Die offizielle Antwort der Zeugen Jehovas:

"Jeder Zeuge Jehovas bestimmt selbst über das Ausmaß seiner religiösen Tätigkeiten gemäß seinen Möglichkeiten nach dem biblischen Grundsatz der Freiwilligkeit und der Eigenverantwortlichkeit..."

Er hat nicht gegenüber anderen Menschen oder der Religionsgemeinschaft die Verpflichtung, eine bestimmte Zeit für seine religiösen Aktivitäten einzusetzen oder überhaupt tätig zu sein. Wenn er predigt, verwendet er zur Unterstützung seiner Gespräche nach eigenem Ermessen die Literatur der Religionsgemeinschaft. Diese Literatur, die in der deutschen Zentrale in Selters/Taunus in über 45 Sprachen hergestellt und in über 110 Länder versandt wird, sowie Kassetten und Videos werden kostenlos an Interessenten weitergegeben (Matthäus 10:8).

Das Werk der Zeugen Jehovas wird durch freiwillige Spenden unterhalten. Es werden keine Kollekten durchgeführt, noch sind Pflichtbeiträge oder der Zehnte zu zahlen.

Jeder kann gemäß der Heiligen Schrift das spenden, was er persönlich beschlossen hat (2. Korinther 8:12; 9:7). (http://www.jehovaszeugen.de/fua/gem/mis/default.htm)

Kurz kommentiert

Die Antwort lässt den Leser, der sich mit den Gebräuchen bei den Zeugen Jehovas nicht näher auskennt, vermuten, Eigenverantwortlichkeit und Freiwilligkeit seien gängige Praxis dieser Glaubengemeinschaft.

Literatur wird in der Tat seit mehreren Jahren nicht mehr verkauft, sondern kostenfrei abgegeben. Der Grund liegt in der umsatzsteuerrechtlichen Problematik. Kostenfreie Abgaben religiöser Literatur sind eindeutig umsatzsteuerfrei. Gleichwohl ist sich jeder Zeuge darüber im klaren, dass die Herstellung von Literatur in den letzten Jahren gewiss nicht billiger geworden ist. Er wird seine „freiwilligen Spenden“ also seinem Literaturbedarf anpassen.

Wie verpflichtend ist das Predigen und Spenden sowie die Benutzung der Literatur der Religionsgemeinschaft?

Hat der Zeuge Jehovas wirklich keine Verpflichtung? Gegenüber den Zeugen klingt das anders:
Wenn sie von Haus zu Haus die gute Botschaft von Gottes Königreich predigen, erfüllen sie in erster Linie eine Pflicht gegenüber Gott und Menschen. (Der Wachtturm, 01.02.1984)

Da wir ergebene Diener Jehovas sind, ‘ist uns die Notwendigkeit auferlegt, die gute Botschaft zu verkündigen’. Wir haben den Auftrag, die Königreichsbotschaft zu predigen. Diese Verantwortung haben wir übernommen, als wir uns Gott hingaben. (Vergleiche Lukas 9:23, 24.) Außerdem müssen wir eine Schuld abtragen. Paulus sagte: „Sowohl Griechen als auch Barbaren, sowohl Weisen als Unverständigen bin ich ein Schuldner; daher bin ich, was an mir liegt, voller Eifer, die gute Botschaft auch euch dort in Rom zu verkündigen“ (Römer 1:14, 15). Paulus war insofern ein Schuldner, als er sich seiner Pflicht zu predigen bewußt war, denn nur so konnten Menschen die gute Botschaft hören und gerettet werden (1. Timotheus 1:12-16; 2:3, 4). Er strengte sich daher an, seinem Auftrag nachzukommen und die Schuld gegenüber seinen Mitmenschen abzutragen. Auch wir haben als Christen eine solche Schuld abzutragen. Die Verkündigung des Königreiches gehört außerdem zu den besten Möglichkeiten, unsere Liebe zu Gott, zu seinem Sohn und zu unseren Mitmenschen zu beweisen (Lukas 10:25-28). (Der Wachtturm, 15.09.1996)

Kommen wir zu einem etwas diffizilerem Punkt, dem der Spenden und der Literatur. 1991 wurde das System in Deutschland geändert, seitdem erfolgt die Abgabe von Literatur kostenlos. Doch woher kommt jetzt das Geld?
Wir sind … weder verpflichtet, noch ist es unser Wunsch, Veröffentlichungen wahllos an jeden abzugeben, der sie nehmen würde... Daß die Gesellschaft diese Veröffentlichungen kostenfrei zur Verfügung stellt, bedeutet natürlich nicht, daß mit deren Herstellung und Verteilung keine Kosten verbunden sind… Wieso kann die Gesellschaft ihre Veröffentlichungen kostenfrei zur Verfügung stellen? Die gesamten Kosten des gottesdienstlichen Werkes der Gesellschaft werden durch die Spenden gedeckt, die für das weltweite Werk eingehen. Diese Unterstützung wird in erster Linie von den ergebenen Dienern Jehovas geleistet. Jehovas Zeugen bitten die Öffentlichkeit nicht um Unterstützung ihres äußerst dringenden Werkes der Verkündigung des Königreiches... Doch wenn aufrichtig interessierte und aufgeschlossene Personen, die wir im Predigtdienst antreffen, von sich aus eine freiwillige Spende für das Werk geben möchten, wird dies geschätzt. Wenn ein Wohnungsinhaber von sich aus danach fragt, ist es passend, mit kurzen Worten klar darzulegen, wie unser weltweites biblisches Schulungsprogramm durch freiwillige Spenden unterstützt wird. Alle eingehenden Geldmittel werden verwendet, um die hohen Ausgaben zu bestreiten, die mit der Durchführung des Königreichspredigtwerkes in der heutigen Zeit verbunden sind… Spenden für das weltweite Werk werden niemals erbeten, und es wäre auch unzutreffend zu sagen, daß Veröffentlichungen auf Spendenbasis oder gegen Spenden abgegeben werden. Eine Spende ist keine Voraussetzung oder Bedingung für den Erhalt von Veröffentlichungen. Über Spenden zur Unterstützung des weltweiten Werkes wird nur mit denen gesprochen, die danach fragen oder auf andere Weise Interesse für unser Werk bekunden. Alle Spenden werden zu hundert Prozent verwendet, um dieses weltweite biblische Schulungsprogramm zu unterstützen, da alle freiwillige Mitarbeiter sind und niemand in der Organisation ein Gehalt oder eine Provision erhält. (Unser Königreichsdienst, September 1991)

Natürlich, es muss immer wieder deutlich betont werden, dass Literatur und Spenden nicht voneinander abhängen. Sonst würde auch ein gutmütiger Betriebsprüfer beim Finanzamt sicher Argwohn wittern. Nur ein Monat später verstanden sicher nur die Zeugen Jehovas, aber nicht die Finanzämter die eigentliche Anweisung „zwischen den Zeilen“:
Manche Verkündiger haben sich persönlich vorgenommen, jeweils etwas zu spenden, wenn sie Veröffentlichungen entgegennehmen. Sie tun das, weil ihnen dies als passende Erinnerung ihres Vorrechts und ihrer Verpflichtung dient, das weltweite Werk regelmäßig zu unterstützen, obwohl die Abgabe von Veröffentlichungen nicht von irgendwelchen Spendenbeträgen abhängig ist. (Unser Königreichsdienst, Oktober 1991)

Ganz schlaue Verkündiger wollten ihre eigenen Spenden für Literatur offensichtlich im Predigtdienst „refinanzieren“, so dass wiederum einen Monat später beiläufig als Selbstverständlichkeit festgehalten werden musste:
Alle Spenden, die wir als Gott hingegebene Zeugen Jehovas selbst geben oder die wir im Predigtdienst von anderen Personen erhalten und als „Scherflein der Witwe“ im Königreichssaal in den Spendenkasten zur Förderung des Königreichswerkes einwerfen, tragen dazu bei, die Kosten des weltweiten Predigt- und Lehrwerks zu finanzieren. (Unser Königreichsdienst, November 1991)

Im Klartext: Es hat zwar nichts miteinander zu tun und ist auch nicht Bedingung, aber es wäre passend, etwas zu spenden, wenn Du Literatur in Empfang nimmst. Solltest Du diese Literatur im Predigtdienst abgeben können und dafür eine Spende erhalten, so ist diese nicht Deine, sondern in den Spendenkasten einzuwerfen. Alle Jahre werden Jehovas Zeugen auf folgende Möglichkeiten hingewiesen:
Wie einige das Königreichswerk großzügig unterstützen

FÜR DAS KÖNIGREICHSWERK

Viele legen Geld beiseite oder planen eine bestimmte Summe ein, die sie dann zur Förderung des Königreichswerks in den Spendenkasten einwerfen (Matthäus 24:14). Die Versammlungen leiten diese Spenden regelmäßig weiter.

SCHENKUNGEN

Gelder, die aus freiem Entschluss zur Förderung des Königreichswerks geschenkt werden, können direkt an das Zweigbüro des Landes, in dem der Spender wohnt, gesandt werden. Auch Eigentum, wie zum Beispiel Grundstücke, Schmuck oder andere Wertgegenstände, kann gespendet werden. Bei Spenden sollte immer ein kurzer Brief mitgesandt werden, in dem erklärt wird, dass es sich um eine Schenkung ohne Vorbehalt handelt.

BEDINGTE SCHENKUNGEN

Geld kann unter dem Vorbehalt zur Verfügung gestellt werden, dass es im Fall des persönlichen Bedarfs dem Spender zu Lebzeiten zurückgezahlt wird.

VERSICHERUNGEN

Die Wachtturm-Gesellschaft kann als Begünstigte einer Lebensversicherung eingesetzt werden. In jedem Fall sollte sie davon unterrichtet werden.

TESTAMENTE

Eigentum oder Geld kann der Wachtturm-Gesellschaft durch ein rechtsgültig ausgefertigtes Testament vererbt werden. Eine Kopie des Testaments sollte an das Zweigbüro gesandt werden.

Weitere Informationen in dieser Angelegenheit kann man erhalten, wenn man an das jeweilige Zweigbüro der Zeugen Jehovas schreibt. Die Wachtturm-Gesellschaft hat für Zahlungen auch vorgedruckte Überweisungsformulare für ihr Konto, die auf Anforderung zugesandt werden. (Der Wachtturm, 01.11.2003)

Diese Aufforderung erfolgt schon seit Jahren, nahezu bis absolut wortgleich, im Wachtturm vom 01. November. eines jeden Jahres.

Und wie sieht es mit dem „freiwilligen“ Predigen aus?
Die regelmäßige Beteiligung am Predigtdienst ist ein Zeichen geistiger Stärke. Ist indes jemand schwach im Glauben, so scheitern seine Pläne, er bringt nichts mehr zustande und benötigt Hilfe… Bestimmt sind wir für das Gute dankbar, das uns aus dem regelmäßigen Wirken Jehovas erwächst. Diese Dankbarkeit führt dazu, daß wir uns ähnlich verhalten, indem wir trotz unserer begrenzten Zeit Raum schaffen, Jehova regelmäßig zu dienen, und keinen Monat vergehen lassen, ohne uns auf irgendeine Weise am Predigen der guten Botschaft beteiligt und darüber berichtet zu haben. Wir sollten auch einander helfen, uns regelmäßig am Dienst zu beteiligen, denn Berichte zeigen, daß im vergangenen Jahr in der Bundesrepublik Deutschland und in West-Berlin im Durchschnitt ungefähr 2 bis 3 Verkündiger pro Versammlung im Predigtdienst zunächst unregelmäßig und schließlich untätig geworden sind. Weißt du, falls es in deiner Versammlung solche gibt, wer es ist? Noch wichtiger ist aber, zu wissen, wie man ihnen helfen kann. Vor allem können die Ältesten führend vorangehen, indem sie sie besuchen und möglicherweise einen Dienstamtgehilfen mitnehmen, der danach die liebevolle Hilfeleistung wirkungsvoll fortsetzen könnte. (Unser Königreichsdienst, September 1979)

Der Sekretär [einer der Ältesten, d. Verf.] hat folgende Aufgaben:…

Er hält die Verkündigerberichtskarten der Versammlung auf dem neusten Stand und stellt die Predigtdienstberichte zusammen. Den Versammlungsbuchstudienleitern teilt er mit, wer im Predigtdienst unregelmäßig ist.

Der Dienstaufseher hat folgende Aufgaben:…

Er kümmert sich um unregelmäßige und untätige Verkündiger, die im Versammlungsgebiet wohnen, und ist zusammen mit der Ältestenschaft bemüht, ihnen geistige Hilfe zu bieten, damit sie wiederhergestellt werden. (Gebt acht auf Euch selbst und die ganze Herde, 1991)

Die Unterhirten achten auf Hinweise, die darauf schließen lassen, dass jemand in geistiger Hinsicht schwächer wird. Alle, die Anzeichen von Entmutigung zeigen, die die Zusammenkünfte nicht mehr so regelmäßig besuchen oder die im Predigtdienst nachlassen, benötigen wahrscheinlich geistigen Beistand. Die Ältesten helfen gern allen, die sich bei ihrer äußeren Erscheinung immer mehr nach weltlichen Maßstäben richten oder eine kritische Einstellung zur Versammlung entwickeln. (Unser Königreichsdienst, März 2002)

Die Aufseher der Versammlung sind verpflichtet, die Herde Gottes zu hüten. Dazu gehört, daß sie anderen auf liebevolle Weise Rat und Zucht von Jehova zuteil werden lassen. Die Grundbedeutung des griechischen Wortes für Zucht (paidéia) ist Unterweisung, Ausbildung, ein Prozeß der Erziehung, Züchtigung (Apg. 7:22; 22:3). Es schließt den Gedanken mit ein, daß der Lernende durch Einschränkungen oder berichtigende Maßnahmen veranlaßt werden kann, sich an das Gelernte zu halten. (Gebt acht auf Euch selbst und die ganze Herde, 1991)

Jehovas Zeugen behaupten von ihren Mitgliedern: „Wenn er predigt, verwendet er zur Unterstützung seiner Gespräche nach eigenem Ermessen die Literatur der Religionsgemeinschaft.“ (siehe oben) Wie weit geht das eigene Ermessen?
Sowohl das Predigen von Tür zu Tür als auch das informelle Zeugnisgeben und das Verbreiten von Literatur gehören zum zielstrebigen Dienst. (Unser Königreichsdienst, September 1999)

Im März werden wir das Erkenntnis-Buch anbieten und versuchen, damit Bibelstudien zu beginnen. Gute Vorschläge, wie das Erkenntnis-Buch angeboten werden kann, sind in der Beilage zu Unserem Königreichsdienst für Januar 2002 erschienen. Im April werden wir die Zeitschriften Der Wachtturm und Erwachet! anbieten. (Unser Königreichsdienst, Februar 2003)

Kritische Würdigung

Formaljuristisch gesehen, ist die Antwort, die die Zeugen Jehovas auf ihrer Website geben, nicht zu widerlegen. Dieses liegt nicht zuletzt daran, dass die Zeugen Jehovas in ihren Veröffentlichungen eine Formulierungstaktik zur Perfektion gebracht haben, in denen sie davon sprechen, dass etwas „ratsam sei“, „gewiss sinnvoll ist“, dass „manche etwa sehr vernünftiges taten“ u.v.m. Solche Formulierungen erschließen sich in ihrer vollen Bedeutung nur dem aktiven Zeugen Jehovas, der darin eine Anweisung des göttlichen Mitteilungskanales sieht.

Faktisch werden Zeugen Jehovas, die nicht, wenig oder mit nachlassender Tendenz predigen, von den Ältesten „liebevoll ermahnt“, Zeugendeutsch für „zur Rechenschaft gezogen“. Der Zeuge Jehovas bezieht ZJ-Literatur nicht nach eigenem Ermessen ein, denn es ist das erklärte Ziel der WTG, Heimbibelstudien anhand der ZJ-Literatur durchzuführen.

Warum macht die WTG an dieser Stelle Aussagen zur „Spendenpraxis“, wenn doch nach „Literaturvertrieb“ gefragt ist? Wo besteht der Zusammenhang? Der Leser mag selbst kombinieren…