Sonntag, 04.07.10

Scientology in Deutschland und den USA: Gründe für die Unterschiede in der Wahrnehmung und im Umgang mit einer kontroversen Organisation

Dr. Matthias Fifka, Dozent für Internationale Wirtschaft und Politik an der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg, Visiting Professor am Nance College for Business Administration der Cleveland State University. Matthias Fifka stellte zunächst fest, dass allein das Wort Scientology bei den Menschen in Europa und den USA höchst unterschiedliche Assoziationen weckt.

Während man in den USA recht entspannt bei Scientologen als einer Gruppe celebrities um Tom Cruise herum denkt, die ein bisschen wie Aliens wirkten, also etwas strange und mysterious erschienen, sind die Meinungen in Deutschland und dem übrigen Europa weniger entspannt. Hier denkt man bei Scientology zuerst an Begriffe wie Sekte, Gehirnwäsche, an sehr viel Geld und an psychische und emotionale Abhängigkeit.

Zunächst beleuchtete Fifka einige gesellschaftliche Aspekte des europäisch/deutschen und amerikanischen Staats- und Selbstverständnisses:

Die amerikanische Gesellschaft ist von einem starken Liberalismus geprägt.

Der amerikanische Bürger erwartet größtmöglichen Schutz bzw. Freiheit des Individuums gegenüber dem Staat.

Man propagiert und praktiziert die individuelle Selbstbestimmung und Selbstverantwortung, damit aber auch die individuelle "Schuld", wenn diese nicht gelingen.

Amerikaner glauben an die Überlegenheit ihrer Form der Demokratie gegenüber allen anderen Staatsformen; andererseits aber fürchten sie den allzu starken Staat, ja sie misstrauen den staatlichen Institutionen. Sie fürchten die gesellschaftliche Bedrohung eher durch den Staat als durch Individuen.

In Deutschland ist der Glaube an die Selbstbestimmung eher schwach ausgeprägt, hier möchte man den starken Staat, der die soziale Sicherheit garantiert.

Europäer/Deutsche sind gegenüber dem Staat weniger misstrauisch, dafür umso mehr gegenüber den Vertretern der freien Marktwirtschaft, vor deren schwarzen Schafen sie durch den Staat geschützt werden möchten.

Der Staat ist für die Schwachen da. Er garantiert deren Existenz durch Grundeinkommen, welches das Überleben sichert.

Firmen und auch Religionsgemeinschaften dagegen sollten von der Gesellschaft beobachtet werden und bei allzu unsozialem oder manipulativem Treiben durch den Staat in ihre Schranken verwiesen werden.

Laut amerikanischer Verfassung haben alle Bürger das Recht, selbst staatsfeindlichen Organisationen beizutreten.

Der 1. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten (Bill of Rights), ratifiziert am 15. Dezember 1791, besagt:

"Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof; or abridging the freedom of speech, or of the press; or the right of the people peaceably to assemble, and to petition the Government for a redress of grievances."

"Der Kongress darf kein Gesetz erlassen, das die Einrichtung einer Religion betrifft, die freie Religionsausübung verbietet, die Rede- oder Pressefreiheit oder das Recht des Volkes einschränkt, sich friedlich zu versammeln und die Regierung um die Beseitigung von Missständen zu ersuchen."

In den USA liegt also bezüglich der Religionsfreiheit die Betonung auf absoluter Nichteinmischung des Staates in die Angelegenheiten einer Religion.

Deutschland

Der Augsburger Reichs- und Religionsfrieden verfügte vermittels der Formel Cuius regio, eius religio, dass ein Fürst eines Landes berechtigt ist, die Religion für dessen Bewohner vorzugeben; nicht die Bewohner selbst.

1803 wurde die Trennung von Kirche und Staat im sogenannten Reichsdeputaionshauptschluss bestimmt.

In der Weimarer Verfassung wurde diese Trennung fortgeführt und später wurde sie ins Grundgesetz übernommen. Allerdings ist die Trennung von Staat und Kirche hierzulande nicht so strikt. Konkordate und Vereinbarungen staatlicher Institutionen mit den Kirchen sind ausdrücklich festgehalten. Deutschland betrachtet die Kirchen als gesellschaftlich relevante Gruppen, die an der öffentlichen Willensbildung und am gesellschaftlichen Leben regen Anteil nehmen sollen.

Dabei garantiert das Grundgesetz die Glaubens- und Gewissensfreiheit des Bürgers, sowie die Freiheit der Religion und verbietet jegliche Diskriminierung aufgrund von Religionszugehörigkeit.

Rechtlicher Rahmen für Religionen

Religionsgemeinschaften in den USA dürfen keine vorwiegend kommerzielle Tätigkeit ausüben.

Sie dürfen sich nicht selbst bereichern.

Illegale Aktivitäten sind ausgeschlossen.

Es muss eine "Kirchen"lehre vorhanden sein und so etwas wie Geistliche.

Regelmäßige Veranstaltungen sind außerdem Pflicht.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, werden sie als sogenannte religious charities anerkannt und sind von der Einkommens- und Körperschaftssteuer befreit.

In Deutschland müssen Religionen wirklich nach geistigem Gehalt Glaubensgemeinschaften sein.

Sie dürfen sich als Wirtschaftsunternehmen oder Wirtschaftvereine organisieren.

Für die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts gibt es geschriebene und ungeschribene Voraussetzungen und es wird im Einzelfall entschieden.

Zudem ist die Anerkennung bundeweit nicht einheitlich geregelt.

Während in den meisten Bundesländern die Anerkennung als KdöR ein rein formaler Verwaltungsakt ist, stimmt in Ländern wie Bremen und Baden-Württemberg der Souverän, also die Volksvertretung (Bürgerschaft, Landtag) darüber ab.

In den USA hat die Religionsfreiheit eine lange Tradition, sie ist historisch verankert.

Auch existiert dort die vollständige Trennung von Staat und Kirche. Auch sind alle Religionsgemeinschaften rechtlich vollkommen gleichgestellt.

In Deutschland hat die Religionsfreiheit eine vergleichsweise kurze Tradition. Auch ist die Trennung von Kirche und Staat nicht so vollständig, wie in den USA. (s. weiter oben)

In den USA gab es bis um 1830 vornehmlich protestantische Kirchen und Gemeinschaften, nach 1850 kamen dann orthodoxe Christen, Juden und asiatische Religionen hinzu.

Hierzulande war bis 1945 die Glaubenspraxis überwiegend durch die beiden großen Kirchen geprägt.

Hier einige Zahlen:

Heute gibt es in den USA ca. 1500 religiöse Gruppen, mehr als 150 davon haben mehr als 100.000 Mitglieder.

Protestanten stellen mit 51,3% die größte Religion.

Insgesamt sind in den USA mehr als 80% der Einwohner gläubig.

In Deutschland teilen sich die Gläubigen wie folgt auf (Angaben nach REMID):

  • Katholiken (röm.-kath.) - 25.176.517
  • Protestanten (EKD) - 24.832.110
  • Judentum (jüd. Gem.) - 107.330
  • Muslime - 3.500.000
  • Hindus - 975.000
  • Buddhisten  - 245.000

In der Praxis lässt sich konstatieren:

In den USA gibt es große religiöse Vielfalt. Die Zahl kleiner religiöser Gruppen ist unüberschaubar.

Man kann sagen, dort gibt es einen reichhaltigen, bunten Markt der Überzeugungen und jeder Amerikaner sucht sich das Passende für sich aus. Vor allem aber ist nahezu jeder Amrikaner sehr religiös (siehe die Zahlen weiter oben) und misst dem Glauben hohe Bedeutung bei.

In Deutschland gibt es vergleichsweise geringe religiöse Vielfalt, dementsprechend ist die Zahl der religiösen Gemeinschaften auch deutlich kleiner.

Auch spielen Glaube und religiöse Vorstellungen oder Bindungen keine so große Rolle wie in den USA, zudem hat die Bedeutung der Religion im Alltag der Deutschen rapide abgenommen.

Die obenstehende Darstellung der Haltung der Bürger in Beziehung zu ihrem Staat und des Staates in Beziehung zu den Freiheiten seiner Bürger zeigt, dass wir es hier mit sehr konträren Kulturen zu tun haben.

Während in den USA das Misstrauen der Bürger zu ihrem Staat aus historisch gewachsenen Gründen stark ausgeprägt ist, zeigen die Europäer und hier namentlich die Deutschen ein eher starkes Vertrauen in die Institutionen des Staates und hegen starkes Misstrauen in die allzu starken egoistischen Ambitionen von Individuen oder Korporationen, wie beispielsweise großen Firmen, Kirchen oder Glaubensgemeinschaften.

Baut in Europa der Einzelne darauf, dass der Staat hilft, wenn das persönliche Geschick es nicht so gut meint, indem ein lückenloses soziales Netz zur Verfügung steht, das ihn im Bedarfsfall sicher auffängt, glaubt man in Amerika an die Selbsterhaltungskräfte und die daraus erwachsende Verpflichtung zur Eigenverantwortung jedes Einzelnen. Wer es nicht schafft, sich aus eigener Kraft zu versorgen, so die weitverbreitete Meinung und das Grundverständnis, der hat sich einfach nur nicht genügend Mühe gegeben oder ist schlicht zu faul. Ein sehr krasser Unterschied in der Philosophie ganzer Erdteile.

Da der Staat sich nach Meinung der US-Bürger aus den privaten Angelegenheiten seiner Bürger tunlichst heraushalten soll, überlässt er auch die Entscheidung, zu welcher Kirche, Glaubensgemeinschft oder Psycho-Gruppe jemand geht, ganz dem Individuum. Gerät also jemand in die "Fänge" von Scharlatanen oder verliert jemand bei der Suche nach religiöser Erfüllung viel Geld, so sieht der Staat zunächst keinerlei Handlungsbedarf. Es war schließlich die freie Willensentscheidung, sich jener Gruppe anzuschließen, also trägt der Einzelne zunächst selbst die daraus entstehenden Kosequenzen.

In Deutschland erwarten die Bürger, dass der Staat solchen Gemeinschaften, die den Einzelnen materiell übervorteilen, im Zweifelsfall auf die Finger klopft, das kann im Extremfall auf das Verbot einer solchen Gruppe hinauslaufen.

Und genau in diesem Spannungsfeld der so unterschiedlichen Selbst- und Staatsverständnisse bewegen wir uns, wenn wir es mit einer in Europa derart umstrittenen Gruppe wie Scientology zu tun haben. Denn gerade am Beispiel im Umgang des Staates mit Scientology werden die Unterschiede besonders deutlich.

Umgang von Politik und Gesellschaft mit Scientology

In den USA gibt es seit 1979 keine nennenswerte innenpolitische Kontroverse.

Im Gegenteil: Exekutive und Legislative haben Scientology gegenüber dem Ausland wiederholt verteidigt.

In den 90er Jahren gab es kaum eine nennenswerte Kontroverse und nur gelegentlich kritische Berichterstattungen.

Dafür wurde Scientology durch internationale Leitmedien gegenüber Kritikern verteidigt, ja man gestattete Scientology, einen Artikel in der Times zu veröffentlichen.

Nach 2000 hat die Berichterstattung über Scientology deutlich abgenommen. Seither ist die Haltung der Gesellschaft gegenüber Scientology eher indifferent, die Politik zeigt sich neutral und scheut die Auseinandersetzung mit Scientology.

Ganz anders die Situation in Deutschland und Europa.

Hier gibt es eine intensive Auseinandersetzung mit Scientology, besonders in den 90ern. Die Politik steht mehrheitlich sehr kritisch dieser Gemeinschaft gegenüber.
Die Berichterstattung ist vorwiegend negativ. Das Bild, das die Öffentlichkeit von Scientology hat, ist sehr stark durch die Medien geprägt. 69% der befragten Deutschen sprachen sich für ein Verbot Scientologys aus. - Quelle: Die Welt, 2009

Die Politik ist in Sachen Scientology sehr aktiv.

Man setzt sich intensiv mit dieser Kirche auseinander, beobachtet sie durch den Verfassungsschutz.

Aktueller Status quo

In den USA ist Scientology als religious charity seit 1993 anerkannt.

Es gibt von seiten des Staates keinerlei Verbotsbestrebungen.

Mitgliederzahlen:

Scientology selbst gibt die Zahl der Mitglieder in Amerika mit ca. 3,5 Millionen an. (Stand 2007

Andere Quellen nennen folgende Zahlen:

bis 2001 - 55.000
bis 2008 - 25.000

Scientology bedient sich in Deutschland unterschiedlicher Rechtsformen.

Seit 1997 gibt es keine ernsthaften Bestrebungen hinsichtlich eines Verbotsverfahrens.

Mitgliederzahlen:

Scientology selbst gibt die Zahl der Mitglieder in Deutschland wie folgt an:

1995 - 12.000
1998 - bis 30.000
2004 - 12.000

Die Zahlen sind rückläufig.

Für die Zukunft ist ein weiteres Absinken der Mitgliederzahlen zu erwarten. Einige Beobachter sprechen von einer Kursänderung im Verhalten von Scientology:

Man wolle künftig weniger klagen, das in der Vergangeheit gezeigte aggressive Auftreten gegenüber Kritikern habe sich als "schlecht fürs Geschäft" erwiesen, daher wolle man davon Abstand nehmen.

Die modernen Zeiten mit ihren kaum zu kontrollierenden Informationsangeboten seien "Scientologys Vietnam" (Nordhausen und Billerbeck).

Sehr problematisch für Scientology ist folgendes:

  • Kritisches Informationsmaterial ist für jedermann leicht zugänglich.
  • Das Internet schützt nicht geistiges Eigentum. Alles ist jederzeit und fast überall "herunterladbar".
  • Der Dschungel der Kritiker ist schier unüberschaubar.
  • Die Zahl der Kritiker ist inzwischen größer als die der Befürworter.

Ausblick

Die USA streben keine Änderungen des rechtlichen Status von Scientology an.

Ein Verbot ist ausgeschlossen.

In Deutschland hat man Scientology als "Idealverein" anerkannt, die Anerkennung als KdöR sei nicht zu erwarten.

Ein Verbot wegen "verfassungsfeindlicher Bestrebungen" ist nicht wahrscheinlich.

Fifka:

Es wäre auch nicht gerechtfertigt, da Scientology zwar in Wort, nicht aber in Tat verfassungsfeindliche Gesinnungen offenbart. Für ein Verbot aber reicht eine verfassungsfeindliche Gesinnung allein nicht aus.