Wernigerode ist eine beschauliche Kleinstadt mit 32.534 Einwohnern (Stand 31.Dez. 2019). Sie wird auch „Die bunte Stadt im Harz“ genannt. So ist es naheliegend, dass sich das Bündnis für Zivilcourage in Wernigerode das Stadtmotto zunutze gemacht und sich „Bündnis Bunter Harz“ genannt haben.
Sie verstehen sich als ein Zusammenschluss gegen rechtsextreme Einstellungen, Gruppierungen und Parteien. Ruth Fiedler und ihre Schwester hatten die Idee und initiierten das Projekt „Bündnis Bunter Harz“ eigens wegen der Anastasia-Bewegung. Aufgebaut hatte es eine bunte Truppe bestehend aus Linke, Grünen und unparteilichen Menschen. Das „ Bündnis Bunter Harz ist ein über- und außerparteiliches Team. Und bei den Coronademonstrationen im Harzkreis bietet sie einen Gegenpol. Am 19.04.2021 habe ich sie bei ihrer Aktion begleitet. Davon möchte ich hier erzählen, aber erstmal kurz zur Anastasia-Bewegung.
Leider sind rechtsextreme Strukturen schon seit der Wende, und ich denke auch schon vorher, im Harz stark verankert. Immer wieder kam es zu offenen Auftritten von Neonazis und später bildete sich die Identitäre Bewegung Wernigerode, die sich teilweise aus den gleichen Akteuren rekrutierten. Seit die AfD als zweitstärkste Kraft in den Landtag von Sachsen-Anhalt einzog, hat sich die gesellschaftliche Lage verändert. Rechte Parolen sind salonfähig geworden und reichen bis in die Mitte der Gesellschaft. Das Resultat sind immer offener auftretende rechtsextreme Gruppierungen, wie die völkischen Siedler und Siedlerinnen. Die Anastasia-Bewegung, die sich „Weda Elysia“ nennt, residiert in dem 800 Seelen Dörfchen Wienrode und erfreut sich zunehmend offener Zustimmung in der Bevölkerung. Die „Weda Elysia“ soll nach ersten Erkenntnissen mit den Reichsbürgern, der Identitären Bewegung und einigen anderen rechten Bewegungen sympathisieren. Ich erlebte sie am 29.09.2020 in Quedlinburg, auf der Lesung von Andreas Speit zu seinem Buch „Völkische Landnahme“. Gefühlt waren ¾ der Teilnehmer von „Weda Elysia“ und / oder rechtsgesinnte Menschen. Jeder der Anwesenden hatte seine Rolle, die er abspulte, um die Lesung zu stören und um die anderen Teilnehmer einzuschüchtern. Sogar der sogenannte Volkslehrer, Nikolai Max Nerling, war anwesend und filmte das Schauspiel.
In Wienrode hat Weda Elysia anfangs die leerstehende Dorfschänke käuflich erworben und ist fleißig dabei noch weitere Grundstücke zu kaufen, oder wie es die Bewegung ausdrückt: „Grundstücke in Obhut nehmen“. Laut der Webseite von Weda Elysia konnten weitere Grundstücke „freigekauft“ werden. Und im März 2020 wurde das erste Stück einer Familie aus ihrer Gruppierung übergeben. So kauft die Gruppe immer mehr Grundstücke und kesselt die Dorfbewohner immer weiter ein. Der Ortsvorsteher schaut nicht nur tatenlos zu, er freut sich sogar über diese Entwicklungen.
Die Anastasia- Bewegung stützt sich auf die Bücher „Die klingenden Zedern Russlands“ von Wladimir Megre, ein russischer Geschäftsmann, der laut seinen Angaben zu Anastasia, einer Schamanin, die als Einsiedlerin in der Taiga lebt, Kontakt. Eine ihrer Botschaften, die sie angeblich Megre übermittelt hat, vom 20. März 2021 betrifft das Coronavirus.
„Was die Leute das Coronavirus nennen, Wladimir, ist nichts weiter als eine lebendige Denksubstanz. Sie wird über die Energie des Denkprozesses geschaffen, gestartet und gehorcht ihr. Sie wird zu einem Dialog mit der Menschheit in der Sprache der Handlungen führen.“
Weiter heißt es:
Wladimir Megre, schaue Dir diese Situation genau an! Diese unsichtbaren Kreaturen haben Menschen auf der ganzen Welt gezwungen, ihre oft schädlichen Produktion einzustellen, sich in ihren Häusern zu isolieren, über ihre Zukunft, die Zukunft der gesamten Menschheit nachzudenken.
So ist es nicht verwunderlich, dass die Anastasia-Bewegung oft bei den Coronademos zugegen ist. Am 19.04.2021, in Wernigerode, war die Bewegung nach meinem Kenntnisstand nicht dabei. Aber die Identitäre Bewegung, offen bekennende Neonazis, Coronaleugner und viele andere Schwurbler, die der Meinung sind, wir würden in einer Diktatur leben und von der Regierung unterdrückt. Ich war schon eine Stunde früher da, um mich etwas umzuschauen. Die Polizei war gerade dabei, sich zu besprechen.
Pünktlich um 19 Uhr ging es los. Es waren zahlreiche Demonstranten gekommen. Unter ihnen stadtbekannte offene Neonazis, die Identitäre Bewegung von Wernigerode, Querdenken, Coronaleugner, man kann sagen Schwurbler aller Couleur. Es waren zwar nicht so viele Menschen wie am 22.04.2021 in Berlin, aber mir wurde gesagt, dass sich die Zahl der Teilnehmer über den Winter verdoppelt hat. Und dass die Wernigeröder Demonstranten die Polizei gleichwohl beschäftigen kann bewiesen sie am 3. Mai 2021.
Die Polizeibeamten standen während der Veranstaltung an 4 Seiten um uns herum und auch zwischen uns und den Demonstranten. Einige der Teilnehmer kamen zu uns rüber um zu diskutieren, dabei waren sie sehr arrogant und teilweise aggressiv.
Natürlich wurde auch die Reichsflagge geschwenkt. Unsere Gruppe machte die Demonstranten darauf aufmerksam, denn wir wollten ja nicht, dass jemand unwissentlich mit Rechten demonstriert. Aber wir wurden gleich aufgeklärt, dass die Reichsflagge zum einen nicht verboten ist und außerdem den Frieden symbolisiert. Am 01.10.2020 wurde in Niedersachsen ein Erlass an die Verwaltungsbehörden und die Polizei herausgegeben, welcher das Schwenken der Reichsflagge verbietet. Der Niedersächsische Minister für Inneres und Sport, Boris Ristorius ( SPD) sagte dazu:
Wer diese Flaggen öffentlich schwenkt, zeigt damit eine verfassungsfeindliche Haltung. Diese Flaggen sind Symbole für rechtsextremistische Einstellungen und Ausländerfeindlichkeit. Sie stehen für eine offene Ablehnung der Grundsätze, auf denen unsere Demokratie und unser gesellschaftliches Zusammenleben beruht. Mit diesem Erlass gehen wir entschieden dagegen vor, schaffen Rechtssicherheit und machen den Weg frei für ein leichteres Verbot dieser Flaggen.
Bremen und Rheinland-Pfalz haben nachgezogen und in Bayern gibt es auch schon Pläne ein Verbot der Reichskriegsflagge einzuführen. Lieber spät als nie, aber was ist mit Sachsen-Anhalt, wo die AfD als zweit stärkste Fraktion in den Landtag ziehen konnte?
Der MDR berichtete am 13. November 2020 zwar, dass über ein Verbot dieser Flagge gesprochen wurde, aber bis heute ist dieses Symbol in Sachsen-Anhalt nicht verboten.
Wie kommt man jetzt darauf, mit Rechtsextremen gemeinsam zu demonstrieren. Eine Erklärung bekam Ruth Fiedler von einem Teilnehmer der Hygienedemonstration. Ein Mann kam auf sie zu und erklärte ihr, dass er früher in Wernigerode auf Demonstrationen gegen rechts gekämpft hat. Aber in Zeiten wie diesen, wo eine Diktatur eingeführt wird, ist der Schulterschluss mit den Nazis zwingend nötig. Wir alle zusammen, gegen die Diktatur. Wow, da hat jemand grundlegend nicht verstanden welche Regierungsform im 3. Reich vorgeherrscht hat. Um fair zu bleiben, ich habe nicht mit jedem auf der Demo gesprochen und kann somit nicht sagen ob jeder der Teilnehmer so denkt. Was ich allerdings sagen kann, dass alle es stillschweigend hingenommen haben. Ich bin mir sehr sicher, dass ich Ruth Fiedler bald wieder auf ihren Demos begleiten werde.
Ich möchte Euch noch den Podcast #30 und #30,1 von Secta.fm empfehlen. Fabian interviewt in diesen Folgen den Sektenbeauftragten Matthias Pöhlmann zum Thema „Anastasia-Bewegung“.
Quellen und Empfehlungen:
secta.fm: #30.1 Bonus: Interview mit Matthias Pöhlmann
secta.fm: #30 Anastasia-Bewegung
wikipedia: Wernigerode
Volksstimme: Polizei erstattet 80 Anzeigen nach Demo-Stopp in Wernigerode
Braunschweiger Zeitung: Pfarrer und Linke Ziel mutmaßlicher rechter Attacke
Hallespektrum: “Völkische Landnahme. Alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos”: Lesung mit Andreas Speit
Weda Elysia: Unsere Gärtnerhof-Kleinsiedlung entsteht
Volksstimme: Corona-Proteste im Harz
Volksstimme: Von Aufklärung und Verharmlosung
Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport: Neuer Erlass des Innenministeriums: Polizei und Verwaltungsbehörden können das Schwenken von Reichs- und Reichskriegsflaggen in der Öffentlichkeit unterbinden
taz: Die Fahne der Bösen
Weitere Bilder von der Demo: