Schreiben des

Sicherheitsdienst des Reichsführers SS, SD-Oberabschnitt Rhein

II 113 V. 494/35 (Datum: 22.9. 1936)

An das Sicherheitshauptamt RFSS

Abteilung II 113, Berlin S. W. 68

Betrifft: Internationale Bibelforschervereinigung.

Vorgang: dort FS Nr. 29068 v. 29. 8. 36

" Schr. I/112 21-6 v. 3. 9. 36

Im Verfolg der von dort aus angeordneten Aufrollung der Internationalen Bibelforschervereinigung werden als "Zwischenbericht" folgende Ermittlungen nach dort gemeldet:

  1. Der in dem Protokoll Winkler genannte Bezirksleiter Franke, Konrad, Mainz, wurde festgenommen. Bei ihm wurde ein Sprechapparat mit Platten der Bibelforscher vorgefunden. Nach anfänglichem Leugnen war Franke geständig, illegal für die Bibelforschervereinigung gearbeitet zu haben. Die näheren Einzelheiten über seine Betätigung ergeben sich aus dem in Anlage 1 beiliegendem Vernehmungsprotokoll.
  2. Auf Grund der Angaben des Franke wurde in Frankfurt/M. der Reisevertreter Steinbach festgenommen, der laut Aussage des Franke als Dienstleiter für Frankfurt a. M. tätig gewesen sein soll. Steinbach bestreitet Winkler zu kennen und will seit dem Verbot sich nicht mehr betätigt haben. Weitere Ermittlungen laufen in dieser Sache noch.
  3. Unter dem dringenden Verdacht mit Franke in Verbindung gestanden zu haben, wurden noch verhaftet:
  • a. Kubalski, Hermann, Adolf, geb. 22.10.92., wohnhaft in Viesen Kr. Altenkirchen. Kubalski gibt zu, Druckschriften im Frühjahr 1936 von einer Person (wahrscheinlich von Franke) erhalten zu haben (siehe Anl. 2).
  • b. Neitzert, Frieda, ledig, geb. 28. 2. 16 in Hohensayn, wohnhaft Hohensayn, Kr. Altenkirchen. Bei der Neitzert wurde eine Schallplatte der I.V.B. vorgefunden. Nähere Angaben hat die N. bis jetzt noch nicht gemacht (siehe Anl. 3).
  • c. Michaelis, Lisbeth, verh., geb. am 16. 9. 12, in Berlin, wohnhaft in Neuwied a/Rhn. Bei der M. wurde das "Jahrbuch 1936 der Zeugen Jehovas" gefunden. woher das Buch stammt, ist bis jetzt noch nicht bekannt (siehe Anl. 4).
  • d. Michaelis, Fritz Robert, geb. am 1. 2. 00 in Breslau, wohnhaft Neuwied a /Rhn. Der Genannte ist der Ehemann der zu c Genannten. Auch er macht keine Aussage (Anl. 5).
  • e. Kreier, Friedrich, geb. am 25. 2. 99 zu Neuwied, wohnhaft daselbst. Kreier gibt zu, sich nach dem Verbot noch betätigt zu haben. Auch hat er Zeitschriften und Bücher weitergegeben. Er gibt auch zu, bei Besprechungen anwesend gewesen zu sein, verweigert aber über die näheren Umstände die Aussage. (Anl. 6)
  • f. Brandt, geb. Giloy, Wwe. geb. 11. 7. 96 in Hochstetten Kr. Kreuznach, wohnhaft daselbst. Auch bei der Brandt wurde illegales Material vorgefunden. Nähere Angaben hat die B. jedoch zunächst nicht gemacht. Bei einer weiteren Vernehmung konnte die Genannte doch zu einer Aussage gebracht werden. Sie gab an, von einem Bruder der Vereinigung namens Wagner aus Mainz-Weisenau von Zeit zu Zeit besucht worden zu sein, letztmalig im Juli 1936. Wagner habe ihr das Material überbracht. Aus der Vernehmung ist zu schließen, daß Wagner als Kurier zwischen dem Bezirksdienstleiter und den unteren Einheiten tätig gewesen ist. Eine Vernehmung des Wagner liegt noch nicht vor.
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  1. Es darf mit Bestimmtheit angenommen werden, daß die zu a-f Genannten direkt oder indirekt mit Franke in Verbindung standen und illegal für die I.V.B. gearbeitet haben.
  2. Weiterhin wurden in Frankfurt a. M. die bekanntesten Bibelforscher eingehend überholt. Wenn auch in keinem Fall illegales Material gefunden werden konnte und sich auch kein Anhaltspunkt einer derartigen illegalen Betätigung ergab, so konnte doch festgestellt werden, daß
  • a. der Bäckermeister Bertram, Frankfurt a/M.,
  • b. ein Frl. Gresler, Frankfurt a/M., zu der Tagung der I.V.B. nach der Schweiz gefahren waren. Frl. Gresler hat das Geld zu dieser Reise von dem ehemaligen Bibelforscher Fuhrmann, Frankfurt erhalten. Fuhrmann bestreitet gewußt zu haben, daß die Gresler zur Tagung nach Luzern fährt. Weitere Ermittlungen schweben z. Zt. noch. Bertram und die Gresler werden nach ihrer Rückkehr aus der Schweiz vernommen werden.

In der Anlage 8 wird noch eine "Resolution", die aus der Schweiz an verschiedene hiesige Behörden gesandt wurde, überreicht. Es wird festgestellt, ob Bertram oder die Gresler die Zusendung vorgenommen haben.

Der Führer des SD-Oberabschnittes Rhein

Geheimes Staatspolizeiamt Darmstadt

"Darmstadt, den 9.9.36

Aus der Schutzhaft vorgeführt erklärt Franke, Konrad zur Wahrheit ermahnt folgendes:

Ich sehe ein, dass ein weiteres leugnen keinen Zweck hat. Ich bin bereit, die volle Wahrheit zu sagen, insbesondere nachdem mir Reichsleiter Winkler (zur Zeit in Berlin in Haft) einen Brief hat zugehen lassen, in welchem er mich auffordert, die Wahrheit zu sagen, da die Polizeibehörden über meine Tätigkeit völlig informiert sind.

Ich bin Zeuge Jehovas seit längerer Zeit, wie das in meiner Vernehmung vom 31.8. und 1.9.1936 vor der Staatspolizeistelle Mainz angegeben ist. Auf diese Vernehmungen nehme ich auch hinsichtlich meiner Einstellung dem Staat gegenüber Bezug.

Am 7. Oktober 1934 wurde von allen Ortsgruppen der IBV, der bekannte Brief an die Reichsregierung gerichtet, mit dem Inhalt, dass die Zeugen Jehovas das Verbot der IBV, nicht anerkennen könnten, Gott mehr als den Menschen gehorchen müssten und sich in Zukunft weiter versammeln würden. Diesen Brief habe ich damals von dem Bezirksdienstleiter (B.D.L.) Dr. Merk für meine Gruppe erhalten. Ich hatte in Mainz eine Gruppe von etwa 9 bis 10 Zeugen Jehovas zu betreuen. Am 7. Oktober 1934 vormittags 9 Uhr habe ich, wie mir dies aufgegeben war, meine Gruppe versammelt. Ich habe den Brief vorgelesen und diesen alsdann mit der Unterricht "Ortsgruppe Mainz" an die Reichsregierung abgesandt.

In der darauffolgenden Zeit habe ich nicht im eigentlichen Sinne mit meiner Gruppe gearbeitet, sondern bin mit einzelnen Zeugen Jehovas, soweit sich gelegentlich Gelegenheit bot, zusammengekommen und habe mit Ihnen über die Wahrheit in der Bibel Gesprochen. Irgend eine weitere Funktion hatte ich in dieser Zeit innerhalb der illegalen Organisation der IBV. noch nicht.

Etwa Ende Mai 1935 wurde der BDL Dr. Merk festgenommen. Als seinen Nachfolger wurde mir von dem Reichsleiter Winkler die Leitung des Bezirks Pfalz-Baden und Maingebiet übertragen. Winkler selbst kannte ich bis dahin persönlich noch nicht. Ich hatte ihn lediglich als Versammlungsleiter unter anderem in Berlin gesehen. Ich war von Dr. Merk an Winkler als Bezirksdienstleiter empfohlen worden wie ich annehme. Ich wurde mit ihm persönlich in Verbindung gebracht durch den B.D.L. für das Rheinland und Saargebiet Albert Wandres.

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Diesen selbst kannte ich aus meiner früheren Tätigkeit als Dienstleiter von Mainz und Wiesbaden. Ich traf Winkler auf einer Durchreise durch Mainz auf dem Bahnhof in Mainz und fuhr mit ihm zu einem verabredeten Treff in Stuttgart. Dorthin waren noch die B.D.L. Lehmann und Stichel sowie Baur gekommen. In Stuttgart besprachen wir, wie wir unsere weitere Arbeit fortführen wollten.

Seit dieser Zeit, etwa Anfang Juni 1935 übe ich die Funktion eines B.D.L. für folgendes Gebiet aus:

Baden, Pfalz und das nähere Gebiet um Frankfurt/Main, Wiesbaden, Darmstadt.

Ich möchte aber bemerken, dass sich Winkler nicht ausdrücklich als B.D.L. bezeichnet hat.

Die Treffs mit dem Reichsleiter Winkler wurden immer von Fall zu Fall festgesetzt. Winkler kam mit der Bahn aus Richtung Köln nach Mainz. Hier traf ich ihn auf dem Bahnhof und fuhr mit ihm ein Stück mit, je nachdem wieviel wir zu besprechen hatten, da der Aufenthalt des Zuges in Mainz zu kurz war. Mehrmals bin ich bis nach Stuttgart mitgefahren. Die Treffs fanden etwa in Abständen von 4-5 Wochen statt.

Mit der Organisation meines Bezirkes bin ich noch nicht mehr weit durchgekommen, da ich außerhalb Mainz und Wiesbaden bei den Geschwistern unbekannt war und mich erst von einem anderen bei ihnen einführen musste. Ich habe bisher in meinem Bezirk mit folgenden Dienstleitern in Verbindung gestanden:

  1. Frankfurt/Main. Steinbach, Valentin, Schwarzburgstr. 26.
  2. Mannheim. Karl Haas, Luisenring 54.
  3. Karlsruhe. Mühlhäuser, Vorname?, Lindenplatz 12.
  4. Offenburg. Albert Kern, Lindenplatz 12
  5.  Singen. Erich Arnold, Hauptstr. 12
  6. Speyer. Sand (Vorname und Anschrift unbekannt). Mit diesem habe ich mich nur in Mannheim getroffen.
  7. Mainz. Diesen Bezirk habe ich selbst bearbeitet. Diese Dienstleiter habe ich etwa monatlich einmal besucht. Die Auslagen für die Bahnfahrten habe ich mit den eingenommenen Geldern verrechnet.

Die Wachtturm (WT) Abschriftenherstellung war zu der Zeit als ich den Bezirk übernahm bereits eingerichtet. Die Original WT wurden an den Dienstleiter (DL) Mühlhäuser gesandt. Absender war meines Wissens das Bibelhaus Bern/Schweiz. Die Herstellung der Abschriften wurde durch Mühlhäuser besorgt. Wo die Verfielfältigungsapparate standen, wer die Matrizen schrieb und wie die weitere Herstellung der Abschriften vor sich ging, ist mir unbekannt. Ich habe

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mich hierum nie gekümmert, da diese von Mühlhäuser ordnungsgemäß erledigt wurde.

Nach der Inhaftnahme von Mühlhäuser veranlasste ich bei dem Reichsleiter Winkler, dass die Original W.T. an den D.L. Haas in Mannheim gesandt wurden, der von da ab auch die Herstellung der Abschriften besorgte ohne dass ich im einzelnen über die Art und Weise unterrichtet wurde.

Die Verteilung der W.T. Abschriften wurde ebenfalls durch Mühlhäuser bezw. nach seiner Inhaftnahme durch Haas vorgenommen. Von jeder Nummer des W.T. wurden meiner Schätzung nach gegen 300 Abschriften gefertigt. Diese wurden wie folgt verteilt:

  1. Steinbach, Frankfurt/Main gegen 35 Stück
  2. Mühlhäuser, Karlsruhe " 45 Stück
  3. Kern, Offenburg " 70 "
  4. Sand, Speyer " 40 "
  5. Ich selbst, Mainz " 40 "
  6. Haas, Mannheim " ? "

Arnold, Singen, erhielt kaum Abschriften. Für diesen Bezirk wurden meistens Original W.T. aus der Schweiz besorgt. Über die näheren Einzelheiten bin ich nicht unterrichtet.

In der ersten Zeit erhielt jeder Zeuge Jehovas eine Abschrift des W.T. In späterer Zeit mussten in manchen Bezirken mehrere Zeugen zusammen eine Abschrift lesen.

Für jede Abschrift des W.T. mussten 25 Rpf. bezahlt werden. Dieses Geld habe ich nicht in Empfang genommen, wurde vielmehr von den Verteilern eingezogen und zur Deckung der Unkosten verwandt.

Nach dem Verbot der IBV. wurden in meinem Bezirk fast alle Bücherlager beschlagnahmt. Es befanden sich seitdem nur noch bei einzelnen Glaubensgeschwistern verteilt, verschiedene Posten, die im Laufe der Zeit und zwar bis zur gegenwärtigen Zeit noch verteilt wurden. In meinem Bezirk Mainz-Wiesbaden waren nur einige wenige Bücher vorhanden, da hier die Bestände fast restlos beschlagnahmt waren. Wo die übrigen Bücher lagen, weiss ich nicht. Hierüber müssen die einzelnen D.L. Auskunft geben können.

Aus diesen alten Beständen wurde je Buch 25 Rpf. und je Broschüre 2 Rpf. verlangt. Das eingenommene Geld ging über den Dienstleiter an mich und wurde von mir bei den Zusammenkünften mit Winkler, an diesem abgeliefert.

Neuere Bücher kamen in meinem B.D.L.-Bezirk kaum zur Verteilung. Ich erhielt persönlich nur hin und wieder einmal ein neueres Buch oder eine neuere Broschüre bei den Zusammenkünften in Stuttgart von den

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anderen B.D.L. Im übrigen kamen in meinem Bezirk meines Wissens nur einige Exemplare der Broschüre "Regierung" unter den Geschwistern zur Verteilung. Von diesen neueren Schriften kostete ein Buch RM 1.50, eine Broschüre mit Buntdruck RM -,20 und mit Schwarzdruck RM -,15. Wo die anderen Bücher ausser denen, die ich selbst erhielt, herkamen, weiss ich nicht. Es ist möglich, dass diese von Glaubensgeschwistern aus der Schweiz beschafft worden sind. Von der Schwester Bertha Maur in Konstanz habe ich keine Bücher erhalten. Ich habe sie zwar einige Male aufgesucht, da sie mir als Schwester bekannt war, habe von ihr aber keine Bücher mitgenommen. Ich habe mit ihr nur über Versammlungsangelegenheiten gesprochen.

Bei den Zusammenkünften mit Winkler übergab ich diesem regelmäßig die Berichte über die geleistete Arbeit in meinem Bezirk und zwar über die verteilten Bibeln, Bücher und Broschüren sowie die Anzahl der Arbeitsstunden und der Zeugnisse. Meiner Erinnerung nach lautete der Bericht vom 1. August 1936 an Winkler etwa wie folgt.

  • 30 Bibeln
  • 350 Bücher
  • 500 Broschüren
  • 120 Stunden
  • 500 Zeugnisse.

Etwa Anfang 1936 erfuhr ich durch Reichsleiter Winkler, dass Sprechapparate geliefert werden sollen, auf denen Sprechplatten mit Vorträgen von Richter Rutherford abgespielt werden sollten. Ich gab hierauf zunächst eine Bestellung von 2 Kofferapparaten an Winkler auf, die zu

Julius Streit, Freiburg i. B., Sedanstr. 12

gesandt werden sollten. Streit ist Glaubensbruder. Ich hatte mich mit ihm vorher wegen der Lieferung der Apparate in Verbindung gesetzt und daraufhin Winkler seine Anschrift mitgeteilt. Auf diese Bestellung wurden an Streit nicht nur 2 sondern insgesamt 4 Apparate geliefert. Von diesen erhielt ich einen Apparat der bei mir inzwischen beschlagnahmt worden ist. Je einen Apparat erhielten die D.L.

Haas, Mannheim

Mühlhäuser, Karlsruhe

Kern Offenburg

Inzwischen hatte ich weitere 3 Apparate bestellt, die an

Otto Arnemann, Mainz, Baltasamlerstr. 1

geliefert werden sollten. Diese Apparate sind aber bisher noch nicht eingetroffen. Ich bemerke ausdrücklich, dass Arnemann kein Glaubensbruder ist und überhaupt nichts mit der IBV. zu tun hat. Ich kannte ihn nur als Seifenlieferant, und hatte ihn auf Grund dieser Verbindung gebeten, ob nicht gelegentlich einmal etwas für mich von ihm getan

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werden könnte. Da er sich hiermit einverstanden erklärt hatte, habe ich seine Anschrift Winkler angegeben.

Da diese Apparate nicht eingetroffen sind, habe ich nochmals und zwar 10 Apparate bestellt, die an Streit, Freiburg, geliefert werden sollten. Diese Apparate sind aber bisher auch noch nicht eingetroffen.

An Platten habe ich von Winkler persönlich zwei mal zwei Stück erhalten, die ich an Glaubensgeschwister weiter gegeben habe. Wer diese Geschwister sind, weiss ich heute nicht mehr. Ich habe ausserdem nur noch das Päckchen Platten erhalten, dass bei meiner Festnahme beschlagnahmt worden ist. Dieses Päckchen habe ich auch von Winkler erhalten.

Für jeden Apparat waren RM 22,50 und für jede Platte RM 1,75 zu zahlen. Das Geld für die gelieferten 4 Kofferapparate und die Platten, habe ich an Winkler abgeführt.

Weder mit Winkler noch mit meinen Dienstleitern habe ich im schriftlichen Verkehr gestanden. Zwischen uns wurde lediglich persönlich verhandelt. Ich habe allerdings Winkler und zwar wie ich annehme, auf dessen Anregung, als Postanlaufstelle für mich die Anschrift

Peter Schroth, Mainz-Kastell, Petersweg 50

angegeben. Ich habe mich hierüber aber nicht mit Schroth in Verbindung gesetzt und habe insoweit eigenmächtig gehandelt. Ich habe auch von Schroth niemals Postsachen für mich erhalten. Offenbar hat Schroth niemals davon Kenntnis erhalten, dass ich seine Anschrift als Postanlaufstelle angegeben habe.

Bei dem letzten Treffen mit Winkler am 1. 8. 1936 erfuhr ich, dass in der Zeit vom 4. bis zum 7. 9. 36 eine Hauptversammlung in Luzern stattfinden sollte. Für diese Versammlung sollten Sonderberichte über Verhaftungen, Misshandlungen usw. von Zeugen Jehovas gegeben werden. Derartige Fälle sollten in den einzelnen Bezirken gesammelt werden. Die Berichte hierüber sollten

an Rubau (falsche Schreibform), Danzig

gegeben werden, der eine Woche nach Winkler die einzelnen BDL besuchen wollte. Rubau kam dann wie verabredet auf der Durchreise nach Mainz. Hier übergab ich ihm mehrere Zettel mit Meldungen verschiedener Geschwister darüber, dass Geschwister zur Wahl angehalten worden sind. Rubau hatte ich bei einer Zusammenkunft der BDL in Berlin kennengelernt. Er ist etwa 1,65 m groß, hagere Gestalt, schmales Gesicht, bartlos und trägt meines Wissens eine Brille. Er ist meiner Schätzung nach 35 Jahre alt.

Rubau brachte mit bei dieser Gelegenheit auch ein Päckchen von den Gutscheinen zu RM 10,- und RM 5,- mit, die für die Reise

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der Geschwister zu der Hauptversammlung nach Luzern dienen sollten. Ich hatte daher auch schon vor dem ersten August Reisegelder von den Geschwistern, die nach Luzern fahren wollten, eingenommen. So hatten an mich

Haas, Mannheim

Korn, Offenburg, insgesamt gegen RM 200,- aus ihren Bezirken abgeliefert, die ich am 1. 8. an Winkler weiterleitete. Nachdem mir Rubau die roten und grünen Gutscheine gegeben hatte, habe ich diese an die verschiedenen Dienstleiter und zwar zunächst ohne Bezahlung weitergegeben. Die Dienstleiter sollten dann das eingenommene Geld an mich zur Weitergabe an Winkler abliefern. Ich habe dann auch nach dem 1. 8. noch Reisegelder eingenommen, diese aber wieder zurückgegeben, nachdem auf Grund des neuen Reiseverkehrsabkommen mit der Schweiz von den einzelnen Geschwistern selbst Geld mit in die Schweiz genommen werden konnte. Wer von den Geschwistern nach Luzern fahren wollte und gefahren ist, weiss ich nicht. Am 1. 8. habe ich an Winkler insgesamt gegen RM 600,-- abgeliefert.

Hiervon waren RM 200,-- die oben erwähnten Reisegelder,

etwa RM 100,-- für Bücher und Broschüren und

" " 300,-- G. H. (Kasse Gute Hoffnung) Gelder.

Bei den früheren Zusammenkünften habe ich an Winkler auch stets etwa RM 3 - 400,-- für Bücher und G. H. abgeliefert.

Das Jahrbuch 1935 habe ich für meinen Bezirk nicht erhalten. Ich habe lediglich einige Abschriften aus dem Jahrbuch mit den

Tageszetteln in Kalenderform erhalten. Es werden insgesamt 15 Exemplare gewesen sein. Diese wurden für RM -,50 je stück weiter gegeben.

Ich habe die volle Wahrheit gesagt und bin auch bereit bei etwaigen Unstimmigkeiten Aufklärung zu geben.

selbst gelesen, genehmigt und unterschrieben.

gez. Konrad Franke

Reg. Assessor Gestapa Berlin

gez. Lischka


Darauf hin konnte der SD-Oberabschnitt Rhein in zwei Schreiben vom 22.9. und 29.10.36 eine Erfolgsmeldung an seine vorgesetzte Zentrale in Berlin übermitteln. In dem Schreiben vom 22.9. wird erwähnt, dass Franke nach anfänglichem Leugnen geständig sei. "Auf Grund der Angaben des Franke wurde in Frankfurt/M. der Reisevertreter Steinbach festgenommen, der laut Aussage des Franke als Dienstleiter für Frankfurt a. M. tätig gewesen sein soll. Steinbach bestreitet Winkler zu kennen und will seit dem Verbot sich nicht mehr betätigt haben. Weitere Ermittlungen in dieser Sache laufen noch."

Im Zusammenhang mit dem von Franke auch genannten (Adam) Sand, wurde in der Anklage der Staatsanwaltschaft gegen letzteren, Franke als Zeuge für die Anklage benannt.

Das SD-Schreiben vom 29.10. 1936:

Sicherheitsdienst des Reichsfühers-SS, SD Oberabschnitt Rhein

II 113 V 494/35

An das

Sicherheitshauptamt RFSS, Abteilung II 113, Berlin S. W. 68

Betrifft: Aktion gegen die illegalen Internationalen Ernsten Bibelforscher

Vorgang: hies. II 113 V. 494/35 v. 22.9.36

Die schlagartige am 31.8.36 im ganzen Oberabschnittsgebiet einsetzende Aktion gegen die illegale IBV hat nunmehr einen gewissen Abschluss erreicht und im folgenden wird über das Ergebnis der Aktion zusammenfassend berichtet.

1.) Da die hiesige Dienststelle außer den Hinweisen des Hauptamtes (Franke, Mainz) keinerlei Handhaben gegen die IBV hatte, wurde mit den Staatspolizeistellen Darmstadt, Frankfurt und Koblenz vereinbart, bei allen schon in Erscheinung getretenen Bibelforschern eine Durchsuchung mit anschließendem gründlichen Verhör durchzuführen. Das Ergebnis war überraschend. Es darf gesagt werden, dass die illegale Organisation der IBV in Hessen-Nassau restlos zerschlagen ist.

Nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen ergibt sich folgendes Bild.

  • a. Bezirksdienstleiter war ohne Zweifel Konrad Franke, Mainz. Bei ihm wurde ein Sprechapparat mit Platten der IBV vorgefunden. Franke bestreitet, von Winkler Material erhalten zu haben: er gibt jedoch zu, Schriftenmaterial verteilt zu haben. Er bezeichnet den Reisenden Valentin Steinbach, Frankfurt a. M. als Dienstleiter für den Bezirk Frankfurt. Steinbach wurde festgenommen, leugnete aber zunächst jede Betätigung. Später gab er aber zu, von unbekannter Seite einige Schriften erhalten zu haben. Es darf als sicher angenommen werden, dass Steinbach Dienstleiter für Frankfurt a. M. war.
  • b. Unabhängig hiervon wurde festgestellt, daß für den Bezirk Koblenz der Buchhalter Gustav Fenstermacher Dienstleiter gewesen ist. In der Anlage 1-3 wird die Abschrift des Vernehmungsprotokolls vorgelegt.
  • c. Als Kuriere waren tätig:
  1. der Heinrich Knie aus Maxain/Unterwesterwald,
  2. der Jacob Wagner, aus Mainz-Weisenau.
  • d. Anlaufstellen für Schallplatten und Schriften befanden sich bei:
  1. Heinrich Pirzental, Richelhardt/Kr. Altenkirchen (siehe Anlage 5-6)
  2. Heinrich Neitzert, Hoyensayn/Kr. Altenkirch
  • e. Als einer der Hauptaktivisten wurde der seit einiger Zeit flüchtige Albert Wandres, Wiesbaden, festgestellt. Es scheint, daß Wandres im direkten Auftrage Frankes gearbeitet hat.

Im Verlauf der Aktion wurden folgende mehr oder minder belastete Bibelforscher festgenommen:

  1. Mathias Ebers, geb. am 29. 9. 1874 in Dieblich, Kr. Koblenz/Land, wohnhaft Metternich. Er gibt zu, von einem ihm unbekannten Kurier in der Zeit von Mai-Juli 1936 Schriften erhalten zu haben.
  2. Peter Schroth, Mainz. Nach Angabe der Stapo Karlsruhe soll er die Deckadresse für Franke abgegeben haben. Er gibt zu, Schriften aus der Schweiz erhalten zu haben. Mit Franke will er lediglich wegen des Verkaufs eines Wellensittigs zusammengekommen sein.
  3. Müller, Frau, Mainz, Sie kam häufig mit Franke zusammen. Die Zusammenkünfte sollen jedoch harmloser Natur gewesen sein.
  4. Die Eheleute Nickel, Zwingeberg,
  5. der Frisör Gärtner (Einfügung M. G. Man beachte zu letzterem den Beitrag im Hesse-Buch S. 177f.) Die zu 4-5 Genannten sitzen schon längere Zeit, machen jedoch keinerlei Angaben.
  6. Die Eheleute Scheuren, Wiesbaden, wegen Verdacht der illegalen Betätigung (siehe Anlage 8/9)
  7. Der Waschmeister Emil Petzold, Wiesbaden. P. leugnet noch etwas mit der I.B.V. zu tun zu haben (siehe Anlage 10).
  8. Der Maschinenstricker Karl Klees, Wiesbaden, der für die I.B.V. geworben hat. Es ist nicht erwiesen, ob er der illegalen Organisation angehört hat. (siehe Anlage 11).
  9. Der Schmied Karl Buch, Neuwied. Er behauptet, sich nach dem Verbot der I.B.V. nicht mehr betätigt zu haben. (Anlage 12)
  10. Weiterhin wurde in Frankfurt a. M. der Bäckermeister Bertram (siehe auch hies. Bericht II 113 v. 22. 9. 36) festgenommen. Nach langem Leugnen gab er zu, die Tagung der I.B.V. in der Schweiz besucht zu haben. Im übrigen verweigert er jede Aussage.

Im Laufe der weiteren Ermittlungen werden wohl noch einige Personen festgenommen werden. Es handelt sich hier jedoch nicht um Funktionäre. Sobald die Ermittlungen abgeschlossen sind und die Anklageschrift vorliegt, wird nach dort berichtet.

Der Führer des SD Oberabschnitts Rhein.


Auszugsweise sei auch noch das Schreiben der Stuttgarter Gestapo vom 12. 11. 1936 zitiert, dass sie in gleicher Angelegenheit an das Berliner Sicherheitshauptamt RFSS richtete.

Nachdem man feststellte, dass man wegen Personalmangels die beabsichtigten Aktionen noch nicht im vollem beabsichtigten Umfange habe durchführen können, teilt man jedoch das nachfolgende "Zwischenergebnis" mit:

Die Massnahmen gegen die illegalen Organisationen der Bibelforscher führten in den einzelnen Unterabschnittsgebieten bis jetzt zu folgendem Ergebnis:

Baden:

Bezirksdienstleiter, Vertreter für Baden und Kassenstelle: BDL Konrad Franke, Mainz (Vernehmungsprotokoll siehe Anlage)

Postanlaufstelle: Peter Schroth, Mainz-Kastel, Petersweg 5c.

Lit.-Anlaufstelle: Karl Haas, Mannheim, Luisenring 54.

WT.-Herstellung: Adolf Mühlhäuser, Karlsruhe, Grenzstrasse 4.

Bücherlager: Mannheim, D 7, 12.

Sprechapparatevertrieb: Julius Streit, Freiburg i. Br. Sedanstrasse 12.

Schallplattenvertrieb: BDL Konrad Franke, Mainz

Kurier: BDL Konrad Franke, Mainz. (Franke hatte für Kurierdienste keinen besonderen Bruder erwählt, er fuhr selbst jeden Monat einmal zu seinen DL. überbrachte die nötigen Anweisungen und kassierte.)

DL für Mannheim: Karl Haas, Mannheim, Luisenring 54 (siehe Lit.-Anlaufstelle)

DL für Karlsruhe: Adolf Mühlhäuser, Karlsruhe, Grenzstr. 4 (siehe WT.-Herstellung).

Ordnungsmänner für Karlsruhe:

Otto Schwarz, Karlsruhe, Echenstrasse 23
Josef Seitz, Karlsruhe, Kriegsstrasse 171
Karl Matthes, Karlsruhe, Yorkstrasse 40
Fritz Kollmann, Karlsruhe, Kaiserstr. 24
Johann Schäfer, Karlsruhe, Maxaustrasse 42
Karl Hetz, Karlsruhe, Körnerstrasse 173
Wilhelm Soulier, Karlsruhe, Kriegstrasse 173.
DL für Offenburg: Albert Kern, Offenburg, Lindenplatz 12
DL für Freiburg: Julius Streit, Freiburg, Sedanstr. 12 (siehe Sprechapparatevertrieb)
DL für Singen: Erich Arnold, Singen a. H.

Im Zuge der Aktion wurden nun in Baden folgende Personen festgenommen:

1.) Franke, Konrad, BDL für Saar-Pfalz, Maingebiet und Baden, Vertreter für Baden, Kassenstelle, Schallplattenvertrieb und Kurier. (Durch Gestapa Darmstadt festgenommen).

2.) Haas, Karl, geb. am 28. 10. 1902 in Mannheim, wohnhaft in Mannheim, Luisenring 54, DL für Mannheim und Lit.-Anlst. für Baden.

3.) Mühlhäuser, Adolf, geb. am 3. 9. 1892 in Birkach, wohnhaft in Karlsruhe, Grenzstr. 4, WT-Herstellung und DL für Karlsruhe (wurde bereits am 20. 7. 36 festgenommen)

4.) Schwarz, Otto, geb. am 19. 10. 1890 in Strassburg, wohnhaft in Karlsruhe, Echenerstr. 23, Ordnungsmann für Karlsruhe.

5.) Seitz, Josef, geb. am 10. 9. 1893 in Ottenhöfen, wohnh. in Karlsruhe , Kriegsstr. 171, Ordnungsmann für Karlsruhe.

6.) Matthes, Karl, geb. am 3. 11. 1892 in Derdingen, wohnh. in Karlsruhe, Yorkstr. 40, Ordnungsmann für Karlsr.

7.) Kollmann, Fritz, geb. am 7. 5. 1896 in Weissenhorn, wohnhaft in Karlsruhe, Kaiserstr. 243. Ordnungsmann für Karlsruhe.

8.) Schäfer, Johann, geb. am 31. 7. 1877 in Hochheim, wohnhaft in Karlsruhe, Maxaustr. 42, Ordnungsmann für Karlsruhe.

9.) Hetz, Karl, geb. am 1. 3. 1895 in Freistett, wohnhaft in Karlsruhe, Körnerstr. 173, Ordnungsmann für Karlsruhe.

10.) Soulier, Wilhelm, geb. am 10. 5. 1875 in Klein-Villare, wohnhaft in Karlsruhe, Kriegsstr. 173, Ordnungsmann für Karlsruhe.

11.) Streit, Julius, geb. am 5. 1. 1879 in Freiburg, wohnh. in Freiburg, Sedanstr. 12, Sprechapperatevertrieb und DL für Freiburg

12. Kern, Albert, geb. am 2. 4. 1887 in Meissenheim, wohnh. in Offenburg, Lindenplatz 12, DL für Offenburg.

13.) Arnold, Erich, geb. am 8. 2. 1898 in Triefeld, wohnhaft in Singen a. H. DL für Singen.

Festgenommen, weil sie die Hauptversammlung der I.B.V. in Luzern vom 4. bis 7. 9. 36 besuchten wurden folgende Personen:

14.) Reuotto, Erna Johanna, geb. Körner, geb. am 24. 4. 1899 in Singen, wohnhaft in Sulzuflen, Westfl.

15.) Vieser, Emma, geb. am 1. 3. 1882 in Metz, wohnhaft in Karslsruhe, Bismarckstr. 29

16.) Janzer, Karla Thekla geb. Hilberer, geb. am 14. 12. 1892 in Bermersbach, wohnhaft in Heureut...

Die Vernehmungen der genannten DL für Baden werden nachstehend gekürzt zur Kenntnis gebracht:

Julius Streit, DL für Freiburg i. Br. gibt nach verschiedenen Vorhaltungen zu, zwei Grammophonapparate erhalten zu haben. Daß er DL für den Bezirk Freiburg war bestreitet er nach wie vor. Er habe nur 10 Glaubensbrüder zu betreuen gehabt, deren Namen er nicht angibt. Das von ihm für Broschüren und Zeitschriften vereinnahmte Geld habe er immer an Franke (BDL) abgeliefert. Franke besuchte ihn alle 4-5 Wochen. Den DL Haas, Mannheim, will Streit nicht kennen, dagegen die beiden DL Mühlhäuser, Karlsruhe und Kern, Offenburg.

Adolf Mühlhäuser, DL für Karlsruhe, gibt an, nur mit seiner Familie nach dem Verbot Bibelvorträge abgehalten zu haben und mit niemanden in Verbindung gestanden zu haben. Im Verlauf der späteren Vernehmung gesteht er jedoch DL von Karlsruhe gewesen zu sein. Auch habe er die Vervielfältigungen der Wachtturm-Bibelgesellschaft für das Land Baden und darüber hinaus besorgt. Durchschnittlich habe er alle 4 Wochen 300 Exemplare hergestellt, die jeweils 5-7 Seiten stark waren. Davon lieferte er an

Haas, Mannheim ca. 80 Exemplare (DL)
Franke, Mainz ca. 40 " (BDL)
Kern, Offenburg ca. 35 " (DL)
Streit, Freiburg ca. 35 " (DL)
Mühlhäuser, K'ruhe ca. 45" (DL)
für Speyer (Pfalz) 25 "

Das vereinnahme Geld, 90,- bis 100,-- RM. jeweils habe er immer nach Abzug seiner Unkosten an Franke (BDL) abgeliefert. Der Abzugsapparat war in seiner Wohnung verwahrt und stand im Keller. Wo er sich z. Zt. befindet gibt M. nicht an, will ihn aber nach seiner Freilassung sofort beschaffen. Mühlhäuser gestand weiter, einen Sprechapparat und 7 Schallplatten erworben zu haben.

Albert Kern, DL für Offenburg bestreitet bei seiner Vernehmung alle ihm zur Last gelegten Tatsachen und zwar, daß er DL für Offenburg war, daß Franke (BDL) ihn monatlich einmal aufgesucht habe, daß er Bibelforscherdruckschriften und Broschüren zum Verteilen u. Verkauf erhalten habe, daß er weder den DL Mühlhäuser noch Streit kenne.

Die Vernehmungen der DL Haas, Mannheim und Arnold, Singen stehen noch aus.


Die bisherige Darstellung zum Fall Franke basiert aus den Erkenntnissen, die sich aus dem Aktenbestand der Freienwalderstr.( ZBI - 1465; ZBI - 1421) respektive der Gauckbehörde (XX/4 1415) gewinnen lassen.

Von Hubert Roser sind sie in seiner 1999 veröffentlichten Studie in der Sache bestätigt und ergänzt worden. Roser stützt sich dabei auf die von ihm ausgewerteten Bestände des Staatsarchiv Darmstadt. Roser wird hier mit weiteren, aus dem Internet entnommenen Ergänzungen zitiert.

Zu Franke führt Roser aus, dass er am 31. 8. 1936 verhaftet worden sei: Nach anfänglichem hartnäckigem Weigern sah er sich unter dem Druck (und der Folter) der Gestapo schließlich dazu gezwungen, am 9. September 1936 erstmals Aussagen über den von ihm betreuten "Dienstbezirk" zu machen. So nannte er neben anderen die Namen der ihm unterstehenden Dienstleiter, die der Gestapo zu diesem Zeitpunkt teilweise aber schon bekannt oder wie der Karlsruher Dienstleiter Adolf Mühlhäuser sogar bereits in Haft waren.

Winkler lies mit Datum vom 8. 9. 1936 dem Franke aus Berlin eine Mitteilung mit der Anrede "Lieber Konrad" zukommen. Er leitet gleich ein, mit der Mitteilung, dass er sich schon seit einigen Wochen in Haft befinde. Er teilt weiter mit, dass nach seinem Eindruck die Gestapo mit "allen Einzelheiten unserer Organisation vertraut" sei und "dass es gar nicht möglich ist und keinen Zweck mehr habe irgendeine Angelegenheit zu verschweigen, denn die Beamten der Polizei seien mit allen Einzelheiten unserer Organisation so vertraut".

Nach Roser glaubte Franke, nach Erhalt jenes Schreibens gleichfalls nicht mehr länger schweigen zu können. Er verfasste ein gleichfalls handschriftlichem Schreiben mit der Anrede "Lieber Bruder". In der Sache bestätigt er darin die Aussage von Winkler, dass auch nach seiner Einschätzung die Gestapo bereits alles relevante wüsste. "Sie ist auch über unsere ganze Tätigkeit genau informiert." Sein im inhaltlichen Gleichklang mit dem Winkler-Brief verfasstes Schreiben lässt er mit den Worten ausklingen: "Mit freundlichem Gruß. Konrad Franke". Aus der fraglichen Internetpublikation des zitierten Franke-Schreibens ist nicht eindeutig genug erkennbar, wer denn nun sein Empfänger war. Trotz dieser Einschränkung ist der Sachverhalt, dass auch Franke ein Schreiben im Winkler-Stil verfasste, eindeutig genug.

Durch die Aussagen Frankes konnte die Gestapo die Dienstleiter in den größeren Städten Badens, der Pfalz und Südhessens überführen: Adolf Mühlhäuser und Otto Schwarz in Karlsruhe, Albert Kern (* 1887) in Offenburg, Heinrich Wesch (* 1898) in Heidelberg, Karl Haas (1902- 1998), Otto Schmitt (1885-1938) und Wilhelm Zimmer (1897-1981) in Mannheim, Franz Anton Streit (1879-1962) in Freiburg, Ehrig Max Arnoldt (* 1898) in Singen und German Likert (* 1874) in Weinheim. Hinzu kamen die entsprechenden Glaubensbrüder in Speyer, Ludwigshafen, Lorsch, Darmstadt, Offenbach, Frankfurt a. M. und Wiesbaden, die alle seit 1935 von Franke mit den zunächst in Karlsruhe und dann in Mannheim hergestellten 'Wachtürmen' beliefert worden waren.

In Bezug auf die Mainzer 'Geschwister', die Franke selbst beliefert hatte und daher persönlich kannte, zwang ihn die Gestapo Ende Oktober 1936, darüber hinaus die Namen der Abonnenten preiszugeben. …

Allerdings blieb der Gestapo verborgen, über welche Personen und Kanäle der Druckschriftenverkehr zwischen der Schweiz und Konstanz abgewickelt wurde. Entweder konnte dies Franke, der als Bezirksdienstleiter hierüber informiert gewesen sein dürfte und auch über eine entsprechende Deckadresse in Mainz verfügte, geschickt verheimlichen, oder er kannte die näheren Einzelheiten nicht." Hubert Roser (Hrsg.) "Widerstand als Bekenntnis", Konstanz 1999 S. 66-68.

Jehovas Zeugen belieben, die aus den Gestapo-Akten erruierbaren Aussagen herunterzuspielen. In ihrer Lesart, hätte kaum einer mehr ausgesagt, als die Gestapo schon aus früheren Aussagen anderer Verhafteter bereits wusste. Die apologetische Tendenz dieser These ist unübersehbar. Es kann hier nicht darum gehen auf die Goldwaage zu legen, was wusste die Gestapo bereits, und wie "gering" war der Neuigkeitswert später Verhafteter. Schon allein, dass führende ZJ-Funktionäre der damaligen Zeit, durch ihre Aussagen der Gestapo ihren Erkenntnisstand bestätigten, war ein Wert an sich. Im übrigen kann man zu der oben genannten apologetischen These, durchaus einige berechtigte Zweifel anmelden.

Andere kirchliche Organisationen müssen zugeben, dass ihr Verhalten in der NS-Zeit keineswegs ein "durchgehendes Ruhmesblatt" war. Eine solche Aussage der Zeugen Jehovas steht noch aus. Sie wäre aber von der Sache durchaus geboten. Im Leben ist Licht und Schatten immer vermengt, auch und nicht zuletzt, in diesem emotionsgeladenen Sektor!

In der Wachtturmausgabe vom 1. 6. 1963 wurde unter der Überschrift "Jehova ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln", ein geschönter Erlebnisbericht von Franke veröffentlicht. Er berichtet, dass er insgesamt fünf mal verhaftet worden sei und beim letzten mal, erst nach 9 Jahren seine Freiheit wieder erlangen sollte. Das alles ist richtig. Es wird auch keinesfalls bestritten, dass Franke und andere Zeugen Jehovas in erster Linie Opfer des NS-Regimes waren. Dennoch wird man ihnen vorhalten müssen, dass sie in ihren Selbstdarstellungen, bewusst jene Aspekte ausklammern, die den vermeintlichen Heroismus auf ein menschliches Maß zurückführen.

Die wirklichen "Superhelden", haben das NS-Regime nicht überlebt bzw. bestenfalls nur als physische Krüppel. Auch solche Fälle gab es. Aus dem Berliner Raum ist mir beispielsweise der diesbezügliche Fall des Herbert Bretschneider persönlich bekannt, den das NS-Regime zum buchstäblichen Krüppel verwandelt hatte, obwohl er von seiner Statur her (ein stämmiger Mann), keineswegs dazu veranlagt war. Franke hingegen hat das NS-Regime überlebt.

Zum Abschluss des "Falles Franke", sei noch aus einer Selbstdarstellung von Franke zitiert. Ungefähr im Jahre 1977 hielt er einen dreistündigen Vortrag. Die nachfolgenden Passagen sind aus einer diesbezüglichen Tonbandaufzeichnung entnommen:

Ja, und nun kam diese große Aktion, wie sie die Gestapo nannte, vom 28. 8. 1936. Man hatte uns zwei Jahre beobachtet, hatte Material gesammelt um uns zu belasten, und drei Tage vor dem nächsten Kongress in Luzern, wo wieder Bruder Rutherford zugegen war, hat man zugeschlagen. Wir waren erstaunt, was sie alles wussten. Hier findet ihr eine Skizze, eine Karte, wie wir sie später gefunden hatten. So hatten sie die illegale Organisation aufgezeichnet, und es stimmte genau. Ihr könnt oben sehen, ganz rechts, wo die viereckigen Kästchen sind, im letzten vollständigen Kästchen ist noch mein Name drin und auch das Gebiet, dass ich damals bearbeitete. Die anderen Kästchen waren alle anderen Bezirksaufseher, die alle am gleichen Tag - bis auf zwei oder drei - verhaftetet wurden. Damit hatte man geglaubt, den Kopf getroffen zu haben.

Nur ganz wenige konnten noch hinüber kommen und konnten Bruder Rutherford über die wirklichen Verhältnisse in Deutschland informieren. Wieder wurde eine Resolution verfasst und auch Hitler und dem Papst, wie wir das hier sehen, eine davon geschickt.

Nun kamen wir vor Gericht. Das war zum Beispiel die Anklageschrift für mich. Darin wurde so manches behauptet. Ich freue mich heute noch über dieses Dokument, denn in dem Inhalt hat man mir … bescheinigt, indem sie sagten: Franke vertritt die Auffassung, dass ihn keine von den Gerichten ausgesprochene Strafe abhalten wird, sich weiter als ein Zeuge Jehovas zu betätigen. Und so kam dann auch das letzte. Dieses Gericht, dass wie wir vorhin hörten, was erst Freisprüche ausgeteilt hatte, war dann das erste Gericht, dass fünf Jahre Gefängnis verhängte und die bekam ich dann, wie ihr das hier sehen könnt, am 13. Januar 1937. Alles, was ihr hier seht, ging über die ganze deutsche Presse. Es stimmt alles ganz genau, bis auf meinen Familiennamen. Ich heiße nicht Funke, sondern Franke. Zur gleichen Zeit wurde Bruder Fritz Winkler zu vier Jahren Zuchthaus und 22 000 Mark Geldstrafe verurteilt. Er war damals als Reichsleiter tätig, wie man so sagte.


Quelle: www.manfred-gebhard.de/19362Franke.htm