Das Bundesverfassungsgericht verhandelt seit gestern über eine Klage der Zeugen Jehovas, die als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt werden wollen. Das Urteil wird auch für andere Glaubensgemeinschaften Folgen haben.

aus Karlsruhe Christian Rath

Muss eine Religionsgemeinschaft, die vom Staat Privilegien haben möchte, diesem dafür besondere "Loyalität" entgegenbringen? Über diese Frage hat gestern das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verhandelt. Anlass war eine Klage der Zeugen Jehovas, denen bisher der Status einer "Körperschaft des öffentlichen Rechts" verweigert wurde. Das Verfahren wird auch Auswirkungen auf die Rechtsstellung islamischer Gemeinschaften in Deutschland haben.

Schon seit 1990 bemühen sich die Zeugen Jehovas um eine Gleichstellung mit den anderen Religionsgemeinschaften. Neben den Großkirchen sind in Deutschland auch zahlreiche kleine Gemeinschaften wie die Neuapostolische Kirche oder die Baptisten als Körperschaft anerkannt. Konkret versprechen sich die "Zeugen" hiervon vor allem baurechtliche Vorteile für ihre "Königreichsäle" und besseren Zugang zur Seelsorge in Krankenhäusern und Gefängnissen. Auch die Befreiung von Grunderwerb- und Erbschaftssteuer würden sie nicht verschmähen, Kirchensteuer wollen sie dagegen nicht erheben. Ihre Mitglieder sind so eng an die Zeugen Jehovas gebunden, dass kein Mangel an "freiwilligen Spenden" besteht.

In bisher letzter Instanz hat allerdings 1997 das Bundesverwaltungsgericht in Berlin entschieden, dass die Zeugen Jehovas weiterhin ein privatrechtlicher Verein bleiben müssen. Im Hinblick auf Größe, Dauerhaftigkeit und Rechtstreue erfüllten sie zwar die üblichen Kriterien, ihnen fehle jedoch die "Loyalität zum demokratischen Staat". Geschlossen wurde dies daraus, dass Zeugen Jehovas nicht an Bundestagswahlen teilnehmen, weil sie so ihre "Neutralität" in weltlichen Dingen ausdrücken. Mitglieder, die dies dennoch tun, müssten mit Sanktionen rechnen. Damit werde aber das Demokratieprinzip und die "Grundlage der staatlichen Existenz" abgelehnt, hieß es damals zur Begründung.

Hiergegen erhoben die Zeugen Jehovas Verfassungsbeschwerde, über die gestern vom Zweiten Senat in Karlsruhe verhandelt wurde. Ihr Anwalt Hermann Weber betonte, dass das Grundgesetz keineswegs vorschreibe, dass religiöse Körperschaften "staatsloyal" zu sein hätten. Dieses Erfordernis sei nur erfunden worden, weil an der Rechtstreue der Zeugen nicht zu zweifeln sei. "Da es in Deutschland keine Wahlpflicht gibt, ist die Wahlverweigerung völlig legal", betonte Weber.

Beim Verfassungsgericht schien man diese Sichtweise zu teilen. Der Staat müsse "Kirchen mehr in Ruhe lassen" als andere Körperschaften, deutete Richter Winfried Hassemer an, der im Gericht für das Verfahren zuständig ist. Theologische Aussagen, die die Welt als "Reich des Satans" sähen, gebe es im Übrigen auch bei etablierten christlichen Kirchen, so Hassemer.

Wissen wollten die Richter vor allem, wie die Zeugen Jehovas zur Würde und der Selbstbestimmung des Menschen stehen und warum sie keine Sozialarbeit leisten. Das waren aber Steilvorlagen für die Glaubensgemeinschaft. "Die Würde des Menschen steht im Mittelpunkt der Bibel, und das Grundgesetz verwirklicht dieses Menschenbild in hervorragender Weise", schwärmte ihr Justitiar Gajus Glockentin. Im Übrigen sei die religiöse Selbstbestimmung bei den Zeugen Jehovas ein hoher Wert, man lasse sich deshalb auch erst als Erwachsener und nach ausgiebigem Bibelstudium taufen. Zum Thema Sozialarbeit erklärte der Sekten-Justitiar: "Wir geben den Menschen moralische Werte an die Hand und stärken die Familien, das ist unser Beitrag zur Lösung sozialer Probleme." Das Urteil soll in einigen Monaten bekannt gegeben werden.

Quelle: Tageszeitung (taz) vom 21.9.2000