Ich will gern hier einige Worte zum Thema „treuer und verständiger Sklave“ sagen, so wie ich es sowohl aus der Bibel als auch aus den Veröffentlichungen der Wachtturm-Gesellschaft und aus langjährigen Erfahrungen kenne und verstehe.

Ich verstehe auch das gefühlsmäßige Engagement, das in den Beiträgen zum Ausdruck kommt, so, als wolle man bei einer Diskussion über den Sklaven ein Heiligtum angreifen. Ich möchte versuchen, meine Gedanken ohne Emotionen zu äußern und möglichst nachprüfbar zu begründen. Denn du oder ich oder sonst irgend jemand, der sich Christ nennt, eingeschlossen der „Sklave“, wir sind doch nicht mehr als ein Paulus? Und von ihm wird gesagt:

„... Was ist denn Apollos? Und was ist Paulus? Diener sind sie ... und zwar dient jeder so, wie der Herr es ihm verliehen hat.“ (1. Korinther 3:5)

Der Herr, Jesus Christus, ist die Hauptsache, nicht die Diener sind es! Deshalb sollte man ruhig und ohne Aggressivität über die Diener und ihr Tun sprechen können.

Dankbarkeit

Es wurde mehrmals der Vorwurf der Undankbarkeit erhoben gegenüber Personen, die sich kritisch über den „Sklaven“ äußern. Man sagt, man solle dankbar sein für das Gute, was man empfangen habe. Das ist richtig: Dankbarkeit ist sicher eine gute menschliche, ja christliche Eigenschaft. Aber bedeutet das, dass man nach seinem Gewissen keine Kritik üben darf?

Ich bin als Teenager Zeuge Jehovas geworden, war allerdings damals schon bibelgläubig. Aber ich war und bin dankbar für vieles, was ich im Laufe der Jahre gelernt, erlebt und erfahren habe. Ich bin übrigens jedermann dankbar, der mir half, mich an Gottes Wort zu halten, der versuchte, mich zu Gott und Christus zu führen, ob das nun meine eigene Großmutter war oder auch mein Konfirmationspfarrer, der meinen Sinn auf das Suchen nach der Wahrheit anspornte. Auch das gibt es. Und so bin ich auch vielen Brüdern und Schwestern in den verschiedensten Stellungen in der Organisation dankbar. Aber darf ich sie deshalb nicht kritisieren, wenn sie etwas Falsches lehren oder tun? Sie sagen doch selbst, dass sie weder inspiriert noch unfehlbar seien. Wenn ich also etwas kritisiere, bin ich dann undankbar?

Protestanten haben allen Grund, Martin Luther für seine Bibelübersetzung dankbar zu sein, doch darf er deshalb nicht kritisiert werden? Das würde niemand behaupten. Und wäre ein Kritiker deshalb schon undankbar? Normalerweise ist man seinen Eltern dankbar für vieles, sind sie aber deshalb über jede Kritik erhaben? Und gibt ihnen die Dankbarkeit der Kinder das Recht, über deren Leben bis in die Einzelheiten zu bestimmen und in allen Dingen Gehorsam zu fordern, unter Umständen mit der Strafe der Trennung von der Familie?

Paulus war sicher den gläubigen Juden seiner Zeit und seinem Lehrer Gamaliel dankbar, denn er hatte eine ausgezeichnete Ausbildung im Gesetz, die ihm dann auch als Christ und Apostel sehr zu statten kam. Ja, er liebte seine jüdischen Mitbürger immer noch so, dass er sein Leben für ihre Rettung hingegeben hätte (Römer 9:1-3). Hat er sie deshalb aber nicht kritisiert? Ganz gewiss hat er das! Ich bestreite nicht, dass es undankbare Personen geben mag, auch unter Kritikern der Organisation. Aber diesen Vorwurf pauschal allen überzustülpen, die bestimmte Lehren oder Anweisungen kritisieren, ist ungerecht, auch wenn die Organisation verständlicherweise gern selbst den Vorwurf der Undankbarkeit erhebt. Dankbarkeit kann und darf niemals die Aufgabe der eigenen Kritikfähigkeit und des eigenen Denkvermögens, vor allem aber des eigenen Gewissens bedeuten. Die Schrift fordert uns dagegen wiederholt zum eigenen Prüfen und Nachforschen auf.

Es ist ein leichter und gern geübter Brauch, Kritikern schlechte Motive wie etwa unmoralischen Lebensstil zu unterstellen, das war leider auch in einem der Diskussionsbeiträge festzustellen. Natürlich gibt es das, aber ich möchte gläubigen Christen bei aller Meinungsverschiedenheit doch ehrliche Herzensmotive wie Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft usw. unterstellen. Mögen wir uns doch das Beispiel des Paulus zu Herzen nehmen, der, obwohl er in Korinth sehr kritisiert und angegriffen wurde, nicht aufhörte, den dortigen Christen seine Zuneigung zu bekunden und ihnen auch keine schlechten Beweggründe unterstellte.

Was den Ausspruch Gamaliels betrifft „wenn dieses Werk aus Menschen ist, wird es zugrunde gehen, wenn es aber aus Gott ist, so werdet ihr sie nicht zugrunde richten können“, so traf das damals wirklich zu, denn die führenden Juden wollten das Werk zugrunde richten. Ob das heute in dieser säkularisierten Welt so wie damals gewollt wird, ob die politischen Führer in der sogenannten westlichen Welt das überhaupt wollen und sich zum Ziel gesetzt haben, ist zu bezweifeln (eher schon in islamischen Ländern, wo das Werk von Jehovas Zeugen ja auch tatsächlich unter Moslems nicht durchgeführt wird). Wenn man Gamaliels Feststellung heute anwenden will, dann muss man ja auch alle die anderen sogenannten christlichen Religionsgemeinschaften mit in Betracht ziehen; sie sind doch Menschenwerk nach Auffassung von Jehovas Zeugen. Warum bestehen sie noch? Man muss also bedenken, was man sagt, wenn man solche Texte anführt, denn eines lehnt der Gott der Bibel und lehnt sein Sohn ganz gewiss ab: zweierlei Maß!

Ein Gleichnis

Doch zurück zum Thema „treuer und verständiger Sklave“! Wir wissen, dass darunter die Gesamtzahl der „gesalbten“ Nachfolger Jesu Christi, der „Überrest von 144.000“ verstanden wird. Ich will hier nicht auf Meinungsverschiedenheiten und Diskussionen über solche Deutungen eingehen, sondern möchte, wie eingangs erwähnt, über den Sklaven und seine Darstellung in den Publikationen sprechen.

Andere ausgezeichnete Bibelkommentatoren – die auch von der WT-Gesellschaft gern in Anspruch genommen werden, auch wenn sie nach ihrer Auffassung zu Babylon der Großen gehören – betrachten den Text aus Matthäus 24:45–51 als ein Gleichnis, das erste von vier Gleichnissen.

Es war für mich interessant, dass auch die Organisation in einer Publikation diesen Standpunkt vertrat, nämlich in dem 1977 erschienenen Taschenbuch „Die herannahende Weltregierung – Gottes Königreich“. Darin heißt es auf Seite 158:

Diesen wichtigen Gedanken hob Jesus in seinem Gleichnis vom "treuen und verständigen Sklaven" und in dem von "jenem übelgesinnten Sklaven“ hervor. Diese Gleichnisse erzählte er, gleich nachdem er die Jünger aufgefordert hatte, sich zu jeder Zeit "als bereit zu erweisen" (Matthäus 24:45-51). Denjenigen Jüngern Christi, die sich als treue, verständige und liebevolle Sklaven Jesu erweisen und die der verheißenen Weltregierung kompromißlos ergeben sind, steht ein großer Lohn in Aussicht.

Hier wird das Gleichnis praktisch auf jeden einzelnen Christen angewandt. Jeder einzelne Christ kann sich und sollte sich als treuer und verständiger Sklave erweisen. Da auch jeder einzelne Christ ein persönliches Verhältnis zu seinem Herrn haben soll, erscheint diese Deutung des Gleichnisses einleuchtend und vernünftig. Allerdings blieb die Deutung gleichsam eine „Eintagsfliege“, denn in allen späteren Veröffentlichungen wird das Gleichnis wieder auf den Überrest der Gesalbten bezogen. Immerhin – es gab auch diese Deutung!

Die Sklavenklasse

Die o.a. Worte Jesu werden heute auf die Klasse der Gesalbten bezogen, von denen noch ein Überrest auf Erden sei, nämlich alle, die beim Gedächtnismahl von den Symbolen nehmen. Sie wurden von Jesus – etwa um das Jahr 1919 herum – über alle „seine Habe“ gesetzt, weil er sie „also tuend“ fand, nämlich Speise austeilend an seine Mitknechte und Hausgenossen des Herrn.

Diese Tätigkeit kann sich nicht auf das allgemeine Predigtwerk von Tür zu Tür beziehen, denn daran beteiligen sich ja auch die sogenannten „anderen Schafe“, die nicht zu den Gesalbten gehören. Sonst bestünde ja kein Unterschied zwischen der großen Menge der anderen Schafe und dem Überrest. Der Sklave soll ja Speise austeilen an seine Mitknechte, an das Gesinde, also an die, welche bereits zum Haushalt des Herrn gehören; das bedeutet demnach Speise an die einzelnen Zeugen auszuteilen! Tut das der Sklave?

Doch betrachten wir zuerst etwas die Geschichte der Deutung dieser Worte Jesu, denn auf keinen anderen Abschnitt der Bibel verweist die leitende Körperschaft der Zeugen Jehovas so häufig, wenn sie zu Loyalität und Unterordnung auffordert. Statistikern zufolge sei das der am häufigsten in den Publikationen erwähnte Text. Dabei begründet der Text nicht nur den Anspruch des „Sklaven“, sondern auch die Art, wie diese Auslegung angewandt wird.

Bis in die Spätzeit des ersten Präsidenten der Organisation, Russell, war man der Ansicht, er selbst sei der „treue und verständige Sklave“. Später änderte Rutherford diese Lehre und behauptete, die Organisation sei der „Sklave“ und der Kanal Gottes, der kollektive Prophet, durch den Jehova heute wirke. Erst sehr spät kam dann die heutige Auffassung zur Geltung, dass die Gesalbten Christen, 144.000, den treuen und verständigen Sklaven bilden, wobei betont wurde, dass dieser Sklave bereits seit der Auferstehung und Himmelfahrt Jesu als eine Sklavenklasse durchgehend durch die Jahrhunderte bestanden habe. Das wird zum Beispiel im Wachtturm vom 15.4.1975 auf den Seiten 238 und 239 deutlich hervorgehoben. Es wird darin betont, dass die Glieder seines Volkes nicht als voneinander unabhängige Einzelpersonen, sondern als eine Gruppe geistige Speise erhalten.

Es gab sicher in all den Jahrhunderten treue Christen. Aber das meint der Wachtturm nicht. Er behauptet das fortlaufende Bestehen einer Sklavenklasse! Nur durch eine solche Gruppe sei die geistige Speise weitergegeben worden, von einer Generation zu einer anderen. Nirgendwo wird die Meinung einer Schreiberin vertreten, es hätte keine Menschen gegeben, denen die Speise auszuteilen war. Mit dieser Ansicht steht sie der Ansicht der Sklavenklasse strikt entgegen.

Was zeigt die Geschichte?

Man sollte annehmen, dass ein solcher Kanal in nachapostolischer Zeit bei der Hauptgruppe derer, die sich Christen nannten, zu finden sei, und nicht in kleinen Absplitterungen. Doch diese Hauptgruppe entwickelte sich schließlich zur „abtrünnigen Christenheit“. Wer aber bildete dann die Sklavenklasse, den Kanal? Nach Lehre der Organisation war diese Klasse vorhanden! Sie musste ja Speise austeilen, im zweiten, dritten, vierten usw. bis zu unserem Jahrhundert. Im Wachtturm vom 1.3.1981, Seite 26, wird lapidar gesagt, die Klasse sei nicht mehr deutlich zu erkennen gewesen. Man behauptet also nur, eine solche Klasse sei vorhanden gewesen. Manchmal wurden auch schon die Waldenser und Lollarden des Mittelalters zu den echten Christen und damit auch zu einem Teil der Sklavenklasse gezählt (Siehe Wachtturm vom 1.11.1980, Seiten 24-28, 1.11.1981, Seiten 12-15). Und wie war es im 18. und 19. Jahrhundert? Von welcher Sklavenklasse hat der erste Präsident der Wachtturm-Gesellschaft, Pastor Russell, seine Speise erhalten, wenn doch keine Einzelperson sie unabhängig von der Sklavenklasse erhalten kann?

Russell selbst, so wird berichtet, hatte sich von allen Glaubensgemeinschaften gelöst. Er wird als jemand beschrieben, der selbst die Bibel zur Hand nahm und sie für sich selbst unabhängig erforschte. Würde das ein Zeuge Jehovas heute tun, dann müsste er mit einem Gemeinschaftsentzug wegen Abtrünnigkeit rechnen. Und erinnern wir uns an die Aussage des Wachtturm vom 15.1.1968, Seite 43:

„Aus diesem Grunde kann die Bibel, getrennt von der sichtbaren Organisation Jehovas, nicht richtig verstanden werden.“

Wie also konnte Russell sie unabhängig von dem doch vorhandenen Mitteilungskanal verstehen? Anscheinend hat er sie auch wirklich nicht verstanden, denn wenn jemand unter Jehovas Zeugen seine wesentlichen Lehren wie Wiederkunft Jesu 1874, Entrückung spätestens 1914, große Volksmenge eine himmlische Klasse und ähnliche, vertreten würde, dann müsste er mit einem Gemeinschaftsentzug rechnen. Russell selbst vertrat keine solche Lehre einer seit dem ersten Jahrhundert bestehenden Sklavenklasse. Im Wachtturm vom Dezember 1909 erklärte er, dass man seit vielen Jahrhunderten Bibelstudien hatte, „alles mit keinem Resultat“. Erst als der Herr ihnen (Russell und seiner von ihm gegründeten Gesellschaft) die Bibelschlüssel gesandt habe, konnten sie zum Licht kommen. Hier wurde nicht Speise von einer Generation zur anderen weitergereicht. Doch braucht man wohl eine solche Lehre, wenn man die von ihm beanspruchte Autorität durchsetzen will. Man leugnet, dass der Herr, Jesus Christus, heute auch mit Einzelpersonen handeln kann oder handeln würde. Aber genau das hat er ja nach Russells Darstellung mit ihm getan! Die Bindeglieder der Sklavenklasse zwischen dem ersten und dem zwanzigsten Jahrhundert beruhen bei aller Forschung nur auf Vermutungen.

Sprüche 4:18

Sehr oft wird in den Publikationen der Text von Sprüche 4:18 angeführt:

Aber der Pfad der Gerechten ist wie das glänzende Licht, das heller und heller wird, bis es voller Tag ist.

Der Text stand sogar als Leittext im Band VII der Schriftstudien „Das vollendete Geheimnis“. Man bezieht diesen Text auf eine stets fortschreitende Erkenntnis in der Lehre und im Bibelverständnis. Nun wird niemand bestreiten, dass sich in bezug auf die Prophezeiungen der Bibel im Laufe der Zeit das Verständnis gemehrt hat, wie zum Beispiel über die Prophezeiungen über den Messias. Aber deshalb wurde das Frühere nie falsch, sondern nur deutlicher. Ist es jedoch hier ebenso? Jeder weiß, wen Jehovas Zeugen unter „Michael und seinen Engeln“ gemäß Offenbarung 12 verstehen, doch was schrieb man darüber in dem erwähnten Buch „Das vollendete Geheimnis“? Das Buch wurde 1917 veröffentlicht, zu ungefähr der Zeit, als der Herr dem Sklaven seine ganze Habe übertrug, weil er ihn „also tuend“ fand? In dem Buch wird auf Seite 234 gesagt:

Michael: Der sich fälschlicherweise als Gott ausgibt, der Papst.

Und seine Engel: Die Bischöfe.

Und der Drache: das kaiserliche Rom

Ich möchte nicht weiter fortfahren, aber ist das nun „heller“, „deutlicher“ oder einfach falsch? Einerseits sagt die Organisation, dass das „Licht heller und heller“ wird (Was mag da heute noch alles falsch sein? Aber um der „Einheit“ willen muss es geglaubt werden.) und andererseits erklärt sie, der Abfall habe zu einer großen Dunkelheit geführt. Was hat denn da die Sklavenklasse über die Jahrhunderte getan? Denn nach dem Wachtturm vom 15.9.1960, Seite 563,

hat die sklavengleiche Versammlung ihre wahren Glieder treu und verständig geweidet oder genährt. Von Pfingsten des Jahres 33 n.Chr. an bis zur gegenwärtigen Stunde hat sie es mit Liebe und Sorgfalt getan.

Wenn aber diese Klasse mit zunehmendem Licht fortschreitende geistige Speise ausgeteilt hat, dann hätte ja jedes Jahrhundert ein besseres Verständnis der Bibel haben müssen. Im 19. Jahrhundert hätte das Licht geradezu strahlen müssen, doch Russell sagte, sie mussten unabhängig von anderen studieren. Heute ist ein solches Verhalten nicht mehr erwünscht um der Einheit willen. Doch die Einheit der Christen besteht in ihrem Herrn, in Jesus Christus, nicht unbedingt in der gleichen Auffassung in Lehrfragen, über die man diskutieren kann (Römer 14).

Nach dem Buch „Gottes tausendjähriges Königreich hat sich genaht“, Seite 350, musste nicht nur auf das Austeilen der Speise geachtet werden, sondern auch auf deren Qualität. Dies hat der Herr bei seinem Kommen überprüft und der Gesellschaft seine Gutheißung gegeben, indem er sie über seine Habe setzte. So die Lehre. Ich habe oben schon ein Beispiel der Qualität erwähnt, es ließen sich ohne Mühe viele weitere anfügen. Die Beurteilung der Qualität überlasse ich dem Leser.

Es wurde gesagt, dass dem Sklaven die Habe des Herrn übergeben worden sei, weil ihn der Herr also tuend fand, nämlich regelmäßig qualitätvolle Speise an seine Mitknechte austeilend. Gleichzeitig wird aber auch im Wachtturm vom 15.9.1960, Seiten 563 und 564, gesagt, dass die Wächterklasse unreine Kleider trug, weil sie so lange mit abtrünnigen Christen verbunden war und sie noch viele Glaubensansichten hatte wie die unkrautgleichen Sekten der Christenheit. Sie war noch mit vielen unreinen Bräuchen befleckt.

Gemäß dem Buch „Die Offenbarung – ihr großartiger Höhepunkt ist nahe“, Seite 164, stellen die zwei Zeugen in Offenbarung 11 die gesalbten Christen, also die Sklavenklasse dar. Auf den Seiten 167 und 168 wird dann erklärt, dass diese beiden Zeugen, also diese Klasse, in der kritischen Zeit um 1918 durch Widerstand „getötet“ wurden, also inaktiv waren.

Was nun? Waren sie so tätig, dass der Herr sie über seine ganze Habe setzte? Oder waren sie geistig „getötet“, also inaktiv? Oder waren sie unrein? Sollte die Antwort je nach Text variabel sein?

Der Sklave heute

Im letzten Jahr (2004) nahmen 8.570 Personen beim Gedächtnismahl von den Symbolen, zählten sich also zu den 144.000 Gesalbten der Sklavenklasse. Es erstaunt schon, daß die Zahl seit Jahren mehr oder weniger konstant ist, wenn doch seit etwa 1935 n.Chr. die Berufung zu dieser Klasse geendet haben soll, denn diese Menschen müssten ja alle vorgerückten Alters sein. Zwar heißt es, dass es geschehen könne, dass untreue Gesalbte ersetzt würden aber kann dadurch die Zahl zunehmen? Wenn ich aus einer Reihe von Steinen einige ersetze, dann ändert sich die Zahl nicht, denn die Ersetzten zählen nicht mehr dazu, wurden weggetan. Auch wird nicht berücksichtigt, dass in den ersten zwei Jahrhunderten, wie ein Wachtturm im Herbst 1952 in einem Artikel über Christenverfolgungen schrieb, weit mehr als 144.000 Christen lebten, die ja nach der Lehre der Organisation alle zur Gesalbtenklasse berufen waren.

Doch lassen wir die Zahl. Die Aussage bleibt, dass diese 8.570 am Austeilen der Speise an das Gesinde, an die Mitknechte beteiligt sind. Das betrifft, wie schon gesagt, nicht das Predigtwerk „nach außen“, an dem ja alle Zeugen teilnehmen. Stimmt dieses Bild von den Gesalbten? Es besteht kein Zweifel daran, dass Jehovas Zeugen unter der Speise die Publikationen, Mitteilungen und Richtlinien verstehen, die von der Organisation in Brooklyn kommen. Dieses Verständnis ist ihnen durch viele Artikel im Laufe von Jahrzehnten beigebracht worden. So schreibt zum Beispiel der Wachtturm vom 15. April 1952, Seite 122, folgendes:

Dann laßt uns nicht versuchen, die Pflichten des Sklaven zu übernehmen. Wir sollten das essen und verdauen und uns zu eigen machen, was uns vorgesetzt wird, ohne uns von gewissen Stücken der Nahrung zu enthalten, weil sie nicht der Phantasie unseres geistigen Geschmacks entsprechen mögen. Die Wahrheiten, die wir veröffentlichen sollen, sind die, welche durch die Organisation des verständigen Sklaven kommen, und nicht persönliche Meinungen, die dem widersprechen, was der Sklave als zeitgemäße Speise beschafft hat.

Speise ist in den Wachtturm-Schriften zu finden, das wird auch im Wachtturm vom 1.1.1986, Seite 25, betont. Hier gab es in den seit 1952 vergangenen Jahren – und bis heute – keine Änderung.

Wenn nun der Sklave aus den oben genannten 8.570 Personen besteht, wie sind diese dann an der Produktion der Speise und ihrer Austeilung an das Hausgesinde des Glaubens, also an die einzelnen Zeugen, beteiligt und darin eingebunden? Diese Frage hatte ich mir schon oft gestellt. Ich kannte einige 'Gesalbte'; doch sie waren nie an diesem Werk beteiligt, sie wurden nie um Zustimmung zu Änderungen oder Lehraussagen befragt. Sie empfingen die Schriften genau so wie die „anderen Schafe“. Die Organisation, sehr befähigt in der Veranstaltung von Zusammenkünften, hat es nie für nötig gehalten, diese Gesalbten, also die Sklavenklasse, zusammenzurufen, um mit ihnen Lehren, Richtlinien und biblische Aussagen zu besprechen. Die Lehrmeinungsbildung geht vielmehr in einem ganz kleinen Kreis von Männern vor sich – weniger als 0,5% der Gesalbten, in der sogenannten leitenden Körperschaft. Die Vorstellung, dass die Sklavenklasse von 8.570 Personen die Speise beschafft, erweist sich als bloße Theorie, das Argument, alle beteiligten sich, indem sie die Speise annahmen und darüber sprachen, ist nicht haltbar, weil es genau das ist, was ja alle tun, auch die „Nicht-Gesalbten“.

Manchmal wird gesagt, die leitende Körperschaft vertrete die Slavenklasse. Doch auch dieses Argument erweist sich als löchrig, unhaltbar. Wenn jemand einen anderen vertritt, ist es gängige Praxis, dass der zu Vertretende den Vertreter beauftragt, bestimmt, gewählt oder bevollmächtigt hat. Wenn ich zum Beispiel an einem Bankschalter einen anderen bei Bankgeschäften vertreten will, muss ich meine Befugnis, meine Vollmacht nachweisen. Wann aber hätten die 8.570 Gesalbten jemals die Glieder der leitenden Körperschaft gewählt, beauftragt oder bevollmächtigt? Gab es jemals Zusammenkünfte, in denen die leitende Körperschaft der Gesamtzahl der Gesalbten etwa Rechenschaft abgelegt hätte? Niemals. Die Aussage, die Sklavenklasse in ihrer Gesamtheit leite das Werk, weil sie ja über die ganze Habe gesetzt wurde, sie beschaffe die Speise, weil sie dazu beauftragt sei, erweist sich als Fiktion. So ist es kein Wunder, dass in manchen Versammlungen die Gesalbten schon als „U-Boote“ bezeichnet wurden, die einmal im Jahr, beim Gedächtnismahl, „auftauchen“, für den Rest des Jahres aber wieder in der Zahl aller Zeugen untertauchen, weil sie sonst keinerlei Funktion haben.

Tatsache ist, dass die meisten Glieder der Schreibabteilung in Brooklyn nicht zu den Gesalbten zählen. Man erklärte dies dann so, dass die Nichtgesalbten wohl die Gedankenarbeit leisten und den Stoff entwickeln und schreiben, dass aber das Material von Gesalbten, nämlich von Gliedern der leitenden Körperschaft gelesen und freigegeben würde. Schon die Tatsache, dass man zu einer solchen Begründung greift, zeigt, wie weit hergeholt der Anspruch ist, den man in Bezug auf die Erfüllung der Speiseausteilung in Jesu Gleichnis setzt.

Sollte ein Gesalbter aus den Reihen der 8.570 in irgendwelchen Fragen an die leitende Körperschaft schreiben, so wird sein Schreiben in keiner Weise anders behandelt wie das Schreiben eines Nichtgesalbten (worauf eher geachtet wird, ist die Stellung, die ein Briefschreiber in der Organisation hat, nämlich ob er etwa Zonenaufseher, Bezirks- oder Kreisaufseher, Pionier oder Bethelmitarbeiter oder auch Ältester ist). Möglicherweise wird ein solches Schreiben sogar von einem Nichtgesalbten beantwortet, was der ursprüngliche gesalbte Schreiber aber natürlich nicht weiß, da Briefe der Gesellschaft an Versammlungen oder an Zeugen ja nicht mit Namen unterschrieben werden. Anonymität hilft sehr, wenn man eine Sklavenklasse „auf einen Sockel stellt“. Dieser Ausdruck wird zwar von Zeugen nicht geschätzt, entspricht aber den Tatsachen. Man beachte nur, wie oft von Jehova und seiner Organisation, vom Sklaven, geschrieben und gesprochen wird. Ich habe oft das Gefühl, dass er den einzelnen Zeugen mehr bedeutet als Leitung und Richtschnurgeber als die Person Christi. Auch im Wachtturm vom 15.8.2005, der letzte Woche betrachtet wurde, heißt es auf Seite 22:

Einige befassen sich zwar mit der Bibel, wollen aber nicht an das glauben, was sie sagt. Sie wollen nicht wahrhaben, dass Jehova sein Volk durch den treuen und verständigen Sklaven lehrt, eine aus gesalbten Christen bestehende Klasse (Matthäus 24:45). Uns ist jedoch klar, dass Jehova sein Volk unterweist und dass die göttliche Wahrheit nach und nach besser verstanden wird (Sprüche 4:18).

Nach mehr als 19 Jahrhunderten müsste eigentlich das Licht schon längst klar sein, aber wenn man die Praxis kennt, dann wird Jehovas Volk eben nicht von der Sklavenklasse geführt, sondern nur von ganz wenigen Personen. Die übrigen mehr als 8.500 haben nichts damit zu tun.

Nicht selten hört man, dass sich in der Weltzentrale in Brooklyn mehr Gesalbte befinden als sonst irgendwo. Sollte damit der Eindruck erweckt werden, als habe das irgend eine Bedeutung im Hinblick auf Jesu Gleichnis? Ganz gleich, welche Aufgabe ein Gesalbter im Bethel haben mag, wenn er nicht zu der kleinen Gruppe der leitenden Körperschaft gehört, wird er niemals an einer ihrer Sitzungen teilnehmen, nur weil er ein Gesalbter ist. Er wird auch niemals auf dieser Grundlage um seine Meinung befragt. Es wäre eigentlich ehrlicher, wenn die leitende Körperschaft den Anspruch erhöbe, selbst der treue und verständige Sklave zu sein. Das würde der Realität entsprechen, doch das wird nicht gesagt. Und auch wenn Glieder der leitenden Körperschaft ersetzt werden müssen – die meisten sind vorgerückten Alters -, so bestimmen sie selbst die Nachfolger, die Sklavenklasse wird dazu nicht befragt. So erweist sich die herausragende Rolle der Sklavenklasse, der 8.570 Gesalbten, als reine Theorie, nicht wirklich, ohne Substanz. Letzten Endes entpuppen sich der große Respekt, die Achtung, die Loyalität und die Unterordnung von 6 Millionen Menschen gegenüber der Sklavenklasse als Erbhof einer winzigen Gruppe von Männern, welche die leitende Körperschaft bilden. Sie sind nicht Teil des Machtapparates der Organisation, denn wenn Jehovas Zeugen sagen, etwas käme „vom Sklaven“, dann meinen sie „von der Brooklyner Zentrale“. Alles, was aus einer anderen Quelle kommt, und sei es von Gesalbten, genügt ihnen nicht.

Doch warum tut man das, warum verschleiert man die Realität? Die Betonung der Klasse des Sklaven dient auch dazu, den eigentlichen Machtapparat mit dem Mantel der Anonymität zu bedecken, was das Bild von einer breiten, weltumspannenden Vielfalt von Mitgliedern aufkommen lässt. Doch dieser Mantel passt nicht. Das Konzept der Sklavenklasse ermöglicht dem wahren Machtapparat, der leitenden Körperschaft, fast vollständigen Gehorsam gegenüber den eigenen Richtlinien zu fordern, ohne dies als Eigennutz erscheinen zu lassen. Dass man von dem treuen und verständigen Sklaven spricht, lenkt die Aufmerksamkeit von der kleinen Gruppe als dem eigentlichen Machtapparat ab. Als Sklavenklasse nimmt sie eine gewisse Unbestimmtheit an, wird form- und gesichtslos und ist für den Durchschnittszeugen nicht näher bestimmbar und auszumachen. Die Behauptungen über eine Sklavenklasse in den angesprochenen Funktionen als Gesamtgruppe der Gesalbten erweisen sich nacheinander als haltlos und frei erfunden.

Und noch eine Bemerkung dazu: der Sklave in Jesu Gleichnis soll seinen Mitknechten dienen, er hat nicht das Recht, sie zu dominieren – unter welchem Vorwand auch immer -, Herr ihres Glaubens zu sein, ihnen Vorschriften zu machen bis hin in die privatesten Bereiche und ihnen ein Schuldbewusstsein einzuimpfen, wenn sie solche Anweisungen auch nur bezweifeln, oder sie durch einen Missbrauch der Praxis des Gemeinschaftsentzugs sogar geistig zu Tode zu bringen. Hier geht der Sklave bzw. die leitende Körperschaft in anmaßender Weise weit über ihre Befugnisse hinaus, denn jeder Christ steht oder fällt seinem Herrn, nicht dem Sklaven (Römer 14:4).

Wie kommt es dazu?

Doch wie kommt es dazu, dass sich Millionen von Menschen mit Intelligenz und freiem Willen in dieser Weise einer fiktiven Klasse unterordnen bis hin zu Entscheidungen, die ihr eigenes Gewissen nie getroffen hätte?

Man muss anerkennen, dass durch die Tätigkeit der Zeugen viele Menschen an die Bibel herangeführt werden, sie kennen lernen, lernen, wie man bestimmte Texte in der Bibel findet usw. Das war für viele hilfreich und eindrucksvoll. Dafür kann man auch dankbar sein. Wenn man nur seither in dieser Richtung aufbauen würde – aber da liegt das Problem.

Man wird schließlich erkennen, dass die Organisation die Menschen nur bis zu einem gewissen Punkt führt. Das Wissen bleibt dann auf einem bestimmten Niveau. Mehr und mehr nehmen die Betrachtungen der Lehren der Organisation das Übergewicht gegenüber dem Studium der Bibel ein. So kommt es, dass es Zeugen gibt, die nach 40 Jahren ihres Zeugenseins nicht viel mehr wissen als nach dem ersten Jahr. Das geistige Wachstum stagniert – es sei denn, sie gehen über das Programm der Organisation hinaus. Ich fragte einmal einen Ältesten, warum denn immer wieder dieselben Dinge besprochen – „studiert“ - würden? Das sei doch kein Fortschritt. Er antwortete mir, dass ja immer Neue dazukämen, und dass deshalb immer wieder von vorn begonnen werden müsste. Der Älteste verstand wohl nicht den Text aus Hebräer 5:12-6:3. Wenn so das geistige Wachstum stagniert, dann lässt man schließlich auch die Organisation für sich Gewissensentscheidungen treffen, statt dies selbst zu tun. Das Ergebnis ist, dass solche Menschen später oft in geistiger Hinsicht schwächer sind als zu Beginn. Sie scheinen stark zu sein. Aber sie haben nicht mehr die Kraft, wirklich eigene Gewissensentscheidungen zu treffen und die Folgen dafür zu tragen.

In den Wachtturm-Schriften wird häufig das logische Denken angesprochen – zu Recht. Da diese Schriften Menschen anderer Konfessionen anspornen sollen, die Gültigkeit der Lehren ihrer eigenen Religion zu überprüfen, neu zu bewerten und auch in Frage zu stellen, musste man unbedingt die Notwendigkeit eigenständigen, unabhängigen Denkens betonen. Die Menschen werden ermutigt, keinen Lehren Glauben zu schenken, wenn sie diese nicht zuvor gründlich anhand der Bibel geprüft haben.

So gibt es einen vorzüglichen Artikel im Wachtturm vom 15.8.1956, Seiten 486 und 487, der u.a. sagt:

Beachte den Rat, selbst zu prüfen und "dich selbst zu überzeugen" (Römer 12:2). Wenn du dich anhand der Bibel selbst davon überzeugt hast, daß das, was du glaubst, wirklich Gottes Gedanken sind, dann wird keine "Gehirnwäsche"-Propaganda sie aus deinem Sinn wegfegen. Es genügt nicht, zu wissen, was man glaubt. Wisse auch, warum du es glaubst.

Ein in gleicher Weise hervorragender Artikel war zu finden in der Zeitschrift Erwachet vom 8.12.1978, Seiten 3 und 4, unter dem Thema: „Läßt du andere für dich denken?“ Der Artikel führt fünf Wege auf, Gehirnwäsche zu widerstehen:

  1. Entwickle eine starke Überzeugung. ...Vergewissere dich, daß deine Ansichten der Wahrheit entsprechen.
  2. Frage nach dem Grund ... Wenn Dir jedoch der Grund nicht einleuchtet, warum solltest du dann diesen Standpunkt einnehmen?
  3. Widerstehe unrechten Gedanken.
  4. Tritt für das ein, was du als recht erkannt hast. ...selbst zu überprüfen, was du glaubst...
  5. Lebe gemäß der Wahrheit.

Wenn diese Artikel nicht nur für Außenstehende bestimmt sind, sondern auch für Jehovas Zeugen, dann ergäbe sich ja folgende Konsequenz:

  • Denke selbst, lass nicht andere für dich denken.
  • Wenn du etwas glaubst, vergewissere dich, warum du es glaubst. Wenn dir jedoch der Grund nicht einleuchtet, warum solltest du dann diesen Standpunkt einnehmen?
  • Übernimm eine Ansicht nicht einfach deshalb, weil deine Bekannten sie akzeptieren. Vergewissere dich, dass deine Ansichten der Wahrheit entsprechen und eine feste biblische Grundlage haben...
  • Lass dich nicht durch Druck von anderen hin- und herschieben, bis du etwas akzeptierst. Lass dich nicht von Furcht davor leiten, was andere denken oder ob man dir ein hässliches Etikett anheftet. Dadurch zeigst du eine erschütternde Unreife.
  • Lass nicht zu, daß die Tyrannei der Autorität deine Einwände unterdrückt oder dass sie dich einschüchtert, sodass du die Aussagen dieser Autoritäten nicht überprüfst.
  • Versäume nicht, die Wahrheit zu verteidigen, und suche nicht nach Ausflüchten, um sie zu verwässern.

Diese Aussagen in dem Erwachet-Artikel kann man doch voll bejahen. Aber was wäre, wenn Jehovas Zeugen nach diesen Grundsätzen gegenüber ihrer eigenen Religion verfahren würden? Das weiß jeder Zeuge. Solche Personen würden als gefährlich angesehen, als reif für einen Gemeinschaftsentzug und Hinauswurf aus der Versammlung. Zweierlei Maß!

Darum beschränken sich die meisten Zeugen lieber auf das Unverfängliche. Sie stellen die Lehren über die Unsterblichkeit der Seele oder über die Hölle in den Vordergrund, so sehr, dass sie diese als Grundlehren bezeichnen. Man kann allerdings in der Bibel kein einziges Kapitel finden, das sich der Erörterung dieser Themen widmen würde. So grundlegend scheinen sie für Gottes Wort nicht zu sein. Die Bibelschreiber wurden nicht dazu inspiriert, diese Lehren in den Mittelpunkt zu stellen.

Prophezeiungen

Es wurde behauptet, es habe nie falsche Prophezeiungen gegeben. Vielleicht meint der Betreffende, die Organisation habe sich nie als Prophet bezeichnet. Das trifft jedoch nicht zu, Um nur ein Beispiel des Anspruchs zu zitieren: in dem Buch „Die Nationen sollen erkennen, daß ich Jehova bin – wie?“ wird auf den Seiten 70, 292 und 293 von der Hesekiel-Klasse gesprochen und diese wird als ein echter Prophet in unserer Generation bezeichnet.

Über fehlgeschlagene Prophezeiungen möchte ich hier nicht im Einzelnen reden – man denke nur an 1914, 1920, 1925, 1975, an die Generation von 1914 und anderes mehr. Die Entschuldigung, die Leitung bestehe aus unvollkommenen Menschen, kann nicht gelten. Auch die frühen Propheten Jehovas waren unvollkommen, aber ihre Botschaft kam von Jehova und war darum wahrhaftig. Doch die Organisation verlangt von ihren Anhängern, nicht auf die Vergangenheit mit ihren Fehldeutungen zu achten. Sie sollen weiterhin fast ehrfürchtig dem vertrauen, was sie herausgibt, und ihr so Würde, Ehre und Vertrauen entgegenbringen, die einem Propheten Gottes gebühren. Statt demütig zu sein, wird die Organisation demnach noch dogmatischer.

Interessant ist doch, was der Wachtturm vom 1.9.1982, Seite 19, über unsere geistige Einstellung schreibt:

Höher von uns zu denken, als wir denken sollten, ist eine Gesinnung, vor der wir uns hüten müssen (Römer 12:3). Sie könnte dazu führen, daß sich ein Christ einbildet, er habe unabhängig von dem Mitteilungskanal, durch den Jehova die Wahrheit austeilen und seiner Familie Anleitung zukommen läßt, einen besonderen Auftrag von Gott erhalten. Er würde sich praktisch in einem besonderen Verhältnis zu Jehova sehen, in dem sich kein anderer Bruder oder keine andere Schwester befindet. Aber eine solche Absonderung kann nur zu törichtem Handeln führen...

Sehr schön gesagt, es ist richtig. Doch haben wir gesehen dass alles, was über den Sklaven gesagt wurde, sich nur auf eine sehr kleine Gruppe von Männern bezieht. Ihre Stellungen sind herausgehoben, ihnen soll man sich unterordnen. Offensichtlich sind sie der Meinung „ein besonderes Verhältnis zu Jehova“ zu haben, auch über das Verhältnis hinaus, was die anderen mehr als 8500 Glieder der Sklavenklasse haben. Sie betrachten sich als Exekutive, Legislative und Jurisdiktion für alle Zeugen. Was denken sich solche Männer, wenn sie obige Worte im Wachtturm lesen? Wenn sie sie lesen! Wie könnte eine Gruppe von Menschen noch höher von sich denken als hier, wo man sich all diese Befugnisse und erhabenen Rollen zuschreibt? Sagen sie hier nicht: „wie könnt ihr je meinen, dass ihr ein solches Verhältnis zu Gott habt wie wir?“

Wie ganz anders klingen doch die Worte Jesu: "Wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind, da bin ich mitten unter ihnen!" Unter ihnen, durch sein Wort und seinen Geist, nicht durch Schriften von Menschen, die eine Sklavenklasse vorschieben, diese aber nicht einmal an ihrer Autorität teilhaben lassen.

Ich weiß aus Erfahrung und habe auch Verständnis dafür, wenn Jehovas Zeugen über Kritiken an ihrer Organisation keinen Gefallen finden; das würde wohl niemand tun, wenn er Mitglied einer bestimmten Gemeinschaft ist. Was ich schlimmer finde, ist die Tatsache, dass - besonders von Seiten der Organisation selbst – sachliche Gespräche darüber oft unmöglich gemacht werden. Das kann jeder feststellen, wenn man die Art der Argumentation untersucht. Sobald die Sachargumente zu Ende gehen oder schwach erscheinen, greift man – das ist allerdings kein spezielles Merkmal von der Wachtturmorganisation allein – zu unzulässigen Methoden. Dazu gehören unter anderem:

  • bloße Behauptungen aufstellen
  • einseitige Darstellungen (Gegenargumente werden unterdrückt oder ignoriert)
  • Andersdenkende lächerlich machen
  • Höhere Weisheit oder Autorität beanspruchen
  • Gegenargumente falsch darstellen
  • Zirkelschlüsse: Beweisführungen auf unbewiesene Voraussetzungen aufbauen
  • Falsche Analogien
  • Man schafft ein falsches Dilemma, so als ob es nur zwei Möglichkeiten gäbe, wenn es doch deren mehrere gibt
  • Falsche Fährten: man stellt einen Nebenpunkt heraus und diskutiert über ihn, wobei die Hauptstreitfrage übergangen wird
  • Argumentation „ad hominem“, das heißt, man greift die Person an statt das Argument, man stellt die Person der Gegenseite, des Gesprächsgegners, in ein schlechtes Licht, ja man sieht schon Abtrünnige in ihr
  • Gruppenbezogenes Denken: Man identifiziert sich mit den Vorstellungen, auch den Vorurteilen, den Voreingenommenheiten oder ganz einfach der Unkenntnis einer bestimmten Gruppe, statt sachlich zu prüfen
  • Missbrauch deduktiver Beweise: Man zieht aus allgemeinen Grundsätzen ungerechtfertigte oder unbewiesene Schlüsse oder man begründet auf bestimmte, u.U. nebensächliche Punkte ein weit gefasstes, aber nicht unbedingt schlüssiges Prinzip und verallgemeinert voreilig.

Wenn man die Schriften der Organisation liest, kann man häufig beobachten, wie die sogenannten Abtrünnigen bezeichnet werden, ohne dass ihre Argumente zur Sprache kommen. Häufig werden auch mehrere der oben genannten Methoden innerhalb einer Diskussion gleichzeitig zur Anwendung gebracht. Aus meiner Sicht sollten Christen jedoch nicht das Ziel haben, nur eine Diskussion zu gewinnen, sondern die Tatsachen, eben die Wahrheit zu erkennen und zu vertreten.

Was wirklich wichtig ist!

Paulus zeigt in vielen Briefen, was wirklich wichtig ist. So schreibt er an die Korinther:

„Denn ich nahm mir vor, nichts anderes unter euch zu wissen, als nur Jesus Christus, und ihn als gekreuzigt (1. Korinther 2:2)

Denn einen anderen Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus (1. Korinther 3:11)

Als Christen suchen wir und stehen durch Gottes Gnade im Lichtglanz des Evangeliums von der Herrlichkeit des Christus, der Gottes Bild ist (2. Korinther 4:4)

Auf ihn wollen wir unsere Augen beständig richten, zur Lehre und zur Leitung (Hebräer 12:2)

Auch Petrus betont, dass wir in Christus gerettet werden und gerettet sind, wie er in Apostelgeschichte 4:10-12 sagt.

Wir sind uns dankbar bewusst, dass wir in ihm den Vater sehen, unmittelbar, jeder einzelne von uns (Johannes 14:9).

Jesus ist das Zentrum der Verkündigung der Apostel. Gewiss ist darin das Königreich eingeschlossen, von dem er der künftige König ist, aber er wurde verkündigt, sein Reich stand nicht im Mittelpunkt.

Aber warum dann diese Auseinandersetzungen über solche Themen wie den Sklaven usw.? Ist das angebracht? Der Einwand ist berechtigt, wenn solche Fragen zur Hauptsache werden. Doch manchmal sind solche Diskussionen nötig, wenn auch stets mit dem Ziel, unseren Herrn zu ehren und Nächstenliebe zu zeigen, ja Gutes zu tun (Galater 6:9). Paulus betonte in 2. Korinther 10:4-5, dass es gelte, jeden Gedanken „gefangen zu nehmen unter den Gehorsam des Christus“, dass es aber dazu notwendig sein könnte, starke Festungen von bisherigen Ansichten, in denen die Menschen gefangen waren, wie auch Vernünfteleien, wie sie gerade unter den weisheitsliebenden Griechen beliebt waren, zu zerstören. Er setzte sich deshalb in die Lage solcher Menschen, wurde dem Juden ein Jude, dem Griechen ein Grieche, dem Freien ein Freier, dem Sklaven ein Sklave usw. Heute ist es nicht anders. Wir wollen Christus verkündigen, das selbe Evangelium wie die Apostel (Galater 1:6-9)! Das ist unser Ziel. Deshalb bemühen wir uns auch, uns in die Lage unserer sehr unterschiedlichen Mitmenschen zu versetzen und suchen, uns mit ihnen über ihre jeweiligen Ansichten auszutauschen, doch, wie auch Paulus immer wieder betonte, in Aufrichtigkeit des Herzens und in Wahrheit. Und dazu möge uns der Vater im Himmel durch seinen Geist beistehen, wie auch unser Herr und Hirte uns führt.

E.F.