Kaufbeuren/Ostallgäu - Die Telefone und das Faxgerät standen in den letzten Tagen nicht mehr still. Unsere Berichte zu den Zeugen Jehovas trafen in ein Wespennest. Es gab Beschimpfungen, Drohungen und Einschüchterungen, aber auch ernsthaft Rat Suchende, Verzweifelte und sogar eine eMail aus Kanada.

Da eine Flut von Leserbriefen zu o.g. Thema bei uns eingegangen ist und wir aus Platzgründen nicht alle auf einmal abdrucken können, werden diese verteilt in den nächsten Ausgaben in der Reihenfolge ihres Eingangs von uns veröffentlicht.

Weitere Hinweise auf sexuelle Misshandlungen – Kripo eingeschaltet

von Bertram Maria Keller

KAUFBEUREN/OSTALLGÄU – Wie bereits vergangene Woche erwähnt, löste der Bericht „Ein Blick hinter den Wachturm" und der dazugehörige Kommentar in den vergangenen Wochen eine richtige Lawine aus, die auch diese Woche nicht abriss. Verzweifelte Anrufer, Beschimpfungen, Drohungen, aber auch Ermutigungen und neue Hinweise, die schwersten Anschuldigungen, die wir bereits an die Kripo weitergeleitet haben, waren das Ergebnis. Sogar eine e-Mail aus Kanada erreichte uns. Es bleibt nicht aus. Die Emotionen geraten bei einigen außer Kontrolle. Die meisten jedoch erzählen uns und dem Sektenausstieg Allgäu von ihren Erfahrungen mit den Zeugen Jehovas. Einige sind verzweifelt. Einige schöpfen neuen Mut. Und einige geben uns handfeste Hinweise auf weitere Kindesmisshandlungen.

So geschehen in einer e-Mail, die die Selbsthilfegruppe Sektenausstieg Allgäu vergangene Woche aus Kanada erhielt. Bis dahin liest man den Kreisboten mittlerweile - allerdings im Internet (siehe unten). In dieser e-Mail schildert eine Mutter aus dem Ostallgäu, wie ihre Tochter von ihrem Vater – aktiver Zeuge Jehova aus dem Ostallgäu – sexuell missbraucht wurde. Sie wanderte mit ihrer Tochter aus, hatte nach über 10 Jahren erstmals wieder Kontakt zu ihrer Stiefschwester und erfuhr, dass sie das gleiche Schicksal erleiden musste. Um das endgültig zu beenden, will sie nun damit zur Staatsanwaltschaft gehen. Wir werden sie dabei unterstützen.

Wir erhielten außerdem einen Leserbrief mit hochexplosivem Inhalt. Dort beschreibt eine Frau aus Marktoberdorf (Name und Anschrift der Redaktion bekannt), dass sie seit ihrer frühen Kindheit von ihrem „katholischem Vater viele Jahre lang auf das schlimmste sexuell missbraucht und auf das grausamste misshandelt worden ist und immer noch sehr darunter leidet". Der Leserbrief wurde umgehend zu Ermittlungszwecken der Kripo Kempten vorgelegt. Auch erhielten wir weitere Hinweise zu Misshandlungen in Buchloe und Füssen, wobei die betroffenen Frauen momentan jedoch noch nicht in der Lage sind, ausführlich darüber zu sprechen.

Seit die Kreisbote-Berichte im Internet (siehe unten) stehen, hatten wir bereits in der ersten Woche über 500 Zugriffe. Dazu kamen nun noch schriftliche, mündliche und fernmündliche Anfragen u. a. von der Frankfurter Rundschau, der Stuttgarter Zeitung, des ZDF Landesstudios Bayern usw. Wir bleiben für Sie selbstverständlich am Ball – jetzt erst recht!

Kreisbote Ostallgäu vom 26.01.2000

Leserbrief

Mehr Fairness

Ihr Artikel, sehr geehrter Herr Keller, hat leider auch nicht dazu beigetragen, daß ich einen klaren Blick bekommen habe. Man kann jedes Thema objektiv und subjektiv betrachten. Und von einem verantwortungsvollen Journalisten erwarte ich mir eine objektive Information. Die ist aber nicht gegeben, wenn Sie nur "ehemalige" Zeugen Jehovas zu Wort kommen lassen. Wenn ich mir mehr Sachlichkeit und Fairness von Ihrer Redaktion erwarte, dann stehe ich mit diesem Wunsch sicher nicht alleine da!

Sudia Eva, Hafnerweg 7, A-6600 Lechaschau/ Österreich

Kommentare

Zum Schlagen raten

Natürlich sind nicht alle Zeugen Jehovas Kinderschänder und nicht alle Zeugen Jehovas schlagen ihre Kinder. Doch sollte man nicht übersehen, dass die Wachturmgesellschaft intern durchaus zum Schlagen von Kindern rät (wenn sie sich auch nach außen anders darzustellen versucht). Auf der anderen Seite erreichten uns weitere erschütternde Berichte von Missbrauchsfällen in einem weit größerem Ausmaß als wir das vorher geglaubt hätten. Die Frage, die dabei in mir entstand: gibt es in strengen religiösen Sondergemeinschaften nun mehr Fälle sexuellen Missbrauchs an Kindern als in der Normalbevölkerung oder nicht? Ein "ja" ist kaum beweisbar. Sollte allerdings die Quote der Zeugen Jehovas der der Durchschnittsbevölkerung entsprechen, dann sieht es in unserer Gesellschaft düster aus. Auch muss man davon ausgehen, dass es sich bei den uns bekannten Fällen nur um die Spitze des Eisbergs handelt, da die Opfer vielfach kaum in der Lage sind, sich frei zu äußern. Was wir den Zeugen Jehovas beziehungsweise der Wachturmgesellschaft vorwerfen ist vor allem folgendes:

Für eine positive Außendarstellung werden Fälle sexuellen Missbrauchs meist vertuscht. In vielen Fällen passiert offenbar gar nichts, in anderen, in denen die Sache intern geregelt wird, erfolgt keine Anzeige. Die Wachturmgesellschaft weist die Zeugen Jehovas-Ältesten in einem internen Buch an, dass sie keine Verpflichtung haben, den Gesetzten des Staates Geltung zu verschaffen. Hier hätte der gestrenge Zeuge an der Straßenecke, der sich gern als der "Luther der Wachturmgesellschaft" bezeichnet, ein sinnvolles Betätigungsfeld, denn es ist höchste Zeit, dass die Wachturmgesellschaft ihre Vertuschungstaktik aufgibt.

Fazit: Der Wachturmgesellschaft geht es vor allem um eine weiße Weste nach außen. Kinderschänder treiben ihr Unwesen oft jahrelang weiter, teils als ausgeschlossene, teils weiterhin als geachtete Versammlungsmitglieder.

Wolfgang Mittner, Untere Bleiche 19, 87600 Kaufbeuren

Betroffene wird beschimpft und bedroht

Aufgrund der Kreisboten-Veröffentlichung vom 26.1.2000 "E-Mail aus Kanada" war es für die Zeugen Jehovas aus Marktoberdorf und Füssen offenbar ein leichtes, die verwickelten Personen in dem Bericht zu erkennen.

Die noch im Allgäu lebende junge Frau erhielt allein bis Donnerstag Mittag 4 anonyme Anrufe, in denen sie auf das übelste beschimpft und bedroht wurde. Dabei wurde sie als Lügnerin, Schlampe und charakterloses Schwein bezeichnet, um nur einige der Kraftausdrücke zu nennen. Jehovas Strafe würde furchtbar sein, da sie Schmach auf den Namen Jehovas bringe.

In 2 Anrufen wurde sie massiv bedroht. Einer drohte ihr Prügel an, wenn sie nicht die Klappe halte. Besonders übel ging ein Drohanrufer vor, der ihr unmißverständlich klarmachte, sie habe den Mund zu halten. Ansonsten müßte sie gerechtfertigterweise die Kosequenzen tragen. Dann fragte er, ob ihr denn das Wohlergehen ihrer Kinder nicht wichtig sei. Der Vorfall wurde sofort an die Kripo Kempten weitergegeben.

Wolfgang Mittner