Für Zeugen Jehovas ist jeder Artikel, der in einer Publikation des Wachtturm-Verlags steht, nicht weniger als "geistige Speise zur rechten Zeit". Dass sie dabei in die Irre geführt werden könnten, scheint den meisten von ihnen völlig unvorstellbar.

Und dass Wachtturm-Autoren sogar ganz offen lügen, halten sie für schlichtweg unmöglich. Folgende Beispiele zeigen jedoch, wie Wachtturm-Artikel gezielt dazu eingesetzt werden, um die Meinung der Leser zu manipulieren.

Ein wichtiger Punkt, den die Zeugen Jehovas glauben sollen besteht darin, daß es eindeutige "Zeichen der Zeit" gibt, die auf das unmittelbar bevorstehende Ende dieses "Systems der Dinge" hinweisen. Seit Jahrzehnten muß dabei auch die "Spanische Grippe" aus dem Jahre 1918 dafür herhalten, um eine dramatische Zunahme von Seuchen zu belegen.

1998 schrieb Erwachet dazu:

Unsere Welt im Wandel - Wohin steuert sie?

In der Zeitschrift Time hieß es kürzlich: "Bis zum Jahr 2000 könnte Aids die größte Epidemie des Jahrhunderts geworden sein noch vor der spanischen Grippe von 1918. Bei jener Seuche kamen 20 Millionen Menschen oder 1% der Weltbevölkerung um - mehr als zweimal soviel, wie Soldaten im Ersten Weltkrieg starben."

Wenn 1% 20.000.000 verkörpern, dann heißt das logischerweise, daß 100% 2.000.000.000 sind. 1918 lebten demnach laut Erwachet 2 Milliarden Menschen auf der Erde.

Am 22.6.1992 schrieb Erwachet zum selben Thema:

Die schlimmste Seuche der Menschheitsgeschichte

Wissenschaftliche Kreise bestätigen immer wieder die schrecklichen Auswirkungen der spanischen Grippe. Wie The New York Times Magazine meldet, starben in den Vereinigten Staaten allein im Oktober 1918 etwa 196.000 Menschen daran. "Bis zum Ende des Winters 1918/19 waren weltweit zwei Milliarden Menschen an der Grippe erkrankt, und 20 bis 40 Millionen waren bereits daran gestorben", schreibt die Zeitschrift. John R. La Montagne, ein Beamter am Bundesinstitut zur Bekämpfung von Allergien und Infektionskrankheiten in Bethesda (Maryland), erklärte, daß die spanische Grippe von 1918 "die Epidemie in der Menschheitsgeschichte gewesen ist, die am meisten Unheil gebracht hat". Zugegeben, im Jahre 1347 brach die Beulenpest (oder der Schwarze Tod) aus und wütete vier Jahre lang. Doch wie es in der Zeitschrift heißt, hat die spanische Grippe "in einem einzigen Jahr so viele Menschen getötet, wie durch den Schwarzen Tod in 4 Jahren dahingerafft wurden".

Lassen wir einmal dahingestellt, ob das Zitat auch stimmt (was in der Wachtturm-Literatur durchaus nicht selbstverständlich ist). Halten wir nur fest, daß sich die Zahl der Erkrankten jetzt schon auf 2 Milliarden erhöht hat. Wenige Monate zuvor war das noch die gesamte Weltbevölkerung.

Am 22.2.1994 schrieb Erwachet:

Kinder - Ein wertvolles Gut oder eine Last?

Dann starben durch Fortschritte in der Medizin und in der Wissenschaft immer weniger Menschen aufgrund von Krankheiten, vor allem aufgrund von Kinderkrankheiten. Etwa um das Jahr 1930 lebten zwei Milliarden Menschen. 1960 kam eine weitere Milliarde hinzu, 1975 noch eine. 1987 gab es dann fünf Milliarden Menschen auf der Erde.

Man bemerke, daß dieses Mal für 1930 von einer Weltbevölkerung von 2 Milliarden ausgegangen wird.

Am 22.1.1995 schrieb Erwachet:

Ist die Kriminalität wirklich so gravierend?

Kaum einer wird bestreiten, daß die vergangenen Jahrzehnte eine Bevölkerungsexplosion gebracht haben. Die Menschheit hat 4.200 Jahre - von der Sintflut bis zum Jahre 1830 - gebraucht, um es auf eine Milliarde zu bringen, aber schon hundert Jahre später (1930) war die zweite Milliarde voll. Die dritte Milliarde wurde in weiteren dreißig Jahren (1960) erreicht und die vierte in fünfzehn Jahren (1975).

Wieder wird davon gesprochen, daß erst 1930 2 Milliarden Menschen auf der Erde lebten - und nicht im Jahre 1918. Mit anderen Worten, man muß äußerst vorsichtig sein, wenn man sein Weltbild auf Aussagen der Wachtturm-Gesellschaft gründet. Denn die Schreiber in Brooklyn scheinen keine Probleme damit zu haben, die Wahrheit ein wenig zu verdrehen, wenn sich damit die "Wahrheit" in ihren Köpfen beweisen läßt.

Wer sich ernsthaft mit dem Thema "Zeichen der Zeit" auseinandersetzen möchte, sollte einmal folgendes Buch lesen:

Carl Olof Jonsson and Wolfgang Herbst "The Sign of the Last Days" A comparison of JW end-time prophecies to historic facts.

ISBN 0 - 914675 - 09 - 5

Der Titel ist bisher leider nur in Englisch erschienen, vermittelt aber hervorragende Einblicke in die Zitierpraxis der Wachtturm-Gesellschaft. Außerdem setzen sich die beiden Autoren auf sehr fundierte Weise mit den sogenannten "Zeichen der Zeit" auseinander, die Zeugen Jehovas veranlassen, noch immer an das nahende Ende dieser Welt zu glauben. Jonsson wurde übrigens für seine Kritik an der "Chronologie" der WTG ausgeschlossen. Für eine Lehre also, der selbst die Wachtturm-Gesellschaft allmählich den Rücken kehrt.