Selbsthilfegruppe: Erstes Treffen in Bremen am Freitagabend
Ein ehemaliger Hamburger Zeuge Jehovas berichtet über den Ausstieg und über die Schwierigkeiten.
BREMEN. Keine Frage: Bremen ist nicht Trier! Ein Unterschied zwischen den beiden Städten besteht zum Beispiel darin, dass Trier eine Selbsthilfegruppe für ehemalige Mitglieder der Zeugen Jehovas und solche, die an einen Ausstieg denken, hat. In Bremen gab es am Freitagabend ein erstes Treffen zur Gründung einer Selbsthilfegruppe. Für Ausstiegswillige und für Betroffene, die Probleme haben mit Menschen, die ihnen nahe standen, sich aber nach dem Beitritt zu den Zeugen Jehovas vollkommen abwandten.
Die Zeugen Jehovas, von Außenstehenden als Sekte bezeichnet, nennen sich selbst eine Religionsgemeinschaft, deren Name sich aus einem Bibel-Psalm ableitet. Nach eigenen Angaben gibt es in über 230 Ländern Zeugen Jehovas und werden jährlich weltweit etwa 300.000 getauft.
Die Dachorganisation, die Wachturmgesellschaft, hat ihren Sitz in New York. Von dort beaufsichtigt eine Weltzentrale mittels eines globalen, gut durchstrukturierten Aufbaus das "Werk" aller Zeugen Jehovas. Ehemalige Mitglieder sprechen von einer autoritären Organisation.
In Bremen haben sich am Freitagabend, ein Termin der allgemein als recht ungünstig für Selbsthilfegruppen gilt, fast ein Dutzend Interessierte in den Räumen des Netzwerk Selbsthilfe eingefunden.
Sie waren in Zweier- und Dreiergruppen gekommen und warteten nun auf den Mann aus Hamburg, der bereits in Trier eine Gruppengründung begleitete. Zwei bis drei Abende will er nach Bremen kommen, erklärte der ehemalige Hamburger Zeuge Jehovas. Danach müsse die Gruppe allein zurecht kommen. Oder sie schaffe es nie.
Dass aber für einen Ausstieg eine Gruppe nötig ist, weiß er aus eigener Erfahrung. Von der Schwierigkeit berichtet er, sich von einem Glauben zu lösen, der Jahrzehnte das eigene Weltbild und das gesamte Leben bestimmte. "Man hat plötzlich keinen Halt mehr, wenn man merkt, dass das, was man geglaubt hat, keine gute Sache ist, sondern eine totalitäre Organisation." Selbst wenn - wie in seinem Fall - die Partnerin die Zweifel teilt und ebenfalls den Weg des Ausstiegs wählt. "Wir waren zu zweit, aber unser gesamtes soziales Umfeld war weggebrochen."
Angst hat er nicht vor seiner ehemaligen Glaubensgemeinschaft, der seit Jahren von Gerichten die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts vorenthalten wird, weil unter anderem nicht geklärt, ob sie Grundrechte Dritter beeinträchtigt oder gefährdet. Insbesondere geht es dabei um den Umgang mit Abtrünnigen, um Erziehungspraktiken und die Auswirkungen des Verbots von Bluttransfusionen. "Man ist ja dann ein Unwürdiger. Man ist für sie einfach nicht mehr existent."
Im Raum des Netzwerks Selbsthilfe wird es unruhig, als die Anfrage der Journalistin, dem Abend beiwohnen zu dürfen, vorgetragen wird. Ob sie sich denn ausweisen könne? Eigentlich sei aber doch absolute Anonymität geplant. Selbst die Zusicherung, keine Namen und Personenbeschreibungen zu erwähnen, hilft nichts.
Die Gruppe will ohne Reporterin tagen. Und das ist ein weiterer Unterschied zur Trier, denn dort fand die Gründung der Selbsthilfegruppe im Beisein von Pressevertretern statt.
Kreisblatt am Sonntag, 16.1.2005