Eine Disposition bezeichnet im Zeugenjargon einen von der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas autorisierten Redeplan der, je nach Status innerhalb der Organisation, nur bestimmten Personenkreisen zur Verfügung gestellt wird. Zudem gibt es auch Dispositionen für die Besprechung mit dem Kreisaufseher während einer Besuchswoche. Um letztere geht es hier. Die interne Bezeichnung lautet: S-319b-06-X
Warum ist die oben genannte Disposition von Interesse? In meinen Augen zeigt die Disposition eindeutig, dass bei der Besprechung mit den Dienstamtgehilfen und Ältesten, die hinter verschlossenen Türen stattfinden und deren Inhalte nicht weitergegeben werden dürfen, Lehrmeinungen präziser wiedergegeben werden, als den allermeisten Zeugen Jehovas bekannt ist. Zudem mag einen Zeugen Jehovas überraschen, wie präzise die Religionsgemeinschaft hinter verschlossener Türe Anforderungen und Anweisungen formuliert.
Die Disposition besteht aus verschiedenen Teilen. Ich beziehe mich hier lediglich auf den Teil, der bei der Besprechung für die Dienstamtgehilfen und bei der Besprechung mit den Ältesten Anwendung findet. Dass die Disposition authentisch ist kann ich persönlich garantieren. Ich wohnte der Besprechung als Dienstamtgehilfe bei.
In den eckigen Klammern stehen die jeweiligen Antworten des Kreisaufsehers.
Zitat Seite 3:
Die Kosten höherer Bildung im Voraus zu berechnen ermöglicht gute Entscheidungen (Luk 14:28-30)
Frage: Was sind die Kosten der höheren Bildung? [Hohe Ausgaben, fördert Ansehen in Satans System, schlechtes moralisches Umfeld in den Bildungseinrichtungen; einige haben die Wahrheit aufgegeben usw.] (w05 1.10. 28-30 Abs. 9-13)
Wäre ein Ältester oder Dienstamtgehilfe weiterhin für Vorrechte in der Versammlung geeignet, wenn er, seine Frau oder seine Kinder sich für eine höhere Bildung entscheiden? [Besprich kurz 1. Timotheus 3:13 und Titus 1:9]
Situation: Der Sohn eines Ältesten studiert Architektur, wohnt weiterhin zu Hause, ist Dienstamtgehilfe; das Studium hindert ihn nicht am Besuch der Zusammenkünfte und am Predigtdienst; er dient öfter als Hilfspionier und die Familie vertritt nicht den Standpunkt, dass andere ebenfalls eine höhere Bildung anstreben sollten.
Frage: Was an dem Lebensmuster dieses Ältesten und seiner Familie verrät, dass er sie dazu anleitet, die Königreichsinteressen allem voranzustellen? (Mat. 6:33) [Wenn ein Bruder oder jemand aus seiner Familie höhere Bildung erwirbt mit dem Ziel, einen speziellen Beruf auszuüben, wenn er diese Art Bildung nicht weiterempfiehlt und wenn er und seine Familie eindeutig die Königreichsinteressen an die erste Stelle setzen, sind seine Dienstvorrechte nicht infrage gestellt.
Situation: Die Tochter eines Ältesten studiert an einer Universität, um mehr zu verdienen. Sie wohnt nicht mehr zu Hause. Der Älteste und seine Frau erzählen anderen, die Tochter sei dabei ihrer Bitte gefolgt, damit sie eine gesicherte Zukunft habe, und ihre bessere Position werde auch ihnen zugutekommen.
Frage: Was verraten die Äußerungen und das Verhalten dieser Familie möglicherweise über die Einstellung zu dem, was der treue Sklave über höhere Bildung veröffentlicht hat? [Wenn ein Ältester oder Dienstamtgehilfe für höhere Bildung eintritt, stellt er seine Eignung infrage, weil er seinen Freimut der Rede gefährdet und auch den seiner Mitältesten]
Was haben wir gelernt? Wer eine höhere Bildung nicht weiterempfiehlt, diese aber trotzdem selbst erwirbt, oder dies seinen Kindern zugesteht, kann unbesorgt sein! Steht jedoch ein Vater, der Ältester ist, auf dem Standpunkt, höhere Bildung sichere dem Sohn oder der Tochter eine bessere Position zu - was zweifelsohne mit einem Universitäts- oder Fachhochschulabschluss der Fall ist - kann dieser nicht mehr die Aufgabe eines Ältesten oder Dienstamtgehilfen wahrnehmen. Das heißt, der Zeugenvater wird dazu angehalten, nach außen hin eine andere Meinung zu vertreten, damit seine "Vorrechte" nicht in Gefahr geraten. Man darf auch nicht vergessen, dass noch vor einigen Jahrzehnten von einem Besuch des Gymnasiums abgeraten wurde, mit dem Verweis auf das "baldige" Ende. Mit "Freimut der Rede" ist im Übrigen gemeint, dass ein Ältester seine persönliche Meinung hinter die der leitenden Körperschaft stellen muss. Von einer freien persönlichen Entscheidung ist also gar keine Rede!
Was spricht lt. der Wachtturm-Gesellschaft gegen ein Studium?
hohe Ausgaben, fördert Ansehen in Satans System, schlechtes moralisches Umfeld in den Bildungseinrichtungen; einige haben die Wahrheit aufgegeben
Noch einmal zusammengefasst:
Setzt jemand die Glaubensausübung an die erste Stelle, fallen die oben genannten "Gefahren", so scheint es, nicht mehr so stark ins Gewicht. Wichtig ist dabei nur, dass man nicht öffentlich ein Studium empfiehlt. Über die "angeblichen" Gefahren möchte ich an dieser Stelle kein weiteres Wort verlieren. Jeder der halbwegs gebildet ist, weiß, dass die Argumente mehr als lächerlich sind.
Spannender wird es im Teil der Disposition, der ausschließlich für die Ältestenschaft vorgesehen ist. Die Dienstamtgehilfen müssen vorher den Raum verlassen.
Das Thema lautet "Die göttliche Institution Ehe achten".
Dort heißt es:
Rat sollte biblisch fundiert sein und den Anweisungen des treuen und verständigen Sklaven entsprechen (be 266 Abs. 6 bis 267 Abs 1; Brief an alle Ältestenschaften vom 6. Dezember 2006 Abs. 8-12; Brief an alle Ältestenschaften vom 15. Februar 2002, Abs. 14)
Es wäre für Außenstehende mal interessant zu erfahren, welche Anweisungen die Ältesten in den Briefen erhalten haben. Es heißt doch immer, dass jeder Zeuge Jehovas alle Informationen über seinen Glauben zur Verfügung hat und somit weiß, "worauf er sich einläßt". Zudem wird doch immer wieder die Bibel als Richtschnur für einen "wahren Christen" genannt. Dumm nur, dass die Bibel porneia nicht definiert und stattdessen die Religionsgemeinschaft penibel Definitionen vornehmen muss. Hier wird auch sehr schön deutlich, dass Bibel und die Anweisungen des treuen Sklaven kongruent sind. So geht man über das hinaus was geschrieben steht.
weiter heißt es:
Ihr benötigt das richtige Verständnis von porneia (ks91 93;w06 15.07. 29-31) [Vergewissere dich, dass die Ältesten über die neuste Definition verfügen (Siehe Brief vom 3. Mai 2003 an alle Kreisaufseher)]
Auch hier wird wohl jeder Zeuge Jehovas gerne einen Blick hineinwerfen wollen, damit er weiß, welche Handlungen ihm ausdrücklich untersagt sind.
weiter heißt es:
Haltet euch konsequent an theokratische Anleitung [Bitte die Ältesten bei den nachfolgenden Fragen nicht um eine Antwort, sondern gib sogleich nach der Frage die in Klammern stehenden Antworten]
Situation: Eine Schwester wendet sich an die Ältesten mit der Behauptung, ihr Mann verweigere ihr die finanzielle Unterstützung. Außerdem behauptet sie, er lebe mit einer anderen Frau zusammen und sie habe die Kopie einer von ihm unterschriebenen Überweisung der Miete für die Wohnung der anderen Frau.
Frage: Könnte sich die Schwester gestützt darauf von ihrem Mann scheiden lassen und wäre sie schriftgemäß frei, wieder zu heiraten? [Steht sie wirklich mittellos da? Wenn ja, kann sie entscheiden ob sie sich von ihrem Mann rechtlich trennen oder scheiden lassen möchte. Allerdings wäre sie schriftgemäß nicht frei, wieder zu heiraten, es sei denn, ein Ehebruch könnte nachgewiesen werden. (ks91 111)]
Wie soll die Frau beweisen, dass ihr Noch-Ehemann Ehebruch begangen hat, wenn sie nicht mehr bei ihm wohnt und er eine Aussage verweigert? Sie kann immerhin belegen, dass ihr Mann mit ihr zusammenlebt, jedoch genügt das der Religionsgemeinschaft nicht. Das bedeutet für die Frau letztendlich - und das muss man sich auch mal auf der Zunge zergehen lassen - dass die Frau lt. Zeugenregelwerk nie wieder heiraten darf, selbst wenn beide bereits gesetzlich geschieden wurden.
Die nächste Passage wirft erneut Fragen auf:
Situation: Ein verheirateter Bruder erzählt zwei Verkündigern, er habe "unmoralisch" gehandelt.
Frage: Sollten die Ältesten seine Äußerung so betrachten, dass seine Frau schriftgemäß frei ist, wieder zu heiraten? [Es muss ein eindeutiges Bekenntnis des Ehebruchs vorliegen (Jos. 7:19,20). Unter unmoralisches Handeln kann unterschiedliches Fehlverhalten fallen, das an sich, biblisch betrachtet, nicht porneia ist]
Auch hier wäre es den gewöhnlichen Zeugen Jehovas gegenüber fair zu erwähnen, was genau zu porneia zählt und was nicht. Aber letzteres ist natürlich nicht erwünscht. Dagegen erhalten die Ältesten detaillierte Erklärungen, durch die Briefe der Gesellschaft, und können somit differenzieren, welche Handlung eine "Sünde" darstellt und welche nicht.
Diese Gemeinschaft, die sich rühmt, sie alle seien Brüder und einer solle sich nicht über den anderen erheben, scheint es mit diesem löblichen Grundsatz nicht immer so genau zu nehmen. Vor allem dann nicht, wenn es um organisatorische Dinge geht, die nur mit den "Ältesten" geteilt werden.
Seit jeher gibt es in der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas im Hinblick auf die Informationspolitik der Religionsgemeinschaft mindestens zwei Klassen: Die eine der gewöhnlichen Versammlungsverkündiger und die andere der Ältesten.
Handelt ein Zeuge Jehovas ihrer Meinung nach nicht konform mit der "Lehre", wird ein Komitee gebildet, dem sich der Beschuldigte zu stellen hat. Wer mal sehen möchte, wie so ein Gespräch abläuft dem sei folgendes Video - mit englischem Untertitel - eines sehr authentischen Films, empfohlen: "Worlds Apart"