Mit der Jahreszahl 1914 steht und fällt das Glaubensgebäude jedes Zeugen Jehovas, denn wenn 1914 nicht stimmt, leben wir auch nicht in der "Zeit des Endes" und alle Endzeiterwartungen haben jede Grundlage verloren. Doch wie so viele Lehren der Zeugen Jehovas steht auch diese zentrale Jahreszahl auf denkbar wackligen Füßen.

Jan Haugland hat sich mit dem Thema auseinandergesetzt und stützt sich dabei in wesentlichen Teilen auf das Buch Die Zeiten der Nationen, näher betrachtet (Oros-Verlag, Altenberge; 1992) von Carl Olof Jonsson.

Jan S. Haugland

Die Wachtturm-Gesellschaft (WTG) hat, man kann es so nennen, einen theologischen Rahmen für die Zeugen Jehovas (ZJ) geschaffen. Wie wir noch sehen werden, beruht dieser Rahmen ganz auf dem Datum 1914. Gegenwärtig glauben die ZJ, daß Jesus Christus im Jahre 1914 auf einen himmlischen Thron gesetzt wurde und daß er „inmitten seiner Feinde“ zu herrschen begann (Psalm 110:2). In jenem Jahr begann das Ende der Welt.

Bis zu den Wachtturm-Ausgaben vom 1. November 1995 argumentierte die WTG auch, einige der Personen, die Augenzeugen der Ereignisse des Jahres 1914 waren, würden noch das Ende erleben. Jetzt, wo diese Lehre aufgegeben wurde, ist die Bedeutung des Jahres 1914 geringer geworden. Doch immer noch drehen sich einige Schlüssellehren um das Jahr 1914:

  • Die WTG behauptet, die ZJ-Führung, die sogenannten „Gesalbten“, seien von Christus als seinem alleinigen Mitteilungskanal für die Menschheit erwählt worden und dies sei 1919 geschehen. Dies beruht auf der Prämisse, daß Christus 1914 wiederkehrte und dreieinhalb Jahre lang christliche Gruppen inspizierte, die WTG-Führung in die „Babylonische Gefangenschaft“ sandte (eigentlich ins Gefängnis) und sie schließlich 1919 erwählte. Ohne das Jahr 1914 hat die WTG keine bestimmte Stellung in bezug auf Christus.
  • ZJ behaupten, sie allein erfüllten Matthäus 24:14, indem sie in unserer Zeit die „gute Botschaft“ auf der ganzen Welt verkündigten. Diese „gute Botschaft“ ist, daß Christus im Jahre 1914 zu herrschen begann und daß „bald“ das Ende kommen werde. Wenn dies nicht stimmt, haben die ZJ ein falsches Evangelium gepredigt (Gal 1:6-9).
  • Die ZJ-Auslegung der meisten Teile der Bibel basiert auf der Vorstellung, daß Christus 1914 unsichtbar wiedergekehrt sei. Wenn das nicht stimmt, ist ihre Auslegung falsch und jeder Anspruch, direkt von Gott geleitet zu werden, wird sich als furchtbar falsch erweisen.
  • Es gibt keine Beweise dafür, daß unsere Zeit in der Prophetie der Bibel besonders ausgezeichnet ist, wenn die Behauptungen zu 1914 nicht stimmen.
  • Selbst Lehren wie das „Zwei-Klassen“-System - eine Auslegung, die nur ZJ haben - hängen an der Jahreszahl 1914. Die WTG behauptet, das „Einsammeln“ der „großen Volksmenge“ (der Nichtgesalbten, die auf der Erde leben sollen) begann etwa 1935 und dies sei geschehen, nachdem die „Zeit des Endes“ begonnen habe. Ohne diese Chronologie fällt dann auch diese merkwürdige Lehre.

ZJ behaupten, das Jahr 1914 sei von Charles Taze Russell, dem Gründer der Bewegung, seit den 1870er Jahren vorhergesagt worden, und dies wird als Hauptbeweis dafür genommen, daß Russell von Gott geleitet wurde.

Heidenzeiten - Die Geschichte einer Lehre

Es stimmt, daß Russell 1914 als wichtigen Teil seiner Chronologie ansah. Er sagte das Ende der Welt und die vollständige Aufrichtung des Königreiches Gottes auf Erden für diesen Zeitpunkt voraus. Das geschah nicht, und doch argumentieren ZJ, es sei etwas Wichtiges geschehen, als der 1. Weltkrieg begann.

Welche chronologischen Beweise verwendete Charles Taze Russell? Seine Argumentation bezüglich der Chronologie war völlig von Nelson Barbour, einem Second Adventist, entlehnt.

Sie hatten eine lange Liste mit spezifischen Jahreszahlen, und eins davon war 1914. Nelson Barbour baute alle seine Argumente auf seine vollständige Bibelchronologie, die die Erschaffung Adams bei 4127 v.u.Z. ansetzte. Barbour (und Russell) dachten, verschiedene Bibelverse, die Zahlen enthielten, seien „verschlüsselte“ Botschaften von Gott über die Zeitpunkte verschiedener Ereignisse.

Einer dieser Texte war Daniel, Kapitel 4. Der Prophet Daniel sagt an dieser Stelle zu König Nebukadnezar:

Dan 4:25 Und man wird dich von den Menschen vertreiben, und bei den Tieren des Feldes wird schließlich deine Wohnung sein, und Pflanzen wird man auch dir zu essen geben so wie Stieren; und mit dem Tau der Himmel wirst du selbst benetzt werden, und sieben Zeiten werden über dir vergehen, bis du erkennst, daß der Höchste [der] Herrscher ist im Königreich der Menschheit und daß er es gibt, wem er will. [NWÜ]

Irgendwie legen Barbour (und ZJ heute) dies so aus, als bedeutete es mehr als die Jahre (oder Jahreszeiten), die Nebukadnezar irrsinnig war. Der deutsche Ausdruck „Zeiten“ wird auch in Übersetzungen von Offenbarung 12:6, 14 verwendet. Hier kann man dies als „dreieinhalb Zeiten“ gleich 1260 Tage auslegen. Eine „Zeit“ wird als 360 Tage interpretiert, und sieben Zeiten sind dann 2520 Tage. Dann wendet die WTG die Regel „einen Tag für ein Jahr“ an, basierend auf 4. Mose 14:34 und Hesekiel 4:6 (interessanterweise wendet die WTG diese Regel nicht mehr auf Offenbarung 12 an!) und kommt auf 2520 Jahre.

Aber was dauerte 2520 Jahre? Barbour wandte diese Zeit ohne weitere Beweise auf Jesu Worte über den Fall Jerusalems an, die sich 70 u.Z. erfüllten:

Luk 21:24... und sie werden durch die Schärfe des Schwertes fallen und als Gefangene zu allen Nationen geführt werden; und Jerusalem wird von den Nationen zertreten werden, bis die bestimmten Zeiten der Nationen erfüllt sind.

Trotz der Tatsache, daß Jesu Wort: „werden“ uns darauf hinweist, daß der Beginn dieser „Zeiten der Nationen“ oder „Heidenzeiten“ (so die meisten Übersetzungen) wäre, wenn Jerusalem in der Zukunft fiele, argumentierte Barbour, daß diese „Heidenzeiten“ anfingen, als Jerusalem Jahrhunderte früher an die Babylonier fiel, im 19. Regierungsjahr von König Nebukadnezar. (Jeremia 52:12) Wann war das?

Barbour sagte, Jerusalem sei 606 v.u.Z. zerstört worden. Wenn man 2520 Jahre ab dem Jahr 606 v.u.Z. zählt, kommt man auf das Jahr 1914, richtig? Falsch. Barbour wußte wie Russell sehr wenig über Chronologie und Geschichte. Als der Kalender, den wir verwenden (der julianische, später der verbesserte gregorianische), geschaffen wurde, gab es kein Jahr 0, so folgte auf das Jahr 1 v.u.Z. direkt das Jahr 1 u.Z. 2520 Jahre ab 606 v.u.Z. führten uns zu 1915, dem Jahr, das Russell auch tatsächlich einige Jahre lang statt 1914 verwendete. Aber dann begann der 1. Weltkrieg im Jahre 1914. Russell hatte etwas für 1914 vorhergesagt; etwas ereignete sich auch wirklich; so dachte Russell, er habe recht gehabt. Dann „vergaß“ Russell die Sache mit dem Jahre 0 und änderte die Chronologie wieder auf 1914.

Doch früher oder später mußte das korrigiert werden. Wie? Indem das Datum für die Zerstörung Jerusalems um ein Jahr verschoben wurde, von 606 auf 607 v.u.Z. Auf Papier kann man das leicht tun.

Das Wachtturm-Buch Die Offenbarung - Ihr großartiger Höhepunkt ist nahe! (1988) zitiert das alte Buch von Barbour auf der Seite 105:

„Folglich geschah es im Jahre 606 v. Chr., daß Gottes Königtum endete; der Kopfbund wurde beseitigt, und die ganze Erde wurde den Heiden überlassen. Die Zeitspanne von 2 520 Jahren endet - wenn vom Jahre 606 v. Chr. an gerechnet - im Jahre 1914 n. Chr.“

The Three Worlds [Die drei Welten], 1877, Seite 83

Eine Fußnote informiert uns:
Durch eine höhere Fügung hatten die Bibelforscher nicht verstanden, daß es zwischen „v. Chr.“ und „n. Chr.“ kein Jahr Null gibt. Später, als Forschungen ergaben, daß eine Änderung von 606 v. Chr. auf 607 v.u.Z. nötig war, wurde auch das Jahr Null fallengelassen, so daß die Voraussage für das Jahr „1914 n. Chr.“ weiterhin zutraf. (Siehe „The Truth Shall Make You Free“, herausgegeben von der Watch Tower Society, 1943, S. 239.

Das ist doch recht eindrucksvoll! „Durch eine höhere Fügung“ - unter Gottes Leitung - hatten sie zwei Fehler gemacht, die sich gegenseitig aufhoben! Welche neuen „Forschungen“ änderten dieses Datum? Natürlich keine. Wenn man die Wachtturm-Bücher untersucht, findet man keinerlei Beweise für dieses neue Datum. Diese Änderung war nötig, um das Datum 1914 aufrechtzuerhalten, auf dem der ganze Überbau der Wachtturm-Lehre ruht. Tatsache ist, daß Jerusalem 587 v.u.Z. an die Babylonier fiel, nicht 607. Barbours und Russells Unkenntnis in Chronologie und Geschichte hat ein gewaltiges Problem für die WTG geschaffen. Die Encyclopaedia Britannica (Onlineversion), eine oft von der WTG genutzte Quelle, sagt:

587/586 v.u.Z. wurden die Stadt und der Tempel völlig von Nebukadnezar zerstört, und die Gefangenschaft begann. Sie endete 538 v.u.Z., als Cyrus II, der Große, von Persien, der Babylon besiegt hatte, den von Serubbabel aus dem davidischen Haus angeführten Juden erlaubte, nach Jerusalem zurückzukehren.

Natürlich räumt die WTG ein, daß sie mit der Behauptung, Jerusalem sei 607 v.u.Z. gefallen, so ziemlich allein auf der Welt steht. Sie argumentiert, dies sei so, weil sie alleine wirklich die Bibel über „weltliche“ Quellen stelle.

Die WTG schreibt in dem Buch Dein Königreich komme (1981) auf Seite 187:

Christen, die an die Bibel glauben, haben immer wieder festgestellt, daß die Aussagen der Bibel der Kritik standhalten und sich als genau und glaubwürdig erweisen. Sie erkennen, daß die Bibel, das inspirierte Wort Gottes, als Maßstab gebraucht werden kann, an dem man weltliche Geschichtsberichte und Ansichten messen kann.

Das mag sich für einen Christen ja ganz nett anhören, aber stimmt es auch? Hält die Wachtturm-Gesellschaft die Bibel wirklich für „genau und glaubwürdig“? Gebraucht sie die Bibel als Meßlatte? Lehrt die Bibel, daß Jerusalem 607 v.u.Z. fiel?

Die Bibel enthält keine absoluten Daten, weil unser Kalender noch nicht erfunden war, als irgendein Teil des Alten Testaments geschrieben wurde. Es ist daher nicht möglich, Ereignisse direkt zu datieren. Die Bibel liefert jedoch eine Menge relativer Daten.

Ein Beispiel:

Im dritten Jahr des Königtums Jojakims, des Königs von Juda, kam Nebukadnezar, der König von Babylon, nach Jerusalem und ging daran, es zu belagern. (Dan 1:1)

Es folgt dann ein Bericht, wie die heiligen Gerätschaften des Tempels nach Babylon genommen wurden, und auch, wie einige prominente Israeliten - darunter Daniel - als Gefangene genommen wurden. Jerusalem war zu diesem Zeitpunkt noch nicht zerstört. In Daniel 2:1 finden wir gleichfalls ein Ereignis, das in das 2. Jahr Nebukadnezars datiert wurde. Logischerweise bedeutet das, daß die Deportation Daniels und anderer im Thronbesteigungsjahr der Herrschaft des Nebukadnezar stattfand (oder theoretisch dem ersten Jahr, aber Vers 5 zeigt etwas anderes, da zwischen 1:1 und 2:1 eine dreijährige Ausbildungszeit liegt).

So wurden in biblischer Zeit Ereignisse datiert. Wenn wir die Regierungsjahre der Könige datieren können - hier von Jojakim und Nebukadnezar -, können wir die Ereignisse datieren. Jede Datierung erfordert also einen unabhängigen, nichtbiblischen Beweis. Der Bibel kann man nur relative Daten entnehmen. Wir werden später sehen, wie man diese absoluten Daten findet.

Verteidigt die WTG die Bibelchronologie?

Wie wir gesehen haben, behauptet die WTG, sie folge der Bibel und nehme sie gegen Kritik in Schutz. Stimmt das? Manchmal, aber nicht immer.

Wir stellten fest, daß Daniel 1:1 sagt, Nebukadnezar habe im 3. Jahr des Jojakim Gefangene genommen (das Thronbesteigungsjahr wird als erstes Regierungsjahr gezählt). Gemäß der Wachtturm-Chronologie ist das gar nicht möglich.

Das Bibellexikon der WTG, Einsichten über die Heilige Schrift, Band 1, Seite 1386, stellt fest:

Offenbar auf dieses Jahr - Jojakims drittes Jahr als Vasallenkönig Babylons - beziehen sich die Worte Daniels in Daniel 1:1. Daniel kann nicht Jojakims drittes Jahr seiner 11jährigen Herrschaft über Juda gemeint haben, da Jojakim zu jener Zeit nicht von Babylon, sondern von Ägyptens Pharao Necho abhängig war.

„Offenbar“, heißt es. Jemand, der nicht in der Bibel versiert ist, könnte es für möglich halten, daß sich Daniel auf „das dritte Jahr“ seit einem bestimmten Ereignis in der Regierungszeit eines Königs bezieht. Aber wenn wir wissen, wie auf diese Weise damals die Zeit gezählt wurde, verstehen wir, wie höchst unwahrscheinlich dies ist. Ein Beispiel: Ist es wahrscheinlich, daß irgend jemand, der heute lebt, den Beginn des 2. Weltkriegs auf 1869 datiert, nur weil er den Fall Jerusalems an die Römer für ein interessanteres Datum hält, ab dann den Kalender zu zählen? Wenn Daniel eine solche merkwürdige Aussage getroffen hätte, dann hätte er gewußt, daß er fast mit Sicherheit mißverstanden würde. Es ist auch so, daß Daniel und viele andere Bibelschreiber diese Datierung häufig verwenden (Daniel 7:1; 8:1; 9:1; 10:1; 11:1).

Daniel 2:1 läßt den Propheten einen Traum Nebukadnezars in dessen zweitem Jahr deuten. Wieder muß die WTG zu Akrobatik greifen, denn der Text selbst „im zweiten Jahr des Königtums Nebukadnezars“ besagt etwas höchst Eindeutiges.

Diese Weigerung, die Bibel für wichtiger als ein Dogma zu nehmen, wird besonders ärgerlich in dem Buch Dein Königreich komme, das in einem Anhang versucht, Kritik an der Wachtturm-Chronologie zu widerlegen. Auf Seite 188 wird versucht, den Wert der babylonischen Chroniken des Berossus zu widerlegen:

Obwohl Berossus behauptet, Nebukadnezar habe in seinem Antrittsjahr Juden gefangengenommen, gibt es keine Keilschriftdokumente, die dies bestätigen würden.

Es ist doch wirklich erstaunlich zu sehen, wie nur wenige Absätze, nachdem sich die WTG zum alleinigen Verfechter der Bibel ausgerufen hat, vorsätzlich ignoriert wird, daß die Bibel selbst, in Daniel, Berossus gegen die WTG-Chronologie unterstützt.

Dies sind sicher nicht die einzigen Beispiele. Der Prophet Sacharja führt den größten Schlag gegen die WTG-Chronologie.

Sacharja 1:7 Am vierundzwanzigsten Tag des elften Monats, das ist der Monat Schebat, im zweiten Jahr des Darius, erging das Wort Jehovas an Sacharja, den Sohn Berechjas, des Sohnes Iddos, den Propheten…

Diesmal stimmte die WTG mit allen Quellen überein, daß das Ereignis in den Februar 519 v.u.Z. zu datieren ist. Schließlich beruht ja das Jahr 607 v.u.Z. der WTG auf der Regierungszeit des Cyrus als einem „Angelpunkt“; so wäre es unweise, dies abzustreiten.

Was sah und hörte der Prophet Sacharja?

Da antwortete der Engel Jehovas und sagte: „O Jehova der Heerscharen, wie lange wirst du selbst dich Jerusalems und der Städte Judas nicht erbarmen, die du diese siebzig Jahre öffentlich verurteilt hast?“ (Sacharja 1:12)

Ja, 70 Jahre lang hatte Gott die Städte in Juda verurteilt. Das bringt uns auf 589 v.u.Z. Nach der Wachtturm-Chronologie geschah in diesem Jahr nichts Bedeutsames. In der allgemein anerkannten Chronologie war dies das Jahr, als Nebukadnezar mit der Belagerung Jerusalems begann (2. Könige 25:1; Hesekiel 24:1, 2; Jeremia 52:4).

Überdies wäre es sinnlos gewesen, wenn der Engel gesagt hatte, diese Städte seien für „siebzig Jahre“ verurteilt gewesen, wenn diese Zeit achtzehn Jahre nach der vollständigen Zerstörung der Hauptstadt begann! Wenn der Engel andererseits über eine Zeit von siebzig Jahren von 607 v.u.Z. bis 537 v.u.Z. sprach - und so werden Jehovas Zeugen zweifellos argumentieren -, warum sollte der Engel dann: „Wie lange“ fragen? Gerade diese Worte zeigen, daß zu diesem Zeitpunkt die Verurteilung noch nicht zu Ende war. Und da sie immer noch anhielt, muß sie mit dem Hauptereignis im Jahre 589 v.u.Z. begonnen haben.

Als ob das noch nicht genug sei, versetzt Sacharja der Wachtturm-Chronologie später einen noch schlimmeren Schlag:

Überdies geschah es, daß im vierten Jahr des Königs Darius das Wort Jehovas an Sacharja erging, am vierten [Tag] des neunten Monats, [das heißt] im Kislew. Und Bethel sandte dann Sarezer und Regem-Melech und seine Männer, um das Angesicht Jehovas zu besänftigen und zu den Priestern zu sagen, die zum Haus Jehovas der Heerscharen gehörten, und zu den Propheten, ja zu sprechen: „Soll ich im fünften Monat weinen, indem ich Enthaltsamkeit übe, so wie ich es o diese vielen Jahre getan habe?“ Und das Wort Jehovas der Heerscharen erging weiter an mich und lautete: „Sprich zu dem ganzen Volk des Landes und zu den Priestern: Wenn ihr gefastet habt und es ein Wehklagen gab im fünften [Monat] und im siebten [Monat], und dies siebzig Jahre lang, habt ihr wirklich für mich gefastet, ja für mich? (Sacharja 7:1-5)

Die chronologischen Beweise in diesen Versen sind erstaunlich und geben uns einen Reichtum an Information. Selbst die WTG-Literatur muß zugeben, daß diese Ereignisse, die die Juden beklagten und weswegen sie fasteten, eindeutig in der Bibel gekennzeichnet werden. Sie hatten im fünften Monat gefastet, „um sich daran zu erinnern, wie an jenem Tag Nebusaradan, der Oberste der Leibwache Nebukadnezars, nach zwei Tagen Inspektion die Stadt Jerusalem und ihren Tempel niedergebrannt hatte“, wie es in dem WTG-Buch Das Paradies für die Menschheit durch die Theokratie wiederhergestellt, Seite 234, heißt. Sie fasteten auch im siebenten Monat „zur Erinnerung an die Ermordung des Statthalters Gedalja, der aus dem königlichen Hause Davids stammte und den Nebukadnezar für die armen Juden, die nach der Zerstörung Jerusalems dableiben durften, zum Statthalter des Landes eingesetzt hatte.“ (Das Paradies für die Menschheit durch die Theokratie wiederhergestellt, Seite 234).

Das schafft für die WTG ein offensichtliches Problem, da sie behauptet, dies sei 607 v.u.Z. geschehen. Der November 518 v.u.Z. im vierten Jahr des Darius, als Sacharja diese Vision hatte, liegt 90 Jahre nach 607 v.u.Z. Die WTG räumt ein, daß die siebzig Jahre der Klage begannen, als Jerusalem zerstört wurde. Der obengenannte Bibeltext zeigt so eindeutig, wie es ein Text nur tun kann, daß die siebzig Jahre bis in das Jahr 518 v.u.Z. liefen. Die Israeliten fragten, ob sie mit ihrem Fasten fortfahren sollten. Hätten sie zwanzig Jahre früher damit aufgehört, ergäbe diese Frage keinen Sinn. In Sacharja 1:12, wurden die siebzig Jahre als „diese siebzig Jahre“ bezeichnet, im Gegensatz zu „jenen siebzig Jahren“, wie die Wortwahl wohl gewesen wäre, wenn sie schon zwanzig Jahre zuvor geendet hätten.

Wie beantwortet die WTG diesen schwerwiegenden Einwand auf ihre Chronologie? Im Hinblick auf den Engel in Sacharja, Kapitel 1, sagt sie:

Meinte denn der Engel Jehovas, daß jene siebzig Jahre noch nicht zu Ende wären oder daß sie eben erst geendet hätten? Dies konnte keine geschichtliche Tatsache sein. (Das Paradies für die Menschheit durch die Theokratie wiederhergestellt, Seite 130)

In der Tat! Alle Historiker und Bibelkommentare stellen fest, daß 586/7 v.u.Z. das korrekte Datum für den Fall Jerusalems ist - gestützt von Tausenden von Keilschrifttafeln und alten Dokumenten und Inschriften. Wenn nun Gott und Gottes Engel durch den Propheten Sacharja dasselbe sagen, stellt die Wachtturm-Gesellschaft kühn fest: „Dies konnte keine geschichtliche Tatsache sein“.

Es braucht eigentlich keine weiteren Beispiele, um zu zeigen, in welchem Maße die WTG die Bibel stützt. Wir wollen dennoch die Argumente der WTG zur Stützung ihres Datums 607 v.u.Z. untersuchen.

Die siebzig Jahre für Babylon

Als Gegengewicht zu der Fülle der Beweise gegen ihre Chronologie beruft sich die WTG auf einige Bibelstellen. In dem Buch Dein Königreich komme, Seite 187-188, heißt es:

Der Prophet Jeremia sagte voraus, daß die Babylonier Jerusalem zerstören und die Stadt und das Land zu einer Einöde machen würden (Jeremia 25:8, 9). Er fügte hinzu: „Und dieses ganze Land soll ein verwüsteter Ort werden, ein Gegenstand des Entsetzens, und diese Nationen werden dem König von Babylon siebzig Jahre dienen müssen“ (Jeremia 25:11). Die 70 Jahre endeten, als Cyrus der Große die Juden in seinem ersten Regierungsjahr freiließ und sie in ihr Heimatland zurückkehrten (2. Chronika 36:17-23).

Wir glauben, daß gemäß der einfachsten Deutung von Jeremia 25:11 und anderen Texten die 70 Jahre dann beginnen sollten, wenn die Babylonier Jerusalem zerstören und das Land Juda verödet hinterlassen würden.

Die siebzig Jahre bei Jeremia werden hier voll auf die Zeit ab der Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezar bis zu der Zeit angerechnet, als die Juden wieder aus Babylon heimkehren durften. Der Fall Babylons an Cyrus war 539 v.u.Z.. Das steht außer Frage. Die WTG argumentiert, die Juden seien 537 v.u.Z. heimgekehrt. Das ist möglich, wenn auch 538 v.u.Z. als wahrscheinlicher gilt. Daraus folgt, argumentiert die WTG, daß Jerusalem 70 Jahre zuvor fiel, im Jahre 607 v.u.Z.

Die siebzig Jahre sind eine prophetische Zeit bei Jeremia; daher bietet es sich an, erst einmal zu untersuchen, wie dieser Ausdruck in seinem Buch gebraucht wird. Wir sahen bereits, daß er zuerst in Jeremia 25:11 genannt wird. Dieser Text besagt nicht, was die WTG behauptet, daß er besagt.

Und dieses ganze Land soll ein verwüsteter Ort werden, ein Gegenstand des Entsetzens, und diese Nationen werden dem König von Babylon siebzig Jahre dienen müssen. (Jeremia 25:11)

Wir bemerken sofort, daß Jeremia nirgendwo sagt, Jerusalem läge siebzig Jahre verödet. Diese siebzig Jahre waren eine Zeit der Knechtschaft, nicht der Zerstörung. Auch wenn der Kontext von Verwüstung spricht, treffen die siebzig Jahre nur auf die Knechtschaft zu. Der oben zitierte Text in Dein Königreich komme läßt dies völlig außer acht. Überdies war die Knechtschaft auch nicht auf die Israeliten beschränkt; „diese Nationen“ meint viele, wenn nicht alle Nationen in dieser syro-palästinischen Gegend.

Was meinte Jeremia mit den Worten „siebzig Jahre“? Natürlich können damit genau 70 Jahre im Gegensatz zu 71 oder 69 Jahren gemeint sein. So versteht dies die WTG, und das ist sehr wahrscheinlich richtig.

Es kann aber auch nur eine runde Zahl sein und auf eine annähernde Zeitperiode zutreffen. Ein Beispiel dafür ist der Text aus Psalm 90:10: „Die Tage unserer Jahre an sich sind siebzig Jahre.“ Niemand wird wohl, auf diesen Text gestützt, sagen wollen, die Lebensdauer des Menschen betrage genau siebzig Jahre. In Jesaja 23:15 sehen wir, daß „siebzig Jahre“ „gleich den Tagen eines Königs“ sind, was natürlich auch nur annähernd stimmt. Dieser Grundsatz, den Jeremia kannte, kann einfach bedeuten, daß er sagte, die Nationen würden Babylon ein Menschenleben lang dienen müssen, ungefähr siebzig Jahre.

„Diese Nationen“ begannen nicht später als 605 v.u.Z., Nebukadnezar zu dienen, als - wie wir gesehen haben - er noch Gefangene und Beute aus Jerusalem mitnahm. In diesem Jahr besiegte Nebukadnezar Pharao Necho (Jeremia 46:2), und die Nationen in diesem Gebiet mußten dem König von Babylon ab diesem Jahr Tribut zahlen. Diese Zeit endete abrupt im Jahre 539 v.u.Z., als Babylon an Cyrus fiel. Diese Zeitperiode beträgt 66 Jahre, und niemand kann abstreiten, daß das ungefähr 70 Jahre sind.

Es ist jedoch ganz gut möglich, den Beginn der siebzig Jahre auf das Kahr 609 v.u.Z. zu legen, und das sind dann genau siebzig Jahre. In diesem Jahr fiel Charran, und das Assyrerreich hatte eindeutig Babylon als dominierender Macht in diesem Bereich Platz gemacht. So wechselte 609 v.u.Z. die Oberherrschaft über „diese Nationen“ von Assyrien auf Babylon. Einige Nationen fielen sofort unter Babylon, andere folgten bald darauf.[1]

Es ist natürlich nicht möglich, sicher zu wissen, was Jeremia meinte. Es ist jedoch gleichgültig, welche Auslegung wir für die siebzig Jahre wählen - die „einfachste Deutung“ von Jeremia 25:11 läßt die siebzig Jahre im Jahre 539 v.u.Z. enden, als Babylon an Cyrus fiel. Und der Beginn dieser Jahre hatte nichts mit dem Fall Jerusalems zu tun, sondern mit der Oberherrschaft Babylons.

Jeremia erwähnt die siebzig Jahre in einem weiteren Vers:

Denn dies ist, was Jehova gesagt hat: „In Übereinstimmung mit der Erfüllung von siebzig Jahren in Babylon werde ich euch meine Aufmerksamkeit zuwenden, und ich will euch gegenüber mein gutes Wort bestätigen, indem ich euch an diesen Ort zurückbringe.“ (Jeremia 29:10 [NWÜ])

An diesem Punkt erweist die Neue-Welt-Übersetzung ihr Vorurteil zugunsten der WTGAuslegung. Man muß jedoch anmerken, daß dies bei der Erörterung der „siebzig Jahre“ die einzige Stelle ist, wo die Neue-Welt-Übersetzung umstritten ist.

Mit einer einzigen Ausnahme, der King James Version (oder Authorized Version) aus dem Jahre 1611, und neueren davon abgeleiteten Übersetzungen, befindet sich die NWÜ allein auf weiter Flur mit ihrer Lesart „in Babylon“. In jeder anderen greifbaren [auch deutschen] Übersetzung heißt es „für Babylon“ oder ähnlich:

Denn so spricht der HERR: Erst wenn siebzig Jahre für Babel voll sind, werde ich mich euer annehmen und mein gutes Wort, euch an diesen Ort zurückzubringen, an euch erfüllen. (Jeremia 29:10 [Revidierte Elberfelder Bibel])

Carl Olof Jonsson schickte einen Brief an eine Anzahl anerkannter Hebräischgelehrter in Skandinavien und bat um Auskunft, was die genaue Bedeutung des hebräischen Ausdrucks „Le Babel“ sei, der hier auftaucht. Ohne Ausnahme antworteten sie, daß die Übersetzung „für Babylon“ richtig sei. Diese Gelehrten waren Dr. Seth Erlandson aus Uppsala, Dr. Hans M. Berstad, Prof. Tryggve Mettinger und Dr. Tor Magnus Amble. Die Hebräischgelehrten waren sich in dieser Frage einig, und das sollte allein schon aus der Tatsache ersichtlich sein, daß jede moderne Übersetzung diese Lesart hat.

Nebenbei ist es überhaupt nicht möglich, diesen Text so auszulegen, als bedeute er, daß die siebzig Jahre vom Fall Jerusalems bis zu der Zeit liefen, als Cyrus die Juden aus Babylon befreite. Dies ist der Kontext des Verses: Er gehört zu einem Brief, den Jeremia an Personen schickte, die in der zweiten Deportation (von dreien) als Gefangene aus Jerusalem genommen wurden (2. Könige 24:10-17; 2. Chronika 36:10). Dies war zehn Jahre vor der Zerstörung Jerusalems. In diesem Brief (Jeremia 24:9-11) sagt Jeremia den Gefangenen, sie sollten sich in Babylonien niederlassen und keine baldige Rückkehr erwarten, wie es ein paar falsche Propheten vorhergesagt hatten. Sie würden in Babylon bleiben, bis siebzig Jahre „für Babylon erfüllt“ wären. Erst dann kehrten sie zurück. Dies ergibt nur dann einen Sinn, wenn die siebzig Jahre bereits begonnen hatten. Diese Auslegung von Jeremia 29:10 wid von Dr. Avigdor Orr gestützt:

Der Sinn des hebräischen Originals könnte sogar wie folgt wiedergegeben werden: „Nachdem siebzig Jahre für (die Herrschaft von) Babylon vollendet sind usw. Die hier gezählten siebzig Jahre beziehen sich offensichtlich auf Babylon und nicht auf die Judäer und ihre Gefangenschaft. Sie bedeuten siebzig Jahre der Herrschaft Babylons, an deren Ende die Befreiung der im Exil Lebenden steht.“[2]

Wenn die siebzig Jahre in der Zukunft beginnen würden, zehn Jahre, nachdem Jeremias Worte geschrieben wurden, hieße das, Gott habe bereits beschlossen, daß Jerusalem zerstört würde. In diesem Fall ergäben die späteren Warnungen Jeremias keinen Sinn:

Jeremia sagte nun zu Zedekia: „Dies ist, was Jehova, der Gott der Heerscharen, der Gott Israels, gesprochen hat: Wenn du auch wirklich zu den Fürsten des Königs von Babylon hinausgehen wirst, so wird deine Seele gewiß am Leben bleiben, und diese Stadt selbst wird nicht mit Feuer verbrannt werden, und du wirst bestimmt am Leben bleiben, du und deine Hausgemeinschaft. Wenn du aber nicht zu den Fürsten des Königs von Babylon hinausgehen wirst, so wird diese Stadt in die Hand der Chaldäer gegeben werden, und sie werden sie tatsächlich mit Feuer verbrennen, und du selbst wirst ihrer Hand nicht entrinnen. (Jeremia 38:17,18)

Hätte Gott bereits zehn Jahre, bevor er es dann auch tat, beschlossen, die Stadt zu verbrennen, wäre diese Warnung fruchtlos gewesen. Das Beispiel im Buch Jona zeigt, daß Gott seine Pläne auch ändert, wenn er auf Reue trifft.

Wir haben gesehen, daß Jeremia niemals von siebzig Jahren Verwüstung für Jerusalem spricht. Das sollten wir bedenken, wenn wir die nächsten beiden Textstellen untersuchen, wo Daniel und Esra diese Worte anwenden. Natürlich sollte keine Auslegung dieser Texte den Worten Jeremias selbst widersprechen.

Der Prophet Daniel erfuhr die dramatische Erfüllung der Prophezeiung Jeremias. Wahrscheinlich war er unter den jüdischen Gefangenen, die den Brief Jeremias erhalten hatten (Jeremia 29:4-14). Zumindest kannte er den Inhalt dieses Briefes, in dem nach siebzig Jahren babylonischer Vorherrschaft die Rückkehr in das heilige Land verheißen wurde.

Eines Abends im Jahre 539 v.u.Z. war die Zeit für das mächtige babylonische Reich gekommen, als der König von Babylon die Inschrift an der Wand sah – buchstäblich. Daniel legte diese mysteriöse Schrift aus:

Und dies ist die Schrift, die aufgezeichnet wurde: MENE, MENE, TEKEL und PARSIN. Das ist die Deutung des Wortes: MENE, Gott hat [die Tage] deines Königreiches gezählt und ihm ein Ende gemacht. TEKEL, du bist auf der Waage gewogen und als zu leicht befunden worden. PERES, dein Königreich ist geteilt und den Medern und den Persern gegeben worden.“ (Daniel 5:25-28)

Ja, Gott hatte „die Tage [des babylonischen Königreiches] gezählt.“. Genau siebzig Jahre, nachdem es schließlich die Assyrer besiegte, setzten die Meder und die Perser unter König Cyrus der babylonischen Vorherrschaft ein Ende. Daniel schließt mit den Worten: „In derselben Nacht wurde Belsazar, der chaldäische König, getötet.“ (Vers 30).

Es gibt keinen Zweifel, daß sich dies auf die Prophezeiung Jeremias bezieht. Dieses 'Zählen der Tage' wurde natürlich vorher offenbart und nicht geheimgehalten:

Denn der Souveräne Herr Jehova wird kein Ding tun, es sei denn, er habe seine vertrauliche Sache seinen Knechten, den Propheten, geoffenbart. (Amos 3:7)

Man beachte die Reihenfolge der Ereignisse, wie sie Jeremia beschrieben hatte:

„Und dieses ganze Land soll ein verwüsteter Ort werden, ein Gegenstand des Entsetzens, und diese Nationen werden dem König von Babylon siebzig Jahre dienen müssen. Und es soll geschehen, wenn siebzig Jahre voll sind, daß ich den König von Babylon und jene Nation zur Rechenschaft ziehen werde“, ist der Ausspruch Jehovas . . . (Jeremia 25:11,12)

Erst endeten die siebzig Jahre, und dann würde der babylonische König zur Rechenschaft gezogen werden. Nach der WTG-Auslegung endeten die siebzig Jahre zwei Jahre, nachdem der König zur Rechenschaft gezogen worden war. Dies steht, wie leicht zu sehen ist, im Widerspruch zum Text.

Die Juden im babylonischen Exil freuten sich zweifellos über das Ende des babylonischen Reiches. Sie wußten, daß das geschehen müßte, ehe sie nach Jerusalem zurückkehren und den Tempel und die Stadt wieder aufbauen konnten. Dann, wie Jeremia gesagt hatte, würden sie zurückkehren, Gott hatte verheißen: „Ich will euch gegenüber mein gutes Wort bestätigen, indem ich euch an diesen Ort zurückbringe.“ (29:10)

Das ist das, was Daniel fand, als er sofort nach dem Fall Babylons diese Prophezeiungen zu untersuchen begann:

Im ersten Jahr des Darius, des Sohnes des Ahasverus, vom Samen der Meder, der zum König über das Königreich der Chaldäer gemacht worden war, im ersten Jahr seiner Regierung bemerkte ich selbst, Daniel, durch die Bücher die Zahl der Jahre, über die das Wort Jehovas an Jeremia, den Propheten, ergangen war, um die Verwüstungen Jerusalems zu erfüllen, [nämlich] siebzig Jahre. (Daniel 9:2 [NWÜ])

Die WTG hat diese Worte oft benutzt, um ihre Auslegung von den siebzig Jahren zu stützen, daß diese Jahre nämlich die Jahre seit der Zerstörung Jerusalems bis zur Rückkehr der Juden gewesen seien. In einigen Übersetzungen (die deutsche Gute Nachricht ist ein Beispiel) ist die Wortwahl ungenau und vermittelt den Eindruck, die siebzig Jahre müßten vergangen sein, während Jerusalem in Trümmern lag. Die NWÜ jedoch bewahrt getreu die zweideutige Wortwahl des Originals.

Daniel sagte nur, daß siebzig Jahre vergehen müßten, ehe die Verwüstung Jerusalems enden könnte. Er sagt nicht, daß diese siebzig Jahre begannen, als Jerusalem zerstört wurde. Man beachte die folgende Übersetzung:

Im ersten Jahr seiner Königsherrschaft achtete ich, Daniel, in den Bücherrollen auf die Zahl der Jahre, über die das Wort des HERRN zum Propheten Jeremia geschehen war, daß nämlich siebzig Jahre über den Trümmern Jerusalems dahingehen sollten. (Dan 9:2 [Revidierte Elberfelder Bibel])

Eine andere genaue Übersetzung:

Im ersten Jahre seiner Regierung achtete ich, Daniel, in den Schriften auf die Zahl der Jahre, die nach dem Wort des Herrn, das an den Propheten Jeremia ergangen war, über den Trümmern Jerusalems dahingehen sollten, nämlich siebzig Jahre. (Dan 9:2 [Zürcher Bibel])

Andere Übersetzungen wie die [englische] Neue Jerusalemer Bibel und die NWÜ sprechen von „Verwüstungen“ und gebrauchen den Plural (Verwüstungen). Die WTG argumentiert, die Verwüstung Jerusalems sei geschehen, als die Stadt von Nebukadnezar zerstört wurde. Aber Daniel spricht von mehreren Verwüstungen. Die [englische] Jerusalem Bible gebraucht sogar die Wendung „die aufeinanderfolgenden Verwüstungen Jerusalems“.

Das Wort für „Verwüstung“ ist chorbah. Es meint nicht, wie wir noch sehen werden, vollständige Zerstörung. Wir haben erkannt, daß Nebukadnezar bereits 605 v.u.Z., im Jahr seiner Thronbesteigung, Gefangene und Beute aus Jerusalem mitnahm. Jedes Jahr danach zog seine Armee durch das Land und verursachte zweifellos weitere Verwüstungen. Die Bibel spricht von Plündererbanden aus verschiedenen Nationen, die in dieser Zeit ein Chaos verursachten (siehe 2. Könige 24:2; Jeremia 35:11).

Wenn wir uns anschauen, wie dieser Ausdruck an anderen Stellen in der Bibel gebraucht wird, fällt das Wachtturm-Argument völlig in sich zusammen. Der Prophet Hesekiel spricht von den „Bewohner[n] jener verwüsteten Stätten“ (Hesekiel 33:24, 27). Dadurch wird recht deutlich, daß das Wort sich nicht unbedingt auf Orte beziehen muß, die völlig ohne Bewohner sind. Und wenn wir dann noch in Nehemia 2:17 sehen, daß die Bibel Jerusalem selbst dann noch als verwüstet bezeichnet, als die Juden schon wieder zurückgekehrt waren, erkennen wir, daß die Art, wie die WTG dieses Wort verwendet, falsch ist.

Wir sahen nun, daß Daniel 9:2 die WTG-Auslegung nicht stützt.

  • Erstens: Daniel sagt nirgendwo, daß die siebzig Jahre begannen, als Jerusalem schließlich zerstört wurde.
  • Zweitens: die Verwüstungen Jerusalems begannen viele Jahre vor der endgültigen Zerstörung im Jahre 587 v.u.Z.

Schließlich wollen wir noch einen Bibelvers im Hinblick auf die siebzig Jahre untersuchen, der mit der Erfüllung der Prophezeiung Jeremias zusammenhängt. Wieder müssen wir Jeremias Worte dabei im Sinn behalten. Der Schreiber Esra schließt seine Chronik über die Könige Judas wie folgt:

2. Chronika 36:20,21 Ferner führte er die vom Schwert Übriggebliebenen gefangen nach Babylon hinweg, und sie wurden ihm und seinen Söhnen zu Knechten, bis das Königshaus von Persien zu regieren begann, um Jehovas durch den Mund Jeremias [gesprochenes] Wort zu erfüllen, bis das Land seine Sabbate abgezahlt hatte. Alle Tage, da es verödet dalag, hielt es Sabbat, um siebzig Jahre zu erfüllen.

Auch diese Worte können bedeuten, daß das Land siebzig Jahre lang verwüstet dalag. Wie wir oben gesehen haben, begannen die Verwüstungen vor der schließlichen Zerstörung Jerusalems; so stellt auch dies keine Stütze für die WTG-Auslegung dar.

Überdies sagte Esra nicht, daß die Zeitperiode von siebzig Jahren parallel mit der Zeit verlief, die das Land verödet dalag. Er stellte einfach fest, daß die siebzig Jahre enden mußten, ehe die Zeit der Verwüstung vorüber war. Das trifft auch auf Esras Erwähnung der Sabbate zu.

Nirgendwo erwähnt Jeremia Sabbatjahre in Verbindung mit den siebzig Jahren. Esra bezog sich zweifellos auf die Prophezeiung in 3. Mose 26:33-35. Er setzt nicht die Zeit, die gebraucht wurde, um die Sabbate zu vollenden, mit den siebzig Jahren gleich. Er bezieht sich auf zwei verschiedene Prophezeiungen und stellt fest, daß zwei Zeitperioden vollendet sein mußten, ehe die Juden zurückkehren konnten: die Sabbatruhe und die siebzig Jahre Vorherrschaft Babylons.

In bezug auf die Sabbatruhe sind zwei Grundsätze erwähnenswert. Wenn das Land siebzig Jahre ruhen mußte, hieße das, es mußte für 490 (7x70) Jahre ruhen, denn die Juden hatten die Sabbatruhe nicht eingehalten. Das führt uns zum Jahr 1077 v.u.Z. (oder 1097 in der WTGChronologie) zurück. Dies war vor der Herrschaft des gerechten David, selbst ehe Saul der erste König war. Ist es wahrscheinlich, daß das Land beispielsweise während der Regierungszeiten von Saul, David, Salomo und Josia auch nur für ein Jahr keinen Sabbat hielt? Andererseits wenn man die anerkannte Chronologie verwendet, lag das Land 50 Jahre öde da (in diesem Sinne, also nicht für den Ackerbau verwendet). Dies (7x50 Jahre) bringt uns zurück in das Jahr 937 v.u.Z., sehr nah an die Zeit der Teilung des Königreiches, die der Untreue des Königs zugeschrieben wird. Es ist von zweifelhaftem Wert, wenn man den Einzelheiten in dieser Prophezeiung zu viel Bedeutung zumißt, aber es ist zumindest einer Betrachtung wert.

Die Bibel lehrt 587 v.u.Z. als Zeitpunkt der Vernichtung

Aus alledem ist der Schluß zu ziehen, daß die Bibel an keiner Stelle der anerkannten („weltlichen“) Chronologie widerspricht, die das Antrittsjahr Nebukadnezars auf 605 v.u.Z. legt. Die Bibel sagt, daß der schließliche Fall und die Zerstörung Jerusalems in das 19. Regierungsjahr Nebukadnezars fielen (Jeremia 52:12; 2. Könige 25:1-4; 2. Chronika 26:11,19). Dies ist 587 v.u.Z.[3]

Andererseits hat die WTG kein System aufgestellt, das innerlich mit dem Bibelzeugnis über die siebzig Jahre übereinstimmt. Des weiteren widerspricht ihre Chronologie direkt den eindeutigen Aussagen in den Büchern Daniel und Sacharja.

Die Bibel allein genügt schon, um die WTG-Chronologie zurückzuweisen. Wir werden aber dennoch die enorme Menge an archäologischem Material für die anerkannte Chronologie sichten.

Die archäologischen Beweise

(Siehe Zusammenfassung und Zeittafel weiter unten)

Wie wir schon gesehen haben, enthält die Bibel keine absoluten Daten. Sie enthält relative Daten und Zeiträume, und nur, wenn wir zumindest eines der Ereignisse und der relativen Daten an unserem Kalender festmachen können, kommen wir auf ein absolutes Datum.

Vor diesem Problem steht natürlich auch die WTG. Sie hat sich auf ein Schlüsseldatum konzentriert; ein Ereignis, das sowohl in weltlichen historischen Quellen wie auch in der Bibel selbst bezeugt wird: Der Fall Babylons an König Cyrus im Jahre 539 v.u.Z.

Wie kam man zu diesem Datum? Historiker haben die Königslisten von Ptolemäus und Berossus verwendet. Diese werden als genau und zuverlässig angesehen, und sie datieren die Herrschaft des Cyrus über Babylon ab dem Jahr 539 v.u.Z. Dies ist durch die verläßlichste Datierungsmethode bestätigt worden, die man in der Geschichtswissenschaft kennt: zeitgenössische Dokumente mit astronomischen Beobachtungen.

Astronomische Beobachtungen

Die sicherste Quelle für absolute Daten stammt aus zeitgenössischen Inschriften mit astronomischen Beobachtungen. Die Babylonier legten wie viele andere sehr viel Wert auf Astrologie, und sie beobachteten sorgfältig die Himmelsphänomene und notierten die exakten Stellungen der Planeten relativ zum Tierkreis. Diese Inschriften wurden relativ zur Regierungszeit eines Königs genau datiert. Man kann viele solcher Beobachtungen auf Einzelinschriften finden, und sie bilden einen einzigartigen „Fingerabdruck“ für ein Jahr, da die Beobachtungen unmöglich auf Jahrtausende hinaus früher oder später vorkommen konnten. Heutige Astronomen können die in den astronomischen Inschriften beschriebenen Phänomene genau berechnen und verifizieren, daß diese Beobachtungen unmöglich Fälschungen sind oder ein anderes Jahr betreffen.

So wäre die einzige Möglichkeit, daß eine Inschrift mit korrekten astronomischen Daten eine „Fälschung“ wäre, die, daß sie falsch datiert wurde. Da die WTG-Chronologie einheitlich um zwanzig Jahre zurückliegt, müßte man die zeitgenössischen astronomischen Aufzeichnungen um zwanzig Jahre falsch datieren. Kann sich jemand vorstellen, daß Astrologen und Chronisten in der neubabylonischen Zeit so etwas taten? Die Arbeit, die mit der Fälschung auch nur einer dieser astronomischen Tafeln verbunden ist, ist enorm, wenn man berücksichtigt, daß sie zahllose Daten und Ereignisse im Leben eines Königs erwähnen, und nur eine Änderung in den Beobachtungen oder den Daten selbst würde bewirken, daß diese Beobachtung in keine Konstellation astronomischer Phänomene in der bekannten Geschichte mehr paßt.

Die WTG sieht solche astronomischen Berechnungen als äußerst zuverlässig an:

Eine babylonische Tontafel ist eine Hilfe, um die babylonische Chronologie mit der biblischen Chronologie in Verbindung zu bringen. Diese Tafel enthält die folgenden astronomischen Informationen über das siebte Regierungsjahr Kambyses' II., des Sohnes Cyrus' II.: „Jahr VII Duzu nachts 14 1 Doppelstunden (3h 20m) nach Einbruch der Nacht eine Mondfinsternis; dem ganzen Verlauf nach sichtbar; sie erstreckte sich über die halbe nördliche (Mond)scheibe. Tebitu nachts 14 2½ Doppelstunden (5h) nachts gegen Morgen (im letzten Teile der Nacht) die Scheibe des Mondes war verfinstert; der ganze Verlauf sichtbar; über den südlichen und nördlichen Teil die Finsternis erstreckte sich“ (J. N. Strassmaier, Inschriften von Cambyses, König von Babylon, Leipzig 1890, Nr. 400, Zeile 45--48; F. X. Kugler, Sternkunde und Sterndienst in Babel, Münster 1907, Bd. I, S. 70, 71). Diese beiden Mondfinsternisse können mit den Mondfinsternissen identifiziert werden, die in Babylon am 16. Juli 523 v. u. Z. und am 10. Januar 522 v. u. Z. zu sehen waren (Theodor v. Oppolzer, Canon der Finsternisse, 1887, S. 335). Folglich geht aus dieser Tafel hervor, daß das siebte Jahr Kambyses' II. im Frühjahr 523 v. u. Z. begann. Dies ist ein astronomisch bestätigtes Datum. (Einsichten über die Heilige Schrift, Band 1, Seite 483)

Dieses astronomisch bestätigte Datum muß ohne Zweifel richtig sein. Wäre es das nicht, hätte das Schlüsseldatum der WTG, 539 v.u.Z. für den Fall Babylons an Cyrus, keinerlei Grundlage. Aber die WTG ist ungeheuer unehrlich, wenn sie dieses Beweisstück als eindeutig und unzweifelhaft annimmt, gleichzeitig aber genau denselben Beweistyp für die neubabylonische Zeit ablehnt. Wir werden noch sehen, daß die astronomischen Beweise für die neubabylonische Chronologie noch direkter und sogar noch stärker sind.

Ein umfassendes astronomisches Tagebuch, VAT 4956, datiert auf Nebukadnezars 37. Regierungsjahr, enthält eindeutige Beobachtungen, die auf kein anderes Jahre als 568 v.u.Z. passen. Dies ist über jeden Zweifel erhaben; nicht ein einziges Jahr Tausende von Jahren vor oder nach diesem Jahr paßt auf alle diese Beweise, und die Möglichkeit, daß gefälschte Beweise zufällig auf dieses Jahr passen, braucht nicht einmal erwogen zu werden. Da die Bibel sagt, daß Jerusalem im 19. Jahr des Nebukadnezar fiel (Jeremia 52:12; 2. Könige 25:1-4; 2. Chronika 26:11,19), muß dies 587/6 v.u.Z. geschehen sein und mit Sicherheit nicht 20 Jahre früher.

Die WTG kann dies nicht akzeptieren. Sie versucht, das Tagebuch zu anzuzweifeln:

VAT 4956: Dies ist eine Keilschrifttafel mit astronomischen Angaben, die auf das Jahr 568 v. u. Z. datiert werden können. Auf dieser Tafel heißt es, daß die Beobachtungen aus dem 37. Jahr Nebukadnezars stammten. Das würde mit der Chronologie übereinstimmen, gemäß der sein 18. Regierungsjahr in das Jahr 587/86 v. u. Z. fiel. Es wird jedoch zugegeben, daß die Tafel ein Duplikat ist, das im 3. Jahrhundert v. u. Z. angefertigt wurde. Daher ist es möglich, daß die historischen Informationen auf dieser Tafel lediglich die Ansichten wiedergeben, die man in der Seleukidenzeit vertrat. (Dein Königreich komme, Seite 186)

Es handelt sich tatsächlich um eine Kopie, aber es ist keinesfalls „möglich“, daß die geschichtlichen Informationen das sind, was in dieser mystischen „Seleukidenzeit“ angenommen wurde, die, wie wir wiederum sehen, angeblich eine zweifelhafte Zeitperiode ist, in der chronologische Beweise gefälscht worden sein sollen. Der Kopist fügte keine zusätzlichen Informationen hinzu, was aus der Tatsache ersichtlich wird, daß an zwei Stellen, wo die Tafel beschädigt war, der Kopist die Worte „abgebrochen, ausgelöscht“ einfügte. Das zeigt, wie extrem unwahrscheinlich es ist, daß der Kopist spätere „anerkannte“ chronologische Einzelheiten eingefügt hat. Überdies befinden sich in dem Text vierzig Daten, und es sollte außerhalb jeder Erwägung liegen, daß ein Kopist, der so gewissenhaft vorgeht, daß er anzeigt, wo die Originalquelle unlesbar ist, Fälschung in großem Maßstab betreibt, indem er den Namen eines Königs in einen historischen Bericht einfügt, der 568 v.u.Z. schon tot war.

Dies steht außer jeder Frage, denn erst vor einiger Zeit wurde ein astronomisches Tagebuch mit der Bezeichnung BM 32312 entdeckt. Es enthält genaue astronomische Beobachtungen ab 652/51 v.u.Z. Hier konnte kein Kopist Änderungen an den Daten vorgenommen haben, weil etwas abgebrochen war! Die Tafel erwähnt jedoch die Schlacht bei Hirit im „Monat 12, Tag 27, in die der König von Babylon verwickelt war. Und ein bekannteres Tagebuch, die Akitu-Chronik, stellt fest, daß dieses Datum im 16. Regierungsjahr von König Schamasch-Schamukin (667-648 v.u.Z.) lag. So haben wir eine späte und unabhängige Bestätigung, darunter zwei verläßliche Beweisstücke, daß die anerkannte Chronologie der neubabylonischen Zeit korrekt ist. Noch eine Kuriosität am Rande: Dieser babylonische Text berichtet uns, daß der König von Babylon die Schlacht verlor, was die stereotype Behauptung der WTG untergräbt, die babylonischen Chronisten seien unehrlich gewesen.

Was wir gesehen haben, ist, daß die WTG zwar Beweise akzeptiert, die ihre Chronologie untermauern, daß sie aber dieselbe Art von Beweisen ablehnt, wenn sie ihren Vorstellungen widersprechen. Überdies legt die Tafel aus der Regierungszeit von Kambyses II das Datum für die Eroberung Babylons durch Cyrus nur indirekt fest, indem die Königsliste befragt wird, wie lange Cyrus regierte, und daß ihm sein Sohn Kambyses II im Jahre 529 v.u.Z. folgte. VAT 4956 andererseits legt die Regierungszeit von Nebukadnezar direkt fest, und jemand, der nicht an der biblischen Zeitrechnung zweifeln will, kann dies unmöglich zurückweisen. Wenn also die WTG recht hätte mit der Behauptung, die Bibel gebe 70 Jahre vom Fall Jerusalems bis zur Rückkehr der Juden an (was, wie wir sahen, nicht stimmt!), dann müßte sie das Datum 539 v.u.Z. ablehnen, aber nicht 587/6 v.u.Z. Dann würde sie natürlich 607 v.u.Z. als Schlüsseldatum verlieren, und es wäre naiv zu glauben, alle diese Beweisverdrehungen seitens der WTG geschähen aus einem anderen Grund als dem, um an dem Datum 607 v.u.Z. festzuhalten; und das nur, um 1914 zu retten.

Königslisten

Ein Hauptbeweis gegen die WTG-Chronologie sind die Königslisten nach Berossus und Ptolemäus. Berossus war ein babylonischer Priester, der im 3. Jahrhundert v.u.Z. lebte. Er schrieb eine dreibändige Geschichte Babylons, von der nur Fragmente durch Zitate in späteren Werken bekannt sind, wie durch Josephus und Eusebius. Ptolemäus (70-161 n. Chr.) was ein Gelehrter mit vielen Facetten, der in Ägypten lebte. Ptolemäus schrieb ein mathematisches Werk namens Almagest in lateinischer Sprache, in das er den Kanon, eine Königsliste, mit aufnahm. Die Encyclopedia Britannica(Onlineversion) sagt:

Die Quelle, von der aus die Erforschung der mesopotamischen Chronologie begann, ist ein Text, der als ptolemäischer Kanon bezeichnet wird. Diese Königsliste überdeckt eine Zeit von etwa 1.000 Jahren, beginnend mit den Königen Babylons nach der Thronbesteigung von Nabonassar im Jahre 747 v.u.Z. Der Text selbst gehört in die Zeit des Imperium Romanum und wurde von einem griechischen Astronomen geschrieben, der in Ägypten lebte. Beweise für die grundsätzliche Genauigkeit des ptolemäischen Kanons kamen aus den alten Keilschrifttafeln, die in Mesopotamien ausgegraben wurden, darunter einige, die sich auf astronomische Ereignisse beziehen, hauptsächlich Mondfinsternisse. So hatte man, als die Ausgrabungen begannen, bereits ein recht detailliertes Bild der babylonischen Chronologie für die Zeit nach 747 v.u.Z. (Unter der Überschrift „Das Studium der Geschichte, babylonische und assyrische mesopotamische Chronologie, 747 bis 539 v.u.Z.“)

Berossus und Ptolemäus, die zu verschiedener Zeit in verschiedenen Teilen der Welt lebten, und die beide als zuverlässige Quellen sowohl von früheren und von neuzeitlichen Historikern erachtet werden, geben dieselben Daten für die Regierungszeiten der Könige an:

Tabelle 1

Es überrascht daher nicht, daß die Wachtturm-Gesellschaft versucht, diese Quellen in Mißkredit zu bringen. Doch selbst das würde nicht viel helfen, wenn gezeigt werden könnte, daß diese Quellen unabhängig voneinander sind. So behauptet die Wachtturm-Gesellschaft in ihrem 1971 erschienenen Bibellexikon Aid to Bible Understanding, Ptolemäus habe von Berossus abgeschrieben:

Bei der Vorbereitung seines Kanons hat Ptolemäus, so glaubt man, die Schriften des Berossus verwendet. (Seite 328)

Das unpersönliche Subjekt „man“ verbirgt die Tatsache, daß nur die Schreiber der Wachtturm-Gesellschaft dies je 'geglaubt' haben! Es gibt gewichtige Gründe dafür, daß Ptolemäus auf früheren Berichten aufbaut. Nachdem dieses Argument bloßgestellt war, mußte die WTG zu einem anderen greifen:

Offensichtlich stützte Ptolemäus seine geschichtlichen Informationen auf Quellen aus der Seleukidenzeit, die über 250 Jahre nach der Einnahme Babylons durch Cyrus begann. Es überrascht somit nicht, daß Ptolemäus' Zahlen mit denen des Berossos übereinstimmen, einem babylonischen Priester aus der Seleukidenzeit. ("Einsichten über die Heilige Schrift", Band 1, Seite 485; derselbe Text in "Dein Königreich komme", Seite 1869

Es ist schwer zu verstehen, wie es Ptolemäus und Berossus in Mißkredit bringen kann, wenn man sie mit der „Seleukidenzeit“ verbindet, als ob das eine Zeit war, in der Berichte in großem Stil gefälscht wurden. Die Wachtturm-Gesellschaft selbst verläßt sich 100%-ig auf das Datum 539 v.u.Z. Wie wir gesehen haben, stammt auch dieses von Ptolemäus wie von Berossus. Die WTG sieht dieses Problem und ist seltsame Wege gegangen, zusätzliche Stützen zu finden, nachdem Ptolemäus in Mißkredit gebracht wurde:

Auf das Jahr 539 v. u. Z. als das Jahr des Sturzes Babylons kommt man nicht nur mit Hilfe von Ptolemäus' Kanon, sondern auch mit Hilfe anderer Quellen. Sowohl der Geschichtsschreiber Diodor als auch Africanus und Eusebius zeigen, daß das erste Jahr des Cyrus als König von Persien der Olympiade 55, Jahr 1 (560/559 v. u. Z.) entsprach, der wacklige Grund der Lehre über 1914 Seite 15 von 19 wohingegen Cyrus' letztes Jahr der Olympiade 62, Jahr 2 (531/ 530 v. u. Z.) zugeordnet wird ("Einsichten über die Heilige Schrift", Bd. I, S. 484)

Das ist recht interessant, da Diodor (1. Jahrhundert u.Z.) nach der „Seleukidenzeit“ lebte und Quellen aus dieser Zeit verwendete. Eines der Probleme mit Diodor ist, daß er oft seine Quellen nicht nennt und damit die Möglichkeit reduziert, ihn zu prüfen. Africanus ist ein Schriftsteller aus dem 3. Jahrhundert u.Z. Er greift auf Diodor als Quelle zurück. Und schließlich lebte Eusebius, der von sich sagt, er habe Diodor und Africanus als Quellen benutzt, im 3. und 4. Jahrhundert u.Z.!

Das bedeutet natürlich nicht, daß das Datum 539 v.u.Z. nicht anerkannt ist. Tatsache ist jedoch, daß dieses Datum weniger gesichert ist als das Datum 586/7 v.u.Z. für die Zerstörung Jerusalems.

Geschäftliche Dokumente

Eines der umfassendsten und überwältigendsten Beweisstücke ist die enorme Menge an Geschäfts- und Verwaltungsdokumenten, die aus der neubabylonischen Zeit ausgegraben wurden. Es handelt sich um zeitgenössische Dokumente, nicht um spätere Kopien, und es gibt wohl etwa 50.000 (!) dieser Dokumente, viele von ihnen im Britischen Museum in London gelagert. Einige Tausend davon sind dokumentiert. Die WTG räumt ein:

Geschäftstafeln: Man hat Tausende zeitgenössischer neubabylonischer Keilschrifttafeln gefunden, auf denen einfache Geschäfte aufgezeichnet sind und auch jeweils das Jahr des babylonischen Königs angegeben ist, in dem das Geschäft abgeschlossen wurde. Tafeln dieser Art sind für alle Regierungsjahre der bekannten neubabylonischen Könige in der anerkannten Chronologie dieser Zeit gefunden worden. ("Dein Königreich komme", Seite 187)

Es gibt also für jedes bekannte Jahr dieser Ära zeitgenössische Dokumente. Doch die WTG behauptet, daß zwanzig Jahre fehlen. Wo sind die Geschäftsdokumente aus dieser Zeit? Es gibt keine. Wenn ein König länger regiert hätte, als ihm in den anerkannten Königslisten Jahre zugeschrieben werden, oder wenn irgendein unbekannter König zwanzig Jahre lang regierte (oder eine Kombination aus beiden), dann muß es Hunderte, wenn nicht Tausende von Geschäftsdokumenten geben, die sich in diese Zeit datieren lassen. Doch es gibt tatsächlich keine. Die Dokumente enthalten Hunderttausende trivialer und nicht so trivialer geschäftlicher Transaktionen -- Kaufen und Verkaufen --, und die Vorstellung, daß dies nicht während einer solchen Zeit geschehen sei, ist absurd. Überdies lassen sich die geschäftlichen Transaktionen von der Lieferung von Waren bis zur Bezahlung eben dieser Waren verfolgen. Wir können feststellen, wer der Leiter einer Gesellschaft in einem bestimmten Jahr war. Es ist offenkundig, daß der Glaube, die WTG-Chronologie ließe sich gegen diese Beweise aufrechterhalten, die berüchtigte „Verschwörung“ im Vergleich dazu noch wahrscheinlich macht. Das würde nicht nur Hunderte von Schreibern, Chronisten, Beamten und Astrologen von der neubabylonischen Zeit an und Jahrhunderte weiter betreffen, es würde auch eine verschwörerische Stille von Tausenden von Geschäftsleuten während eines ganzen Reiches erfordern!

Es ist mehr als offenkundig, daß es keine Aufzeichnungen für die „fehlenden zwanzig Jahre“ gibt, weil es sie nicht gab. Kein einziger Keilschrifttext hat je darauf schließen lassen, daß es sie gab. Kein Chronist oder Astrologe hat etwas von ihnen gehört. Und es wurde gezeigt, daß die Bibel selbst sich in vielen chronologischen Einzelheiten widersprechen würde, gäbe es diese Jahre, und Jeremias Prophezeiung wäre nicht eingetroffen.

Zeitgenössische Königsinschriften

Es wurden noch direktere Beweise aus der neubabylonischen Zeit gefunden. Eine Inschrift aus der Seleukidenzeit, die Königsliste von Uruk, 1959/60 entdeckt, bestätigt die Regierungszeiten von Nabopolassar, Nebukadnezar, Amel-Marduk und Labaschi-Marduk. Andere Teile des Textes sind leider beschädigt. Wir haben zwar keine solche Königslisten aus früherer Zeit, doch es gibt eine Anzahl von Inschriften, die die Chronologie in höchst direkter Weise bestätigen.

Nabon No. 18 erwähnt eine Mondfinsternis, die das zweite Jahr des Nabonid auf 554/53 v.u.Z. setzt und damit die anerkannte Chronologie bestätigt.

Nabon No. 8 (Hillah-Stele) bestätigt die Chronologie für eine ganze Ära von Nabopolassar bis Nabonid und gibt die gesamte Zeitperiode der Könige so an, wie sie auch von allen anderen Quellen als anerkannt gilt. Sie gibt auch Einzelheiten astronomischer Ereignisse an, die die exakten Daten der Herrschaft des Nabonid weiter bestätigen.

Die WTG räumt ein:

Die Stele des Nabonid aus Charran (NABON H 1, B): Diese zeitgenössische Stele oder Säule mit einer Inschrift wurde im Jahre 1956 entdeckt. Sie erwähnt die Herrschaft der neubabylonischen Könige Nebukadnezar, Ewil-Merodach und Neriglissar. Die Zahlenangaben für diese drei Könige stimmen mit dem Kanon des Ptolemäus überein. ("Dein Königreich komme, Seite 186")

Die spätere Kopie derselben Stele (B) gibt uns dort Einzelheiten an, wo der ursprüngliche Fund beschädigt war. Sie gibt auch Einzelheiten der assyrischen Könige Assurbanipal und Nabopolassar an und bestätigt damit die neubabylonische Chronologie weiter.

Die Chronik des Nabonid (BM 35382) wird oft von der WTG verwendet, um für die Genauigkeit der Bibel in historischen Einzelheiten zu argumentieren (Siehe Einsichten über die Heilige Schrift, Band 1, Seiten 174, 347, 501 und viele andere Stellen). Es ist offensichtlich keine Unkenntnis, die sie diese berühmte Chronik nicht in der Debatte erwähnen läßt. Tatsache ist, daß diese Chronik die Regierungszeiten aller Könige dieser Epoche angibt, und es sind genau dieselben wie bei Ptolemäus und Berossus. Alle Argumente, daß spätere Chronisten die „populäre“ Chronologie in ihrer Liste verwendeten, werden damit erschüttert, weil diese Chronik zeitgenössisch in Hinsicht auf die neubabylonischen Könige selbst ist! Kein Wunder, daß die WTG dieses vernichtende Beweisstück nicht erwähnen möchte, obwohl ihr klar ist, was es besagt.

Texte über Mondfinsternisse

Wie wir gesehen haben, ist die WTG mehr als eifrig, „weltliche“ Bewiese für die spätere persische Ära zu akzeptieren, von denen sie für ihre eigene Chronologie abhängig ist, aber dieselben – und stärkeren – Beweise abzulehnen, die die Chronologie der neubabylonischen Zeit begründen. Wir werden jetzt ein Beweisstück untersuchen, das die WTG nicht anrührt, das uns aber direkt von der neubabylonischen Zeit in die spätere persische Zeit bringt, ohne daß eine Möglichkeit der „Unterbrechung“ durch „zwanzig fehlende Jahre“ besteht, die die WT braucht, um das Datum 607 v.u.Z. aufrechtzuerhalten.

Einige babylonische Texte, als „Sarostexte“ oder Mondfinsternistexte bekannt, enthalten Einzelheiten über Mondfinsternisse. Die Finsternisse erscheinen in Gruppen, die sich in ungefähr 18 Jahren wiederholen. Sie können präzise bestimmten absoluten Daten zugeordnet werden, weil die genauen Beobachtungen einzigartig sind und sich nicht in Jahrtausenden wiederholen können. Ein besonderes Dokument überspannt die Zeit von Nabopolassars 17. Jahr alle Jahre hindurch bis zum 18. Jahr des persischen Königs Artaxerxes!

Tabelle 2

Die Bedeutung dieses Beweisstückes für sich ist überwältigend. Wir haben eine durchgehende Aufzeichnung astronomischer Beobachtungen vor uns. Sie alle können genau auf entsprechende absolute Daten festgelegt werden, und wegen der Eigenschaften unseres Sonnensystems läßt sich nichts um zwanzig Jahre verschieben, ohne diese lange Liste von Mondfinsternisdaten zu zerreißen, die in eine Zeitperiode führen, wo die WTG mit der „weltlichen“ Chronologie übereinstimmt. Wieder haben wir eine unabhängige und zuverlässige Bestätigung der anerkannten Chronologie vor uns, die in Wirklichkeit keinen Raum läßt für das WTG-Datum 607 v.u.Z.

Übereinstimmung mit der ägyptischen Zeitrechnung

Wie wir sahen, ruht die neubabylonische Chronologie fest auf eigenen Füßen. Doch wir haben eine ausgezeichnete Gelegenheit, die gesammelten Beweise an einem völlig unabhängigen Satz von Beweisen zu testen. Die zeitgenössische Chronologie Ägyptens wurde auf völlig anderen Beweisen aufgebaut. Wir haben den detaillierten Beweisen für die babylonische Chronologie bereits viel Platz eingeräumt, und so soll es für die vorliegende Abhandlung genügen, anzumerken, daß diese Beweise [aus der ägyptischen Chronologie] aus mehreren Grabstelen, dem griechischen Schreiber Herodot und dem ägyptischen Priester Manetho (3. Jahrhundert u.Z) sowie mehreren Papyri bestehen, darunter einige astronomische Einzelheiten (Demotic Papyrus Berlin 13588). Diese Chronologie ruht auf breitem Fundament und ist überdies völlig unabhängig von der neubabylonischen Chronologie.

Die Wachtturm-Gesellschaft hat eine einheitliche Zeitlücke von 20 Jahren auch in bezug auf die ägyptische Chronologie.

Es gibt mehrere Synchronismen zwischen der biblischen, der ägyptischen und der babylonischen Chronologie, und aus diesen geht klar hervor, daß die WTG-Chronologie falsch ist. 2. Könige 23:29 läßt uns wissen, daß Josia während der Herrschaft von Pharao Necho starb. Necho begann seine Herrschaft im Jahre 610 v.u.Z., doch gemäß der WTG starb Josia 19 Jahre vorher. Jeremia 46:2 setzt uns über eine Schlacht zwischen Nebukadnezar und Pharao Necho in Jojakims viertem Jahr in Kenntnis. In der WTG-Chronologie wäre das im Jahr 625 v.u.Z., aber wie wir bereits sahen, begann die Regierungszeit Nechos nicht vor 610! Jeremia 44:30 sagt uns, daß kurz nach dem Tode Gedaljas Pharao Hophra (an anderer Stelle Apries genannt) König in Ägypten war. Er regierte Ägypten von 589-570; dies paßt also völlig zu der Datierung des Falles Jerusalems im Jahre 587, und nicht 607. Schließlich gibt es noch den Keilschrifttext BM33041, der uns berichtet, daß Nebukadnezar in seinem 37. Regierungsjahr einen Feldzug gegen Ägyptens Pharao Amasis unternahm. Amasis herrschte von 570-526, dieser Feldzug kann also nicht 588/87 stattgefunden haben, wie es die WTG-Chronologie behauptet. Die WTG muß zugeben:

Die obigen Daten weichen von denen, die heutige Historiker im allgemeinen angeben, ab, und zwar für den Auszug aus Ägypten um ein volles Jahrhundert oder noch mehr, und nähern sich schließlich für die Zeit Pharao Nechos bis auf etwa 20 Jahre an. ("Einsichten über die Heilige Schrift", Band 1, Seite 479-480)

Es wäre ein Zufall über alles, was wir bereits sahen, hinaus, wenn die WTG-Chronologie richtig und alle Beweise falsch wären. Das erinnert an die stolze Mutter eines Pfadfinders, die während einer Parade ausruft: „Stellt euch vor, 3000 Pfadfinder, und nur mein Junge im Gleichschritt!“

Zusammenfassung der archäologischen Beweise

1. Chroniken

Geschichtsberichte und Königsinschriften aus der neubabylonischen Zeit, beginnend mit der Herrschaft Nabopolassars und endend mit den Regierungszeiten von Nabonid und Belsazar zeigen, daß sie von 626 bis 539 v.u.Z. lief, nicht von 645 bis 539 v.u.Z., wie die Wachtturm-Gesellschaft behauptet.

  1. Berossus
  2. Ptolemäus
  3. Verschiedene babylonische Chroniken wie die Chronik des Nabonid
  4. Nabonid No. 18
  5. Die Hillah-Stele, Nabonid No. 8
  6. Die Adda-Guppi-Stele, Nabonid H1,B

2. Geschäfts- und Verwaltungsdokumente

Es gibt Tafeln aus jedem Jahr der neubabylonischen Zeit, wie sie durch Berossus, Ptolemäus und zeitgenössische Stelen begründet ist; keine Tafeln sind im Widerspruch zueinander datiert. Etwa 5.000 sind veröffentlicht worden, es verbleiben nochmals etwa 50.000. Dies sind zeitgenössische Dokumente aus der neubabylonischen Zeit.

3. Astronomische Tagebücher

  1. VAT 4956 legt das 37. Jahr Nebukadnezars durch einen einzigartigen Satz astronomischer Beobachtungen auf 568 v.u.Z fest, und damit sein Antrittsjahr auf 605 v.u.Z.
  2. BM 32312 plus die Akitu-Chronik legen das 16. Jahr von Schamasch-Schumukin (ein babylonischer König vor der neubabylonischen Zeit) auf 652/1 v.u.Z. fest Dies datiert, kombiniert mit Geschäftsdokumenten, dem Kanon des Ptolemäus, der Akitu-Chronik und der Königsliste von Uruk, Nebukadnezars Regierungszeit auf 605/4-562/1 v.u.Z., mit seinem 18. Jahr (der Zerstörung Jerusalems, Jer. 52:28-30) im Jahre 587/6 v.u.Z.

4. Sarostexte (Mondfinsternisse)

Vier unabhängige Texte liefern absolute Daten innerhalb der neubabylonischen Zeit. Nebukadnezars 18. Jahr wird auf 587/6 v.u.Z. festgelegt.

5. Synchronismen mit der zeitgenössischen ägyptischen Chronologie

Diese zeigen, daß die Wachtturm-Chronologie durchgehend um 20 Jahre abweicht.

  1. Josia starb während der Regierungszeit von Pharaoh Necho, die 610 v.u.Z. begann. Die Wachtturm-Gesellschaft datiert Josias Tod auf 629 v.u.Z.
  2. Einie Juden flohen während der Herrschaft von Pharao Hophra (Apries) unmittelbar nach der Zerstörung Jerusalems nach Ägypten. Da Hophras Herrschaft 589 v.u.Z. begann, konnte Jerusalem nicht gut im Jahre 607 v.u.Z. zerstört worden sein.
  3. Ein Bruchstück einer Keilschrifttafel erwähnt eine Schlacht Nebukadnezars in seinem 37. Regierungsjahr gegen Pharao Amasis, der im Jahre 570 v.u.Z. zu herrschen begann. Die WTG behauptet, Nebukadnezar sei im Jahre 582 v.u.Z. gestorben.

Eine Zeittafel

Chronologien.pdf

Anmerkung:

Thronbesteigungsjahr. In babylonischen Chroniken wird das erste Jahr, in dem der König den Thron besteigt, als Antrittsjahr bezeichnet; das folgende Jahr ist das erste usw. Dies nennt man das Antrittsjahrsystem. Jüdische Chroniken, die einem System ohne Zählung eines Antrittsjahresfolgen, zählen das Antrittsjahr als erstes Regierungsjahr, das nächste als zweites usw. Das dritte Jahr von Jojachins Herrschaft in babylonischen Chroniken wäre das vierte Herrschaftsjahr in jüdischen Chroniken.

Ehre, wem Ehre gebührt: Die Person, die für 99% der Nachforschung hinter diesen Seiten steckt, ist Carl Olof Jonsson. Sein Buch Die Zeiten der Nationen näher betrachtet (Oros-Verlag, Altenberge; 1992) enthält die ausgedehnteste und erschöpfendste Diskussion dieses Themas, die es gibt.


Anhang

1 Der Fall Charrans 609 v.u.Z. wird oft in Beziehung zum Buch Jeremia verstanden. Siehe Professor D. J. Wiseman in The New Bible Dictionary, 2. Auflage, 1982, Seite. 101; und Prof. Guy P. Couturier in The Jerome Biblical Commentary, Englewood Cliffs, NJ, 1968, Seite. 300; Dr. J. A. Thompson: The Book of Jeremiah, Grand Rapids, Michigan, 1980, Seiten 21, 533.

2 Avigdor Orr: The Seventy Years of Babylon, Vetus Testamentum, Band VI, 1956,Seite 305. Dasselbe Argument, daß die siebzig Jahre die Herrschaft Babylons meinen und nicht das jüdische Exil, wird auch von anderen Experten betont. Siehe Dr. Peter R. Ackroyd in Journal of Near Eastern Studies, Band XVII, 1958, Seite 23; Prof. Norman K. Gottwald: All the Kingdoms of the Earth, New York, Evanston, London 1964, Seiten 265, 266; Dr. Otto Plöger: Aus der Spätzeit des Alten Testaments, Göttingen, 1971, Seite 68.

3 Eigentlich sagen einige Quellen 586 v.u.Z., was nur durch den offenkundigen Widerspruch zwischen 2. Könige 24, 25 und Jeremia 52:12 einerseits und Jeremia 52:28-30 andererseits zustandekommt. Da das Buch Jeremia offensichtlich von Juden in Babylon vollendet wurde, hat er wahrscheinlich das Thronbesteigungssystem verwendet, während Jeremia, der die Bücher Könige schrieb, das jüdische System gebrauchte.