Am 5. Dezember gegen 24 Uhr wurde auf das Haus der Studienrätin Ursula Meschede in Karlsruhe ein Anschlag verübt. Unbekannte Täter beschmutzten die Fassade mit Altöl und entkamen danach unerkannt.

Das war bereits der zweite Anschlag dieser Art auf ihr Anwesen und in beiden Fällen lässt sich ein auffälliger Zusammenhang mit den Zeugen Jehovas herstellen.

Wer Ursula Meschede kennt, der weiß auch, wie beliebt die engagierte Studienrätin bei ihren Schülern ist. Sie gehört zu den relativ wenigen Pädagogen, die es schaffen, die Generationsgrenzen zu überbrücken und einen "guten Draht" zur heranwachsenden Generation herzustellen. Das drückt sich zum Beispiel darin aus, dass sie auch über den offiziellen Unterricht hinaus Kontakte zu ihren Schülern pflegt, sei es bei gemeinsamen Konzertbesuchen oder einfach nur, um eine Pizza zu essen.

Einer dieser Kontakte war ein junger Zeuge Jehovas. Sein in vieler Hinsicht sonderbares Verhalten machte die Pädagogin so neugierig, dass sie sich Literatur über die Zeugen Jehovas beschaffte, um sich genauestens über deren Lehren und interne Struktur zu informieren. Außerdem nahm sie den Kontakt zu einzelnen Zeugen Jehovas auf und kam auch mit der Aussteiger-Szene in Berührung. Frau Meschede merkte schnell, dass sie es hier mit einer Sekte klassischen Zuschnitts zu tun hatte, einer nach ihrer Ansicht skrupellosen Organisation, die archaische Erziehungsmethoden gutheißt, gegen jede Form höherer Bildung ist und tief in das persönliche Leben ihrer Mitglieder eingreift.

Ursula Meschede gelangte zu der Überzeugung, dass man die Öffentlichkeit darüber aufklären muss, welche Organisation sich hinter den Zeugen Jehovas verbirgt und welchen Schaden sie bei Menschen anrichten kann, die dieser Sekte beitreten. Sie fasste ihre Erkenntnisse zu einer Reihe von Vorträgen zusammen, die sie in Laufe der vergangenen zwei Jahren bei mehreren Veranstaltungen im mittelbadischen Raum hielt. Außerdem engagierte sie sich der in Baden-Württemberg und der Pfalz tätigen Betroffeneninitiative und Selbsthilfegruppe AUS/STIEG e.V.

Bei den Treffen der Initiative lernte Frau Meschede auch Daniela kennen, eine ehemalige Zeugin Jehovas, der sie viele Monate lang eine hilfreiche Ratgeberin war, aber letztendlich doch nicht verhindern konnte, dass die junge Aussteigerin mit dem Leben nicht mehr zurecht kam und sich vor den Zug warf. Die Eltern des Mädchens wohnten in unmittelbarer Nachbarschaft von Frau Meschede und waren mehrmals bei ihr Zu Gast, wobei es zu heftigen Diskussionen kam, die darin gipfelten, dass der Vater Danielas ihr vorwarf, am Tod seiner Tochter mitschuldig zu sein.

Daniela hatte in ihrem Testament verfügt, dass ihr Barvermögen zu einem erheblichen Teil der Initiative AUS/STIEG vererbt werden und für die weitere Sektenaufklärung eingesetzt werden solle. Eine Entscheidung, über die sich der Vater der Toten hinwegsetzen wollte und das gesamte Erbe für sich beanspruchte. Als ihm das natürlich versagt wurde, verlangte er zumindest seinen Pflichtteil und sprach auch Frau Meschede zu diesem Thema an. Die Tatsache, dass seine Tochter mit ihrem Testament und einem Interview in Frau im Leben ihren Eltern die Schuld an ihrer von der Sekte verpfuschten Jugend gegeben hatte, akzeptiert er bis heute noch nicht.

Anlässlich eines Kongresses der Zeugen Jehovas in Karlsruhe im Juli 2000 organisierte AUS/STIEG einen Informationsstand im Zentrum der Stadt, um die Öffentlichkeit über diese Sekte zu informieren, die sich nach außen als harmlose, bibeltreue Glaubensgemeinschaft gibt und von den meisten Menschen unterschätzt wird. Ursula Meschede war mit vollem Einsatz dabei, führte unzählige Gespräche mit Passanten und verteilte Informationsschriften. Eine davon berichtete vom Tod der Zeugen-Jehovas-Aussteigerin aus Karlsruhe. Es war der selbe Kongress, über den auch das Fernsehen berichtete und eine Familie interviewte, die aus der Sekte ausgestiegen war, nachdem es zu sexuellen Übergriffen auf ihre damals 9jährige Tochter gekommen war.

In der Woche nach dem Kongress fand der erste Anschlag auf das Einfamilienhaus von Ursula Meschede statt. Ein Unbekannter hatte Altöl, wie es beim Ölwechsel von Autos entsteht, auf die Fassade geworfen. Mit der tatkräftigen Hilfe liebenswürdiger Nachbarn gelang es Frau Meschede, in stundenlanger Fleißarbeit die Spuren zu beseitigen und ihr Haus wieder im alten Glanz erstrahlen zu lassen.

Die polizeilichen Ermittlungen ergaben, dass es kurze zuvor einen ähnlichen Anschlag gegeben hatte. Und es tauchte in beiden Fällen ein Name auf - der Vater der jungen Aussteigerin, die sich Monate zuvor das Leben genommen hatte. In beiden Fällen waren die Opfer des Anschlags Menschen, die sich den Zeugen Jehovas in den Weg gestellt hatten.

Es kann natürlich Zufall sein, doch Ursula Meschede mag daran nicht recht glauben. Auch wenn sie nicht davon überzeugt ist, dass die ins Visier der Ermittlungen geratene Person wirklich an der Sache beteiligt war, sieht sie dennoch einen Zusammenhang zwischen dem Anschlag auf ihren Besitz und den Zeugen Jehovas. Sie sind die Einzigen, die ihr in den Sinn kommen, wenn sie von der Polizei nach möglichen Feinden befragt wird.

Der erneute Anschlag am 5. Dezember 2000 lief nach genau dem gleichen Schema ab. Wieder tauchte nachts ein Unbekannter auf, versaute die Fassade des schmucken Einfamilienhauses mit Altöl und verschwand umgehend in der Dunkelheit. Wieder fiel in der Vernehmung durch die Polizei der Name Zeugen Jehovas. Und wieder wird sich der Täter wohl nicht ermitteln lassen. Auch wenn sich die Verdachtsmomente immer mehr auf eine Person verdichten, die plausible Gründe für ein derartiges Vorgehen hat und der man ein derart primitives Verhalten auch durchaus zutrauen würde.

Denn auch dieses Mal lässt sich ein ein auffallender Zusammenhang zu den Zeugen Jehovas herstellen. Ursula Meschede hatte sich nämlich vom ersten Anschlag nicht einschüchtern lassen und ihre Vortragsreihe uneingeschränkt fortgesetzt. Erst wenige Tage zuvor war im Schwarzwälder Boten ein Bericht über einen Vortrag von ihr zu lesen, in dem sie schonungslos über die Zeugen Jehovas aufgeklärt hatte. Und für Januar 2001 war bereits die nächste Veranstaltung in Karlsruhe angekündigt, in der es ebenfalls um Anspruch und Wirklichkeit bei den Zeugen Jehovas ging.

Es ist eben leider eine Tatsache: Einer Organisation, die wiederholt in Verbindung mit Scientology und den schlimmsten Sekten dieser Welt genannt wird, und für die alle Menschen in der angeblich kurz bevorstehenden Schlacht Gottes sowieso vernichtet werden, kann man kaum Skrupel zubilligen, was den Umgang mit Kritikern angeht.