Die Zeiten haben sich geändert. Das Internet sorgt für ein zunehmend kritischeres Bewusstsein unter den Zeugen Jehovas. Negative Geschehnisse lassen sich nicht mehr unter der Decke halten.

Immer mehr Zeugen sind sogar bereit, für ihr Recht vor Gericht zu ziehen. Ein Bericht über die Situation in den USA (Stand Februar 2001).

Juristische Fragen machen dem Wachtturm Sorgen

...und sind offensichtlich der Grund für Änderungen in letzter Zeit

Eine Artikelreihe im Jahre 1999 im Portland Press-Herald (Maine) drehte sich um ein Verfahren wegen sexueller Belästigung, das im Cumberland County Superior Court im Interesse von Bryan Reece, heute Sicherheitsbeamter, gegen Larry Baker angestrengt wurde, der Bryan Reece von 1989-1992 belästigt hatte, während beide Mitglieder des Königreichssaales der Zeugen Jehovas in Portland, Maine, waren. Reece gewann einen Prozess gegen seinen Belästiger mit einem Streitwert von $1 Million Dollar, der jedoch nicht eingefordert wurde, aber der Supreme Court des Bundesstaates Maine wollte nicht zulassen, dass Reece auch die Watchtower Society verklagte, die Älteste unter den Mitgliedern der Zeugen Jehovas ernennt und angeblich auch maßregelt. Der Standpunkt von Reece und seinem Anwalt war, dass Ayers, der Ältester und Stiefvater von Reece war, sowie die Ältesten Patrick LaBreck und Robert Wells und die Hierarchie über ihnen in der Watchtower Society sich alle schuldig gemacht hatten, nicht korrigierend eingegriffen zu haben. Doch Richter Leigh Saufley führte Besorgnisse über die Trennung von Kirche und Staat an, womit er meinte, dass Reece seinen Fall dem U.S. Supreme Court vortragen müsse.

Von großem Interesse in diesem Szenario ist die Tatsache, dass der Erzbischof der Diözese Portland, Maine, einen Schriftsatz zugunsten der Watchtower-Position einreichte. In den vergangenen Jahren musste die katholische Kirche hohe Geldstrafen zahlen, nachdem sie für die sexuellen Übergriffe von Priestern verantwortlich gemacht worden war. Daher ließ die Führung der Watchtower Society einen Seufzer der Erleichterung los, als Rom ihr im Fall Reece zu Hilfe kam, doch sie hat auch gerade hinreichende interne Änderungen vorgenommen, um sich den Anstrich einer weniger hierarchisch strukturierten Organisation zu geben. In einer Hierarchie wird von oben nach unten bestimmt, und die obersten Funktionäre sind verantwortlich für den Immobilienbesitz (z.B. Königreichssälen/Diözesen), die Ernennung und Maßregelung örtlicher Vertreter (Priester/Älteste), im Gegensatz zu versammlungsstrukturierten Organisationen, in denen die Machtkette von unten nach oben verläuft.

Beispiele für solche Wachtturm-Änderungen lassen sich offenkundig aus Berichten ersehen, dass die weltweite leitende Körperschaft der Watchtower Society bestimmt hat, alle, die sich eine lebensrettende Bluttransfusion geben ließen, würden nicht mehr aufgrund der Maßregeln der leitenden Körperschaft der Watchtower Society bestraft, sie würden damit vielmehr selbst die Bindung zur Organisation lösen. Die Forderung der leitenden Körperschaft, dass Ortsversammlungen ihr Zinsen auf Darlehen zum Bau neuer Königreichssäle oder zur Renovierung bestehender zahlten, wurde angeblich auch geändert. Des weiteren hat die deutschsprachige Internet-Website von Stephan Wolf noch unbestätigte Gerüchte gemeldet, die leitende Körperschaft habe eine neue Organisationsstruktur in Erwägung gezogen.

Gemäß der Website soll es die vermittelnden Kreisaufseher entweder nicht mehr geben, oder es werde ihre Anzahl verringert; statt dessen würde es eine Sonderschulung für bestimmte Älteste geben, die an ihre Stelle träten, ständig den Vorsitz über die örtlichen Königreichssäle hätten und direkt dem Brooklyner Hauptquartier der Watchtower Society berichten würden. Dies würde den Anschein einer nicht so totalen hierarchischen Struktur erwecken und die leitende Körperschaft von aller oder zumindest einem großen Teil ihrer jetzigen rechtlichen Verantwortlichkeit befreien, selbst wenn sie in Wirklichkeit ihre Macht über die örtlichen Gruppen stärken würde. Tatsächlich hat die Gesellschaft bereits handverlesene, besonders geschulte Älteste ausgesandt, die "Problemversammlungen" vorstehen sollen, aber ihre Anzahl könnte, wenn nötig, vermehrt werden. Die Moral von Kreisaufsehern ist, so heißt es auch, schon gesunken. Einige sollen sich für mehr Reformen ausgesprochen haben und weniger Zeit im Haus-zu-Haus-Dienst verbringen.

Aus einem weiteren Gesichtswinkel betrachtet, ist ein Schlaglicht auf die Bemühungen der katholischen Kirche, der Watchtower Society und anderer Organisationen über den Fall Reece hinaus geworfen worden. Ein Strom von Berichten über ähnliche Skandale ist auch durch das Internet aus Kalifornien, Kanada, Norwegen und Deutschland bekannt geworden.

Tatsächlich hat das Kirchenprivileg des Beichtgeheimnisses, der Vertraulichkeit unter der verfassungsmäßigen Trennung von Staat und Kirche in den USA, ob für Rom, die Führung in der Weltzentrale der Watchtower Society in Brooklyn, oder für andere Organisationen, ihre Grenzen, und die heute geltenden Gesetze fordern das Melden sexueller Belästigung von Kindern, wenn auch anonym, an Polizei oder Sozialdienste. Sollte der Supreme Court der Vereinigten Staaten gegen Reece oder jemand anderen in einer ähnlichen Situation urteilen, würden die Rechte von Opfern und die Stimme von Gruppen wie Mothers Against Molesters ernsthaft beschnitten. Einige Personen der Versammlung Richmond hatten einen anonymen Antrag an ihre staatliche Abteilung für Kindesmissbrauch im Familienministerium geschickt und darum gebeten, die Kinder in der Versammlung sollten Rat und soziale Beratung erhalten; doch der Antrag war vergeblich.

Die weltweite leitende Körperschaft der Watchtower Society hat auch Sorgen über die Möglichkeit geldlicher Zahlungen hinaus. Das Mitglied der leitenden Körperschaft Ewart (auch als "Edward" bekannt) Chitty trat im Jahre 1980 erst von seinem Posten zurück, nachdem seine homosexuelle Affäre in Brooklyn weit und breit bekannt wurde, und 1984 trat auch das homosexuelle Mitglied der leitenden Körperschaft Leo Greenlees zurück. (Zahlreiche Quellen nennen auch Fred Franz’ Assistenten Roger Scott; eine Fußnote in Apocalypse Delayed von M James Penton; Archiv der Hourglass2 Outpost Website.) Chitty und Greenlees wurden nicht ausgeschlossen (exkommuniziert), sondern es wurde ihnen gestattet, Mitglieder in gutem Ansehen zu bleiben, auch wenn ihnen andere Aufgaben zugeteilt wurden; eine weitere Parallele zu dem, was in ähnlichen Situationen unter den Katholiken geschehen ist. Und im März 1969 verließen sechzig Homosexuelle die Weltzentrale namens Bethel in Brooklyn, doch dann forderte Watchtower-Präsident Nathan Knorr, dass die Sache vertuscht würde.

Bis jetzt haben die meisten bekannten Nachrichtenquellen, darunter zum Beispiel die Associated Press, ABC und CBS, es versäumt, sich dieses Vertuschen im Falle Reece und vieler weiterer Opfer näher anzusehen und es öffentlich zu machen. Vielleicht schätzen sie es als zu heißes Thema selbst für sich ein, sicher, sich Kritik aus Rom, von der Watchtower Society und anderen Machtquellen zuzuziehen. Doch das Thema wird nicht aus dem Gedächtnis schwinden, weil wütende Eltern, Großeltern, Freunde von Opfern und einige der Opfer selbst so entschlossen sind, Alternativwege zu finden, ihre Meinung zu sagen und das erlittene Unrecht in Maine, Missouri und Nevada und weltweit völlig zu öffentlichem Wissen zu machen, bis angemessene Rechtsprechung und ehrliche Korrektive eingerichtet sind.