Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über den Status der Zeugen Jehovas lässt die begründete Vermutung zu, dass nach dem Richterspruch in Karlsruhe mehr Fragen offen bleiben als das vorher der Fall war.

Die ergänzenden, aber entscheidenden Feststellungen für die Praxis soll wieder das Bundesverwaltungsgericht in Berlin treffen. Dorthin geht das Verfahren zurück. Es wird in der Folgeentscheidung eher zur Vorsicht neigen.

Immerhin ist es schon überraschend, dass eine über die Grundsätze der Verfassung hinausgehende Staatsloyalität von den Zeugen Jehovas nicht verlangt werden könne, wenn es um die Anerkennung als "Körperschaft des öffentlichen Rechts" geht. Dabei handelt es sich um Privilegien, über die natürlich in der Folge grundsätzlich wieder verstärkt diskutiert werden dürfte. Obenan steht die Einziehung der Kirchensteuern.

Die Verfassungsrichter haben mögliche Konflikte mit den "normalen" Gesetzen nicht berücksichtigt. Ins Spiel kommen strenge Maßstäbe, die beispielsweise in dem von den Zeugen Jehovas herausgegebenen Erziehungsbuch niedergeschrieben sind, und das auch noch den Titel "Stock und Rute" trägt. Erziehung mit Schlägen oder Strafe bei Verstößen gegen die Regeln der Glaubensgemeinschaft haben nichts mit unserer offenen Gesellschaft zu tun. Soziale Isolation und Kontaktsperren gegenüber anderen Gruppen wirken befremdlich. Belohnt das nun auch noch der Staat durch besonderen Schutz, für den das Verfassungsgericht sorgt?

Der Stand des Verfahrens ist unbefriedigend. Da ist eine Religionsgemeinschaft, die nach bisherigen Wahrnehmungen eher eine Sekte sein könnte. Ist das nun eine anerkannten Kirche, die gleichzeitig predigt, dass der Staat Bestandteil der Welt des Satans sei? Die Zeugen Jehovas sind zur Nichtteilnahme an Wahlen gehalten. Diese eigene Distanz passt nicht zu dem, was die staatliche Gemeinschaft nach dem Urteil der Verfassungsrichter gewähren soll. Zweifelende Fragen zum Verhältnis zwischen Kirche und Staat hat es generell immer wieder gegeben. Die Rolle der großen Kirchen als wichtiger Bestandteil der Gesellschaft hat lange Bestand. Das könnte nun anders werden. Jedenfalls wird die Zurückhaltung in der Kritik abnehmen, wenn die Privilegien der Kirchen diskutiert werden.

Die 140.000 in Deutschland lebenden Zeugen Jehovas sind vielleicht der Auslöser einer neuen Debatte. Das Problem bilden eher die über drei Millionen Anhänger des Islam. Dessen Vertreter drängen darauf, den christlichen Kirchen möglichst gleich gesetzt zu werden. Es kommt darauf an, wie Bundesverwaltungsgericht und Berliner Senat mit dem noch nicht abgeschlossenen Verfahren weiter umgehen. Das Ergebnis wird nachhaltige Wirkung haben. Wem hier weiter ein Staat mit seinen christlich-abendländischen Grundlagen ein Anliegen ist, muss sich berechtigte Sorgen machen. Es könnte sich mehr als nur "multi-kulti" entwickeln.

Politische Tendenzen, die tradierte Formen wie die Ehe mit ihrem staatlichen Schutzprivileg in Frage stellen, leisten der Trennung von Kirche und Staat Vorschub. Nun kommt juristischer Flankenschutz aus ganz anderer Richtung: Es werden Zweifel genährt, ob die Privilegien der großen Kirchen halten können, wenn zu ihnen demnächst Gemeinschaften gehören, die eigentlich nur Sekten sind.

Quelle: Kölnische Rundschau, Autor: Jost Springensguth