Der Gemeindesaal in Offenburg-Weiher war brechend voll. Angekündigt war ein Vortrag mit dem Titel "Zeugen Jehovas, die Sekte mit den zwei Gesichtern".

Anwesend waren nicht nur Interessierte aus der Umgebung, sondern auch zahlreiche Zeugen-Jehovas-Aussteiger. Eine explosive Mischung, wie die beiden Frauen zu spüren bekamen, die sich während der anschließenden Diskussion als Vertreterinnen des Informationsdienstes der Zeugen Jehovas zu erkennen gaben. Weil sie sich mit ihren naiven Äußerungen schnell selbst disqualifiziert hatten. Und weil die Zuhörer schon nach wenigen Minuten erkannten, daß die ehemaligen Zeugen offensichtlich besser informiert waren, als der sogenannte Informationsdienst.

Meschede: „Psychoterror" hinter der lächelnden Fassade


Referentin ging bei Vortrag der Matthäus-Gemeinde mit Zeugen Jehovas hart ins Gericht

OFFENBURG-WEIER (egg). Zu dem Vortrag "Die Zeugen Jehovas – eine Gruppe mit zwei Gesichtern" lud die evangelische Matthäus-Gemeinde im Rahmen der Gesprächsreihe „Talk über dem Kinzig" am Donnerstag ins Weierer Gemeindezentrum. Pfarrer Norbert Großklaus fungierte als Moderator.

Referentin der kritischen Auseinandersetzung mit der Religionsgemeinschaft war Ursula Meschede, Gymnasiallehrerin aus Karlsruhe. Gleich zu Beginn korrigierte sie den ursprünglichen Ankündigungstitel ihres Vortrages: Sie lege Wert darauf, die Zeugen Jehovas als eine „Sekte" mit zwei Gesichtern zu bezeichnen. In ihrem Vortrag beleuchtete sie die ihrer Ansicht nach totalitären Strukturen der Religionsgemeinschaft und die zentrale Steuerung durch den Brooklyner „Wachtturm"-Verlag. „Der Wachtturm ist ein modernes Wirtschaftsunternehmen in der Größe des Springer-Verlages", so Ursula Meschede. Die „Sekte" diene nur der Vermarktung ihrer Publikationen.

"Denunziation der eigenen Mitglieder"

Hinter der freundlichen Fassade, mit dem einen die Mitglieder bei ihrem „Predigtdienst" an der Haustür oder der Fußgängerzone begegneten, schlummere jedoch ein ganz anderes Gesicht, sagte die Referentin. Vom Verwehren zentraler Bürger- und Menschenrechte, Denunziation der eigenen Mitglieder bei Verfehlungen bis hin zum gezielten Psychoterror reichten dabei die autoritären Prinzipien dieser über hundert Jahre alten religiösen Gemeinschaft.

Besonders am Herzen lag Meschede der Umgang mit den Sprößlingen: „Sexueller Mißbrauch von Kindern ist hier leider kein Einzelfall." Das Schlimme sei, so Meschede: Die Straftäter würden von den ältesten gedeckt. Die straffe Antistaatlichkeit verhindere, daß die Polizei informiert werde. Außerdem würde Kindern durch die strengen Vorschriften jegliche Möglichkeit genommen, wie normale Jungen oder Mädchen aufzuwachsen. Vielmehr würden sie zur Isolation verdammt. Geburtstagsfeiern sind genauso tabu wie das gemeinsame Singen von Adventsliedern im Klassenverband. Bei Verstößen drohe gar der Entzug der familiären Gemeinschaft.

Im Anschluß an den Vortrag entwickelte sich unter den 60 Zuhörern eine heiße Diskussion. Zwei Frauen aus dem „Informationsdienst" der Zeugen Jehovas versuchten, sich den Anschuldigungen vieler ebenfalls anwesender ehemaliger Mitglieder zu stellen.

Aufgeheizte Stimmung

Doch gegen die aufgeheizte Stimmung unter den Diskussionsteilnehmern gelang es ihnen kaum, sich durchzusetzen. Letzten Endes waren auch die negativen Schilderungen der betroffenen Teilnehmer kaum zu entkräften. Auf unangenehme Fragen antworteten die Gesandten deshalb häufig mit Unwissenheit.

Selten, so Pfarrer Großklaus, habe er im Rahmen seiner Veranstaltungsreihe ein so reges Interesse erlebt. Die ausgelegten Informationsbroschüren gingen weg, wie warme Semmeln.

Das große Interesse zeigt sich auch darin, daß ein paar nur zur Ansicht bestimmte private Druckwerke von Meschede mitgenommenen wurden. Die Besitzerin bittet darum, diese Bücher im Pfarramt der Matthäus-Gemeinde zurückzugeben.

Quelle: Mittelbadische Presse, Mittwoch, 17. März 1999

Leserbriefe und Kommentare:

Keiner wird gezwungen

Zum Vortrag über die Zeugen Jehovas (Bericht vom 6. März):

Es ist bedauerlich, daß einfach so Dinge in den Raum gestellt und wir alle dadurch als die schlimmsten und gleichzeitig ärmsten Menschen dargestellt werden.

Die Wachtturm-Gesellschaft wurde als modernes Wirtschaftsunternehmen bezeichnet. Es stimmt, daß wir über moderne Druckereien verfügen. Ein Wirtschaftsunternehmen ist aber auf Gewinn orientiert. Alle Publikationen sind bibelerklärende Schriften, die kostenlos verbreitet werden.

Es wurde auch der Anschein erweckt, Zeugen Jehovas würden dazu gebracht, ihre Kinder sexuell zu mißbrauchen. In den letzten Jahren waren immer wieder Berichte über pädophile Geistliche zu lesen – keine Einzelfälle. Heißt das aber, daß die Kirchen Geistliche dazu auffordern, dies zu tun? Bestimmt nicht.

Es wird niemandem geholfen, einer gesetzmäßigen Strafe zu entgehen, falls er das Gesetz des Staates bricht.

Ja, wir feiern kein Weihnachten und keine Geburtstage. Aber weshalb ist man deshalb zur Isolation verdammt? Ich hatte in der Schule gute Freunde, mit denen ich gern meine Freizeit verbrachte. Allerdings brachten mich die „strengen Vorschriften" dazu, nicht zu rauchen oder mich zu betrinken.

Ich entschied mich mit 18 Jahren freiwillig ein Zeuge Jehova zu sein. Es macht mir heute , 14 Jahre später, immer noch Freude.

Stefan Grotz, Fliederweg 9, 77743 Neuried

 

Mangel an Objektivität


Die negative Darstellung der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas zeugt von einem großen Mangel an Objektivität. Die Referentin Ursula Meschede zielte offensichtlich darauf ab, Jehovas Zeugen in falschem Licht darzustellen.

Die Mitglieder dieser Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas sind auch Mitglieder von Familien und der Gesellschaft. Sie haben Angehörige, Verwandte, Freunde und Bekannte. Dieses Umfeld weiß, daß Jehovas Zeugen ehrbare Bürger sind, die ihre Kinder lieben.

Frau Meschede möchte wohl in dieses friedliche Miteinander hineinpfuschen. Etwaige Verfehlungen unter Jehovas Zeugen haben nichts mit deren Religionszugehörigkeit zu tun, sondern stellen ein persönliches Fehlverhalten dar.

Agnes Rummel, Am Bungert 16, 77880 Sasbach

 

Unwissenheit unterstellt


Als Mitarbeiterin des Informationsdienstes der Zeugen Jehovas habe ich die Veranstaltung mit Frau Meschede bei der evangelischen Matthäus-Gemeinde in Offenburg-Weiher besucht. Ich habe Ihren ausführlichen Bericht darüber vom 6. März mit Interesse gelesen. Natürlich haben zwei Personen es schwer, sich gegen 50 bis 60 Personen in aufgeheizter Stimmung durchzusetzen, besonders wenn sie selbst nicht auch noch "Öl ins Feuer" gießen möchten.

Ich weise außerdem darauf hin, daß wir "unangenehme" Fragen nicht einfach mit Unwissenheit beantwortet haben - wie Ihr Bericht zum Ausdruck bringt - sondern daß wir versucht haben, klarzustellen, daß diese oder jene Bahauptung nicht den Tatsachen entspricht. Dies wurde uns zum Teil von der gegnerischen Seite als Unwissenheit ausgelegt.

Ute Brand, Auwaldstraße 37, 79110 Freiburg

 

Zu den Leserbriefen der Zeugen Jehovas


Wer die Aussage einer Referentin öffentlich kritisiert, hätte gut daran getan, den Vortrag überhaupt zu besuchen. Das vermeidet, die kurze Wiedergabe der Aussagen in einem Zeitungsartikel falsch zu interpretieren. So darf man auch Herrn Grotz empfehlen, seine 'Glaubensgeschwister' in Ländern mit anderen Steuergesetzen (Z.B. in Australien) zu fragen, warum diese den Wachtturm zum 'Selbstkostenpreis' erhalten statt gegen 'freiwillige Spenden'.

Ebenso wurde weder im Vortrag noch im Zeitungsbericht behauptet, daß Zeugen Jehovas (ZJ) dazu gebracht werden, ihre Kinder zu mißbrauchen. Frau Meschede hat zutreffend gesagt, daß dieses Fehlverhalten wenn möglich nicht angezeigt wird. Berichte hierzu wurden in der anschließenden Diskussion von den Teilnehmern, unter anderem auch von mir selber, gegeben. Hierzu zitierte die Referentin auch aus einem internen Brief - von der Leitung der ZJ ausschließlich an die Ältestenschaft gerichtet - daß die Entscheidung, ob ein Sexualstraftäter wieder ein Dienstamt bekommen kann, davon abhängt, wie bekannt der Fall geworden ist. Ein klarer Hinweis auf den behaupteten Sachverhalt, wäre die Straftat nach einer Anzeige doch öffentlich.

Sicherlich sind Zeugen Jehovas ehrbare Bürger, die ihre Kinder lieben, wie Frau Rummel zutreffend ausführt. Meine Frau gehörte bis vor einem Jahr auch zu dieser Gemeinschaft. Von ihrer Leitung bekommen sie aber die Empfehlung, daß der vorübergehende Ausschluß eines Kindes aus der Familiengemeinschaft wirkungsvoller sein kann als Schläge, wie im Referat wiedergegeben wurde. Soziale Isolation und Prügel als Mittel der Erziehung? Zu Recht kritisiert Frau Meschede diese Methoden.

Die Referentin hat ihre Aussagen fundiert mit Zitaten aus der Wachtturm-Literatur belegt, zum Teil mit internen Schriftsstücken an die Aufseher. Berechtigterweise unterstellte man Frau Brand und Frau Neumann vom Informationsdienst der ZJ Unwissenheit - Aufseher und Älteste sind ausschließlich Männer.

Wenn Frau Brand von einer 'gegnerischen Seite' spricht, dann setzt das ein Feindbild voraus. Die Referentin bezeichnete die Zeugen Jehovas nicht als Gegner sondern vielmehr als bedauernswerte Opfer, denen man christliche Nächstenliebe erweisen sollte. Warum? Darüber kann sich jeder genau informieren, indem er eines der auch in wissenschaftlicher Hinsicht hervorragenden Bücher ('Der Gewissenskonflikt' oder 'Auf der Suche nach christlicher Freiheit') von Raymond Franz liest, der zehn Jahre lang Mitglied der Leitenden Körperschaft der Zeugen Jehovas war, bevor er mit fragwürdigen Gründen ausgeschloßen wurde.

Thomas Ragg, Weingarten

 

Sekte nimmt den Tod von Menschen in Kauf


Als Mitbegründerin der Sekteninitiative AUSSTIEG möchte ich zu den Leserbriefen der Zeuginnen Jehovas, Frau Ute Brand und Frau Sabine Neumann zu dem Vortrag von Frau Ursula Meschede Stellung nehmen.

Frau Meschede umgibt sich in unserer Gruppe nicht nur mit Menschen, die psychische Hilfe brauchen, sondern wir sind ein Team von sachkundigen und professionellen, ehrenamtlichen Mitarbeitern (unter ihnen auch Frau Meschede), die neben kompetenter Öffentlichkeitsarbeit auch Aussteigern beistehen. Tragisch genug, dass der Ausstieg aus dem Verein der Zeugen Jehovas bei vielen Menschen oft jahrelange Angst- und Depressionszustände hinterlässt.

Wir greifen zurück auf ein über Jahrzehnte reichendes komplettes Archiv von Originalliteratur der Wachtturmgesellschaft, es arbeiten ebenso Sektenexperten und Autoren von Sekten-Fachliteratur mit wie auch Aussteiger, die über jahrzehntelanges internes Wissen verfügen, das keiner Frau in dieser von Männern dominierten Organisation zugänglich sein darf. Alles was Frau Meschede vorträgt, ist durch Originalliteratur der Wachtturmgesellschaft belegt. Nur - es sind auch viele interne Schriftstücke, zum Teil ausschliesslich an die Ältestenschaft der Zeugen Jehovas - auf die Frauen und das Fussvolk der Zeugen Jehovas keinen Zugriff haben dürfen.

Was können also Frau Brand und Frau Neumann ins rechte Licht rücken? Ihre Wissenslücken?

Der Vorwurf der Betriebsblindheit an Frau Meschede kann kaum ernst genommen werden. Die Qualität dieser Art der Argumentation zeigt sich in der Behauptung von Frau Neumann in der anschliessenden Diskussionsrunde, in der sie einen Raucher mit einem Mörder gleichsetzte. Gleichzeitig nimmt die Wachtturmgesellschaft, der sie angehört, aufgrund einer falschen Bibelauslegung kaltblütig und mit Sicherheit schon längst gegen besseres Wissen, durch das Festhalten am Bluttransfusionsverbot den Tod von tausenden Menschen, darunter vielen Kindern, in Kauf, wobei das Verbot auch noch durch eigene "Krankenhauskomitees" überwacht wurde.

Man muss sich fragen, warum gerade der Informationsdienst der Zeugen Jehovas Frauen zu einem Vortrag schickt, dessen Fakten sie gar nicht kennen können und dürfen. Kann es sein, dass man sie bewusst einsetzt, weil sie durch ihre Naivität glaubwürdig wirken sollen?

Nora Herzog, Sekteninitiative AUSSTIEG, Jockgrim

 

Voll ins Messer gelaufen


Es ist schon bemerkenswert, wie Zeugen Jehovas auftragsgemäß auf einen Zeitungsartikel reagieren. Obwohl sie der darin geschilderten Veranstaltung selbst gar nicht beigewohnt haben, sind sie schnell bereit, von einem "großen Mangel an Objektivität" zu sprechen.

Es stimmt zwar, daß die Literatur der Wachtturm-Gesellschaft kostenlos abgegeben wird (um einer Besteuerung dieser Umsätze zu entgehen). Doch es stimmt auch, daß das Verbreiten von Literatur noch immer den zentralen Mittelpunkt der Tätigkeit der Zeugen Jehovas bildet. Mit dem Unterschied, daß die Kosten dafür heute in Form von Spenden durch die einzelnen Mitglieder aufgebracht werden, während vor ein paar Jahren die Endabnehmer dafür bezahlten.

Weder die Referentin noch einer der anwesenden Zeugen-Jehovas-Aussteiger hatten behauptet, die Zeugen Jehovas würden ihre Mitglieder ermuntern, ihre Kinder zu mißbrauchen. Es wurde lediglich gerügt, daß bei den Zeugen Jehovas solche Vorkommnisse offensichtlich bewußt vertuscht werden, um dem Ansehen der Sekte in der Öffentlichkeit nicht zu schaden. Dies belegten mehrere der Anwesenden mit eigenen Erfahrungen, mit Zeitungsberichten und mit internen Schreiben der Wachtturm-Gesellschaft an die Ältesten der Versammlungen.

Doch diese internen Schreiben der Wachtturm-Gesellschaft, in denen das Thema Kindesmißbrauch angesprochen wurde, konnten die anwesenden Vertreterinnen der PR-Abteilung der Zeugen Jehovas natürlich nicht kennen. Schließlich gehören sie als Frauen nicht zu den Adressaten derartiger Dokumente.

Auch vonder Aufhebung des Bluttransfusions-Verbots in Bulgarien wußten die Vertreterinnen der Zeugen Jehovas nichts. Genauso wenig, wie ihnen bewußt war, wie die Wachtturm-Gesellschaft ihre Einstellung zu diesem Thema im Laufe der Jahre immer mehr aufgeweicht hat. Auch hatten sie noch nie gehört, daß die Zeugen Jehovas im nur wenige Kilometer entfernten Frankreich zur Teilnahme an politischen Wahlen aufgefordert werden, während dies in Deutschland noch immer zum Gemeinschaftsentzug führt.

Überhaupt ist es bemerkenswert, daß der Vertreter des örtlichen Informationsdienstes der Zeugen Jehovas die Veranstaltung nicht selbst besuchte. Vielleicht fürchtete er sich vor dem Zusammentreffen mit Aussteigern aus der Region, die sich mit den Geschehnissen in den Offenburger Versammlungen nur allzu gut auskannten. Vielleicht war er auch einfach zu feige, sich selbst der Kritik zu stellen. Statt dessen zitierte er zwei völlig uninformierte Frauen aus dem fernen Freiburg an den Ort des Geschehens und ließ sie völlig unvorbereitet ins Messer laufen.

Wie die Reaktion von Frau Brand erkennen läßt, ist den beiden aber anscheinend gar nicht bewußt, was für ein schwaches Bild sie abgegeben haben. Von internen Vorgängen innerhalb der Wachtturm-Organisation hatten sie offensichtlich keinen blassen Schimmer. Nicht eine einzige der vorgebrachten "Behauptungen" konnten sie glaubhaft entkräften. Und auch zum Vortrag von Frau Meschede konnten oder wollten sie nicht konkret Stellung beziehen.

Nicht ohne Grund brachten daher mehrere der Anwesenden ihre Verwunderung über die Unwissenheit der beiden Zeuginnen zum Ausdruck, die sich selbst voler Stolz als Mitarbeiterinnen des Informationsdienstes der Zeugen Jehovas eingeführt hatten.

Stephan E. Wolf