Samstag, 03.07.10

"Und Gott schuf Darwins Welt" - Das Spannungsfeld zwischen Naturwissenschaft, neuem Atheismus, Kreationismus und Intelligent Design

Dr. Hansjörg Hemminger, http://www.weltanschauungsbeauftragte.elk-wue.de/

Hemminger zeigte zunächst das Bild der sogenannten "Bonifatiuspfennige" oder auch "Wichtelgeld". Das sind versteinerte Überbleibsel (Trochiten) einer Seelilienart (Encrinus liliiformis), wie sie in Mitteleuropa vor ca. 200 Millionen Jahren vorkam. Allein der Name Bonifatiuspfennig oder Wichtelgeld zeigt, dass frühere Generationen in Unkenntnis des wahren Sachverhalts den Dingen dennoch Namen und Zuordnung verliehen, und zwar solche, die ihnen halfen, sich weiter in der Natur der Dinge und der Erscheinungen zurecht zu finden. Hemminger prägte hier den Begriff der "narrativen Naturdeutung", die aber für den Landwirt keinerlei wesentlichen Belang hatte, außer jenem, das Ding benannt zu haben. Diese narrative Naturdeutung aber verhalf den Menschen früherer Zeiten zu einer Erklärung der Welt, mit der sie eins waren, in der sie "beheimatet" waren. Man spricht hier auch von der "realsymbolischen Naturdeutung".

Erst mit der Aufklärung und hier insbesondere mit Darwins revolutionären Entdeckungen und deren wissenschaftlicher Neubewertung ging man zu einer "Objektivierung" der Naturerzählung über, man entdeckte gewissermaßen die "Vieldeutigkeit der Welt durch die Eindeutigkeit der Naturentdeckung".

Darwins Thesen in seinem Hauptwerk besagen im Wesentlichen:

Evolution vollzieht sich in sehr langen Zeiträumen durch die Veränderlichkeit der Arten in dieser langen Zeit. Alle Lebewesen haben eine gemeinsame Abstammung. Die am meisten umstrittene Theorie Darwins besagt, dass die natürliche Selektion der wichtigste Motor der Evolution war und ist.

Klar, dass Kreationisten und andere Bibelfundamentalisten mit einer solchen Naturbetrachtung nicht einverstanden sind.

Doch warum legen sie sich mit einem derart mächtigen Gegner (die Wissenschaft) an?

Dazu muss man die Zielrichtung ihres Grundanliegens verstehen. Kreationisten gehen von der Universalgeltung der Heiligen Schrift für alle Lebensbelange und alles aus, was der Mensch als geschaffenes Wesen Gottes wissen muss.

Dabei streben sie ebenfalls die Rettung des christlichen Menschenbildes als Letztbegründung für Ethik und Menschenwürde an. Als Gegensatz dazu erachten Kreationisten den "Vulgärdarwinismus" des Dritten Reiches, der allzu deutlich das Endergebnis einer streng naturwissenschaftlichen Weltdeutung zeige.

Dass Gott der Erschaffer der Welt sei, beweist sich nach Ansicht der Kreationisten aus der Tatsache, dass alle Kreatur so vollkommen durchdacht gemacht (designed) ist (der sogenannte "teleologische Gottesbeweis").

Soweit die vordergründige Argumentation.

Dahinter aber wird das Motiv für solche Weltdeutung erkennbar, gewissermaßen das "Anliegen hinter dem Anliegen":

Die Welt soll als sinnhaltige Wirklichkeit erhalten bleiben. Der Mensch soll sich in der "großen Erzählung" von Schöpfung, Sündenfall und Erlösung in der Welt wiederfinden. Dabei verneint der Kreationist die Vorstellung einer Welt als offene, grenzenlose Wirklichkeit. Er will das unauflösliche Geheimnis der Welt doch auflösen. Dahinter steckt, man sieht es klar, die Sehnsucht, dass die Welt doch Heimat bleibe.

Wo, nun, liegen die Ursprünge kreationistischen Denkens, wann fing Kreationismus als politische Strömung an?

Geschichte des Kreationismus in den USA

Die Herausgabe von Charles Darwin "On the Origin of Species by Means of Natural Selection" 1859 führte in den USA zu einer kontroversen Debatte. Solange jedoch die Evolutionslehre von den Wissenschaftlern selbst skeptisch beurteilt wurde, gab es für Theologen und die Öffentlichkeit keinen Grund zur Beunruhigung.

Die Situation änderte sich in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts.

1871 erschien Darwins "Descent of Man" und entfachte einen Sturm der Empörung und religiöser Entrüstung.

Angriffspunkte wurden der gemeinsame Ursprung aller Arten einschließlich des Menschen und die natürliche Selektion als wichtigster Anpassungsmechanismus. Ebenso energisch wurden die ziellose Entwicklung der Lebewesen und das hohe Alter der Erde bestritten.

Dabei standen vier Säulen der christlichen Dogmatik zur Debatte:

  1. der Glaube an eine seit der Schöpfung konstante Welt,
  2. der Glaube an eine, in einem einzigen Akt erschaffene Welt,
  3. der Glaube an eine von einem weisen und gütigen Gott entworfene, perfekte Welt,
  4. der Glaube an die einzigartige Stellung der Menschen innerhalb der Schöpfung.

Der Widerstand gegen den Darwinismus, durch den die Fundamentalisten die religiösen Dogmen bedroht sahen, formierte sich.

Zu Beginn der 20er Jahre startete eine landesweite Kampagne gegen die Evolutionslehre an öffentlichen Schulen. Bis zum Ende des Jahrzehnts wurden in mehr als zwanzig Bundesstaaten Gesetzentwürfe eingebracht, die sich gegen die Evolutionslehre im Unterricht wandten. In drei Staaten - Tennessee, Mississippi, Arkansas - wurde die Lehre der Evolution an der Schule verboten. In Oklahoma wurden Schulbücher mit Evolutionstexten verboten. Florida verurteilte die Evolutionslehre als ungeeignet und verderblich.

Höhepunkt dieser Auseinandersetzungen war der sogenannte "Affenprozess", in welchem der Lehrer John Thomas Scopes (1901-1970) angeklagt wurde, weil er an einer öffentlichen Schule eine Theorie gelehrt hatte, die "die göttliche Erschaffung, wie sie in der Bibel steht, leugnet und die stattdessen lehre, daß die Menschheit von einer niedrigeren Tierstufe abstamme". Er wurde schuldig gesprochen und bei einem Monatsgehalt von 150,- $ zu einer Geldstrafe von 100,- $ verurteilt.

Es ging um sehr viel. Für die Bibelfundamentalisten hing ihr gesamtes Weltbild davon ab, ob der Schöpfungsbericht, wie er in der Genesis zu finden ist, wahr ist oder nicht.

Dazu konnte man in "The Fundamentals - a Testimony to the Truth" (1910-15) folgendes lesen:

Das Buch Genesis hat keine Autorität, wenn es nicht wahr ist. Wenn es nicht historisch ist, ist es nicht zuverlässig, und wenn es nicht offenbart ist, hat es keine Autorität.

Das Buch Genesis ist nicht wahr, wenn es nicht von Gott kommt. Denn wenn es nicht von Gott kommt, ist es nicht inspiriert, und wenn es nicht inspiriert ist, besitzt es für unsere Lehre keinerlei Bedeutung.

Dyson Hague Bd. 1, Kap. 14

Noch kurz zwei Zahlen:

"Attitudes of Godbelievers"
evolution - 53%,  creation - 47%

Nicht nur in christlich-fundamentalistischem Kontext ist der Kreationismus verbreitet, er treibt auch im islamischen Umfeld seine bizarren Blüten.

Bestes Beispiel hierfür ist der Atlas der Schöpfung des türkischen Langzeitkreationisten Adnan Oktar, alias Harun Yahya.

Der Atlas der Schöpfung versucht darzustellen, dass sich die heute auf der Erde lebenden Tiere und Pflanzen seit Jahrmillionen nicht verändert haben. Dazu setzt Oktar Fotos von Fossilien und heute lebenden Tieren oder Pflanzen nebeneinander. Biologen erkennen auf den ersten Blick, dass es sich nicht, wie behauptet, um dieselben Lebewesen handelt.

Wikipedia

Hier ein Zitat aus diesem Werk:

[…] Europäer, die seit ungefähr 1,5 Jahrhunderten unter dem Druck darwinistisch-materialistischer Suggestionen stehen, hatten, nachdem der Atlas der Schöpfung in Europa verteilt wurde, zum ersten Mal die Möglichkeit bekommen, die Wahrheiten offen zu sehen.

Dann wies Hemminger noch auf die beiden deutschen Kreationisten Jung und Juncker hin, deren Bücher recht große Verbreitung in der deutschen Leseschaft finden.

Hemminger machte deutlich:

Kreationisten missbrauchen wissenschaftliche Diskussionen, da sie die Details außer acht lassen. Sie sind unbelehrbar hinsichtlich wissenschaftlicher Erkenntnisse. Sie treibt keine erkenntnisorientierte, wissensvermehrende Motivation.

Kreationisten findet man als Gruppe bei den Pfingstgemeinden, den Baptisten und den evangelischen Freikirchen.

Wege und Holzwege der Sinnsuche - Vom Umgang mit der Sinnfrage in Psychoszene und Religion

Diplom-Psychologe Werner Gross gab einen Überblick über das zu behandelnde Thema.

Zuerst müsse die Frage geklärt werden:

Was macht überhaupt ein gelungenes Leben aus?

Ein wesentlicher Aspekt ist, dass die Sinnfragen des Menschen geklärt sind. Hierbei kann die Religion helfen, aber auch nichtreligiöse Weltanschauungen können eine Hilfe bei der eigenen Verortung und der Sinngebung sein.

Religionen orientieren auf unterschiedlichen Ebenen, dabei können religiöse Erfahrungen, die veränderte Bewusstseinszustände sind, ein Mittel sein.

Soweit so gut. Jedoch sind Religionen nicht nur unproblematisch. Es gibt sehr wohl gesunde Formen der Religiosität als auch krankmachende Formen der Religionen.

Zunächst aber muss die eingangs gestellte Frage beleuchtet werden:

Was gehört zu einer gesunden Identität?

Gross nannte 5 Säulen gesunder Identität:

Fehlen eine oder mehrere dieser Säulen kann das Ergebnis die Erkrankung der Psyche sein. Hier muss dann die Psychotherapie, also die Krankenbehandlung des psychisch Erkrankten einsetzen.

Dabei ergeben sich folgende Fragestellungen:

  • Was? Bzw. welche Störungen gibt es?
  • Wie und wodurch sind sie entstanden?
  • Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es?

Hilfreich bei der Beantwortung dieser Fragen könnte es sein, sich die Bedürfnisse des Menschen anzusehen. Die von Maslow entwickelte Pyramide der Bedürfnishierarchie macht deutlich, worum es dabei geht:

Wie vollzieht sich nun der Reifungsprozess des Menschen hin zu einem selbstbewussten, selbstbestimmten und selbstverwirklichten Leben?

Nach Ericksen gliedert sich die Reifung des Menschen in unterschiedliche Lebensphasen mit ihren spezifischen Themen:

  • Orale Phase (1. u. 2. Jahr) - Urvertrauen vs. Urmisstrauen - Hoffnung
  • Anale Phase (1,5. bis 2. Jahr) - Autonomie vs. Scham u. Zweifel - Wille
  • Genitalphase - Initiative vs. Schuldgefühl - Absicht
  • Latenz - Leistung vs. Minderwertigkeitsgefühl - Kompetenz
  • Pubertät - Identität vs. Rollenkonfusion - Treue
  • Frühes Erwachsenenalter - Intimität vs. Isolierung - Liebe
  • Erwachsenenalter - Zeugungsfähigkeit vs. Stagnation - Fürsorge
  • Reife - Ich-Integrität vs. Verzweiflung - Weisheit

Bei diesem Reifeprozess durchlebt der Mensch verschiedene Stadien der Selbstbetrachtung. Hat der pubertierende Jugendliche noch starke Selbstzweifel und muss seine Rolle im Leben aber auch seine Identität für sich selbst und gegenüber anderen noch finden, geht der reife Mensch meist gefestigt durchs Leben, da er seinen Wert inzwischen kennt, weiß, was er will, aber auch, was er sicher nicht erreichen kann oder will. Entscheidend hierbei sind die "inneren Anforderungen", die sich im Lauf des Älterwerdens verändern.

Folgendes Schaubild verdeutlicht dies:

Der Mensch lernt also im Lauf der Zeit, die inneren und äußeren Anforderungen überein zu bringen, lernt, emotional kurzfristige Anforderungen besser zu beherrschen und sie mit langfristigen Anforderungen zu verbinden.

Will der Säugling noch unmittelbar seine Bedürfnisse befriedigen, nicht zuletzt auch, weil davon sein unmittelbares Überleben abhängt, lernt schon das Kleinkind, die Befriedigung seiner Bedürfnisse zeitlich zu verzögern, da es inzwischen aus Erfahrung weiß, dass keine unmittelbare Gefahr für sein Überleben droht. Der pubertierende Jugendliche lernt im weiteren Reifungsprozess, dass seine unmittelbaren Impulse nicht sogleich abgeführt werden müssen, da dies seinem Bild nach außen schaden könnte, welches ihm mindestens ebenso wichtig ist.

Der reife Mensch schließlich hat die nagenden Zweifel eines allzu starken Über-Ich sowie die Träume seines Ideal-Ich hinter sich gelassen und ist in der entspannteren Phase seines Real-Ich angelangt, in der er weder sich noch der Welt irgendetwas beweisen muss.

  • Was wenn die normale Entwicklung zum Erwachsenen gestört oder beeinträchtigt ist?
  • Wo sucht man nach den Ursachen?
  • Kann es sein, dass bestimmte Formen der Religiosität die Entwicklung des Menschen beeinträchtigen oder gar behindern?
  • Gibt es krankmachende Religionen?
  • Ist Religion per se negativ in ihrer Wirkung auf die menschliche Psyche?

Bevor man diese Fragen beantwortet, ist es gut, sich dem Phänomen zunächst grundsätzlich und ganz allgemein zu nähern.

Was also ist Religion?

Die eigentliche Wortbedeutung von Religion ist: Religio (lat. Rückbindung). Man kann Religion als Beziehung des Menschen zu einer umgreifenden als heilig erachteten Macht (sei diese personal oder apersonal) definieren. Religion also als Vermittlerin von Hoffnung für den Menschen aber auch als Wissensvermittlerin für das Menschsein (Anthropologie), für die Deutung der Welt (Kosmologie) sowie als Vermittlerin von Werten (Ethos) und von Sinn.

Kirchen und Konfessionen fungieren hierbei als Institutionen kollektiven, dogmatischen Glaubens, man könne sie, so Gross, als "Seelenrettungsgeschäft" bezeichnen.

Was ist Glaube?

Gross definiert es so: Das Überzeugtsein von der Wahrheit eines Sachverhalts, ohne ihn überprüft zu haben oder ihn überprüfen zu können (innerer Altar der Gewissheit).

Was ist Religiosität?

Gross' Definition: Individuelle Glaubenserfahrung und Glaubenspraxis.

Wir haben es also bei Gläubigen mit Menschen zu tun, die von der eigenen Wahrheit überzeugt sind. Dabei spielt eine eventuell objektiv ermittelbare Wirklichkeit eine eher untergeordnete Rolle.

Wenden wir uns den beiden Begriffen noch einmal zu:

Wahrheit und Wirklichkeit

Es gibt die subjektive Wahrheitintersubjektive Wahrheiten, und es gibt die objektiven Wirklichkeiten, die objektive Wahrheit also. Objektiv in dem Sinne, dass sie bei den meisten Menschen, unabhängig davon, ob diese gläubig sind oder nicht, als wahr anerkannt werden.

Religionen agieren aber nicht auf dieser objektiven Ebene, für sie scheint zu gelten, was Hegel einst sinngemäß so formulierte:

Religionen geben sich die Definition dessen, was eine Gruppe von Menschen für wahr hält.

Hierzulande sind die meisten Gläubigen christlich orientiert.

Eine kurze Zahlenübersicht (für Deutschland) verdeutlicht dies:

  1. Christen - ca. 59 Millionen
  2. Konfessionsfreie - ca. 29 Millionen
  3. Muslime - ca. 3.5 Millionen
  4. Buddhisten - ca. 250.000
  5. Juden - ca. 200.000
  6. Hindus - ca. 90.000
  7. Sonstige - ca. 100.000

Von den Christen gehören die meisten den beiden großen Kirchen an. Viele jedoch gehören christlich orientierten Sondergemeinschaften oder Sekten an.

Wo liegen nun die Unterschiede zwischen diesen Gruppierungen, also einerseits die beiden großen Kirchen und andererseits die kleineren Glaubensgemeinschaften?

Folgende Gegenüberstellung mag die wesentlichen Unterschiede verdeutlichen:

Kirche

  • Amtscharisma der Führungsfiguren.
  • Mehr oder weniger dominante Großstruktur.
  • Man wird meist hineingeboren.
  • Universaler Anspruch.
  • Gelassenere Gruppenstrukturen und Weltbild.
  • Majorität muss nicht mehr erkämpft werden.

Sekte

  • Kleinkultur (minority).
  • Persönliches Charisma.
  • Man muss meist selbst eintreten.
  • Anfangs partialer Anspruch.
  • Total group, konfliktträchtig.

Man sieht, dass die großen Kirchen ihre problematischen Seiten allein schon durch Größe weitgehend abgebaut haben, jedenfalls haben sie nicht mehr den Alleinvertretungsanspruch im Hinblick auf die Weltdeutung für das Individuum.

Sekten oder Kleinstgemeinschaften haben dagegen in erheblichen Maße noch diese sehr problematische Seite eines ungesunden Glaubens.

Während die großen Kirchen heute dem Einzelnen in seiner Suche nach Sinn eher unterstützend zur Seite stehen und durchaus Orientierung und Sinn vermitteln können - was sich am Ende durchaus vorteilhaft für das Erwachsenwerden und für eine gesunde Psyche auswirken kann - geben Sekten dem Individuum recht eingeengte Sinnorientierungen und schreiben allzu kleinlich vor, wie der Mensch seine Sinnsuche zu gestalten hat.

Fragen wie: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Wer bin ich? Was treibt mich an? Was soll ich hier? Was will ich hier? Was kann ich wissen? Was muss ich glauben? Was darf ich hoffen? werden von den Kirchen recht behutsam und individuell zugeschnitten einer Beantwortung zugeführt. Sekten hingegen beantworten diese Fragen eindeutig, ohne individuellen Zuschnitt und endgültig, "weil es so in der Bibel steht".

Während also die Kirchen aus ihrer schmerzvollen Vergangenheit die richtigen Lehren gezogen haben und bei der seelsorgerischen Betreuung des Gläubigen ergebnisoffen und nach Möglichkeit jegliches Missionieren vermeidend vorgehen, scheinen Sektenführer auf jede Frage stets die gleiche Antwort parat zu haben.

Gross verdeutlichte diesen Punkt mit folgendem Bonmot:

Jesus ist die Antwort! ... Wie war nochmal die Frage?

Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Weisheit aus dem Ursprungsland des biblischen Jesus (Judäa):

Du bist näher bei Gott, wenn du Fragen stellst als wenn du Antworten gibst.

Es scheint als ob Sekten diese Weisheit noch nicht verinnerlicht hätten.

Zum Schluss stellte Gross die berechtigte Frage:

Gibt es Sinn nur in Verbindung mit Glauben und Religiosität? Was ist, wenn Menschen nicht glauben? Wie ist eine Gesellschaft aufgestellt, in der nicht länger Kirchen oder Glaubensgemeinschaften sinnstiftende Orientierung vermitteln? Oder anders gefragt:

Was ist der Preis für die individuelle Freiheit?

Eine säkulare Gesellschaft gibt dem Einzelnen nicht vor, wie oder womit er seinem Leben Sinn verleiht. Nun muss sich jeder selbst auf seine ganz persönliche Sinnsuche begeben. Es ist nicht mehr Aufgabe der Gesellschaft, den Menschen religiös zu erziehen, weil es in ihr andere Sozialisationsbedingungen gibt.

Nun muss jeder auch mit dem Zweifel an der Richtigkeit seines Weltbildes oder seiner subjektiven Wahrnehmungen zurechtkommen.

Ein Mann mit einer Uhr hat es gut. Er kennt die Zeit. Mit zwei Uhren ist er nicht mehr sicher.

In einer säkularen Gesellschaft, in der der Staat die Sinnsuche dem Einzelnen überlässt, mag der eine diese Suche in Verbindung mit Glauben und den entsprechenden Deutern wagen. Dann mag er sich an die in den für den Glauben maßgebenden heiligen Bücher und ihre Interpreten halten, während der Nichtgläubige zu dem Ergebnis kommt, die Gottesbilder jener Schriften oder ihrer Priester seien nichts weiter als Projektionen, die dem menschlichen Geist entspringen.

Es ist eine Fähigkeit zu glauben. Wahnsinn ist die Unfähigkeit zu zweifeln.

Bayerische Gesamtstrategie zum Schutz junger Menschen vor Extremismus aus Sicht der Kinder- und Jugendhilfe

Markus Sackmann, MdL, Staatssekretär, 1. Vorsitzender der Bayerischen Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise (ADK) e.V., Roding http://www.markus-sackmann.de/ http://www.adk-bayern.de/ war eigens nach Regenstauf gekommen, um über gelungene Projekte in Zusammenarbeit mit der Elterninitiative zur Hilfe gegen seelische Abhängigkeit und religiösen Extremismus e. V. (EI) und der ADK-Bayern e.V. zu berichten.

Von den Aktivitäten des politischen Extremismus erfuhr die Welt am 11. September 2001 auf spektakulär dramatische Weise. Seither beschäftigt sich eine zunehmend sensibilisierte Öffentlichkeit nicht nur mit dem religiös motivierten politischen Extremismus, sondern auch wieder mit dem Extremismus der extrem Rechten und der extrem Linken in unserem Land. Auf Seiten wie http://www.innenministerium.bayern.de/ sowie http://www.bayern-gegen-rechtsextremismus.de/ wird zu beiden Seiten des politischen Extremismus Stellung genommen.

Der bayerische Staat hat es sich zur Aufgabe gemacht, Eltern bei ihrer Erziehungsarbeit zu unterstützen und junge Leute in ihrer Entwicklung zu stützen und zu fördern.

Jungen Leuten soll geholfen werden, beziehungsfähige, werteorientierte, schöpferische und verantwortungsbewusste Bürger zu werden. Sie sollen aber auch die Freiheit haben, sich gemäß ihren Talenten und Fähigkeiten zu entfalten. Da jedoch, wo die Entwicklung in die falsche Richtung läuft, sollen konsequente Gegenmaßnahmen ergriffen werden können.

Die Phase des Heranwachsens ist, wie wir alle wissen, eine schwierige Zeit für alle Beteiligten, der Jugendlichen ebenso wie der Eltern. Die jungen Leute beginnen, sich vom Elternhaus zu lösen, sie orientieren sich neu und sind zuweilen stark verunsichert. In dieser Phase sind sie für Manipulationen anderer empfänglich, und Extremisten wittern hier ihre Zugriffsmöglichkeiten.

Besonders das Medium der jungen Leute, das Internet ist ein Tummelplatz für extremistische und gefährliche Inhalte aller Art, und die jungen Leute sind ob ihrer Unreife und Unerfahrenheit besonders leicht zu verführen. Neben politisch extremistischen Seelenfängern tummeln sich im Internet ganze Netzwerke Pädophiler, die eine besondere Gefahr für Kinder und Jugendliche darstellen.

Man darf, so Sackmann, guten Gewissens sagen, dass hier die staatlichen Stellen gut zusammen arbeiten. Dennoch wird darüber hinaus auch der unermüdliche Einsatz von Nichtregierungs-Organisationen und ehrenamtlich Tätigen als äußerst nützlich und hilfreich angesehen. All die dort geleistete Arbeit für das Gemeinwohl ist hoch willkommen.

Wie wir alle aus eigener Erfahrung wissen, sind Elternhäuser sehr unterschiedlich. In vielen, wohl den meisten gelingt die Erziehung der Kinder und Jugendlichen hin zu verantwortungsvollen Erwachsenen sehr gut. Dennoch gibt es Elternhäuser, in denen Erziehung entweder gar nicht stattfindet oder nur sehr unzureichend. Hier ist hin und wieder ein Eingreifen staatlicher Stellen nötig. Kinder brauchen die Verlässlichkeit gefestigter Erwachsener. Wo diese bei den Eltern fehlt, greift die Betreuung staatlicher Stellen, die ausdrücklich die Betreuung der Eltern mit einschließt.

Zu den Programmen zur Stärkung und Betreuung von Familien gehört auch die Vermittlung von Medienkompetenz. In "Elterntalks" werden Lösungen angedacht. Daneben gibt es Informationsmaterial auch im Internet, beispielsweise unter Jugendschutz.net.

Bayern hat den "Jugendschutz-Staatsvertrag", der den Staat verpflichtet, Jugendschutz zu betreiben. Dies tut er u.a. auch durch die Einrichtung von Heimaufsichten in den Regionen Bayerns. Das Landesjugendamt ist zuständig für Sekten und Psychogruppen, und bis zu 1000 Sozialarbeiter sind in diesem Bereich tätig.

Dogmatik in der Esoterik

Dr. Hansjörg Hemminger zog es angesichts vorgerückter Zeit und sehr hoher Temperaturen vor, seinen Vortrag erheblich kürzer zu fassen als ursprünglich geplant. (Zustimmung durch Kopfnicken der Zuhörer)

"Ein festes weltanschauliches Gefüge kontrastiert nicht mit subjektiver Freizügigkeit. Man kann aus eigenem Antrieb individuell sehr dogmatisch sein."

Dogmatik sei nicht nur ein Phänomen in Sekten und Kulten, auch in der Esoterikszene, deren Anhänger sich als Individualisten und frei von religiöser Bevormundung wähnen, könne man diesen Hang zur dogmatischen Rechthaberei beobachten.

Dabei kann man die Esoterik durchaus als eher zeitgeschichtliches Phänomen bezeichnen, das seinen Höhepunkt in den 70er Jahren hatte. Esoteriker sind eher "mystagogisch" denn mystisch, d.h. sie gehen davon aus, dass jedermann den Weg zu den höheren Sphären beschreiten kann, wenn er nur will und sich von erfahrenen Mystikern anleiten lässt.

Denn als Mysterienschule ist die Esoterik eher am Wissen als am Erleben orientiert. Dieses Wissen ist allerdings nicht das streng wissenschaftlich und empirisch nachweisbare Wissen, sondern eher ein Ersatz dafür.

Es handelt sich um ein Wissenssystem mit grundsätzlicher Wissensfunktion und ist von praktischem Nutzen für das Leben und die Gesundheit. Dabei beruft man sich nicht auf wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse, sondern auf die Autorität der esoterischen Wissensvermittler, der Gurus, Schamanen, Meister und Seher sowie der geistlichen Führer. Durch deren Autorität baut die Esoterik eine Wirklichkeit in psycholgischer Hinsicht und eine über den Alltag hinausreichende Welt auf, mit der man in Beziehung treten kann. Erlebnisse der "Ober- und Unterwelten" finden immer innerhalb des vorgegebenen Rahmens durch das esoterische Weltdeutungsmodell statt.

Eigenschaften des esoterischen Wissens

Es eint alle Arten des verfügbaren Wissens.

Es übt Kritik am "herkömmlichen" Wissen und am wissenschaftlich kritikfähigen Denken.

Stattdessen wird das "magische" Wissen propagiert, man fühlt sich beispielsweise gegenüber der Schulmedizin überlegen. Die New-Age-Bewegung übt explizite Kritik an der Wissenschaft.

Zudem gibt es eine Fülle medizinisch besonders wirksamer esoterischer Produkte wie beispielsweise mit Tachyonenergie angereicherte Wohlfühlkissen. Diese und ähnliche Produkte sollen helfen zur:

  • Unterstützung des körperlichen und geistigen Wohlbefindens
  • Harmonisierung von Blockaden bei Körper-Seele-Geist
  • bei der spirituellen Entwicklung
  • zur Erhöhung der Konzentration
  • […]

kurz solche esoterischen Produkte sind gegen Krankheiten, Stress und Müdigkeit, sie unterstützen die spirituelle Verbindung zu Gott.

Esoterik bedeutet also die Vereinheitlichung des Gesamtansatzes der Welterklärung. (Du bist krank? - Dein Karma ist gestört, du musst an deiner Verbindung zu den Göttern arbeiten. Diese Kräuter, Lämpchen, Öle, Kissen etc. unterstützen dich dabei.) Versprechen, die selbst die Moderne nicht einzulösen vermag, werden in Aussicht gestellt.

  • nervöse und rastlose Menschen werden ruhiger
  • die beiden Gehirnhälften können in wenigen Minuten ausbalanciert werden
  • Unruhe und Stress werden viel schneller und leichter bewältigt

Manche versprechen sogar, den Tod besiegen zu können. Das dazu erforderliche universelle Wissen ist im Wochenendseminar erhältlich.

So ist Wissen am Ende gleichbedeutend mit Heilung.

Inhalt esoterischen Wissens

Man geht von einem unpersönlichen und ungeschichtlichen Gottesbild aus. Ziel der esoterischen Bemühungen ist die Entwicklung zum Guten durch Geschehnisse der Innenwelt. Am Ende steht die Unsterblichkeit des Geistes, die Reinkarnation zu immer höherem Bewusstsein. Dieses Bewusstsein steht über der Materie, das persönliche Ergehen gründet im eigenen Unterbewusstsein.

An dieser Stelle enden meine Aufzeichnungen über Hemmingers Ausführungen.