und auch bemerkenswert, seine damaligen Gestapo-Protokolle gelangten nach 1945 in die Fügungsgewalt der ostdeutschen Stasi.

Kommentatoren sind sich ziemlich einig. Die „Männerfreundschaft“ zwischen Stasiminister Mielke und Honecker, hatte auch eine Wurzel in diesen Gestapo-Protokollen. Sie waren für Mielke das „Faustpfand“, dass er nie eine gegen die Interessen der Stasifunktionäre gerichtete Politik betreiben würde, dass er faktisch der Stasi freien Lauf ließ. Angeblich will Honecker daher auch nichts von dem aufgeblähten Stasiapparat gewusst haben. Wie auch immer:

Honecker unterschrieb genauso wie Frost, Gestapo-Protokolle deren Substanz wohl kaum mit der These „standhaftes Leugnen“ beschrieben werden kann. Beide „Gestapohandlanger“ (Frost und Honecker). Ich mag diese Vokabel zwar nicht besonders, aber da sie seitens der DDR bis zum Überdruss im Falle Frost verwandt wurde, sei sie auch als adäquat auf Honecker übertragen. Beide Gestapo-Handlanger brachten es in ihrem jeweiligen Organisationsrahmen noch zu allerhöchsten Positionen. Im Falle der Zeugen Jehovas, waren wohl die „Engel Jehovas“ die da doch alles „überwallten“ mit Blindheit geschlagen. Und im Falle Honecker sicherte sich sein Stasiminister damit ein lebenslanges Faustpfand. Von den Stasidokumenten über Honecker sei nur eines auch an dieser Stelle einmal zitiert:

Weiterverhandelt,

Berlin, den 5. Dezember 1935.

Nochmals vorgeführt erscheint der Dachdecker Erich Honecker, P.b. und sagt zur Sache folgendes aus

Es ist richtig, daß ich am Dienstag gegen 21.30 Uhr vom Anhalter Bahnhof - Gepäckaufbewahrung - einen Koffer abgeholt habe. Den Gepäckschein für den dort hinterlegten Koffer habe ich von derselben Person erhalten, mit der ich am Dienstag im Laufe des Tages verschiedene Male zusammen war und die mir auch das Geld für mich und für „Fritz“ ausgehändigt hat. Das Geld war verschlossen in einem Briefumschlag.

Zu welchem Zweck ich den Koffer abholen sollte, war mir bekannt. Es handelte sich um den üblichen Koffer, der auf diese Weise mit kommunistischem Material über die Grenze geschafft wurde. Das Material lag nicht offen im Koffer, sondern war fast unsichtbar auf dem Boden des Koffers festgeklebt und mit demselben Futter überklebt, wie der ganze Koffer ausstaffiert war. Es war somit unmöglich zu erkennen, daß im Boden des Koffers Material gelagert war.

Bei Abholung des Koffers auf dem Bahnhof wurde ich durch das merkwürdige aufgeregte Verhalten und das unruhige Suchen nach dem Koffer der Eisenbahnbeamten an der Gepäckausgabe aufmerksam und vermutete, daß irgend etwas nicht in Ordnung sein müsse. Meine besondere Aufmerksamkeit erregte das herausgeschnittene Kofferschloß. Ursprünglich wollte ich mit dem Koffer in meine Wohnung fahren, bin aber dann zum Bahnhof Zoo weitergefahren, habe den Koffer, da ich mich beobachtet fühlte, in der Autotaxe liegen lassen und bin geflüchtet. Trotzdem ich wußte, daß in dem Koffer kommunistisches Material verborgen war, ließ ich ihn liegen, weil er mir bei der Flucht nur behinderlich sein konnte.

Wie ich bereits in meiner ersten Vernehmung ausgesagt habe, brachte mir das Mädel auch einen Notizblock mit. Die Aufzeichnungen in dem Block bedeuteten den neuen Treff für den nächsten Kurier von außerhalb und die Art und Weise, wie unsere Bekanntschaft entstehen sollte. Ich gebe die Aufzeichnungen wie folgt wieder:

«M.M.Sd. 17 NDT» bedeutet Montag, Mittwoch, Sonnabend 17 gleich 17 Uhr. Neues Deutsches Theater».

«Rubelova» = Straße.

- P. Mitt. = Mittag, linke Hand Husten tritt einer an ihn heran «Wo ist die nächste Hühnerfarm?» Antw.: «Das weiß ich leider nicht, aber die nächste Geflügelhandlung will ich Ihnen gern zeigen.»

Antw.: «Das ist ausgezeichnet».

Das Vorstehende bedeutet, wie schon erwähnt, die Art und Weise, die Zeit und der Ort, wo der nächste Auslandskurier von mir empfangen werden sollte. Und umgekehrt die Prager Adresse, wo jemand von hier in Prag empfangen werden konnte.

Bei dem in meiner Wohnung vorgefundenen Material handelt es sich teilweise um zurückgebliebenes Material von der letzten Sendung aus Prag und teilweise um Material, welches von hier nach drüben geschickt werden sollte und das gewöhnlich von dem anwesenden Kurier mitgenommen wurde. Ich hatte es schon verpackt, um es weiterzuleiten. Das jedesmal angekommene Material leitete ich dem «Fritz» weiter. Das früher eingetroffene sowohl, als auch das, welches von mir vom Anhalter Bahnhof abgeholt wurde, hätte ich ebenfalls an «Fritz» aushändigen müssen.

Auf welche Art die Betriebsberichte, die ich vom «Fritz» hatte, in seine Hände gelangt sind, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich persönlich hatte diese Verbindungen nicht, kann auch nicht sagen, um welche Personen es sich dabei handelt, die die Berichte geliefert haben.

Anfang November bin ich nach Prag berufen worden, um, wie man mir sagte, nachzuprüfen, inwieweit ich mich in die hiesige Arbeit schon reingefunden hatte. Ich reiste zu diesem Zweck am 10.11.35 nach Prag, hielt mich ungefähr 8 Tage dort auf und fuhr auf dem gleichen Wege über Tetschen wieder zurück. In Prag habe ich mit einem gewissen «Franz» verhandelt, der auch die fragliche Nachprüfung vorgenommen und für gut befunden hat. «Franz» ist ebenfalls ein jüngerer Mensch, der wahrscheinlich drüben die Jugendbewegung in Deutschland zur Bearbeitung unter sich hat. Sein richtiger Name ist mir unbekannt. «Franz» beschreibe ich wie folgt: Etwa 25 Jahre alt, blond, volles Gesicht, vielleicht 1,70-72m groß, schlank und spricht, soweit ich das beurteilen kann, norddeutschen Dialekt, so wie ihn die Leute an der Wasserkante sprechen

V. g. U.

Erich Honecker

g. w. 0.

KBS.


Quelle: www.manfred-gebhard.de/19362Frost.htm