Wer mit einem Zeugen Jehovas spricht, wird kaum erfahren, dass er es mit einem Menschen zu tun hat, dessen Leben voll und ganz von den Aktivitäten seiner Religionsgemeinschaft bestimmt wird. Ein Blick in den Königreichsdienst vermittelt jedoch ein ganz anderes Bild.

In diesem internen Mitteilungsblatt zeigt nämlich die Sektenführung unmissverständlich, was von einem Zeugen Jehovas erwartet wird: die uneingeschränkte Unterordnung seiner gesamten Lebensführung unter die pausenlosen "theokratischen Aktivitäten" der Sekte.

In dem internen Mitteilungsblatt der Zeugen Jehovas, Unser Königreichsdienst vom Februar 2004, erscheint der Artikel "Regelmäßiger Zusammenkunftsbesuch hat Priorität". Dieser wird in allen Versammlungen in der Woche vom 23.2.2004 in Form von "Fragen und Antworten" besprochen.

Seit Jahren ist zu beobachten, dass die Anwesenheitszahlen bei den Zusammenkünften rückläufig ist. Dies wird besonders in der Woche betont, wenn der Kreisaufseher zu Besuch kommt (Dienstwoche). Der nun folgende Artikel ist gespickt mit Schuldgefühlen, wodurch enormer psychischer Druck erzeugt wird - wahrscheinlich soll so dem allgemeinen Trend entgegengewirkt werden.

Diese Zusammenhänge möchte ich - besonders anhand der angegebenen Bibelstellen - etwas näher beleuchten. Es entsteht nämlich der Eindruck, dass diese Artikel von "weltfremden" Menschen verfasst werden; diese sind kinderlos und brauchen keiner "weltlichen" Arbeit nachzugehen, da sie Kost und Logis in den Zweigbüros der Gesellschaft haben. Heutzutage sind die Anforderungen an die Schüler und Arbeitnehmer enorm gewachsen - die unsichere Arbeitslage tut ihr Übriges.

Nun also zu den einzelnen Absätzen aus Unser Köigreichsdienst, Februar 2004:

Absatz 1

Für christliche Familien hat der regelmäßige Zusammenkunftsbesuch Priorität. Doch das, was das heutige Leben einem abverlangt, kann zu einer Herausforderung werden. Könnte es sein, dass die Hausarbeit, die Berufstätigkeit oder die Hausaufgaben die Zeit in Anspruch nehmen, die eigentlich für die Anbetung Jehovas reserviert ist? Wenn wir die Angelegenheit einmal von Jehovas Standpunkt aus betrachten, wird uns das helfen, an unseren Prioritäten festzuhalten (1. Sam 24:6; 26:11)

Hierzu muß zunächst erwähnt werden, daß es einem Zeugen Jehovas nicht freisteht selbst zu entscheiden ob er eine Zusammenkunft besucht oder nicht. Von der Wachtturm-Gesellschaft werden 5 wöchentliche Zusammenkünfte an 3 Tagen als von Jehova angeordnet bezeichnet - und wer wollte sich dem Willen Gottes entgegenstellen?

Es ist im Hinblick auf Jehovas Standpunkt für mich undenkbar, daß ich meinem Herrn, dem Gesalbten Jehovas, diese Sache antun sollte, (1. Samuel 24:6)

Es ist im Hinblick auf Jehovas Standpunkt für mich undenkbar, meine Hand gegen den Gesalbten Jehovas auszustrecken! (1. Samuel 26:11)

Beide Male geht es um David, der dem König Saul nichts antun konnte, daß heißt ihn töten. Es soll wohl der Eindruck erweckt werden, dass man es ebenso dem "treuen und verständigen Sklaven" - dem "Gesalbten Jehovas" - nicht antun könne, nicht die Zusammenkünfte zu besuchen. Ist er aber der neuzeitliche Saul, der von den Zeugen getötet werden sollte? Das Bild kann nicht stimmen!

Absatz 2

Ein Israelit ließ dadurch, dass er am Sabbat Holz sammelte, bewusst den Standpunkt Jehovas außer Acht. Vielleicht argumentierte er, er sorge damit ja für seine Familie oder das sei doch nur eine Kleinigkeit. Durch das Urteil, das darüber gefällt wurde, zeigte Jehova jedoch, dass es eine ernste Angelegenheit ist, profane Tätigkeiten zu Zeiten zu verrichten, die für die Anbetung vorgesehen wurden (4.Mo 15:32-36)

Hausarbeit, Berufstätigkeit und Hausaufgaben werden also als "profane Tätigkeiten" hingestellt, die auf keinen Fall die Beteiligung an Zusammenkünften beeinflussen dürfen. Im übrigen heißt es im Absatz "Vielleicht argumentierte er ..." - die Bibel sagt nichts über den Beweggrund.

Während die Söhne Israels weiterhin in der Wildnis waren, fanden sie einmal einen Mann, der am Sabbattag Holzstücke auflas. Dann brachten ihn diejenigen, die ihn beim Auflesen von Holzstücken gefunden hatten, zu Moses und Aaron und der ganzen Gemeinde. So legten sie ihn in Gewahrsam, denn es war nicht deutlich dargelegt worden, was mit ihm getan werden sollte.

Zu seiner Zeit sprach Jehova zu Moses: "Der Mann sollte unweigerlich zu Tode gebracht werden, indem ihn die ganze Gemeinde außerhalb des Lagers mit Steinen bewirft." Demgemäß führte ihn die ganze Gemeinde aus dem Lager hinaus und bewarf ihn mit Steinen, so daß er starb, so wie Jehova es Moses geboten hatte. (4. Mose 15:32-36)

Der frühere Sabbat wird mit der Beschäftigung mit geistigen Dingen - also Studium, Predigtdienst und Zusammenkünften - gleichgesetzt. Mit diesem Text wird suggeriert: wer die Zusammenkünfte versäumt, hat das Todesurteil (Steinigung) verdient.

Absatz 3

Der Herausforderung gerecht werden

Für viele ist es eine echte Herausforderung, es gar nicht soweit kommen zu lassen, dass sich Berufstätigkeit und Zusammenkunftsbesuch überschneiden. Einige werden der Herausforderung dadurch gerecht, dass sie ihren Arbeitgeber darauf ansprechen, ihre Schicht mit Arbeitskollegen tauschen, sich eine Tätigkeit mit günstigerer Arbeitszeit suchen, sofern dies möglich ist, oder ihr Leben einfacher gestalten. Solche Opfer für die wahre Anbetung sind für Gott ganz bestimmt wohlgefällig (Heb 13:16)

Es gibt immer mehr Tätigkeiten im Dienstleistungsbereich, wo die Arbeitszeiten immer weiter ausgedehnt werden. Es ist daher oftmals gar nicht möglich, die angesprochene Überschneidung zu umgehen.

Überdies, vergeßt nicht, Gutes zu tun und die Dinge mit anderen zu teilen, denn solche Schlachtopfer sind Gott wohlgefällig. (Hebräer 13:16)

Naja, der Text "solche Schlachtopfer sind Gott wohlgefällig" kommt im Absatz und der Bibelstelle vor. Die WTG bezieht "Schlachtopfer der Lobpreisung" allerdings normalerweise auf den Predigtdienst:

Der Wachtturm vom 15.12.1989, Seite 23, "Schlachtopfer darbringen, die Jehova gefallen", schreibt dazu:

Bei diesem Dienst steht unser Predigtwerk im Vordergrund, denn durch Christus als Hohenpriester 'bringen wir Gott allezeit ein Schlachtopfer der Lobpreisung dar, die Frucht der Lippen, die eine öffentliche Erklärung für seinen Namen abgeben'.

In dem Genfer Bibelkommentar steht dazu allerdings eine konträre Meinung

Opfer in Form von Worten müssen mit Taten der Liebe einhergehen (Jak 1,27). Paulus nennt in Phil 4,18 materielle Gaben einen "lieblichen Wohlgeruch, ein angenehmes Opfer".

Absatz 4

Selbst die Hausaufgaben können ohne gute Planung zu einer Herausforderung werden. "Ich erledige einen Teil meiner Hausaufgaben vor den Zusammenkünften und den Rest, wenn ich wieder zu Haus bin", sagte eine Jugendliche. Wenn die Zusammenkunft erst am späten Abend endet, sollte es ein guter Zeitplan ermöglichen, mit den Hausaufgaben schon vor der Zusammenkunft fertig zu sein.

Ein kanadischer (ex)-Zeuge schrieb seinen typischen Zeitplan als Jugendlicher:

  • 3:30 Schulschluß
  • 3:30 - 4:30 Fahrt nach Hause (je nach Entfernung)
  • 4:30 - 5:00 Abendessen
  • 5:00 - 6:30 Hausaufgaben
  • 6:30 - 7:00 Für die Zusammenkunft fertig machen
  • 7:00 Fahrt zur Zusammenkunft
  • 7:30 - 9:15 Zusammenkunft
  • 9:45 Ankunft zu Hause (wenn man nicht 1/2 Stunde bleibt, um sich zu unterhalten)
  • 9:45 - 9:55 Kleidungswechsel
  • 9:55 - 10:00 Hausaufgaben
  • 10:00 Schlafenszeit?

Das ergibt insgesamt 1:35 für Hausaufgaben - meistens zu wenig Zeit.

Absatz 5

Gute Planung und Zusammenarbeit der Familie sind der Schlüssel, um häusliche Aufgaben vor der Zusammenkunft so zu erledigen, dass man pünktlich fertig ist (Spr 20:18). Selbst jüngeren Kindern kann beigebracht werden, zu einer bestimmten Zeit angekleidet und bereit zu sein, in die Zusammenkünfte zu gehen. Eltern können durch ihr Beispiel den Kindern tief einprägen, wie wichtig die Zusammenkünfte sind (Spr 20:7).

Bei den Zusammenkünften in der Woche, die üblicherweise abends stattfinden, findet man die jüngeren Kinder meist schlafend - was sie zu dieser Zeit ihrem Alter angepaßt auch tun sollten.

Pläne werden durch Rat gefestigt, und durch geschickte Lenkung führe deinen Krieg. (Sprüche 20:18)

Die Aussage lassen wir mal gelten, sie ist ja: "Überschlage die Kosten und überlasse nichts dem Zufall". Wobei die Frage bleibt, was ist wertvoller - Zusammenkunft oder Arbeit/Hausaufgaben? Die Entscheidung muß letztendlich jeder selbst treffen. Die Folgen werden den Kindern bewußt werden, denn

Der Gerechte wandelt in seiner unversehrten Lauterkeit. Glücklich sind seine Söhne nach ihm (Sprüche 20:7)

Absatz 6

Da der Druck von Seiten des gegenwärtigen Systems der Dinge zunimmt, ist es äußerst wichtig für uns, die Zusammenkünfte der Versammlung regelmäßig zu besuchen. Betrachten wir die Dinge weiterhin vom Standpunkt Jehovas aus und räumen wir dem regelmäßigen Zusammenkunftsbesuch Priorität ein (Heb 10:24,25).

"Der Druck von Seiten des gegenwärtigen Systems" nimmt zu - aber auch der Druck der Wachtturm-Gesellschaft auf ihre Mitglieder!

Und laßt uns aufeinander achten zur Anreizung zur Liebe und zu vortrefflichen Werken, indem wir unser Zusammenkommen nicht aufgeben, wie es bei einigen Brauch ist, sondern einander ermuntern, und das um so mehr, als ihr den Tag herannahen seht. (Hebräer 10:24-25)

Der Standardtext darf nicht fehlen und kommt gut plaziert am Ende des Artikels. Doch schon C.T.Russell 'sah den Tag herannahen' - das war vor 130 Jahren!

Abschließend noch einige Auszüge aus der WTG-Literatur zum Thema "Hausaufgaben", denn schließlich sollen auch die Schüler ihre Priorität "richtig" setzen - zuungunsten einer guten Bildung, wie viele Erfahrungen (leider) belegen.

Der Wachtturm 1.9.1998, Seite 19, "Dem Wichtigsten unbedingt den Vorrang einräumen"

Oder gesetzt den Fall, du bist ein Schüler. Auf deinem Schreibtisch stapeln sich die unerledigten Hausaufgaben. Das meiste davon wurde dir schon vor einiger Zeit aufgegeben, aber du hast es vor dir hergeschoben, und jetzt sind mehrere Arbeiten auf einmal fällig. Du spielst mit dem Gedanken, deine Eltern zu bitten, zu Hause bleiben zu dürfen und deine Aufgaben zu erledigen, statt in die Zusammenkunft zu gehen.

Wem würdest du den Vorrang einräumen: den Überstunden am Arbeitsplatz, der Bügelwäsche, den Schulaufgaben oder der Zusammenkunft der Versammlung? Was ist damit gemeint, auf geistigem Gebiet dem Wichtigsten den Vorrang einzuräumen? Wie denkt Jehova darüber?

Der Wachtturm, 1.2.1991 S. 28, "Als Witwe fand ich wahren Trost"

Und ihnen war bewußt, daß die Vorbereitung auf christliche Zusammenkünfte und den Predigtdienst trotz der Schulaufgaben nicht vernachlässigt werden durfte. Ich ermunterte sie zwar, in der Schule ihr Bestes zu geben, bestand jedoch nie darauf, daß sie nur Einsen schrieben [im englischen "making a high grade" - bedeutet auch "höheren Schulabschluß"], da ich befürchtete, sie würden dies zum Wichtigsten in ihrem Leben machen.

Unser Königreichsdienst August 1998 Seite 1 "Ihr Jugendlichen - macht euch die Schulzeit zunutze"

Mache deine Hausaufgaben sorgfältig, aber richte es so ein, daß sich die Schularbeiten nicht mit theokratischen Aktivitäten überschneiden.

Unser Königreichsdienst, Januar 1994 Seite 1 "Der Besuch der Zusammenkünfte - eine ernste Verantwortung"

Lassen einige von uns zu, daß unnötige weltliche Arbeit, Müdigkeit, Hausarbeiten, leichtes körperliches Unwohlsein oder etwas schlechteres Wetter sie von der Verpflichtung abhalten, regelmäßig die Zusammenkünfte zu besuchen?

Unser Königreichsdienst, Mai 1988 Seite 1 "Kindern helfen, aus den Zusammenkünften größeren Nutzen zu ziehen"

Einige mögen die Kinder zu Hause lassen, damit sie die Hausaufgaben machen. Weise Eltern bringen ihre Kinder jedoch mit in die Zusammenkünfte.

Junge Leute Fragen sich, Kapitel 39 "Wie kann ich mich Gott nahen?"

Gib den Zusammenkünften Vorrang. Wenn du außergewöhnlich viel Hausaufgaben aufhast, bemühe dich, sie vor der Zusammenkunft zu erledigen. "Ich unterhalte mich noch gern nach der Zusammenkunft und bin oft unter den letzten, die gehen", sagt Simeon. "Aber wenn ich noch Hausaufgaben machen muß, gehe ich gleich."