Einleitung: Ein Prozeß in Paris

Im Jahre 1996 wurde ich von der Neuen Akropolis (im folgenden NA) zusammen mit meinen Interviewern wegen eines Interviews verklagt, das ich dem französischen TV-Sender Canal Plus gegeben hatte. Das Interview war Teil einer Sendung, die den Eindruck vermittelte, die Sekte trage nationalsozialistische und paramilitärische Züge. Überraschend genug war, daß bei solch einem bedeutenden TV-Kanal keine Verteidigung vorbereitet worden war.

Frühjahr 1997, ein kleiner Raum in einem Pariser Gericht. Der temperamentvolle Anwalt der NA rechtfertigt die Aktionen der NA, indem er sagt: "Le double langage fait parti de l'école ésoterique" ("Doppeldeutige Sprache ist ein Teil jeder esoterischen Schule"). Er zeigt den Richtern -- die so schläfrig waren, daß sie oft die Augen schlossen -- ein Bild des Großmeisters der Loge Grand Orient von Frankreich, der vor riesigen Faszes [Anmerk.d.Übers.: Rutenbündel mit Beil als Zeichen altrömischer Herrschermacht] posiert, um zu zeigen, wie ein "Initiationszentrum" wie die NA ebenfalls das Recht auf ihren eigenen Symbolismus hat. Er erwähnt auch, wie in französischen öffentlichen Schulen ein Gruß in römischem Stil verwendet wird; eine unangebrachte Feststellung, wenn es nicht stimmte, daß die NA denselben Gruß verwendet, etwas, das die Organisation zumindest für Italien abstreitet.

Das Urteil wurde am 2. Juli verkündet.

"Das Phänomen des Wachstums von Sekten und die Gefahr, die einige von ihnen darstellen, rechtfertigen wohl [...] das Sammeln von Informationen über die Operation" der NA, und so wird in dem Urteil für Recht erkannt, daß Journalisten das Recht hatten, von dem parlamentarischen Bericht Gebrauch zu machen, der von dem "Doppelgesicht der Gruppe nach außen und nach innen" sprach. Das Gericht stellte fest, daß die "Dokumente im Besitz der Journalisten auch die Verwendung von Zeichen und Symbolen offenbarten, die eine besorgniserregende Ähnlichkeit mit solchen aufwiesen, die in der neueren Vergangenheit vom Nationalsozialismus und seinen Verbündeten verwendet wurden (das Beil; das S von "Sicherheit, Dienst [service], Stille, Geheimnis [secret]"; der zum Gruß erhobene Arm ...). In dem Urteil wurde die Existenz von Dokumenten anerkannt, die "nur für den internen Gebrauch gedacht" waren, besonders das Führungshandbuch.

Die Richter stellten zwar ausdrücklich fest, daß "dieses Gericht nicht kompetent ist, zu einer Auffassung bezüglich der Richtigkeit oder Unrichtigkeit" der Beschuldigungen gegen die NA zu gelangen, es verurteilte die Journalisten aber dennoch, weil sie nur auf Kritiker der NA gehört hatten und die NA-Zentrale in Paris mit versteckter Kamera betreten hatten. Ohne weitere Erklärung wurde ich gleichfalls "in solidum" verurteilt, obwohl man mich wohl kaum für die Entscheidungen des TV-Kanals verantwortlich machen konnte.

Im Grunde genommen wurden hier die Methoden der Journalisten verurteilt; es wird kein Urteil über meine Aussagen oder über die NA abgegeben.

Am 13. März 1998 wurde dieses Urteil vom Pariser Berufungsgericht aufgehoben, das erkannte, daß die Beschuldigung so vage aufgesetzt war, daß jede Verteidigung unmöglich war.


Die CESNUR-Seite über die Neue Akropolis

Der Prozeß in Paris hatte eine unerwartete Folge. Im März 1998 fand ich im Internet ein Dokument, das mich nicht nur als "Abtrünnigen" bezeichnete, das auch die folgenden Aussagen enthielt:

"Abtrünnige hatten eine Schlüsselrolle bei der Brandmarkung der Neuen Akropolis als einer 'faschistischen' Gruppe. Herausragend war dabei Miguel Martinez, ein ehemaliger Führer der Neuen Akropolis in Italien. Am 2. Juli 1997 verloren Martinez und der französische Sender Canal Plus vor einem Pariser Gericht einen Zivilprozeß wegen Verleumdung, weil sie behauptet hatten -- gemäß dem Gericht ohne Beweise --, daß die Neue Akropolis den Nationalsozialismus und das pronazistische französische Vichy-Regime unterstützte."

Meine vorhin zu dem Urteil getroffenen Bemerkungen zeigen eindeutig, daß das Pariser Gericht genau das eben nicht sagte.

Das Problem mit diesem Dokument ist, daß es keine polemische Erwiderung der NA war. Diese Feststellungen erscheinen in einer nach eigenem Anspruch "wissenschaftlichen Studie".

Das Dokument war der Bericht von einem italienischen Rechtsanwalt, Massimo Introvigne, dem Gründer und Leiter von CESNUR (Zentrum für Studien über neue Religionen), eingereicht bei der Jahresversammlung der Amerikanischen Akademie für Religionen in San Francisco am 23. November 1997.


Erbärmliche Gelehrsamkeit oder schlechter Glaube?

Bibliographien sind gewöhnlich am Ende einer Untersuchung zu finden; doch Introvigne entschloß sich offenbar dazu, seinem Text einen wissenschaftlichen Anstrich zu verleihen, indem er Dutzende von Büchern bereits zu Beginn aufführte (und keines dieser Bücher hat irgend etwas mit dem Thema der Studie, der Neuen Akropolis, zu tun).

Das Dokument betrachtete drei Kategorien von Leuten, die eine Sekte verlassen: Überläufer, gewöhnliche Abgänger und Abtrünnige. Diese Begriffe werden in einer höchst wertenden Art erklärt: Gemäß Introvigne ist ein "Überläufer" nicht in der Lage, nach den angeblich hohen Maßstäben der Gruppe, der er angehört, zu leben, wohingegen der Abtrünnige ein "professioneller Feind" [sic] ist, "der den Anspruch erhebt, entronnen zu sein", und der daher die Gruppe so darstellen muß, als sei sie ein Gefängnis.

An dieser Stelle stellt Introvigne die "posttheosophische" Gruppe Neue Akropolis vor.

Ihr Vertrauen auf die griechische Philosophie schließt eine gewisse Kritik an der heutigen Demokratie mit ein. Eine Anzahl früher Schriften aus den 1960er Jahren sind als antidemokratisch interpretiert und in die Nähe des lateinamerikanischen Rechtsextremismus gerückt worden. Diese Texte sind erheblich kontrovers. Gemäß der Neuen Akropolis sind einige davon Fälschungen von Gegnern oder mangelhafte Übersetzungen aus dem ursprünglichen Spanisch. Andere Texte, deren Authentizität nie angezweifelt wurde, verurteilen unmißverständlich den Faschismus und -- neueren Datums -- die Front National in Frankreich.

Obwohl es in meinen Ausführungen keinesfalls um die NA gehen soll, sollen doch ein paar Anmerkungen die Methoden Introvignes verstehen helfen.

Zuallererst führt Introvigne nicht an, welche Schriften kontrovers sind. Diese Tatsache wird wohl jedem Leser, der den Hintergrund nicht kennt, entgehen: Er vermeidet es, genau zu sein, weil auch die Neue Akropolis es vermeidet, genau zu sein. Jedesmal, wenn die Neue Akropolis mit Zitaten in der Presse und in Büchern konfrontiert wurde, hat die Organisation immer sehr vage geantwortet.

Das kontroverseste Dokument -- das Führungshandbuch -- gehört nicht zu der "Anzahl früher Schriften"; es stellt mehr oder weniger die Verfassung der Organisation dar. Vor einer Kommission des belgischen Parlaments beantwortete der Direktor der NA in Belgien, Fernando Fígares, Fragen zu diesem Text wie folgt: "Es gehört nicht der NA, auch wenn es aus unseren Archiven gestohlen wurde". Das war schon eine recht bizarre Erklärung. Doch Sekunden später sagte er, "man könne der Feststellung unseres Gründers, des angeblichen Autors, zustimmen, der sagte, es seien die Notizen eines Studenten in Uruguay im Jahre 1969." Kurz darauf machte Fígares einen weiteren Salto rückwärts, indem er behauptete, das Dokument sei "aus unseren Archiven gestohlen worden", wo "wir natürlich Dokumente von Leuten aufbewahren, die uns kritisiert oder angegriffen haben" (Fernando Fígares, 12. Dezember 1996, Anhörung vor der belgischen Untersuchungskommission über Sekten). Auf einer Pressekonferenz in Lyon, Frankreich, hatte andererseits der Gründer der NA, Livraga, gesagt, das seien tatsächlich seine Worte, aber sie seien im Verlaufe der Übersetzung "verzerrt" worden (diese Version wurde in dem Gemeinschaftswerk von Introvigne und Antoine Faivre, "Pour en finir avec les 'sectes'", angeführt). Introvigne sagt dazu, "erheblicher Streit" umgebe diese Texte; selbst die Führung der Neuen Akropolis scheine unfähig zu sein, sich darauf zu verständigen, ob der Text durch den Führer der Organisation diktiert worden sei, eine Fälschung von "Antisektenbewegungen" sei und in den Unterlagen der NA aufbewahrt werde (wo er gestohlen wurde, da die Fälscher offenbar ihr eigenes Exemplar verloren hatten), oder ob es eine Fehlübersetzung sei (als ob Livragas sehr deutliches und einfaches Spanisch bei der Übersetzung ins Französische so sehr gelitten hätte).

Ein weiteres "kontroverses" Dokument, Das politische Ideal, wurde in den letzten Jahren der 60er Jahre geschrieben, aber es wurde zur rechtlichen Registrierung in Belgien erst 1983 eingereicht. Der bedeutende NA-Führer Javier Escribano schrieb, es sei der Schlüssel dazu, ein "wahrer Anhänger der Akropolis" zu werden. In der Schweizer Zeitschrift Gauche Hebdo(Nr. 30/31, 25. Juli 1996) sagt der Sektenkritiker Claude Cantini:

Im Verlaufe unserer Zusammenkunft in Lausanne am 20. Juni 1996 räumte Monsieur B. [Buisson, Direktor des Schweizer Zweiges der Neuen Akropolis] ein, daß das "Führungshandbuch" zwar nicht gänzlich das Werk des Gründers der Neuen Akropolis, J.-A. Livraga, sei, daß ihm aber sicher Das politische Ideal zugeschrieben werden müsse.

Ohne Das politische Ideal zu erwähnen,, verabschiedete der Schweizer Zweig der NA im Jahre 1997 eine "Resolution", in der es hieß, daß der "Text, der als Führungshandbuch bezeichnet wird [], kein offizielles Dokument der internationalen Organisation Neue Akropolis" sei (in Bilan 1997: Association Nouvelle Acropole Suisse, Seite 10). Nicht falsch, aber eben "nicht offiziell".

Soweit als Introvignes Erwähnung der "griechischen Philosophie" betroffen ist, bezieht sich das Politische Ideal einige Male oberflächlich auf Platons Höhlenmythos; im Führungshandbuch gibt es jedoch keinerlei Bezüge auf die griechische Philosophie.

In keinem Fall erhebt eines dieser Dokumente einen philosophischen Anspruch: es sind beides Leitlinien für die praktische politische Arbeit.

Da Introvigne diese Tatsachen ignoriert, hätte er in der Sache besser still sein sollen.

Es soll auch nicht unerwähnt bleiben, wie Introvigne "gewisse" Dokumente (er sagt nie genau, welche), die eine "beträchtliche Kontroverse" umgibt, mit den offensichtlichen Plattheiten der NA über die Demokratie vergleicht, die natürlich von der NA selbst nie in Frage gestellt wurden. Man entkommt nur schwer dem Empfinden, daß Introvigne die Bedeutung des Materials, über das er spricht, vorsätzlich herunterspielt.

Soweit wir sehen können, bestand die Lösung des unangenehmen Problems mit diesen beiden Texten immer darin, das Thema zu vermeiden. Dies ist im Falle einer Organisation recht verständlich, die ihren guten Ruf bewahren muß und gleichzeitig auch nicht die Grundlehren des eigenen Gründers ablehnen will.

Ein Wissenschaftler könnte die soziale Dynamik hinter solch einem Widerspruch erforschen; er könnte auch die Texte analysieren. Introvigne andererseits käut nur die reichlich lächerliche offizielle Version der Organisation wieder. Wir hoffen, der Grund dafür ist allein Trägheit.

Was aber noch überraschender ist: Introvigne scheint später zu sagen, daß das Urteil des Pariser Gerichts beweise, daß gewisse angebliche NA-Dokumente gefälscht seien. Offensichtlich hat er aber das Urteil nicht gelesen. Dies ist das einzige Gerichtsurteil, das Introvigne in seinem Text erwähnt, und die einzige Anklage gegen die NA bezieht sich auf die "kontroversen" Dokumente der Gruppe. So fällt es schwer, Introvignes Feststellung: "Tatsächlich haben, wie früher erwähnt, Gerichtsurteile bestätigt, daß einige der Beschuldigungen falsch waren", anders zu interpretieren.

Abtrünnige mit Verbindung zu Antisektenbewegungen wie Miguel Martinez rühmen sich gelegentlich dessen, daß ihre Öffentlichkeitsarbeit als entscheidender Faktor für einen Rückgang der Mitgliederzahl der Neuen Akropolis in Frankreich verantwortlich sei.

Introvigne konstruiert seine Sätze sehr vorsichtig -- er weiß, daß ich nie eine solche Behauptung aufgestellt habe (und nicht einmal diesen Gedanken hatte), aber der Leser wird zu dem Glauben verführt, ich hätte es getan. Im übrigen war mein einziger Kommentar, der das Vichy-Regime mit der NA in Verbindung brachte, eine beiläufige Bemerkung über die äußerliche Ähnlichkeit zwischen den beide Male verwendeten Symbolen.

Im Jahre 1997 übergab die Neue Akropolis in Frankreich -- in einer einzigartigen Vertrauensgeste -- ihre Mitgliederliste CESNUR, damit diese Organisation eine Untersuchung über Personen durchführen könnte, die die NA verlassen haben.

Diese Untersuchung, zu der keine unabhängige Dokumentation existiert, sollte per Brief durchgeführt werden (im übrigen widerlegt die Umfrage zumindest die Behauptung der NA, 10.000 Mitglieder in Frankreich zu haben: die zehn Jahre Aktenmaterial, die CESNUR angeblich untersucht hat, beinhalten nur 530 Personen).

Die Untersuchung befaßt sich nicht mit dem entscheidenden Element einer hierarchischen Organisation, mit ihrer "Zwiebelschalenstruktur" geheimer Niveaus: die meisten Leute, die einer solchen Struktur beitreten und sie wieder verlassen, haben offenbar eine angenehme und oberflächliche Vorstellung von ihr. Diese Leute haben kein klares Bild von den eigentlichen Zielen der Organisation oder selbst ihren internen Praktiken.

Die Umfrage geht nur oberflächlich auf die Eindrücke der Exmitglieder ein, nicht auf kontroverse Fakten über die Organisation. Weil die NA einen "faschistischen" Ruf hat, waren die Beschuldigungen immer politischer oder ideologischer Natur, nicht -- wie bei anderen Sekten -- darauf gegründet, wie die einzelnen Mitglieder behandelt werden. Bei Scientology drehen sich Schlüsselfragen vielleicht um das Maß an Druck, der auf die Mitglieder ausgeübt wird, im Falle der NA lauten die Schlüsselfragen aber: Stimmt es, daß die Organisation völlig hierarchisch ist? Verwendet sie Uniformen, die denen der Nazis ähneln? Verwendet sie oben erwähnte "kontroverse" Texte? Hat sie eine interne Organisation, das "Sicherheitscorps", wo während der Zeremonien schwarze Hemden getragen werden? Anders als bei Fragen bei vielen anderen Sekten handelt es sich um einfache Ja-oder-Nein-Fragen, und es sind die einzigen, die die allgemeine Öffentlichkeit interessieren. Introvignes Umfrage stellt keine weiteren Fragen.

Als ehemaliges Mitglied der Neuen Akropolis finde ich es ganz offensichtlich, daß die meisten "Abgänger" einen positiven Eindruck von der Organisation haben. Schließlich war es ja unser Job, Leute zu verführen und ihnen ein Gefühl von Glücklichsein zu vermitteln. Werbefeldzüge sollen wohl kaum einen schlechten Eindruck vermitteln.

Jeder, der zu einem Autoverkäufer geht, sieht sich die Anzeigen an, trifft den Händler persönlich und hat vielleicht einen ausgezeichneten Eindruck von seinem Besuch. Ein Auto zu kaufen oder es im Alltagsleben zu verwenden sind allerdinges zwei Paar Schuhe.

Die Fragen führen in die Irre. Introvigne führt bestimmte Antworten als typisch für die auf, die er "Abtrünnige" nennt. Auch mich bezeichnet er als "Abtrünnigen" (tatsächlich bin ich der einzige "Abtrünnige", den er beim Namen nennt). Doch aus verschiedenen Gründen, auf die ich hier nicht eingehen will, hätte ich seine Fragen ganz anders beantwortet als seine sogenannten "Abtrünnigen".

Er bemerkt, daß die negativsten Antworten von den Personen kommen, die in Berührung mit von ihm so genannten "Antisektenbewegungen" waren, und genau diese Leute qualifiziert er als Abtrünnige ab. Introvigne behauptet, diese Leute seien "beeinflußt" oder "überredet" worden, gegenüber der Neuen Akropolis "kritisch eingestellt" zu sein.

Das ist eine Umkehr dessen, was eigentlich vor sich geht. Ich kenne einen ehemaligen "Akropolitaner", auf den eine "Antisektenbewegung" zuging. Wer von sich aus eine kritische Haltung eingenommen hat, wird natürlich später auf eine Antisektenorganisation zugehen. Eine interessantere Tatsache, die aus Introvignes Umfrage hervorgeht, ist, daß die Gruppe "feindselig" eingestellter Personen hauptsächlich aus Verheirateten und die "zufriedene" Gruppe aus Unverheirateten besteht: die Nähe zu einem vertrauten Menschen (vielleicht einem Freund oder Angehörigen), der nicht zur Organisation gehört, spielt eindeutig eine wichtige Rolle dabei, die Isolation eines Sektenmitgliedes zu zerbrechen und ihn seine Erfahrung widerspiegeln zu lassen. Doch darauf geht Introvigne nicht ein.

Merkwürdigerweise führt er als Zeichen von "feindseliger Einstellung" die Vorstellung auf, die Neue Akropokis sei eine "religiöse Bewegung". Die NA selbst behauptet das nicht für sich; doch Introvigne ist standhafter Unterstützer der religiösen Natur einer jeden Organisation, die behauptet, eine Religion zu sein, wohingegen Sektenkritiker sagen, das ganze Thema sei irrelevant: totalitäre Sekten mögen politisch, therapeutisch oder kommerziell sein und auch religiös.

"Religion" ist etwas, für das es keine objektive Definition gibt oder geben kann: man kann den Definitionsrahmen erweitern oder verkleinern, um ganz nach Belieben darin Gruppen aufzunehmen oder nicht. Tatsächlich beschuldigt Introvigne in seinem Aufsatz Libertà religiosa, sette e diritto di persecuzione (Cristianità, Piacenza, Italien, 1996) das französische Parlament, zu "behaupten, ein Problem zu lösen, das schon seit mindestens hundert Jahren Religionssoziologen und -historiker beschäftigt, nämlich zu definieren, was eine Religion ist" (Seite 99). Die einzige objektive Wirklichkeit dabei ist, daß mit der Anerkennung als Religion bestimmte rechtliche und soziale Folgen einhergehen.

Nehmen wir einmal die katholische Kirche, bei der außer Frage steht, daß es sich um eine "Religion" handelt: sowohl die NA wie auch Scientology stehen beide gleich weit von ihr entfernt -- beide haben "Weltanschauungen" (die NA hat mehr "Theologie" und weniger "Geschäft" als Scientology). Doch die NA wurde in Lateinamerika gegründet, wo weder Katholiken noch Antiklerikale "neue Religionen" mögen; Scientology wurde in den USA geboren, wo es sozial akzeptabel ist, zu irgendeiner "Religion" zu gehören.

Introvigne generalisiert dann die Ergebnisse dieses speziellen Punktes in der Umfrage. Das ist ganz ungerechtfertigt: die NA ist eine Gruppe mittlerer Größe, so kann man sie nicht so einfach mit winzigen Gruppen oder supranationalen Sekten vergleichen. Und vor allem kommt sie nicht aus den USA; so hat sie nie ein "Geschäftsgebaren" an den Tag gelegt. Auch ihre großenteils politischen Merkmale führen einzigartige Elemente ein.

Es läßt sich leicht vorstellen, zu welchen Schlußfolgerungen Introvigne in seiner per Post veranstalteten Umfrage kommt: sie lassen sich leicht in jedem Werk Introvignes ausmachen, das er geschrieben hat, ehe diese Umfrage unternommen wurde, und sie beziehen sich auf eine Vielzahl von Organisationen. Abtrünnige, so behauptet er, sind "in die Antisekten-Unterstruktur sozialisiert" worden; deshalb sind ihre "Schilderungen" unzuverlässig (anders als die Presseerklärungen von Sekten, die in seinen Augen wohl zuverlässig sind). Diese Behauptung führt zu einem merkwürdigen Paradox: die Sozialisierung in Antisektenstrukturen hinein führt zu einem gelegentlichen Austausch von Briefen und zu Telefonanrufen von Personen, die einander als gleichwertig betrachten. Wenn eine derartige Sozialisation das Gedächtnis ehemaliger Sektenanhänger umzustrukturieren in der Lage ist, um wieviel mächtiger muß dann die Sozialisation innerhalb von Sekten sein, wo die Mitglieder Tag für Tag in eine Struktur hinein sozialisiert werden, die auf Autorität aufbaut?


Massimo Introvigne: Wissenschaftler oder politischer Extremist?

Ist "Abtrünniger" nur eine unglückliche Definition, oder ist es ein intellektuelles Äquivalent für eine Beschimpfung? An anderer Stelle zitiert Introvigne in positiver Weise Bryan Wilson (aus dem Italienischen rückübersetzt):

Ein Abtrünniger versucht im allgemeinen, sich selbst zu rechtfertigen. Er versucht, seine Vergangenheit umzubauen, um seine frühere Mitgliedschaft zu entschuldigen und seine engsten Gefährten verantwortlich zu machen. Nicht selten lernt er, eigene "Greuelmärchen" zu fabrizieren, um zu erklären, wie [] er dazu gebracht wurde, sich der Gruppe anzuschließen und dann daran gehindert wurde, eine Organisation zu verlassen, die er nun ablehnt und verurteilt. Abtrünnige, deren Schilderungen in der Presse aufgebauscht werden, versuchen manchmal, ihre Erfahrungen zu Geld zu machen, indem sie ihre Geschichten an Zeitungen verkaufen oder Bücher herausbringen (oft von Ghostwritern geschrieben)(Bryan R. Wilson, The Social Dimensions of Sectarianism, Clarendon Press, Oxford 1990, Seite 19, zitiert in Massimo Introvigne, "Il fantasma della libertà: le controversie sulle 'sette' e i nuovi movimenti religiosi in Europa", in Cristianità, Nr 264, April 1997, Seite 22.)

Ich habe nicht den ganzen Wilson gelesen, daher weiß ich nicht, ob das alles ist, was er über Abtrünnige zu sagen weiß. Es ist jedenfalls alles, was Introvigne zitieren möchte.

Der schlaue Nebel hinter Ausdrücken wie "nicht selten" ändert nur wenig an dem außerordentlich beleidigenden Wesen dieser Definition. Eine Definition, die zumindest nach meiner eigenen Erfahrung auch völlig falsch ist.

Ich bin in den Schriften Ehemaliger auf keinen Groll gegen die "engsten Gefährten" gestoßen. Einer der Hauptgründe hinter der Entscheidung ehemaliger Sektenmitglieder, an die Öffentlichkeit zu gehen, ist vielmehr, ihren Freunden, die noch in den Sekten sind, zu helfen.

Von Steve Hassan bis zu Gunther Träger oder von Thierry Huguénin bis zu Tom Voltz kann ich mir keine angeblichen Abtrünnigen vorstellen, deren Schriften der Karikatur von Wilson/Introvigne ähneln. Die einzigen Zeugnisberichte Ehemaliger, die in dieses Bild passen, sind diejenigen amerikanischer politisch rechter Evangelikaler, die sich -- wie wir in Kürze sehen werden -- unter Introvignes besten Freunden befinden. Verschiedentlich wird in Introvignes Schriften des öfteren Gebrauch von dieser Art von Zeugnisberichten gemacht: der Schatten, den bestimmte idiotische amerikanische Anti-Satanisten werfen (die zum Beispiel behaupten, sie hätten an Hunderten von Menschenopfern teilgenommen), wird absichtlich über vollkommen vernünftige Erfahrungsberichte normaler Ehemaliger ausgedehnt.

Was das Aufbauschen in der Presse angeht, das ja stimmt: Einer der Gründe, warum Ehemalige Bücher schreiben, liegt daran, daß ihnen die Klischees der Medien zum Hals heraus hängen. Doch das ist ein Problem der Journalisten, nicht der "Abtrünnigen".

Verstehen zu wollen, warum man so sehr in einer Gruppe aufging, ist keine "Selbstrechtfertigung". Man hat das Recht, sollte es haben, über die eigenen Erfahrungen nachzudenken und darüber zu schreiben

Selbst ein nur oberflächliches Lesen der Schriften Ehemaliger offenbart ein entscheidendes Merkmal: vermehrte Wachsamkeit. Natürlich begeben sich einige Personen auch von einer fanatischen Gruppe in eine andere (wie bestimmte "Okkultisten", die sich in extremistische christliche Gruppen begeben haben). Im allgemeinen jedoch sind Ehemalige außerhalb von Fanatismus zu finden, sie bewegen sich in Richtung auf ein größeres und tieferes Verständnis menschlicher Beziehungen, von Manipulationsmöglichkeiten und der Wirklichkeit.

Zumindest in meinem Fall kann ich bestätigen, daß ich niemals geglaubt habe, ich "werde daran gehindert, die Organisation zu verlassen". Und ich habe auch keinerlei Profit daraus geschlagen, "meine Geschichte zu verkaufen". Übrigens schreibe ich diese Sätze selbst: Ich habe kein Geld dafür, mir einen Ghostwriter zu leisten. Zwei Journalisten bezahlten mir einen Kaffee und einer eine Pizza, mehr nicht.

Das ganze Thema der "Erinnerung Überlebender" ist natürlich hoch emotional und politisch, da die Leugnung dieser Tatsache, die Vorstellung, sie sei die pure Einbildung einer "Sozialisation" in "Unterstrukturen", an die Wurzeln des Revisionismus des Holocausts geht; und viele der Untersuchungen, die Introvigne anführt, sind auch dazu verwendet worden, die Existenz von Gaskammern in Auschwitz oder sonstwo abzustreiten. Persönlich glaube ich jedoch, daß der politische Gebrauch, in der einen oder anderen Weise, der Frage der Gültigkeit der Erinnerung immer ein Mißbrauch ist: Erinnerungen sollten immer von der Person her beurteilt werden. Und Wilson/ Introvigne vergessen auch die Tatsache, daß viele "Greuelgeschichten", wie sie sie höflich umschreiben, nicht so sehr auf persönlichen Aussagen beruhen; sie sind vielmehr interne Dokumente verschiedener Organisationen.

Übrigens ist Bryan Wilson, der Abtrünnige so sehr anprangert, mit Sicherheit derjenige Autor, den Scientology nach Ron Hubbard selbst am meisten gedruckt hat: Wilsons Artikel, Reden und Aussagen sind in praktisch jeder Scientology-Zeitschrift oder -Internetseite zu finden. Bryan Wilson behauptet, er habe 26 Jahre lang Scientology studiert und dabei nur herausgefunden, daß es dem Buddhismus ähnelt (Siehe beispielsweise "Pioggia di riconoscimenti per Scientology", in Diritti dell'uomo, einer Scientology-Publikation: derselbe Artikel enthält auch Wilsons Zitat über "Abtrünnige", das mit dem Zitat von Introvigne völlig übereinstimmt). Scientology widmet in ihrer Publikation Diritti dell'uomo auch eine ganze Seite der Auflistung der akademischen Leistungen von Bryan Wilson, die im übrigen auch die Ehrenpräsidentschaft der International Society of Sociology of Religions einschließt, deren Mitglied, natürlich rein zufällig, auch Introvigne ist. Diritti dell'uomo führt auch sehr häufig Introvigne an.

Selbstverständlich war ich neben dem Thema dieser grundlosen persönlichen Beleidigungen neugierig auf die Gründe, warum ein selbsternannter "Soziologe" jemanden, den er kaum oder überhaupt nicht kennt, denn eigentlich als "Abtrünnigen" bezeichnet und, wenn auch assoziativ, im schlechtesten Licht darstellt. Das muß kommentiert werden; Introvigne sagt an anderer Stelle:

Kein Akademiker, der diese Bezeichnung verdient -- was immer einige sagen mögen --, übergeht die Aussagen von ehemaligen Mitgliedern; doch keine ernst zu nehmende wissenschaftliche Untersuchung gründet sich allein auf diese. (Massimo Introvigne, "'Sette cattoliche': l'equivoco continua", in Cristianità, Nr. 260, Dezember 1996, Seite 4.)

Er kannte jedoch nicht meine Erfahrung und hätte sich mit mir in Verbindung setzen können, falls er das gewollt hätte. Die Tatsache, daß er das nicht tat, zeigt, daß er nur die eine Seite hören wollte. So setzte er sich der Gefahr aus, faktische Fehler zu machen, als er mich und das Pariser Gerichtsverfahren analysierte.

Wann immer Introvigne ungerechtfertigte Anklagen vorbringen möchte, benutzt er dieselbe Technik, andere, "angesehene" Schreiber zu zitieren. Meine Lieblingsstelle im Zitat Introvignes ist die folgende:

Bereits 1986 ging die angesehene amerikanische Zeitschrift Thought der Jesuits of Fordham-Universität noch weiter; in einem Sonderartikel über die Antisektenbewegung wurde die Frage gestellt, ob man die Antisektenbewegung selbst, festgemacht am Dogma der Trennung von Verhalten und Lehre und der Gehirnwäsche, nicht -- auf der Grundlage der eigenen Kriterien -- als weitere moderne "neue Sekte" betrachten könne und ob viele "Sektengegner" nicht "psychologisch verwirrte" Personen seien, besessen von einer "Angst vor Sekten", die nur eine der Formen der modernen Angst vor Religion ist.(Massimo Introvigne, I nuovi culti: dagli Hare Krishna alla Scientologia, Oscar Mondadori, Mailand, 1990)

Das ist Introvigne, wie er leibt und lebt. Vielleicht kein guter Wissenschaftler, aber mit Sicherheit ein guter Architekt, der genau weiß, wohin er die verschiedenen Elemente seines Gebäudes setzen muß. Er stellt den obigen Satz an das Ende eines Kapitels, wo ein "angesehener" Dritter die Schlußfolgerung stützt. Wie in dem Zitat von Bryan Wilson (mit seinen "im allgemeinen" und "nicht selten") kann man die wüstesten Beleidigungen ausstoßen und doch ruhig und ernsthaft erscheinen, indem man ein paar "man fragt sich, ob" hinzufügt. Der Leser wird die mäßigende Haltung des Beleidigenden schätzen, aber er wird sich nur noch an die Hypothese erinnern, die er tatsächlich liest -- daß Mitglieder einer "Antisektenbewegung" geistesgestört sind.

Meine Neugier führte zu ein paar ziemlich interessanten Entdeckungen, die ich gerne mit dem Leser teilen möchte. Zwischenzeitlich jedoch lade ich ihn dazu ein, wahrzunehmen -- in dem oben zitierten Satz über ernsthafte Gelehrte, die auch ehemaligen Sektenangehörigen zuhören --, daß Introvigne sich selbst eindeutig mit "Akademikern" und "ernst zu nehmenden wissenschaftlichen Untersuchungen" identifiziert; der Ausdruck "was immer einige sagen mögen" zeigt dies: Niemand hat jemals gesagt, daß "Akademiker, die diese Bezeichnung verdienen", nicht beide Seiten anhören, aber viele haben gesagt, daß Introvigne dies nicht tut. Diese Art, sich auszudrücken, die in Introvignes Schriften durchgängig vorkommt, schafft damit eine völlig nichtexistente Abgrenzung zwischen "Sektengegnern", die fanatisch sind, und "Akademikern", die als Gelehrte im Besitz der Wahrheit sind. So werden Sektenkritiker zu Feinden der Wahrheit selbst (und natürlich Sektensympathisanten zu Freunden der Wahrheit). Tatsächlich besteht ein Konflikt zwischen Sektenkritikern und Sekten, und einige Gelehrte neigen eher zu der einen, andere zu der anderen Seite.

Massimo Introvigne gründete CESNUR im Jahre 1988. Diese Organisation hat heute internationale Zweige, aber das Hauptbüro liegt immer noch in Turin in Italien. Selbst die Initialen von CESNUR ergeben nur im Italienischen einen Sinn. Freunde haben bemerkt, daß wenigstens einige der internationalen Persönlichkeiten, die mit CESNUR zu tun haben, Akademiker bona fide sind, die nur eine geringe Vorstellung davon haben, wofür die Organisation eigentlich steht.

In seinen Schriften identifiziert sich Introvigne ständig mit einer Personengruppe, die er "Soziologiegelehrte", "Fachleute", "Universitätsfachleute", "akademische Fachleute" nennt, um nur einige der Eigendefinitionen in einem Artikel zu nennen ("Il fantasma della liberta" in Cristianità, Nr. 264, April 1997). Die Pronomina "ich" und "wir" vermischen sich damit in einer Weise, die nur schwer festzumachen ist.

Was Introvigne genau tut, ist eine kontroverse Angelegenheit. Zeitfragen (Nr. 32, November-Dezember 1996), eine deutsche Publikation, die in enger Verbindung zu der angeblichen Sekte VPM steht ("Antisektenaktivismus gefährdet Demokratie und Menschenrechte -- Wissenschaftler gegen Hexenjagd mit der 'Sektenkeule'"), nennt Introvigne einen "Historiker und Soziologen". Die Website der Anwaltsgruppe Jacobacci e Perani in Turin, Italien, wo Introvigne arbeitet, nennt jedoch keinen Abschluß in Soziologie; es wird gesagt, daß Introvigne ermächtigt wurde, örtlich im Rechtsgeschäft tätig zu sein, offensichtlich eine Anspielung auf den in Italien sogenannten Status des "procuratore legale", direkt unterhalb einem normalen Anwalt.

Ein kurzer Eintrag im Antifa Info-Bullettin ("DOSSIER: [Italien] Alfredo Mantovano, neuer Sprecher der 'postfaschistischen' Nationalen Allianz", Anhang 154, 3. 3. 98), in dem Introvignes Apologetik für die NA nebenher erwähnt wird, führte zu einer raschen Erwiderung des Anwalts:

Ihre Erwähnung des Unterzeichners in einer Usenetgruppe ist sowohl verleumderisch als auch ungenau. "Anwalt niederen Grades" ist grundsätzlich dumm. Ich bin Partner in Italiens größter Anwaltskanzlei und auf meinem eigenen Spezialgebiet gut bekannt, wie eine auch nur oberflächliche bibliographische Suche in den USA es Ihnen gezeigt hätte. Zum Glück für mich und meine Familie (und die unersättliche italienische Steuerbehörde) wurde ich letztes Jahr in einer italienischen Zeitschrift als unter den 100 aktivsten Anwälten des Landes angeführt.(in Antifa Info-Bulletin, 15. März 1998)

Italiens "100 aktivste Anwälte" bilden eine Kategorie, zu der man wohl nur kaum einen einfachen "procuratore" zählen kann. Sicher ist er der Verfasser verschiedener Untersuchungen über Handel und Werbung, zwei Themen, die allerdings nur wenig mit neuen Religionen zu tun haben (obwohl sie vielleicht mit Sekten zu tun haben könnten).

Introvigne behauptet in demselben Brief auch, "Fakultätsmitglied des Pontifikalen Atheneum Regina Apostolorum in Rom" zu sein. In einem Brief vom 27. September 1996 (Nr. 2291/96), der an das Dialogzentrum in Berlin gerichtet ist, erklärt Mons. Michael L. Fitzgerald, Sekretär des Pontificium Consilium Pro Dialogo inter Religiones, daß Introvigne "kein Berater irgendeiner Körperschaft" des Vatikans sei und daß er eine Woche im Jahr am Regina Apostolorum Atheneum lehre, einer privaten Einrichtung, die zu den "Legionären Christi" gehört, einer mexikanischen Organisation. Gemäß Mons. Fitzgerald ist diese Einrichtung keine "kirchliche Universität".

Natürlich sind Referenzen weit weniger wichtig als Argumente; außer dann, wenn Referenzen oder angebliche Referenzen als Teil eines Argumentes verwendet werden, was in allem, was Introvigne schreibt, sehr klar der Fall ist.

Was uns schließlich von den Antisektenbewegungen trennt, ist nicht, ob wir "für" oder "gegen" neue religiöse Bewegungen sind. Jede derartige Polarisierung stimmt einfach nicht. Tatsächlich besteht ein scharfer Konflikt zwischen vielen Fachleuten in den Religionswissenschaften, besonders unter Soziologen einerseits, und bestimmten Antisektenbewegungen andererseits, ein Konflikt, den -- das muß betont werden -- die Soziologen nicht gesucht haben. (Massimo Introvigne in Liberà religiosa, sette e diritto di persecuzione, Cristianità, Piacenza 1996, Seite 111)

In diesem Fall sollte man die Referenzen wie alles andere genau untersuchen.

Introvigne gab zwei Erwiderungen auf eine kürzere Form dieser Ausführungen. Und das war alles, was er darüber zu sagen hatte, ob er Soziologe sei oder nicht:

1. "Martinez steht es frei, über meine Referenzen zu denken, wie er will (Schulverbände, Universitäten and Gerichte denken darüber anders)".

2. "Innerhalb der Grenzen der bestehenden Gesetze über Verleumdung und Beleidigung kann er mich als das bezeichnen, was er will".

Auch wenn ich, anders als Introvigne, kein Anwalt bin, glaube ich doch, daß Verleumdung und Beleidigung im Grunde Falschdarstellungen von Leuten zum Inhalt haben; er scheint daher zu bestätigen, daß das, was ich über seine Referenzen gesagt habe, keine Falschdarstellung ist.

Vermutlich hätte ich meinen früheren Titel als Nationaler Kommandeur der internationalen Organisation Neue Akropolis für Ägypten behalten sollen -- das ist doch weitaus pompöser als Dolmetscher (oder "professioneller Feind", wie er mich in seiner Website qualifiziert).

Ich war belustigt, daß es bei der einzigen Diskussion, die ich je mit Introvigne hatte, um seine Definition der Neuen Akropolis als einer "neo-pythagoräischen" Bewegung ging. Ich sagte, sie sei theosophisch. Er blieb in der Öffentlichkeit mit Leidenschaft bei seiner Ansicht. Jetzt sehe ich, daß er die Neue Akropolis als "neo-theosophische" Gruppe bezeichnet. Der arme Pythagoras muß unterwegs wohl auf der Strecke geblieben sein.

Soweit es seine Referenzen betrifft, ist uninteressant, was ich "denke"; was die Website seiner Anwaltsgruppe sagt, ist es nicht. Ich hoffe, er hat nicht vor, diese anzufechten.

CESNUR, die von Introvigne gegründete Organisation, behauptet, einzutreten für: "die Professionalität auf einem Gebiet, wo die Gegenwart von Amateuren bei der Genauigkeit und Klarheit der Diskussion nicht hilfreich war. Wir sind überzeugt, daß die Vernunft der Wahrheit nur durch Professionalität ans Licht kommen, dargestellt und verstanden werden kann". Abstrakt gesprochen hat er recht: viel Stoff, der sich kritisch mit Sekten auseinandersetzt, ist weder genau noch klar.

Doch wie bei der Diskussion über die Neue Akropolis zu sehen war, sind lange verweisende Bibliographien, ein professioneller Jargon und eine klare Sprache nicht genug, die "Vernunft der Wahrheit" zu verdeutlichen

Übrigens stimmt Scientology nicht mit Introvignes eigener Definition von CESNUR überein. In einer kürzlich auf der ganzen Welt verteilten Publikation mit dem Titel "Wiederherstellung und Sicherung der religiösen Freiheit" (offenbar Anfang 1998 herausgegeben), finanziert -- wie auf dem Titelblatt angegeben -- von der "Internationalen Scientologenvereinigung", wird CESNUR nicht als Hort klarer Diskussion angegeben, sondern als "Menschenrechtsorganisation", mit der man im Falle "religiöser Verfolgung" Kontakt aufnehmen könne -- zusammen mit mehreren anderen Vereinen, die von Scientology selbst gegründet wurden, wie dem "Untersuchungskomitee gegen Diskriminierung religiöser und ethnischer Minderheiten" in Deutschland: die Kontaktperson ist hier Lord McNair, seit Jahren schon ein bekannter Unterstützer von Scientology; eine weitere Organisation, an die verfolgte Scientologen sich wenden können, ist das Rutherford Institute -- mehr über dieses später (Amnesty International fehlt auffallend auf der Liste der "Menschenrechtsorganisationen".)

CESNUR umgibt ein gewisses Geheimnis. Die Organisation gibt keine Zeitschrift oder auch nur ein Bulletin heraus; zur Mitgliedschaft kann man nur eingeladen werden; die Organisation vermeidet es offiziell, ehemaligen Sektenanhängern zu helfen. Das bedeutet, daß man ihr nicht auf normalem Weg wie anderen sektenbeobachtenden Organisationen Geld zukommen lassen kann: durch Beiträge von Angehörigen von Sektenmitgliedern und andere Betroffene, die in demokratischer Weise diese Organisation führen würden. Doch Introvigne ist ständig auf Reisen, er hält sich immer in den besten Hotels auf und hat nicht weniger als zwei vollzeitig beschäftigte Sekretärinnen (Cinzia und Monica -- einfache Sekretärinnen haben natürlich nur Vornamen!). Natürlich könnten alle Ausgaben auch großzügig aus Introvignes Tätigkeit als Anwalt bestritten werden. Man kann jedoch vernünftigerweise seine Zweifel daran haben, daß ein Anwalt, dessen ganzer Arbeitstag mit Patenten und Handelsdingen angefüllt ist, in seinen freien Minuten auch noch die Zeit finden kann, Fachmann für etwas anderes zu sein.

Nachdem ich diese Zeilen schrieb, schickte mir Introvigne eine E-mail mit folgendem Inhalt:

Es entgeht vielen Gegnern, daß CESNUR International keine private Gesellschaft ist; 1996 wurde sie durch ein Dekret der Regierung von Piemont als juristische Person anerkannt. Das gibt uns unter anderem ein Anrecht auf öffentliche Gelder. Wir haben diese Unterstützung immer dankbar angenommen.

Glücklicherweise lebe ich in einem anderen Teil Italiens; deshalb werden mit meinen Steuergeldern nicht Introvignes Reisen finanziert. Natürlich bin ich froh, daß ich das zurücknehmen kann, was ich über Introvignes Großzügigkeit gesagt habe. CESNUR wurde jedoch 1988 gegründet, öffentliche Gelder flossen erst ab 1996. Es bleiben bei uns Zweifel über die ersten acht Jahre der Organisation.

Gemäß Zeitfragen, oben angeführt, behauptet CESNUR, "völlig unabhängig von jeglicher religiösen Bewegung, Gruppe oder Gesellschaft" zu sein.

Diese Feststellung überrascht uns, da die Statuten von CESNUR festlegen, daß sowohl der Direktor als auch der Präsident römisch-katholisch sein müssen.

In einer Notiz per E-mail widersprach Introvigne dieser meiner Aussage sehr deutlich:

Es gibt nichts in den Statuten von CESNUR International, auch nicht von CESNUR Italien oder von CESNUR Frankreich, daß der Präsident und der Direktor römisch-katholisch sein sollten. Der Hinweis in der italienischen Ausgabe des Buches von Eileen Barker betraf wieder einmal die Tatsache, daß die Statuten von CESNUR Italien die jeweiligen NAMEN des Präsidenten und des Direktors enthielten, und beide sind katholisch. Im Gegenteil: Die Statuten besagen ganz klar, daß bei der Ernennung der Funktionäre von CESNUR keine Diskriminierung aus religiösen Gründen stattfinden darf.

Wie auch immer; hier ist der genaue Wortlaut der Anmerkungen Introvignes in Eileen Barkers Buch:

Obwohl die Statuten festlegen, daß der Präsident und der Direktor von CESNUR Katholiken sind ("Se presidente e direttore del CESNUR sono -- statutariamente -- cattolici . . ."), sind im wissenschaftlichen Komitee auch Anglikaner, Protestanten und Orthodoxe, und es ist nicht professionellen Beiträgen aus anderen Gebieten und Erfahrungskreisen verschlossen. (Massimo Introvigne, in Eileen Barker, I nuovi movimenti religiosi, Oscar Mondadori, Mailand, 1992)

Keine NAMEN (ich wiederhole Introvignes Großbuchstaben) werden erwähnt. Es fallen mir nur zwei weitere mögliche Erklärungen ein: Die Statuten legen fest, daß der Präsident immer Massimo Introvigne genannt werden muß, oder sie haben katholisch klingende Namen (also nicht Mohammed oder Yitzhak).

Diese katholische Natur von CESNUR gilt für Italien. Zumindest gemäß einer antifreimaurerischen französischen Publikation, Faits & Documents (Nr. 27, 15.5.97, Seite 5, zitiert in "Alleanza massonica?", Sodalitium, dic. 1997, Seite 65), gehört die gesamte Führung des französischen Zweiges von CESNUR angeblich zur rechten Minderheit der Freimaurerei.

Die Führung von Cesnur Frankreich, einer Untersuchungsgruppe zu "neuen religiösen Bewegungen" (bzw. "Sekten"), ein Zweig von Cesnur Italien, das von dem katholischen Soziologen Massimo Introvigne geleitet wird, scheint von der Nationalen Großloge von Frankreich kontrolliert zu werden, wenn man an folgende Persönlichkeiten im Direktorium denkt: Professor Antoine Faivre, Hauptherausgeber des Cahiers Villard de Honnecourt, an den Anwalt Olivier-Louis Séguy und an Professor Roland Edighoffer.

Wir wissen nicht, ob diese Vermutung richtig ist (Introvigne hat es vermieden, in seinen Antworten auf diese Feststellung einzugehen). In der Publikation L'Evenement du jeudi sagt Serge Faubert ("Les cathos au secours des sectes", L'Evenement du jeudi, 13-19. Juni 1996), daß sowohl Séguy als auch sein Kollege Jean-Marc Florand (der letztere überraschenderweise ein militanter Homosexueller) Rechtsextremisten seien und schon seit über zehn Jahren Vorträge für die Front National halten. Florand tritt in Gerichtsverfahren auch regelmäßig als Verteidiger von Jehovas Zeugen auf.

Ob jemand Freimaurer ist oder zu den französischen Nationalisten gehört, interessiert mich nicht; es ist aber angesichts der komplizierten Beziehungen von CESNUR merkwürdig, wie wir bald sehen werden.


CESNUR und die KATHOLISCHE ALLIANZ

Massimo Introvigne behauptet auf den Umschlagseiten seiner Bücher immer, einer der Direktoren einer anderen Vereinigung zu sein, der sogenannten Katholischen Allianz (im folgenden KA). Introvigne ist gegenwärtig einer der fünf "consultori" (im Italienischen ein ungewöhnliches Wort) der KA. Ein weiterer, Alfredo Mantovano, ist gegenwärtig "Sprecher" der Alleanza Nazionale, Italiens rechter Partei, und war kurz ihr "Nationaler Koordinator" -- eine Tätigkeit, die ihn praktisch verantwortlich über die ganze Partei setzte -- unter dem nationalen Sekretär Gianfranco Fini (das ist recht überraschend und offenbart vielleicht etwas von der politischen Schlagkraft der KA, wenn wir uns daran erinnern, daß Mantovano sich Finis Partei erst drei Monate zuvor angeschlossen hatte: siehe "AN, primo atto dell'epurazione", La Stampa, 11. Dezember 1997, Seite 6).

Die KA setzt jedoch niemals nur auf ein Pferd -- Introvigne ist ein angesehenes Mitglied einer anderen rechten Partei, der CCD. Ein weiteres Mitglied der Katholischen Allianz, Vietti, ist zufällig der Fraktionsführer derselben Partei im Parlament.

Natürlich ist an sich nichts verkehrt daran, Mitglied in einer anderen Organisation zu sein, wie kontrovers das auch immer sein mag. Schließlich widersprach Introvigne ja in seiner E-mail-Note: "Die gewöhnlichste Verwirrung über CESNUR ist, nicht in der Lage zu sein, jeweilige persönliche Mitgliedschaften von Direktoren von der Vereinigung als solcher zu trennen".

Das Problem ist jedoch: Ist Introvigne ein Mitglied der KA, oder ist CESNUR selbst eine Gliedorganisation der KA?

Die KA ist eine Organisation, die es schon seit etwa dreißig Jahren gibt, und sie hat nur 200- 300 Mitglieder. Aus Gründen, die später noch klar werden, am äußersten Rand der offiziellen katholischen Kirche angesiedelt, hat sie selten Schlagzeilen gemacht; bis vor kurzem war es eine recht arme Organisation ohne irgendwelchen Einfluß. Das hat sich aus zwei Gründen geändert: der politische Erfolg der Rechten im Jahre 1994, einer Ansammlung von Parteien, die Millionen von Wählerstimmen erhielten, ohne daß eine Führung sie hätte handhaben können, öffnete für die KA, die lange ihre Anhänger als intellektuelle "Elite" emporgebracht hatte, unglaubliche Aussichten.

Der andere Faktor war der plötzliche, weltweite Erfolg von Introvigne als neuerstandenem "Soziologen".

Auch ein nur oberflächlicher Blick auf die Homepage der KA, die sich stolz rühmt, "Kämpfer der KA" hätten drei Organisationen "gegründet" -- CESNUR, IDIS (Institut für Soziallehre und Information) and ISIN (Institut für das Studium der "Insorgenze") --, zeigt deutlich, daß die Verbindung zwischen CESNUR und der KA weiter geht als nur eine "persönliche Mitgliedschaft".

IDIS ist so eng mit der rechten Partei, Alleanza Nazionale, verbunden, daß das Organ dieser Partei -- Secolo d'Italia -- ihm einmal in der Woche eine ganze Seite widmet. Tatsächlich kann man IDIS als die führende rechte Denkfabrik in Italien bezeichnen. Es bezieht seine Vorstellungen großenteils aus zwei Quellen: der Ideologie von Plinio Corrêa de Oliveira (später mehr darüber) und den US-amerikanischen "Neo-Konservativen".

"Insorgenze" in den Initialen von ISIN bezieht sich auf die anti-napoleonischen Aufstände in Italien gegen Ende des 18. Jahrhunderts -- eine Episode, die vollkommen und unverdienterweise aus der Geschichte Italiens gestrichen wurde. Aber natürlich verfolgt das Institut einen hochideologischen Zweck: Es soll einen alternativen historischen Mythos zum säkularen Wiederaufleben von Cavour und Garibaldi, und zur "kommunistischen" Widerstandbewegung, schaffen. Wie auch CESNUR, arbeiten auch für ISIN einige angesehene Gelehrte, die sich nicht immer des weiteren Programms bewußt sind, in das sie eingegliedert wurden.

Die Politik der KA ist kein Geheimnis: Am 26. März 1994 veröffentlichte die KA einen "Appell" für die kommenden politischen Wahlen und forderte die Wähler dazu auf, "aktiv teilzunehmen und die Listen zu wählen, die die deutlichste Opposition zu der 'radikalen Massenpartei' darstellen, d.h. der Front aus Sozialkommunisten und 'Progressiven', die für die Entchristianisierung des italienischen Volkes eintreten".

Diese Kampagne war Teil eines größeren Feldzuges, wohl veröffentlicht in Il Secolo d'Italia, dem Organ der als MSI-Nationale Rechte bekannten Partei (so z.B. am 6. Januar 1994) unter dem Titel "Eine humane und christliche Aktion zur Wiedererschaffung der Identität des italienischen Volkes". Im Manifest dieses Feldzuges sagt Giovanni Cantoni, der Führer der KA, man könne ja Liberté und Fraternité noch hinnehmen, aber ganz eindeutig nicht mehr Egalité.

Mit anderen Worten: Kämpfer der rechten Organisation KA schaffen politisch rechte Gruppen. Natürlich haben sie die Freiheit, dies zu tun, so lange sie sich nicht selbst als Inhaber der Wissenschaft der Soziologie darstellen -- im Gegensatz zu der Welt der "Amateure".

Die KA ist auch unter der sogenannten "äußersten Rechten" tätig, ein Begriff, der in Italien eine sehr komplizierte Welt von kleinen und im Widerstreit stehenden Organisationen abdeckt.

Nur ein Beispiel aus vielen: Am 24. April 1998 sprach Aldo Carletti, Mitglied von CESNUR wie auch der KA, auf einem vom Centro Studi Trans Lineam (siehe Orion, Nr. 163, April 1998, Seite 39) in Varese organisierten Treffen. In Orion, einer Zeitschrift, die viele unterschiedliche Meinungen auf diesem Gebiet widerspiegelt, hat Lucio Tancredi die KA beschuldigt, die "äußerste Rechte" zu infiltrieren und zu versuchen, sie zum Neokonservativismus wie in den USA zu bekehren.

Dahinter steckt, wie wir sehen werden, ein Grund: Das "konterrevolutionäre" Denken, das die katholische Bewegung KA inspirierte, inspirierte auch solche nichtchristlichen Werke wie Julius Evolas Revolte gegen die moderne Welt und René Guénons Die Krise der modernen Welt. Ihre Vorstellungen sind keinesfalls identisch, doch trotz ihrer ganz unterschiedlichen Ansichten über das Christentum gibt es Berührungspunkte in der "spirituellen Politik" aller drei und in ihren Ansichten über die "Dekadenz der modernen Welt".

Introvigne ist keinesfalls der einzige bei CESNUR, zumindest in Italien, der auch mit der KA zu tun hat. Eng verwickelt ist der Führer der KA selbst, Giovanni Cantoni, offiziell der "Nationale Regent" der Organisation.

"Regent" [reggente] ist im Italienischen ein recht ungebräuchlicher Ausdruck; er kann entweder einen Interimsfunktionär oder so etwas wie einen "Herrscher" meinen. Und das ist auch der Grund, warum einige politisch rechten Gruppen den Begriff auch hin und wieder gebrauchen: sie möchten solche demokratischen Ausdrücke wie "Präsident" vermeiden. Natürlich ist die erste Bedeutung die offizielle Erklärung, aber Cantoni übt seine Interimsfunktion schon seit mehreren Jahrzehnten aus. Jedenfalls bestätigte ein Mitglied der KA die Tatsache, daß der Begriff ebenso wie im Deutschen gebraucht wird -- ein Herrscher auf Zeit, der im Namen eines anderen regiert, in diesem Fall (aus ideologischen Gründen, die später klar werden) der Jungfrau Maria.

Giovanni Cantoni ist zusammen mit Introvigne auch Koautor eines Büchleins mit dem Titel Libertà religiosa, 'sette' e 'diritto di persecuzione', einem einzigen Angriff auf die sogenannten "Antisektenbewegungen".

Anders als Massimo Introvigne hat die Katholische Allianz niemals ihre extremistischen Ansichten verheimlicht, was natürlich ihr gutes Recht ist.

Nehmen wir beispielsweise den Text eines Flugblattes der Organisation aus der Mitte der 70er Jahre, das sich auf eine der endlosen und unbedeutenden politischen "Krisen" Italiens bezieht, als das Kabinett zum tausendsten Male umgebildet wurde, gefolgt von Wahlen mit nur geringen Änderungen. Die besagte "Rote Regierung" war typischerweise eine gemäßigte Koalition aus Christdemokraten und Sozialisten mit Unterstützung der extrem vorsichtigen Kommunisten.

Wähle antikommunistisch, aber höre an dieser Stelle nicht auf!

Die rote Andreotti-Berlinguer-Regierung hat "Selbstmord begangen", um an dem historischen Kompromiß [zwischen Katholiken und Kommunisten] teilzuhaben, und der historische Kompromiß ist der Vorläufer einer kommunistischen Herrschaft.

Dieses recht langweilende Machtgerangel führt den Verfasser der Flugschrift dazu, die italienische Lage mit Kambodscha zu vergleichen, und er endet mit dem dramatischen Aufruf zur Tat:

Verzweifle nicht! Hilf dir selbst, dann hilft dir vielleicht Gott!

Wir sahen bereits, wie kontrovers das Thema der Referenzen Introvignes ist. Gerade fünf Jahre, ehe er die Szene dieser Welt als Soziologe und größter Experte zu "neuen religiösen Bewegungen" betrat, erschien sein Lebenslauf auf dem Schutzumschlag seines Buches Pornografia e rivoluzione sessuale (Editrice Libreria S. Lorenzo, Chiavenna, Sondrio, 1983):

Massimo Introvigne wurde am 14. Juli 1955 in Rom geboren. Ehemals Jesuitenschüler, erlangte er seinen Abschluß in Philosophie an der Pontifikalen Gregorianischen Universität in Rom mit einem Text über die Moralphilosophie Wittgensteins. Dann erhielt er den Abschluß in Jura an der Universität von Turin mit einer These über die zeitgenössische Rechtsphilosophie in den Vereinigten Staaten. Ein Teil seines Werkes wird nach Be- und Überarbeitung in den Annalen des Juristischen Instituts von Turin erscheinen. An derselben Universität lehrt und forscht Introvigne gegenwärtig auf dem Gebiet der Rechtsphilosophie.

Er ist als Rechtsberater für Industrievermögen tätig und gehört mehreren Berufsverbänden an. In dieser Rolle schreibt er für mehrere spezialisierte italienische und ausländische Zeitschriften (besonders in den Vereinigten Staaten) und hat an juristischen Konferenzen in Italien und Übersee teilgenommen, wo er Vorträge zu Industrieimmobilien, Lizenzen und unfairem Wettbewerb gehalten hat.

Seit den ersten Hochschuljahren ist er schon ein Kämpfer der Katholischen Allianz, einer bürgerlichen und kulturellen Körperschaft, deren Ziel die Erziehung der Menschen, die Verbreitung von Ideen gemäß den sozialen Grundsätzen der Kirche und das politische und soziale Magisterium der Päpste ist. Er schreibt regelmäßig für Cristianità, das offizielle Organ der Katholischen Allianz, insbesondere über philosophische und soziale Themen; in derselben Zeitschrift hat er auch Untersuchungen angestellt über die katholische Kultur von Piemont und die Heiligen des Turins des 18. Jahrhunderts.

Als Redner ist er in verschiedenen italienischen Städten während der Treffen der "Freunde der Cristianità" aufgetreten, organisiert von der Zeitschrift und der Katholischen Allianz, wie auch in Seminaren und bei Vorträgen, die die Katholische Allianz alleine oder zusammen mit anderen Gruppen und Verbänden organisiert hat.

In Anbetracht seiner späteren Vorstellungen zur Antisektengesetzgebung ist es interessant zu bemerken, daß Introvigne auf der Seite 20 seines Büchleins sagt: "Pornographie -- auch wenn sie mit künstlerischem Anspruch daherkommt -- kann und muß verboten werden auf der Grundlage einer ethischen Beurteilung, die gleichzeitig mit den Grundregeln der Ästhetik übereinstimmt, wie sie der Vernunft entsprechen". Was sollte ein "consociato" [vermutlich ist ein KA-Mitglied gemeint] hier unternehmen?

"Natürlich Richter mit Schriftsätzen und Beschuldigungen anstacheln, während Politiker kontrolliert und verurteilt werden, die in tausenderlei Weise für die Pornographie sind." (Seite 21)

Introvignes Vorstellungen -- und die der KA -- stammen direkt aus dem Schriften des brasilianischen Extremisten Plinio Corrêa de Oliveira; etwas, das er heute gerne in seinen Werken verbergen möchte. Später noch mehr über diese ungewöhnliche Person; hier soll nur interessieren, wie Introvigne sich in diesen frühen Tagen viel eindeutiger ausdrückte. In demselben Buch über Pornographie (Seite 23) sagte Introvigne:

Plinio Corrêa de Oliveira sprach in der dritten italienischen Ausgabe seines Buches Revolution und Konterrevolution von einer "IV. Revolution", die auf die erste protestantische und absolutistische, die zweite (liberale der Zeit der Aufklärung) und die dritte und kommunistische Revolution folgte.

 

Diese "Vierte Revolution" gründet sich angeblich auf Drogen, Pornographie und -- in jenen fernen Tagen -- auf Sekten.

Massimo Introvignes Schuld gegenüber Corrêa de Oliveira erscheint in Dutzenden früher Dokumente. Um die Vorstellungen von Ehrwürden Francesco Faà di Bruno, der 1888 starb, Jahrzehnte bevor Plinio Corrêa de Oliveira geboren wurde, zu beschreiben, findet Introvigne nichts Besseres, als Plinio in einer Weise zu zitieren, als ob er den Priester des 19. Jahrhunderts zitieren würde; nur eine Fußnote verdeutlicht, daß das Zitat von Plinio stammt (und aus einem antifreimaurerischen Text von E. Delassus, der von der Katholischen Allianz veröffentlicht und verbreitet wurde), und nicht von Faà di Bruno:

Vielleicht jedoch liegt das Geheimnis von Francesco Faà di Bruno in seinem klaren Verständnis der Begriffe des "Problems der gegenwärtigen Stunde". Er verstand ganz klar, daß die antichristliche Revolution "eine universale, eine einzige, eine totale, eine beherrschende" ist, daß sie sich "von der Natur der Dinge her auf alle Fähigkeiten der Seele ausdehnt, auf jedes Gebiet der Kultur".(Massimo Introvigne in Cristianità, April 1979)

Massimo Introvigne schloß sich der KA an, als er sehr jung war, nach einer kurzen Periode in der monarchistischen Jugendfront. In seinem Lebenslauf sagt er, er habe "an der Gregorianischen Universität in Rom studiert" (dieser Hinweis ist im allgemeinen aus seinen neueren Schriften gestrichen); tatsächlich tat er das als Seminarist (Sodalitium, Nr. 35, Okt.-Nov. 1993), wo er regelmäßig für die rechte Wochenzeitung Il Borghese schrieb -- unter dem Pseudonym Lo Svizzero, der "Schweizergardist", der den Papst vor der damals sehr in Mode gekommenen Befreiungstheologie bewahrt.

Trotz dieser Verteidigung des Papstes flirtete die ganze Bewegung der KA einschließlich dem jungen Introvigne lange mit Monsignore Lefèbvres Bruderschaft des heiligen Pius X; am EcôneSeminar war er ein hochgeschätzter Redner.

Ein früherer Seminarist schildert seine Erinnerung an den jungen Introvigne sehr anschaulich, wie er in wallender Soutane mit einem Kollegen Priesterthemen erörtert.

Eine Photographie in L'Europeo (Juni 1977) zeigt den jungen Introvigne, nicht im Gewand und bevor er eine Stirnglatze bekam, aber mit demselben intensiven Ausdruck in seinen Augen, wie er so nah wie möglich bei Monsignore Lefèbvre bei einer großen Zusammenkunft katholischer Traditionalisten in der römischen Villa der Familie Pallavicini steht; ein Ereignis, das der Generalvikar für Rom, Kardinal Ugo Poletti, auf den Seiten von L'Osservatore Romano als "Episode" brandmarkt, "die man besser vergessen sollte".

Als Lefèbvre exkommuniziert wurde, schätzte die KA die Lage sehr schnell ein und optierte für eine Unterstützung des Vatikans.

Introvigne wurde der KA-Experte für "Moralphilosophie", womit ein in die Tiefe gehendes Studium der sich ändernden sexuellen Sitten und der Pornographie gemeint ist, seinem bevorzugten Interesse, ehe er sich dem Satanismus zuwandte (das zusammen mit Vampiren wohl das Thema ist, mit dem sich Introvigne am tiefsten beschäftigt).

In jenen frühen Tagen war es Introvignes Hauptanliegen, den Leuten zu verbieten, von ihrer persönlichen Freiheit Gebrauch zu machen und Drogen zu gebrauchen oder pornographisches Material zu lesen. Zum Beispiel erzählt Introvigne in einem Artikel in Cristianità (April 1978) unter dem Titel "Un aspetto della guerra sovversiva: la rivoluzione della droga e la 'filosofia chimica'" dem Leser, daß Drogen der nächste Schritt der Revolution seien, "über den Kommunismus hinaus und nach ihm". Drogen seien Teil der Theorie Mao Tse-Tungs, daß "jedermann ein Ziel des revolutionären Krieges" sei und "in das von Prof. Corrêa de Oliveira in seinem Werk Rivoluzione e Contro-Rivoluzione vorgeschlagene Schema passe." Um "linee di una resistenza e di una contro-rivoluzione" zu errichten, müßten die Gesetze schärfer gefaßt werden:

Aus juristischer Sicht kann man die Falle ausmachen, die in permissiven Gesetzen verborgen ist, und auf die weitere Spitzfindigkeit erwidern, gemäß der ein Drogensüchtiger angeblich niemandem schade und es daher "unfair" sei, ihm die "Freiheit zu verweigern, Drogen zu nehmen", und man kann beweisen, wie diese Aussage nicht nur unmoralisch ist (da in einer Ordnung, die das Naturgesetz respektiert, niemand das Recht hat, einen Versuch gegen das Leben zu unternehmen, egal ob das eigene oder das eines anderen), sondern daß es von den Tatsachen her gesehen auch radikal falsch ist, weil es nicht nur falsch ist zu sagen, wer Drogen mißbrauche, "schädige niemand anderen", sondern weil Drogensüchtige aus kriminalistischer Sicht auch hoch gefährlich sind und viele unterschiedliche Verbrechen begehen.

Was immer man auch von dieser Meinung halten mag, sie wirft ein interessantes Bild auf Introvignes spätere Karriere. Erstens ist die Erklärung des sozialen Phänomens der Drogensucht nicht soziologisch (die Rolle der Konsumgesellschaft bei der Verbreitung der Sucht wird nicht erwähnt), sondern theologisch-politisch (einige reden vielleicht von einer Verschwörungstheorie), dann ist der Zweck seiner Untersuchung kein akademischer, sondern ein "konterrevolutionärer", und zieht als solcher nicht einmal mögliche Einwände in Betracht (so mögen z.B. von Drogensüchtigen verübte Verbrechen begangen werden, weil Drogen illegal sind), und schließlich schlägt Introvigne eine schärfere Gesetzgebung gegen das vor, wovon Liberale glauben, es sei eine "Privatangelegenheit" -- wobei er allerdings auch eine "konterrevolutionäre soziale Restauration" als einzige Lösung des Problems nahelegt.


Introvigne, der Universalexperte

Eigentlich hat Introvigne eine einzigartige Vergangenheit als Experte für alles. 1984 schrieb er ein faszinierendes kleines Buch mit dem Titel Le domande dell'uomo, "Menschheitsfragen", mit den entsprechenden Antworten. Die Kapitelüberschriften zeigen die Weite seines Sachverstandes:

I Die Person

II Erkenntnis

III Wissenschaft

IV Kultur

V Arbeit

VI Kunst

VII Sozialleben

VIII Liebe

IX Gesellschaft und Politik

Dieses maschinengeschriebene Büchlein, auf dem Umschlag St. Georg, wie er den Drachen tötet, zeigt die Armut der Organisation, ehe sie die Goldmine "Neue religiöse Bewegungen" entdeckte, und ist ein "Arbeitsmittel" für Kämpfer der Katholischen Allianz; es belehrt "Jungen und Mädchen im Alter von fünfzehn bis zweiundzwanzig, die erstmals an die Katholische Allianz und ihr Umfeld herantreten".

Das Buch soll nicht vor dem Endverwender "laut vorgelesen werden"; die Übungsleiter sollen es vielmehr vor den Übungsstunden lesen. Das Buch geht Schritt für Schritt darin voran, Auszubildende zu Kämpfern zu machen, ausdrücklich durch Zitieren aus dem Zusammenhang heraus:

Die Art der Sprache, die hier verwendet wird, ist ein Versuch, den tolerierbareren unter den Werken so nahe wie möglich zu kommen, die gegenwärtig bei jungen Menschen Anklang finden; die zitierten Autoren sind oft (wie es z.B. bei Péguy, Bernanos, Simone Weil der Fall ist) Personen, die sich unter der katholischen Jugend eines gewissen Ruhmes erfreuen, und sie werden hier in einer Weise zitiert, die mit der Bedeutung [unseres] Textes zusammenfällt, obwohl man über ihre Denkweise viele Einwände erheben könnte []. Die letzten Kapitel jedoch führen ganz allmählich eindeutigere Hinweise auf die Soziallehre der Kirche ein und eine ausdrückliche Kritik an Liberalismus, Sozialismus und Kommunismus []. Aus politischer und sozialer Sicht jedoch liefern die letzten Seiten dieses Buches bereits einige Schlußfolgerungen, die ein erster Schritt sein können, die Jugendlichen später zu Texten hinzuführen, die für die Katholische Allianz typischer sind. (Massimo Introvigne, "Le domande dell'uomo -- presentazione ai militanti di Alleanza Cattolica", in Le domande dell'Uomo, 1984)

Man kann gut verstehen, wie Introvigne vielleicht eine gewisse Sympathie für Indoktrinationsmethoden der Sekten empfindet. Verständlich hierbei, daß "es nicht ratsam ist, diesen Text vor dem Ende des Seminars dem Zuhörer auszuhändigen". Es ist auch klar, daß die KA den jungen Introvigne als am besten geeignet ansah, die Ideologie der Organisation zu formulieren.

Introvigne hatte, bevor er CESNUR gründete, ganz klare Vorstellungen von den rein ideologischen Absichten hinter seinen Bemühungen, die alle auf die "konterrevolutionären" Ideen von Plinio Corrêa de Oliveira, zurückgingen:

Dr. Massimo Introvigne von der Katholischen Allianz untersuchte die Beziehung zwischen Abtreibungen und der sexuellen Revolution, die als der aggressivste und offenkundigste Aspekt der postkommunistischen Phase des revolutionären Prozesses zu sehen ist, den Prof. Corrêa de Oliveira die Vierte Revolution nennt und den man anhand des Schemas analysieren kann, das derselbe Corrêa de Oliveira in seinem Buch Revolution und Konterrevolution vorschlägt: eine Revolution der Taten, Vorstellungen, Trends. Das durch die sexuelle Revolution aufgeworfene Problem endet nicht mit Taten, da die Epidemie der Pornographie und Abtreibung von wahren untori verbreitet wird [imaginären Figuren in Manzonis Roman I promessi sposi, die der Verbreitung der Pest beschuldigt werden], die diese Schreckensdinge propagieren. Warum tun sie das? Introvigne hat versucht, darauf eine Antwort zu geben, indem er ihre Vorbilder betrachtete: die großen Verleugner der Moral -- Marx, Freud, Nietzsche --, die die Wiederentdeckung von de Sade vorbereiteten; und de Sade führte eine neue Gnosis ein, die den Sex als Werkzeug identifiziert für den Rückweg aus der bösen Endlichkeit der Individualität zum ursprünglich unklaren Einen. Nur eine von der Fortpflanzung losgelöste abtreibungswillige Sexualität kann das Werkzeug für dieses gnostische Vorgehen sein; wohingegen der Gnostiker die Fortpflanzung haßt -- sie wird durch die Abtreibung geleugnet, da Geburt mit Niedergang einhergeht, jedesmal, wenn sie das Drama der Geburt der Individualität erneuert. Die moderne Welt, so Introvigne weiter, organisiert den Konterasketizisms der sexuellen Revolution in Schritten, die wir erkennen können als Pornographie (als gräßliche Initiation für alles), Pornologie (Wissenschaft der pansexuellen Initiation) und Pornokratie, einer Machtergreifung durch die Priester des Sex. (Cristianità, Mai 1980, Seite 4)

Ein Soziologe hätte die veränderten sexuellen Gewohnheiten wahrscheinlich solchen Elementen wie wissenschaftlichen Innovationen zugeschrieben, die zum Gebrauch der Antibabypille führten oder zum Zusammenbruch der auf die Familie gegründeten wirtschaftlichen Unternehmungen; aber Soziologie gehörte ja nun mal nicht zu seinem Universitätsstudium, und er spricht lieber von einer "pornokratischen Machtergreifung" durch gnostische Sexpriester, offenbar eine frühe Verkörperung seines gegenwärtigen Feindes, der "internationalen Antisektenbewegung".

Die Katholische Allianz, obwohl plötzlich "liberal" geworden, soweit es totalitäre Sekten betrifft, hat ihre Meinung zur Unterdrückung persönlicher "Abweichungen" nicht geändert. Cristianità zitiert, nachdem ein Artikel Introvignes im selben Ton erwähnt wurde (in Cristianità&Cedille; Nov.-Dez. 1986), in voller Länge ein Dokument der Glaubenskongregation. Beispielsweise haben Homosexuelle ein Recht auf Arbeit und Wohnung, aber:

Solche Rechte sind nicht absolut. Sie können mit Recht aufgrund eines Verhaltens in der Öffentlichkeit eingeschränkt werden, das objektiv zügellos ist. Manchmal ist das nicht nur legal, sondern auch verbindlich, und es wird nicht nur in Fällen von strafbarem Verhalten notwendig sein, sondern auch im Falle von Personen, die körperlich oder seelisch krank sind. Es ist daher anerkannt, daß der Staat vielleicht die Ausübung von Rechten einschränkt, beispielsweise im Falle von ansteckenden oder geistig kranken Menschen, um das öffentliche Wohl zu schützen [] Es gibt kein Recht auf Homosexualität, und dies darf daher keine Grundlage für rechtliche Ansprüche sein. ("Alcune considerazioni concernenti la risposta a proposte di legge sulla non-discriminazione delle persone omosessuali", Cristianità, Nr. 209- 210, Sept.-Okt. 1992)

Dies ist ein reguläres Dokument des Vatikans, das uns hier nur deshalb interessiert, weil die Katholische Allianz es in voller Länge als Beispiel für die Notwendigkeit einer gewissen Unterdrückung persönlichen Verhaltens zitiert.

In derselben Ausgabe der Zeitschrift ist ein Bild zu sehen, auf dem Introvigne vor einem Grabmal in Ecuador steht:

In der Kathedrale von Quito erwies Doktor Massimo Introvigne im Namen der Katholischen Allianz dem Grab von Gabriel García Moreno seine Ehre, dem 1875 ermordeten Märtyrerpräsidenten von Ecuador, dem Opfer von Sektenhaß, das seine ausdrückliche Hingabe als katholischer Politiker nicht behaupten konnte.

Auch wenn García Morenos Attentäter vielleicht "Sektierer" waren (d.h. Freimaurer), war Introvigne in Ecuador, um auf einer Konferenz über "Neue religiöse Bewegungen in Lateinamerika" gegen das Bestehen von "Sekten" zu sprechen.

Welche persönlichen Beweggründe auch immer hinter diesen Interessen stehen mögen, so hängen Sex und Sekten beide deutlich mit dem zusammen, was der rechte Denker Plinio Corrêa de Oliveira (wie wir sehen werden, der Inspirator der "Soziologie" von Introvigne) die "Vierte Revolution" nennt (die erste war die Renaissance, die zweite die Reformation, die dritte der Kommunismus), Satans Schlußangriff auf die katholische Zivilisation.


Wann Introvigne "Sekten" haßte und "Abtrünnige" mochte

Ende 1985 änderte die Katholische Allianz ihre Ansicht über Sekten radikal. Schon schwieriger auszumachen ist, wann Introvigne dies ebenfalls tat -- aus dem einfachen Grunde, weil Introvigne dieses Thema vor jenem Jahr kaum anfaßte. Wir haben jedoch gesehen, daß die Katholische Allianz und Introvigne praktisch gleichbedeutend sind: Die gegenwärtige Linie der KA zu "Abtrünnigen" und der Gebrauch des Wortes "setta" (Sekte) sind heute identisch mit derjenigen Introvignes, und keine Schrift Introvignes vor 1985 zeigt in irgendeinem Thema, mit dem er sich damals befaßte, auch nur die geringste Abweichung von der Parteilinie. Deshalb glaube ich, wir können heutige Schriften Introvignes zu diesem Thema problemlos mit denen von KA-Autoren vor 1985 vergleichen. Jedenfalls gibt es einen Artikel von Introvigne selbst, der vor der großen Änderung in der Mitte der 80er Jahre geschrieben wurde. Im Jahre 1985 verfaßte er einen seiner ersten Aufsätze über eine Gruppe, die er ganz eindeutig nicht eine "neue religiöse Bewegung" genannt hätte, die Zeugen Jehovas. (I Testimoni di Geova: un profetismo gnostico in Quaderni di Cristianità, Frühjahr 1985, Seite 20 ff.). Der Eingangsabsatz dieses neunzehnseitigen Artikels spricht für sich selbst:

Ein privilegierter Zeuge: Raymond Franz. Literatur über Jehovas Zeugen beinhaltet bereits die oftmals besorgniserregenden Berichte von Personen, die diese Sekte [setta] verlassen haben, um sich der katholischen Kirche anzuschließen, wie Günther Pape, oder einer protestantischen Gruppe, wie William J. Schnell, George Terry, Richard Cotton, John Bevins oder William Cetnar. Das Buch Der Gewissenskonflikt von Raymond Franz, 1983 in den Vereinigten Staaten veröffentlicht, bietet jedoch erstmalig den Erlebnisbericht eines Mitgliedes der leitenden Körperschaft, der, nachdem er diesem Gremium angehörte -- der höchsten Führung der Zeugen Jehovas, als Kommunikationskanal zwischen Gott und seinem Volk angesehen --, die Organisation verließ und eine kritische Haltung gegenüber der Sekte [setta] einnahm.

Das Wort "setta" (wie das ziemlich beleidigende "protestantico") kommt im folgenden Absatz noch zweimal vor und viele Male im weiteren Text. Auf der folgenden Seite (Seite 21) wußte Introvigne etwas Freundliches zu sagen über etwas, das er später zweifellos als "Greuelgeschichte" oder "professionellen Feind" etikettiert hätte:

Deshalb trat Raymond Franz am 22. Mai 1980 von seinem Posten in der leitenden Körperschaft zurück, der er neun Jahre lang angehört hatte, und entdeckte, daß er ein neues Leben beginnen mußte, ohne persönliche Erfahrung oder akademischen Grad, weil er sein ganzes früheres Leben der Vollzeittätigkeit als Jehovas Zeuge gewidmet hatte.

Auf Seite 22 können wir sogar das Folgende lesen:

Die persönlichen Ereignisse im Leben von Raymond Franz haben ein Interesse, das über den Einzelfall des Autors von Der Gewissenskonflikt hinausgeht, weil sie den Sektengeist [spirito di setta] zum Vorschein bringen, der die gesamte Organisation der Zeugen Jehovas durchzieht und sie dazu antreibt, systematisch und heftig gegen jeden Abweichler in ihren Reihen loszuschlagen, ohne die Notwendigkeit zu empfinden, Argumente oder Erklärungen zu liefern. Er hat sicherlich eine parteiliche Sicht; doch auf der Grundlage der Dokumente, die er vorlegt, wird jeder Leser, der etwas von Recht versteht, es schwer finden, nicht zu demselben Schluß zu kommen, "daß die Ankläger das Recht auf ihrer Seite haben und der Beschuldigte überhaupt keine Rechte hat.

Introvigne sagt uns, was es mit dem "Sektengeist" (spirito di setta) auf sich hat:

Im Gegenteil, das Recht und das Gerichtssystem innerhalb der Organisation der Zeugen Jehovas zeigen den Sektengeist in seiner typischsten Ausprägung, der darin besteht, sich zu weigern, den Mitgliedern Erklärungen zu geben und ihnen Entscheidungen aufzuerlegen, die keine vernünftigen Beweggründe haben und für die auch nicht vernünftig argumentiert wird. (Seite 23)

Sektengeist und Totalitarismus gehen Hand in Hand; Introvigne vergleicht die Zeugen Jehovas mit dem Kommunismus und dem Nationalsozialismus:

Gnostischer Totalitarismus -- wie die Organisation, die Raymond Franz als Insider beschreibt, ihn zeigt -- erscheint nicht weniger klar in der Sekte [setta] der Zeugen Jehovas, deren Struktur ein Lehrstück und Vorbild einer totalitären Organisation ist, gegründet auf dem Glauben an ein Tausendjahrreich, und die den Anspruch erhebt, an Zahl zuzunehmen und sich selbst der Welt aufzudrängen, indem sich die Zahl ihrer "Bekehrten" ständig vermehrt. (Seite 38)

Wir sahen bereits, was Introvigne heute über "Abtrünnige" zu sagen hat. Neun Jahre später schrieb Introvigne in der rechten Tageszeitung Il Secolo d'Italia (Massimo Introvigne, "I nuovi movimenti religiosi", Secolo d'Italia, 22. November 1996):

Wegen der völlig abstoßenden Bedeutung, die das Wort "Sekte" [setta] angenommen hat, als Synonym für eine sozial gefährliche Gruppe in den Augen der Öffentlichkeit, haben es wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Thema großenteils fallengelassen und durch den neutraleren Begriff "neue religiöse Bewegung" und "neue Religion" ersetzt.

Introvigne hat natürlich völlig recht über die Gefahren eines losen Gebrauchs des Begriffs: in ihren Tagen vor CESNUR pflegte Cristianità von "la setta comunista" oder sogar von "la setta abortista" zu sprechen.

Ebenso wie in der neueren Version war der frühe Herr Introvigne nicht getrennt von seiner Organisation tätig. Nicht lange vor Introvignes Angriff auf die "Jehovasekte" widmete die Ausgabe von März-April 1984 der Zeitschrift Cristianità eine ganze Seite einer "auch von der Katholischen Allianz geförderten" Zusammenkunft über "Das Auftreten einer Sekte [settaria] in Sizilien: Jehovismus", abgehalten in Palermo. Natürlich war Introvigne, noch kein Experte auf diesem Gebiet, nicht unter den Rednern. "Abtrünnige" spielten eine führende Rolle bei dem Treffen:

Zeugnisse des Schmerzes so vieler Opfer des Jehovismus und ein Gefühl der Befreiung, weil sie die Jehovisten-Organisation verlassen hatten, wurden von drei ehemaligen Mitgliedern der Sekte [setta] zum Ausdruck gebracht, die ihre eigene Geschichte schilderten und zeigten, daß es immer die Schwächsten sind, die in die Falle psychologischer Beeinflussung fallen, eines neuen Manichäismus und Haßgefühlen gegenüber all jenen, die nicht eingeweiht sind oder es nicht werden können. ("Una presenza settaria in Sicilia: il geovismo", in Cristianità, März-April 1984, Seite 8)

Bei einer weiteren Konferenz (wiederum wird Introvigne nicht unter den Rednern aufgeführt), die im Jahre 1993 stattfand und die "von der Verbreitung der Sekte" handelte, wies die Katholische Allianz darauf hin, wie Jehovas Zeugen ihre Theologie für Zwecke praktischer Ausbeutung benutzen:

Ein interessantes Merkmal der "Praktik" der Zeugen Jehovas ist, wie sie es fertigbringen, ihre Propagandaoperationen zu finanzieren: Auf dem Grundsatz aufgebaut, daß der Anhänger völlig der Gemeinschaft gehört, ist es ihnen gelungen, ein Verlagsunternehmen zu errichten, das mit praktisch unbezahlter Arbeit rechnen kann, was einige offensichtliche Vorteile in bezug auf den Profit hat! ("Un convegno di studi sul geovismo", in Cristianità, April 1983, Seite 12)

Am 25. April 1985 organisierte die KA, wie Cristianità stolz unter der üblichen Überschrift "Der gute Kampf" ausführt (Cristianità, Mai 1985, Nr. 121, Seite 13), ein Treffen in Matera über "Katholische Wahrheit und Jehovistensekte" (Verità cattolica e la setta geovista). Unter den Rednern war Ernesto Zucchini, der später mit CESNUR zu tun hatte, aber auch:

Die Berichte zweier ehemaliger Mitglieder der Sekte [setta]: Dr. Achille Aveta, der vor einigen Jahren Jehovas Zeugen verließ, eine Organisation, der er seit seiner Kindheit angehört hatte, und der die Fälschungen der Lehre und das totalitäre Wesen des Jehovistengebäudes anprangerte, und Dr. Walter Palmieri, dessen Rede die Probleme derer auf dem Weg zurück zur katholischen Wahrheit aufzeigte -- und es gibt viele --, die die Sekte [setta] verlassen.

Nachmittags berührte ein Juraprofessor ein Thema, das Introvigne nur wenige Jahre später als Tabu empfinden würde: die rechtlichen Aspekte der Regeln der Zeugen Jehovas.

In der Cristianità-Ausgabe von Juni-Juli 1985 geht es um ein weiteres Treffen der KA, diesmal über Satanskulte ("Il demoniaco luogo teologico, fenomeno sociale, categoria storica", in Turin, 11. Juni 1985; obwohl Introvigne in Turin lebt, wird er nicht in dem Artikel erwähnt).

Der Journalist Gianluigi Marianini stellte die Ergebnisse seiner Untersuchungen über die besorgniserregende Gegenwart von Satanisten in Turin vor [] und zeigte, wie eine zunehmende Zahl von Personen aus offensichtlich harmlosen Astrologenkreisen durch Magie und Spiritismus in Satanssekten [sette sataniche] geführt werden.

Jeder, der Introvignes Schriften liest, wird alle Merkmale der "Antisektenbewegung" in einem Absatz -- "sensationslüsterne Journalisten", "Verwirrung zwischen unterschiedlichen Arten neuer Religionen" und den "Mißbrauch des Begriffes Sekte" -- erkennen.

Introvigne, offenbar immer noch kein "Experte" in diesen Dingen, sprach auf keinem dieser Treffen.

Nur ein paar Jahre später konnte sich Introvigne stolz rühmen, daß er eines der wenigen Nichtmitglieder sei, das regelmäßig zu schwarzen Messen in Turin eingeladen werde (Maria Grazia Cutuli, "Il diavolo è fra noi", Epoca, 28.9.93).

Vielleicht zu recht verteidigte der Gelehrte Introvigne in den vergangenen Jahren die katholische pfingstlich-charismatische Gruppe Erneuerung im Geiste gegen den Vorwurf, eine Sekte zu sein (Cristianità, Nr. 269, Sept. 1997, Seite 9); doch in derselben Ausgabe dieser Zeitschrift hält der Gläubige Introvigne die Einführungsrede bei einem Kongreß derselben Organisation unter dem Titel "Wenn der Sohn des Menschen zurückkehrt, wird Er immer noch Glauben in der Welt finden?"

Damals, 1977, lagen die Dinge ganz anders, als die Maiausgabe von Cristianità dieser Gruppe einen Artikel widmete. Der Autor war natürlich noch nicht Introvigne, sondern Pellegrino Costa.

Die Anführungszeichen im Titel sagen alles: "'Katholische' Pfingstbewegung -- auf dem Weg zur 'Tribalisierung' der Kirche?" ("Tribalisierung" war ein indirekter Hinweis auf Plinio Corrêa de Oliveiras Vorstellung, die Kirche in Lateinamerika werde durch progressive Missionare "tribalisiert"). In typischer Weise beginnt der Aufsatz mit den Worten:

In der dritten italienischen Ausgabe des Essays Revolution und Konterrevolutionidentifiziert der Autor, Plinio Corrêa de Oliveira, die "katholische" Pfingstbewegung als eines der Symptome der Vierten Revolution innerhalb der Kirche.

Katholische Pfingstler werden mit einer langen Liste alter Ketzer verglichen und in die Nähe des US-Drogenkultes der 60er Jahre gerückt. Am Schluß sind sie dann teuflisch:

Dies ist, in Kürze, die Lehre der Pfingstler: die Vernunft der Kirche und ihre Leitung zurückzuweisen bedeutet jedoch, der Einbildung und satanischer Täuschung zum Opfer zu fallen, die es immer gibt. Thomas von Aquin lehrt, daß der Teufel auf die Vorstellungskraft und die äußeren Sinne eines Menschen einwirken kann, daß er dank der Auszeichnung seines engelhaften Wesens Wunder wirken und spürbare Zärtlichkeit und Süße einflößen kann, um unvorsichtige Seelen in die ewige Verdammnis zu führen. Die Pfingstbewegung mit ihren irrationalen Manifestationen und abergläubischen Riten begünstigt diese Einwirkung des Teufels auf ihre Anhänger ganz sicher. (Seite 7)

Ganz offensichtlich fand irgendwann zwischen 1985 und 1988 eine gewaltige Änderung im Denken Introvignes statt, als er bereits dieselben Verschwörungstheorien über die "Antisektenbewegung" zum Ausdruck brachte, an die er heute noch glaubt.


Als Introvignes Freunde zum "Deprogrammieren" kamen

Introvigne versucht oft, seinen Hauptpunkt zu beweisen -- daß keine rechtlichen Schritte gegen Sekten unternommen werden sollten --, indem er anführt, daß die italienischen Gerichte entschieden, daß das Gesetz gegen plagio, ungefähr "unpassender Einfluß", nicht angewandt werden könne, weil der Begriff zu allgemein sei. Tatsächlich bezieht sich einer von Introvignes Lieblings-witzen auf einen Druckfehler in dem Bericht des französischen Parlamentes über Sekten, wo statt plagio "piaggio" stand:

Der rechtliche Teil des Berichtes erwähnt, "daß es in Italien das Verbrechen des 'piaggio'" [sic], oder der Gehirnwäsche gebe. "Piaggio" ist eine bekannte italienische Motorradmarke. Das Verbrechen des plagio -- ähnlich der Gehirnwäsche -- wurde während des faschistischen Regimes geschaffen und wurde vor vielen Jahren -- 1981 -- durch das Verfassungsgericht aus dem Strafgesetzbuch entfernt, weil es nicht der italienischen Verfassung entspreche. (G. Cantoni, M. Introvigne, Libertà religiosa, 'sette' e 'diritto di persecuzione', ed. Cristianità, Piacenza, 1996, Seite 124)

Doch Introvigne läßt klugerweise die Geschichte aus, wie italienische Gerichte zu dieser Entscheidung kamen. Der Leser sollte beachten, daß diese Aussage Introvignes in einem Buch erscheint, dessen Koautor der "Regent" der KA ist und das von Cristianità veröffentlicht wurde; in Piacenza, einer sehr kleinen Stadt in Norditalien, in dem zufällig auch das Hauptbüro der KA liegt. Dieser Standort ist kein Zufall.

In den 1960er Jahren verfielen zwei junge Brüder in Piacenza der Anziehungskraft von Aldo Braibanti, einem selbsternannten Homosexuellen, Marxisten und Atheisten in einer Person.

Agostino Sanfratello, der ältere Bruder, wurde ein militanter Linker, wurde aber dann zum Militär einberufen Diese Lösung aus Braibantis Einfluß ließ ihn wahrscheinlich zu seinen eigenen Vorstellungen zurückkehren.

Giovanni, der andere Bruder, begann andererseits, mit Braibanti zusammenzuleben. Die besorgten Eltern stöberten zusammen mit Agostino den Ort auf, wo die beiden lebten. Sie packten Giovanni, setzten ihn in einen Sportwagen und sperrten ihn in einer psychiatrischen Klinik ein (2. November 1964).

Gerichtsunterlagen beziehen sich auf die Aussage eines der Kidnapper:

Es gelang uns, Giovanni die Stufen nach unten zu tragen Während der Fahrt bewegte sich Giovanni ständig und sagte: 'Vier gegen einen!' []. Braibanti bekam einen Nervenzusammenbruch und rief:'Giovanni, geh nicht!' Ich hielt Braibanti fest, und zu einem gewissen Zeitpunkt verlor er seine Brille. (Zitiert in Moravia, Eco, et. al., Sotto il nome di plagio, Bompiani, Mailand, 1969, Seite 45)

Das war, mit anderen Worten, eine klassische Deprogrammierung, wie Introvigne viele Jahre später kritisch über Deprogrammierungen schrieb:

'Deprogrammierer' kidnappen das Mitglied einer neuen Sekte im allgemeinen auf Anweisung der Eltern eines Mitglieds (und auf ihre Kosten: eine 'Deprogrammierung' kostet heute zwischen zwanzig und vierzig Millionen Lire), halten ihn an einem isolierten Ort fest und wenden eine Reihe von Methoden an -- von Lockmitteln über Drohungen manchmal bis zu physischer Gewalt --, bis die Person nachgibt und seiner Sektenzugehörigkeit abschwört. (Massimo Introvigne, I nuovi culti: dagli Hare Krishna alla Scientologia, Oscar Mondadori, Mailand, 1990, Seite 194)

Der Deprogrammierung folgte ein Gerichtsverfahren gegen Braibanti, beschuldigt des plagio, verurteilt durch ein Gericht aus Katholiken und Antikommunisten, sicherlich voller Vorurteile. Der Prozeß im Jahre 1968 war ein Moment großer Mobilisierung von Intellektuellen gegen das Gesetz.

Das Faszinierende an dem Fall ist, daß Agostino Sanfratello im Kielwasser des Prozesses die Katholische Allianz gründete -- eben jene Bewegung, deren Führer zu sein Introvigne so stolz ist, wurde im Anschluß an eine Deprogrammierungsepisode gegründet. Tatsächlich war das fast die einzige Deprogrammierung der italienischen Geschichte.

Während des Prozesses gegen Braibanti waren die Fronten sehr klar: auf der einen Seite konservative, antikommunistische Katholiken, auf der anderen Seite die sehr "weltlichen Humanisten". Introvigne bezieht Stellung für die Deprogrammierung.

Obwohl Sanfratello, der später aus der Organisation ausschied, für kurze Zeit Seminarist bei Lefèbvre war, befinden sich die nationalen Büros immer noch in Piacenza.


1600 offizielle Bindeglieder zwischen KA und CESNUR

Bei dem CESNUR-Kongreß in Foggia, Italien, am 6. März 1993 traten sieben Redner auf. Außer Kardinal Arinze und dem örtlichen Erzbischof waren alle anderen selbsternannte Mitglieder (eigentlich ist "Kämpfer" der am häufigsten verwendete Begriff) der KA -- Introvigne, Pater Ernesto Zucchini, Dr. Ermanno Pavesi, Pater Pietro Cantoni (ein ehemaliger Lefèbvre-Priester, der rechtzeitig die Seiten wechselte, um einer Exkommunikation zu entgehen) und sein Bruder Giovanni Cantoni, "Nationaler Regent" der KA.

Die Liste entstammt der Ausgabe der Cristianità von März-April 1993, einer fast monatlich erscheinenden Zeitschrift, die sich damals immer noch als "offizielle Zeitschrift" der KA bezeichnete.

An dieser Ausgabe ist nichts ungewöhnlich: fast dieselbe Zahl von Verweisen auf CESNUR und/oder Introvigne findet sich in jeder Ausgabe dieser Zeitschrift. So können wir diese Ausgabe als Muster nehmen und sehen, auf welche Verbindungen zwischen den beiden Organisationen hingewiesen wird.

Die Ausgabe enthält:

1. Zwei Seiten, jeder Absatz untergliedert durch den wütend dreinblickenden schwarzen Adler, das Symbol der KA, unterzeichnet von Introvigne und gewidmet einer Besprechung des Buches "Nuova religiosità e nuova evangelizzazione. Lettera pastorale".

2. Zwei unsignierte Seiten, diesmal jeder Abschnitt untergliedert durch das CESNUR-Symbol -- ein Mann, der mit zum Himmel erhobenen Armen auf einem Buch steht --, über den gerade erwähnten CESNUR-Kongreß. Übrigens dankte Giovanni Cantoni Mons. Giuseppe Casale, Erzbischof von Foggia, daß er "das Apostolat der KA auf dem Gebiet der Neuen Religionen erwähnt hatte". Es fällt schwer, nicht zu vermuten, daß dieses Apostolat in der Gründung von CESNUR bestand. Monsignore Casale war zu der Zeit Galionsfigur von CESNUR; später schied er stillschweigend aus.

3. Zwei weitere Seiten widmen sich einem Kongreß über "Freimaurertum, Katholiken und Kultur", abgehalten in Lecce und "organisiert von der Katholischen Allianz". Die Redner waren Alfredo Mantovano (oben erwähnt), "Direktor der Katholischen Allianz" in Puglia, Massimo Introvigne, Giovanni Cantoni, Elia Sgromo, "Direktor der Katholischen Allianz in Kalabrien", dessen Papier jedoch von Giancarlo Cerrelli verlesen wurde, "auch zur Katholischen Allianz gehörend".

Jede Ausgabe von Cristianità enthält mehrere Seiten mit dem bedeutsamen Titel "La buona battaglia" [Der gute Kampf]. Wir können uns willkürlich die Ausgabe von November-Dezember 1995 herausgreifen.

"Der gute Kampf" ist in mehrere Abschnitte aufgeteilt, es geht um Themen wie dem Kampf gegen Abtreibung, Kommunismus, Einwanderung aus der Dritten Welt usw. Es ist nicht eine Auflistung der Tätigkeiten anderer Organisationen, die die KA gutheißt; es ist eine Aufführung der eigenen Tätigkeiten der KA. Auf jeder Seite befindet sich eine Zeichnung, die ein Ideal der KA darzustellen scheint: ein junger Mann, den man von seiner Kleidung und seinem trübsinnigen Ausdruck her für einen Zeugen Jehovas halten könnte; er hält eine Fahne mit einem schwarzen Adler und den Worten "Katholische Allianz" in mittelalterlicher Schrift hoch.

Der längste Abschnitt in "Der gute Kampf" ist immer den "Neuen religiösen Bewegungen" gewidmet.

Wer bereits überzeugt ist, daß an der "persönlichen Verbindung" Introvignes zur KA etwas ungewöhnlich ist, der kann die folgende Liste der Tätigkeiten überspringen, die unter dieser Überschrift in der Ausgabe der Cristianità von November-Dezember 1995 enthalten ist. Wer es nicht ist, mag hier weiterlesen.

a) Eine Zusammenkunft in Mailand über den Millennarismus, organisiert vom Herausgeber "Gribaudi Editore und von der Katholischen Allianz", mit einer Rede von "Dr. Massimo Introvigne von der Katholischen Allianz".

b) Eine Ansprache in einer Gemeinde in der Nähe von Ravenna über neue Sekten, organisiert in "Zusammenarbeit mit CESNUR". Der Redner: "Massimo Martinucci von der Katholischen Allianz".

c) Vier Reden in Crotone von "Valter Maccantelli von der Katholischen Allianz".

d) Eine Rede über das Mormonentum von "Dr. Massimo Introvigne von der Katholischen Allianz" im weit entfernten Kanada; die Katholische Allianz behauptet, dies gehöre zu ihrer Tätigkeit.

e) Eine Rede über die Sonnentempler in Quebec von "Dr. Massimo Introvigne von der Katholischen Allianz".

f) Ein TV-Interview über Sekten von "Dr. Massimo Introvigne von der Katholischen Allianz".

g) Eine weitere Rede von "Valter Maccantelli von der Katholischen Allianz" nahe Ravenna.

h) Ein Seminar über "Neue Religionen", geleitet von "Valter Maccantelli von der Katholischen Allianz".

i) Noch eine Rede in der umtriebigen Gemeinde nahe Ravenna von "Stefano Crapella von der Katholischen Allianz".

k) Eine Rede in Washington von "Dr. Massimo Introvigne von der Katholischen Allianz".

l) Eine Rede in Mailand über Magie von "Valter Maccantelli von der Katholischen Allianz".

m) Eine Rede in Treviso von "Valter Maccantelli von der Katholischen Allianz".

n) Eine Rede von Pater Ernesto Zucchini (der so etwas wie ein offizieller Kaplan der KA ist) und "Valter Maccantelli von der Katholischen Allianz", diesmal am anderen Ende Italiens.

o) Eine Rede, "organisiert von der Katholischen Allianz", über "Neue Religionen". Die Redner sind Luca Calò, "Mitglied der organisierenden Vereinigung", und Pater Pietro Cantoni, von dem wir bereits hörten und der der andere offizielle Kaplan ist.

p) Eine Rede über Neue Religionen von "Prof. Alberto Maira von der Katholischen Allianz".

r) Eine Rede über New Age, gehalten von "Valter Maccantelli von der Katholischen Allianz".

Die anderen Stichworte über Freimaurerei sind ähnlich:

a) Eine Rede in Crotone, organisiert von der Diözese "in Zusammenarbeit mit der Katholischen Allianz". Der Redner? Richtig geraten: "Valter Maccantelli von der Katholischen Allianz".

b) Noch eine Rede in der genannten Gemeinde nahe Ravenna, organisiert "in Zusammenarbeit mit CESNUR" und gehalten von "PierLuigi Zoccatelli von der Katholischen Allianz". Zoccatelli schreibt auch für die CESNUR-Website. Seine Spezialität ist übrigens Hubbards Mentor, Aleister Crowley.

c) Schließlich eine Rede nahe Verona von "Valter Maccantelli von der Katholischen Allianz".

Beginnend mit der Ausgabe von Juni 1998, gab es einen faszinierenden Zusatz, wo "Der gute Kampf" eine neue Überschrift bereitstellt, "Vampire". Es werden die Tätigkeiten von "Massimo Introvigne" aufgeführt, "von der Katholischen Allianz, Direktor von CESNUR, dem Studienzentrum für Neue Religionen, und Präsident der italienischen Sektion der Transsylvanischen Gesellschaft für Dracula". Besonders interessant ist der Titel einer seiner Reden: "Ein niemals endender Durst: vor und nach Dracula".

Der eben genannte PierLuigi Zoccatelli ist auch Direktor der Zeitschrift Regina Libani Informazioni, "Bulletin der Kommission Regina Libani der Katholischen Allianz für Informationen über die Lage im Libanon, dem Mittleren Osten und der islamischen Welt", die verschiedene extremistische christliche libanesische und antiislamische Organisationen unterstützt.

Ich habe nicht vor, hier einseitig zu werden; deshalb muß ich eine paar Worte fallen lassen, um zwei übliche Vorstellungen in Italien über PierLuigi Zoccatelli zu zerstreuen, der so etwas wie Introvignes rechte Hand ist (überraschend, daß er auch noch die Stimme seines Herrn imitiert).

Das Gerücht, er sei praktizierender Satanist, stimmt nicht; es ist auf einen Irrtum zurückzuführen: Vor ein paar Jahren pflasterte PierLuigi die Straßen von Verona mit Plakaten, aufgemacht im typischen Stil italienischer Todesanzeigen, die einfach ankündigten: "Rosemarys Baby ist geboren"; tatsächlich eine Ankündigung für ein Konzert von PierLuigis Lieblings-Rockgruppe, "Crowleyite Temple of Psychick Youth". Leider glaubten die örtlichen Medien, diese Plakate kündigten die Gründung einer neuen Gruppe von Satanisten in Verona an.

Er ist auch kein Verwandter von Palmarino Zoccatelli, Kämpfer einer anderen TFP-Zweigorganisation, die gegenwärtig unter Beobachtung eines Richters aus Verona steht, weil sie für "rassistische Ideen eintritt".

Eine letzte Anmerkung. Jede Ausgabe von Cristianità enthält auf der zweiten Seite eine Bücherliste mit dem Titel "Die Schlacht der Vorstellungen". Ja, "la battaglia delle idee". Von 58 für Ideenkämpfer vorgeschlagenen Büchern sind zwanzig von Introvigne geschrieben oder herausgegeben.

In Anbetracht der Tatsache, daß CESNUR vor zehn Jahren gegründet wurde und Cristianitàungefähr achtmal im Jahr erscheint, bedeutet dies, daß etwa achtzig Ausgaben von Cristianità mehr oder weniger dasselbe Maß an Belegen für eine Verbindung zwischen CESNUR und der KA enthalten.

Diese einzelne Ausgabe enthielt mehr als 20 ganz offizielle Verbindungen zwischen beiden Organisationen; und 20 x 80 = 1600. Obwohl Mathematik kaum die richtige Methode ist, solche Dinge zu behandeln, mag man sich mit gutem Recht vorstellen, daß dies 1600 weitere ganz offizielle Verbindungen als nur die "persönlichen Verbindungen" sind, die Introvigne zugibt.


Katholische Allianz und "Tradition, Familie und Besitz"

Um zu verstehen, warum Introvigne und die KA etwa gegen Ende 1985 eine 180-Grad-Kehrtwendung bei Sektenthemen machten und warum der erstere plötzlich seine Berufung als "Soziologe" und "Fachmann für Neue religiöse Bewegungen" verspürte, bedarf es einer ausführlichen Erklärung.

Was ist "der gute Kampf" von Allianz-CESNUR? Was sind die Vorstellungen, für die die jungen Männer in Krawatte und Anzug ihre Fahnen schwenken?

Die Selbstbeschreibung der KA auf der eigenen Homepage ist eine elegante Kombination von sanfter (und komplizierter) Sprache und unnachgiebigen Inhalten.

Sie fordert eine "positive und apologetische, und damit auch polemische, Propagierung und Verankerung der Soziallehre der Kirche, die Anwendung des ewigen natürlichen und christlichen Moralsystems auf sich wandelnde historische Umstände. Ihre Aktion liegt auf dem Felde der christlichen Einrichtung der zeitlichen Ordnung, sie ist bewogen von politischer Wohltätigkeit".

Nun ist Introvigne entweder ein schlechtes Mitglied der KA (was das offizielle Organ aber bestimmt nicht sagt), oder CESNUR besteht, um "politische Wohltätigkeit" zu üben und, wie die Website weiter sagt, "eine Zivilisation [aufzubauen], die wahrhaft christlich genannt werden kann, da sie die göttlichen Rechte achtet und bewußt innerhalb der Grenzen lebt, die durch die Lehre und die Moralgesetze der Kirche aufgestellt sind".

Die Hoffnung auf eine geschichtliche Verankerung einer solchen Zivilisation wird durch die Verheißung der Jungfrau Maria in Fatima gestützt: "Am Ende wird mein unbeflecktes Herz siegen".

Die Sprache ist stark, aber das ist auch der Inhalt: Wir reden nicht davon, daß einzelne innerhalb des Rahmens leben, der durch die christliche "Lehre und Moralgesetze" festgelegt ist. Wir reden von einer ganzen Gesellschaft, die vom kanonischen Recht regiert wird. Und das scheint ein Traum für die nahe Zukunft zu sein; dank der Hilfe der Jungfrau Maria, eine neue "Zivilisation" zu errichten.

In der Zwischenzeit wartet die KA darauf, die Gesellschaft in den "Rahmen" einer neuen Zivilisation zu setzen und schenkt besondere Beachtung dem Kampf gegen "jene Kräfte, die auf die Umkehr der Zehn Gebote und die Verankerung lehrmäßiger und moralischer Lügen abzielen -- mit besonderem Verweis auf den historischen Prozeß, der von der Krise der Renaissance und der protestantischen Reformation bis zum Sozialkommunismus und darüber hinausgeht, d.h. die Revolution, die anstelle Gottes und seines Gesetzes inthronisiert werden möchte".

Mit anderen Worten, die Feinde der KA (und CESNUR) reichen von Michelangelo bis Luther, Marx und "darüber hinaus".

Was immer man auch von der Ideologie der Katholischen Allianz halten mag, sie ist keinesfalls eine Sekte. Sie hat keine charismatische Führung, und ihren 200-300 Mitglieder steht es frei, eigene Untersuchungen und persönliche Karrieren zu verfolgen. Die eigenen Meinungen innerhalb der Gruppe variieren -- natürlich innerhalb eines festgesetzten Rahmens. Keine hochgesteckten Forderungen an Geld oder Zeit werden an die Mitglieder erhoben, und wer die Organisation verläßt, gerät in keiner Weise in eine Opferrolle. Auch wenn ihrer Führung der Vergleich wohl nicht gefällt, ist sie der Freimaurerei nicht unähnlich -- etwas heimlichtuerisch, aber im Grunde genommen ein Zusammenschluß freier, mit der Sache einverstandener erwachsener Menschen.

Die KA wurde im Gefolge des Deprogrammierungsfalles Sanfratello-Braibanti gegründet. Doch der Grund, warum sie so wuchs, war weit wichtiger: das dramatische Leiden vieler Katholiken, deren ganzes Weltbild durch das 2. Vatikanische Konzil erschüttert wurde.

Zumindest seit der Gegenreformation war die katholische Erklärung der Wirklichkeit recht eindeutig: Alle Nachkommen Adams waren der Erbsünde verfallen, ob dies nun unvermeidlich zur Verdammnis führte oder nicht; nur das Opfer Jesu am Kreuz eröffnete die Möglichkeit der Erlösung durch von rechtmäßig ordinierten Priestern richtig gespendete Sakramente. Liberale Kritiker werden wahrscheinlich nur die reaktionären politischen Vorstellungen der Organisation wahrnehmen, doch der theologische und sakramentale Aspekt war wahrscheinlich noch bedeutsamer: die Ökumene und die Reform der Liturgie, oft von eben jenen Autoritäten rücksichtslos durchgedrückt, von denen Traditionalisten erwarteten, daß sie doch eigentlich das Erbe der Kirche bewahren sollten, erschütterten die Grundlagen des Lebenssinns vieler Menschen, die sich in einer ähnlichen Situation wiederfanden wie die amerikanischen Ureinwohner, als die Büffel von ihren Prärien verschwanden.

Wenn die Welt zusammenbricht, sind eine Erklärung und ein Hoffnungsstrahl notwendig, um den völligen seelischen Zusammenbruch zu verhindern. "Konterrevolutionäre" Theorien wie der Geistertanz der amerikanischen Ureinwohner oder die Erwartung des Messias bei den Juden nach dem Verlust der politischen Unabhängigkeit sorgten für beides.

"Konterrevolutionäre" Theorien, die bis auf die Französische Revolution zurückgehen, liefern eine Erklärung der Welt in ihrer fortschreitenden Dekadenz und Auflösung, die zu einer noch dramatischeren Krise führen. Die göttliche Ordnung der Welt wird immer mehr zu globaler Verwirrung und zum Zusammenbruch -- und dann folgt das Nichts: Ein Goldenes Zeitalter in ferner Vergangenheit, wo Mensch, Natur und Gott (oder die Götter -- konterrevolutionäres Denken ist oft "neuheidnisch") in Harmonie miteinander lebten, wie ein großes Sinfonieorchester, findet sein Gegenstück in der einsamen Verzweiflung von Internet-Fans, die sich ihren Weg durch alles oder nichts klicken.

Das heißt, daß jede "revolutionäre" Bewegung als Feind anzusehen ist, was natürlich eine attraktivere Vorstellung für die Mittelklasse ist als für Fabrikarbeiter. Es wäre jedoch verkehrt, dies nur als einen Spiegel von Klasseninteressen zu sehen: Echte politische Interessen brauchen Optimismus und Flexibilität, und nur wenige mächtige Geschäftsleute in Europa vergeuden ihre Zeit damit, pessimistische und extremistische Konterrevolutionäre zu finanzieren; reaktionäre Interessen und reaktionärer Idealismus sind keinesfalls gleichbedeutend. Tatsächlich lassen sich ähnliche Haltungen wie der Gegensatz von "Ordnung" und "Chaos" in ganz unterschiedlichen Umgebungen finden, von der optimistischen Freimaurerei und den noch romantischeren Aspekten des Kommunismus bis hin zu Jehovas Zeugen.

Ganz anders sieht die Sache jedoch in Lateinamerika aus, wo der alte "Landadel" schon seit Jahrhunderten die religiöse Vollmacht für sein Recht beansprucht, die Arbeit von Menschen auszubeuten, die, wie sie glauben, von Gott erschaffen wurden, um ihnen untertan zu sein. In diesem abgelegenen Winkel der Erde gehen reaktionäre Interessen und reaktionärer Idealismus Hand in Hand. Und die KA-Ideologie -- oder Introvignes Ideologie -- kommt direkt aus Lateinamerika.


"Doktor Plinio" und sein "konterrevolutionäres Magisterium"

Obwohl die Website der KA dies nicht erwähnt, sind ihre Ideen keineswegs originell. Sie gründen sich auf das "konterrevolutionäre Magisterium" von Plinio Corrêa de Oliveira, einem brasilianischen Professor, der eine Organisation gründete, die den Anspruch erhebt, die "wahre" Rechte zu sein, genannt "Tradizione Famiglia e Proprietà" [Tradition, Familie und Besitz] (T.F.P), gegründet im Zusammenhang mit dem Kampf der Landbesitzer gegen Agrarreformen, doch auch mit dem anspruchsvolleren Ziel, die "Revolution" zu zerstören und eine universale christliche Monarchie zu errichten.

In Costas-Gavras Film über das Kidnapping eines US-Diplomaten in Montevideo kidnappen die Tupamaros auch den brasilianischen Konsul, der sich in seinem Heimatland der Folter schuldig gemacht hat: eine der Anklagen in seiner TFP-Zugehörigkeit.

Vor einiger Zeit (Juni 1997) zeigte ein Runder Tisch in Rom, wie TFP, CESNUR und KA zusammenarbeiten. Massimo Introvigne und Giovanni Cantoni (sowohl der "Rektor" von IDIS als auch der "Regent" der KA) stellten das Buch Libertà religiosa e legislazione anti-sette vor, bei dem sie beide Koautoren waren, sowie Besitz (Francesco Pappalardo -- selbst Mitglied der KA -- "Sette, il grande equivoco", in Il Secolo d'Italia, 29. Juni 1997, zitiert in Sodalitium, Dez. 1997, Seite 68).

"Doktor Plinio" (Das "Doktor" meint einen Dr.theol.) hat wie so viele dieser Figuren eine Erklärung für alles; so können wir seine Theorie vermutlich als eine Form der "Soziologie" bezeichnen. Daher erhält Introvigne mit Sicherheit seine Soziologie (und wirklich sagt der KA-Ableger IDIS auf seiner Internetseite, daß Meister Plinio "der Autor soziologischer und historischer Untersuchungen" ist).

Die folgenden Zitate, die das Weltbild unseres Autoren beschreiben, stammen alle aus dem Geleitwort zu Revolution und Konterrevolution. Genauer gesagt, sie sind nicht direkt Dr. Plinios Buch entnommen, sondern einem Artikel, der in Cristianità ("La devozione mariana e l'apostolato contro-rivoluzionario", in Cristianità, Nov.-Dez. 1995, Seite 9 ff.) veröffentlicht wurde. Mit anderen Worten, es sind Gedanken, die Introvigne zu teilen sicher stolz wäre.

Gott erschuf den Menschen und setzte ihn in eine glückliche, hierarchische Welt, wo die meisten gehorchen und einige befehlen.

Wenn jemand jedoch in irgendeiner Weise den Untugenden Stolz und Unreinheit nachgibt, wird in ihm eine Unvereinbarkeit verschiedener Aspekte der Kirche und der Ordnung des Weltalls aufkommen. Diese Unvereinbarkeit beginnt vielleicht z.B. mit einer Abneigung gegen das hierarchische Wesen der Kirche, dann breitet sie sich aus und betrifft die Hierarchie der weltlichen Gesellschaft, dann schließlich die hierarchische Ordnung der Familie []. Der unreine Mensch tendiert generell zum Liberalismus: er ärgert sich über das Bestehen einer Ordnung, über Übergänge, über ein Gesetz, das den Überfluß seiner Sinne im Zaum hält []. Das Ergebnis von Stolz und Liberalismus ist der Wunsch nach völliger Gleichheit und Freiheit, die die Grundlage für den Kommunismus bilden.

Der Kampf zwischen Revolution und Konterrevolution ist dem Grunde nach ein religiöser Kampf []. Es ist leicht, die Rolle zu sehen, die die Jungfrau Maria im Kampf zwischen Revolution und Konterrevolution spielt []. Maria ist die universelle Mittlerin, der Kanal, durch den alle Gnade fließt. Daher ist ihre Hilfe unverzichtbar, wenn die Revolution verhindert werden soll, oder für den Triumph der Konterrevolution über die Revolution []. Die Hingabe an Maria ist das sine qua non für das Niederschlagen der Revolution und den Triumph der Konterrevolution.

Die Revolution ist nicht nur das Ergebnis bloßer menschlicher Bosheit. Diese ist es vielmehr, die die Tore für den Teufel öffnet, wenn sie sich aufregt, erzürnt und führen läßt []. Die Rolle, die der Teufel bei der explosionsartigen Ausweitung und dem Fortschritt der Revolution spielt, ist gewaltig gewesen.

Der Marienkult in T.F.P. dreht sich großenteils um die Statue der Jungfrau von Fatima, die angeblich in New Orleans Tränen absonderte, bevor sie zu Dr. Plinio gebracht wurde, die die Organisation "Heilige Statue" nennt und von der Plinio behauptete, daß sie ihm wertvolle Informationen über die Weltlage zu geben pflegte. (Tradizione Famiglia e Proprietà: associazione cattolica o setta millenarista?, Rimini 1996, Seite 31).

Die Prophezeiungen von Fatima sind für katholische Millennarier natürlich von entscheidender Bedeutung, da sie genau das Bild von Abtrünnigkeit und bevorstehender Katastrophe liefern, dem die Rätsel des "Dritten Geheimnisses" folgen, die solche Personen bereits sehen.

Zurück zu Plinios "Soziologie": Die politische Lage liegt völlig in der Hand Mariens:

Damit die Hölle in Aufruhr gerät, er verwirrt ist, in seinen Bau zurückkehrt und von der menschlichen Bildfläche verschwindet, braucht es nur, daß Sie einen Befehl dazu gibt. Andererseits, wenn Sie die Menschheit zu züchtigen wünscht, braucht Sie nur dem Teufel einen gewissen Handlungsspielraum lassen, damit er tätig vorangehen kann.

Maria regiert die Welt in politischer Hinsicht. Plinio ergeht sich offensichtlich in recht unglücklichen Kindheitserinnerungen, wenn er erklärt:

Stellen wir uns doch einmal den Direktor eines Institutes mit sehr rebellischen Studenten vor, bei denen er mit eiserner Faust durchgreift. Nachdem er sie zur Ordnung zurückgebracht hat, zieht er sich zurück und sagt zu seiner Mutter: "Ich weiß, daß du das Institut anders leiten würdest als ich. Du hast das Herz einer Mutter. Jetzt, wo ich die Studenten zurechtgewiesen habe, möchte ich gerne, daß du sie mit Sanftmut leitest []". Die Rolle der Jungfrau Maria als Himmelskönigin ist ähnlich.

Es wirft ein interessantes Licht auf Scientology, das CESNUR als "Menschenrechtsorganisation" aufführt, wenn Meister Plinio nun sagt:

Wenn die Kirche über Sie singt: "Du allein hast die Ketzereien des ganzen Universums ausgelöscht", dann wird damit gesagt, daß ihre Rolle bei dieser Auslöschung in gewisser Weise einzigartig war. Das bedeutet, daß Sie den Lauf der Geschichte leitet, weil die Leitfigur der Auslöschung aller Ketzerei die Leitfigur des Triumphes der Orthodoxie ist.

Man sollte im Sinn behalten, daß dies alles nicht bloße Theologie ist; zumindest in Introvignes Weltbild ist es "Soziologie", der Versuch zu erklären, warum Brasilien voll von rebellischen Bauern ist. Zumindest augenblicklich:

Diese und andere Erwägungen, die den Lehren der Kirche entnommen sind, öffnen die Perspektive auf Mariens Königreich, d.h. auf ein historisches Zeitalter des Glaubens und der Tugend, das durch einen spektakulären Sieg der Jungfrau Maria über die Revolution eingesetzt wird. Zu dieser Zeit wird der Teufel vertrieben werden und kehrt in seinen höllischen Bau zurück, während die Jungfrau durch die Einrichtungen, die sie sich dazu erwählt hat, über die Menschheit herrschen wird.

Jetzt beginnt man, durch einige der obskureren Aussagen zu blicken, die Introvigne trifft, wenn er über den Millennarismus schreibt. Die Einrichtungen, die die Jungfrau sich aussuchen wird, um über die Menschheit zu herrschen, werden ganz eindeutig keine demokratischen sein.

Während dieses kommenden Zeitalters, das sehr dem der Zeugen Jehovas ähnelt, werden größere Heilige aufstehen als in jedem anderen Zeitalter.

Doch dem Königreich werden die "bagarre" vorangehen, grob übersetzt "die Drangsale".

Buchstäblich jede Zusammenkunft mit Dr. Plinio dreht sich um die "bagarre". Wenn er über die kommenden Katastrophen spricht, werden seine Worte generell vom tosenden Beifall der Anwesenden übertönt. Alle Kämpfer stehen auf und rufen dreimal so laut wie möglich: "Tradition-Familie-Besitz-Bagarre". Dieser dreifache Slogan mündet oft in einen dreifachen Ruf: "Plinio!!"(Tradizione Famiglia e Proprietà: associazione cattolica o setta millenarista?, Rimini 1996, Seite 33)

T.F.P.-Kämpfer halten ständig Ausschau nach den Zeichen der "bagarre":

In Paris werden oft die Wettervorhersagen aus der täglichen Le Monde ausgeschnitten und abgeheftet. Jede scheinbare Unregelmäßigkeit beim Wetter, so glaubt man, ist ein Zeichen für das unmittelbar bevorstehende Kommen der "bagarre". Auf diesem besonderen Gebiet hat die TFP ihre Fachleute. Ein heftiger Sturm, der nicht vorhergesagt war, ein Schneefall in Paris im Februar 1979, der zufällig mit einer "TFP-Kampagne" für die Parlamentswahlen zusammenfiel, wurden als Zeichen der Annahme und Gnade der Jungfrau Maria für die TFP-Aktion ausgelegt. Recht häufig sagt ein Kämpfer zu seinem Mitstreiter: "Hast du das Wetter bemerkt?" "Nach der Radiomeldung kommt diese Störung aus dem Osten". Diese mehr als vielsagende Antwort beschwört gleichzeitig sowohl geheime wie auch teuflische Kräfte und das unmittelbare Bevorstehen der "bagarre" herauf. (Tradizione Famiglia e Proprietà: associazione cattolica o setta millenarista?, Rimini 1996, Seiten 34-35)

Die Erwartung der "bagarre" verführt T.F.P.-Kämpfer oft dazu, völlig angekleidet zu schlafen (obwohl die offizielle Erklärung die ist, daß ein kommunistischer Angriff erwartet wird).

Dr. Plinios Lehren über die "bagarre" werden wie folgt zusammengefaßt:

Pflanzen werden bluten, es wird ein Kampf zwischen Engeln und Dämonen stattfinden und die TFP-Kämpfer, umgeben und unterstützt von Engeln, werden zu einem Instrument der Bekehrung oder Verdammnis. Dann werden sie öffentliche Feldzüge durchführen, um Übeltäter anzuprangern. Dann werden sich die Guten, nachdem sie sich bekehrt haben, um die TFP versammeln. (Tradizione Famiglia e Proprietà: associazione cattolica o setta millenarista?, Rimini 1996, Seite 35)

Eine der Vorhersagen Plinios hat sich ganz eindeutig nicht erfüllt: er hatte behauptet, er würde selbst der Jungfrau Maria eine Krone aufsetzen, die augenblicklich die TFP in Brasilien besitzt (Tradizione Famiglia e Proprietà: associazione cattolica o setta millenarista?, Rimini 1996, Seite 61).

Eine interessante Konsequenz aus diesem künftigen Königreich wird sein, daß keine Priester mehr benötigt werden; zumindest gemäß ehemaligen TFP-Anhängern ist das die wahre Bedeutung der folgenden Aussage Plinios:

Das Königreich Mariens wird daher eine Zeit sein, in der die Einheit der Seelen mit der Jungfrau eine Intensität erreichen wird, wie sie noch die in der Geschichte da war; natürlich mit Ausnahmen einzelner. Welche Form wird diese Einheit annehmen? Ich kenne keinen vollkommeneren Weg der Schaffung dieser Einheit, als die heilige Sklaverei für die Jungfrau, wie sie vom heiligen Louis Grignion de Montfort [mehr über ihn später] in seinem Traktat über die wahre Hingabe an Maria gelehrt wird. ("La devozione mariana e l'apostolato contro-rivoluzionario", in Cristianità, Nov.- Dez. 1995, Seite 15.)

Heilige Sklaverei (schiavitù santa) beinhaltet die "vollständige Hingabe an die Jungfrau als ein Sklave":

Diese Hingabe ist von bewundernswert radikaler Natur. Sie schließt nicht nur den materiellen Besitz eines Menschen ein, sondern auch die Verdienste seiner guten Taten, sein Leben, seinen Körper und seine Seele. Es gibt keine Grenze, da der Sklave per definitionem nichts besitzt. Im Gegenzug zu dieser Hingabe wirkt die Jungfrau in wunderbarer Weise im Inneren ihres Sklaven, indem sie eine unaussprechliche Einheit mit ihm errichtet. ("La devozione mariana e l'apostolato contro-rivoluzionario", in Cristianità, Nov.- Dez. 1995, Seite 15.)

Da die Jungfrau Maria natürlich keine juristische Person ist, werden die Gelübde für diese Sklaverei an ihrer Statt gegenüber der TFP geleistet. Doch dies meint nur in bestimmten Fällen totalen Gehorsam gegenüber der TFP-Führung: die Praxis, zumindest bei der KA, ist nur eine pittoreske und heimlichtuerische Zeremonie, die nicht mehr fordert als beispielsweise eine Initiation bei den Freimaurern.

Die Heiligen in Plinios Königreich werden natürlich TFP-Mitglieder selbst sein -- anstatt gewöhnliche Katholiken:

Die Früchte dieser Einheit kann man an den Endzeitaposteln sehen [ ]. Die außergewöhnlichen Männer, die für das Königreich Mariens gegen den Teufel kämpfen und bis zum Ende der Zeit glorreich den Kampf gegen den Teufel, die Welt und das Fleisch anführen, werden von dem heiligen Louis [Grignion de Montfort] als herrliche Vorbilder beschrieben, die diejenigen, die in diesen dunklen Tagen in den Reihen der Konterrevolution kämpfen, in die vollkommene Sklaverei für die Jungfrau einladen. ("La devozione mariana e l'apostolato contro-rivoluzionario", in Cristianità, Nov.- Dez. 1995, Seite 15.)

Dr. Plinio muß ein interessanter Charakter gewesen sein:

Sehr oft redet Dr. Plinio, nachdem er über seine Jugend gesprochen hat, über seine Kindheit und holt sehr präzise Erinnerungen aus der Zeit herauf, als er drei oder vier Jahre alt war. Er sagt, daß am Tage seiner Taufe die Kirchenglocken von selbst zu läuten begannen, ohne daß es dafür eine natürliche Erklärung gab. Er war sehr schnell in der Lage, seine Eltern zu beurteilen: sein Vater, Dr. Joâo Paulo Corrêa de Oliveira, ein ungläubiger Liberaler; seine Mutter eine Frau, die in allem vollkommen war. Er erkannte sehr früh den tiefen Unterschied zwischen sich selbst, seinen Cousinen und seinen Freunden, und er schleuderte ihnen Beleidigungen entgegen und beschuldigte sie, nicht konterrevolutionär zu sein. Während einer Reise nach Frankreich, als er so vier oder fünf Jahre alt war, ging er in das Marionettentheater im Jardin de Luxembourg in Paris. Getroffen vom Antiklerikalismus der Marionetten sprang er auf seinen Stuhl, erhob anklagend seinen Finger und griff die Puppen an und verteidigte die katholische Religion. Sobald er eigenständig denken konnte, weihte er sich der Jungfrau Maria und der Konterrevolution. Bald darauf, als er ein Buch über Karl den Großen gesehen hatte, brachte er seine Eltern dazu, daß sie es ihm kauften, und entdeckte so sein erstes Vorbild. (Tradizione Famiglia e Proprietà: associazione cattolica o setta millenarista?, Rimini 1996, Seiten 56-57)

Man kann gut verstehen, warum die Kämpfer, die kamen, um seinen Segen zu empfangen, sich vor Plinio auf den Boden werfen mußten, mit der Stirn auf den Boden, und dann den Lehnstuhl küßten, in dem Plinio gewöhnlich saß (ibid, Seiten 63-64).


Die Katholische Allianz erkennt ihre Schuld gegenüber Dr. Plinio an

Die KA ist stolz darauf, Plinios Schriften in ihrer Zeitschrift zu veröffentlichen:

Seine Schriften wurden oft im Ausland wiederveröffentlicht, insbesondere in den Zeitschriften der verschiedenen TFP-Zweige. In Italien erscheinen sie in der Monatsschrift Cristianità, dem offiziellen Organ der Katholischen Allianz, und in Quaderni di Cristianità, herausgegeben alle vier Monate. (In memoriam: Plinio Corrêa de Oliveira, Cristianità, Nov.-Dez. 1995, Seite 6)

Hier ist die vollständige Aussage über die Beziehung, wie sie in dem offiziellen KA-Organ erscheint:

Die Katholische Allianz, weder gegründet noch geleitet von Plinio Corrêa de Oliveira, befaßt sich in den Ausgaben, in denen dieses Thema behandelt wird, mit dem konterrevolutionären Magisterium, über das er sich zeit seines Lebens auf Erden äußerte [...]. Aus dem Testament des brasilianischen Meisters geht hervor, daß die Katholische Allianz allen Grund hat, wirkungsvollere Hilfe aus seinem ewigen Leben am Ende des Jahrhunderts, das auch das Ende eines Jahrtausends ist, zu erlangen -- im Hinblick auf ein neues Jahrhundert, das auch ein neues Jahrtausend ist. Schließlich hat sie mit ihm den tiefempfundenen Glauben gemein, daß das neue Jahrhundert und das neue Jahrtausend nur ein christliches Jahrhundert und Jahrtausend sein können, ein Jahrhundert und Jahrtausend der Maria; es hat auch die Hoffnung mit ihm gemein, genährt durch die Verheißungen von Fatima -- "Am Ende wird mein unbeflecktes Herz triumphieren" --, auf eine große und bedeutsame Bekehrung und damit auf eine Wiederherstellung der Christenheit ("In memoriam", Cristianità, Nr. 247-248, Nov.-Dez. 1995, Seite 7)

Der verwickelte Bezug auf das "Jahrtausend" offenbart in korrekter Kirchensprache Plinios Phantasien über das kommende Mittelalter.

Die Internet-Seiten von IDIS (dem eher politischen Ableger der KA) enthalten eine Seite, geschrieben von Giovanni Cantoni, dem "Regenten" der KA, gewidmet "Plinio Corrêa de Oliveira (1908-1995): ein Leben für Kirche und christliche Zivilisation":

Hervorstechend unter Corrêa de Oliveiras Werken war die Schaffung der geistigen Familie der TFP-Zweige und damit seine Vaterschaft über sie; sie sind die bürgerlichen Vereinigungen einer katholischen Inspiration, die schon allein vom Namen her an das grundlegende Merkmal sozialen Lebens erinnert, die Tradition und zwei gleich grundlegende Einrichtungen derselben: die Familie und den privaten Besitz; diese Organisationen gebrauchen friedliche Methoden, um diese Werte in der öffentlichen Meinung zu fördern und gegen die kulturelle Revolution zu kämpfen, die sie umstoßen möchte.

Die Welt ist doch klein: Die IDIS-Internetseite enthält auch einen Artikel von Introvigne mit dem ausschließlichen Zweck, die "Antisektenbewegung" anzugreifen.

Die "geistige Familie" der TFP ist in 26 Ländern tätig -- Brasilien, Argentinien, Bolivien, Kanada, Chile, Kolumbien, Ecuador, Spanien, Italien, Frankreich, Polen, Deutschland, den Philippinen, Südafrika, Indien, Neuseeland, Australien, Großbritannien, den USA, Peru, Portugal, Paraguay, Uruguay, Costa Rica und Venezuela; doch die "Familie" schließt viele verschiedene örtliche Zweige ein -- zum Beispiel gibt es in Italien neben der T.F.P. selbst die KA und das Centro Lepanto, jede davon mit vielen Untergruppen. Wie schon gesagt ist die KA keine Sekte, und es gelingt ihr daher, gute Beziehungen mit dem zu pflegen, was für andere Gruppen Verräter wären.


Als Ketzerei "mit Flüchen geschlagen" wurde

Im kommenden "Königreich Mariens", das diese eigentümliche Organisation unmittelbar bevorstehend glaubt, gibt es wenig Raum für "professionelle Untersuchungen" dessen, was Introvigne "Neue religiöse Bewegungen" nennt.

Gemäß Plinio muß "die aus der Konterrevolution hervorgegangene Ordnung" für ihre "ständige Sorge leuchten, das Böse bereits im Embryonalstadium und in seinen versteckten Formen zu entdecken und zu bekämpfen, es mit Flüchen schlagen und als schändlich brandmarken, es mit unbeugsamer Strenge bestrafen, insbesondere was jeglichen Versuch gegen die Orthodoxie und die Reinheit der Sitten betrifft; dies alles in Gegnerschaft zur liberalen Metphysik der Revolution und ihrer Tendenz, die Zügel loszulassen und das Böse zu schützen".

Diese Worte stammen aus: Plinio Corrêa de Oliveira, Revolution und Konterrevolution, Seite 126, italienische Ausgabe, annonciert natürlich in Cristianità. Wie Cristianità uns sagt, ist "Revoluçao e Contra-Revoluçao, geschrieben im Jahre 1959, das Grundgesetz der TFP, und es liefert uns die Grundlagen für deren Lehre und Handlungen". (Cristianità, Nov.-Dez. 1995, Seite 5). Zumindest wird im Gegensatz zu Introvigne, als der über "kontroverse Texte" der Neuen Akropolissprach, nicht behauptet, das Buch sei eine "Fälschung" der "Antisektenbewegungen".

In einer von der TFP in Frankreich betriebenen Schule . . .

. . . marschieren vor jeder Messe einige TFP-Kämpfer zum Altar der Kapelle, die Dr. Plinios Buch Revolution und Konterrevolution mit sich führen. Dieselbe Art von Zeremonie wurde auch in Brasilien praktiziert. Dem Buch schritt im allgemeinen ein Kämpfer voran, der einen Kelch auf einem Kissen trug, gefolgt von einem weiteren Kämpfer, der ein anderes Kissen mit einer Dornenkrone trug. (Tradizione Famiglia Proprietà: Associazione cattolica o setta millenarista?, Rimini 1996, Seite 63)

Ganz ähnliche Worte wie die in Cristianità erscheinen in Lepanto (Juni 1991), dem Organ der Schwestergruppe der KA:

Könige und Herrscher müssen sicherstellen, daß jeder das göttliche und evangelische Gesetz befolgen muß []. Die Behörden müssen sicherstellen, daß auch den Gesetzen der Kirche Gehorsam geleistet werden muß []. Das bedeutet, daß die Herrscher in ihren Staaten kein Laster mehr verabscheuen und verfolgen müssen als die Ketzerei []. Da die geistigen Arme der Kirche nicht immer genügen, um dies zu erreichen, müssen die Herrscher der Kirche darin beistehen, diesen Götzen aus dem Tempel Gottes hinauszutreiben und den Kopf und die Hände wie bei einem Drachen abzuschlagen (1. Könige 5:4), damit er nicht mehr sprechen, handeln und die Vorherrschaft ausüben kann.

Eines der Werke Plinios trägt den Titel Adel und ähnliche traditionelle Eliten in den Reden von Pius XII an die römischen Patrizier und den Adel. Dieser Aufsatz wurde natürlich in Cristianità veröffentlicht (in "Genesi, sviluppo e declino della 'nobiltà della terra'" in der Ausgabe der Cristianità vom Mai 1994, Seiten 15 ff., und in folgenden Ausgaben). Dieselbe Maiausgabe enthält auf der Seite 9 auch einen Aufsatz Introvignes, in dem das Opus Dei gegen die "Antisektenbewegung" in Schutz genommen wird, worin sich "oft in Einzelheiten die Verschwörung des Kampfes gegen die Religion in der gegenwärtigen Stunde" offenbart", wie es auf dem Umschlag heißt ("die gegenwärtige Stunde" ist ein Schlagwort von Doktor Plinio).

Das Wort "ähnliche" in Plinios Titel ist auf ein grundlegendes Problem mit Plinios brasilianischem Rittertum zurückzuführen (seine Anhänger nannten sich "Soldatenmönche" -- siehe Tradizione Famiglia Proprietà: Associazione cattolica o setta millenarista?, Rimini 1996, Seite 27): das Fehlen einer echten Aristokratie in einem Land, in dem die Eliten hauptsächlich die Funktion hatten, ihre schwarzen Sklaven Kaffee für das Frühstück der wahren Eliten in der ganzen Welt anbauen zu lassen. Das führt den Meister dazu, stolz zu behaupten, die alte brasilianische Gesellschaft sei eine richtiggehend feudale gewesen.

Giovanni Cantoni, wie wir gesehen haben, der Koautor -- mit Introvigne -- eines Buches gegen die "Antisektenbewegungen", stellte Plinios Aufsatz bei einem internationalen Kongreß in Rom am 30. Oktober 1993 vor: Ein Bild auf Seite 21 zeigt Cantoni, der irgendwie wie Sigmund Freud ausschaut, im Gespräch neben "Seiner kaiserlichen Hoheit", Erzherzog Martin von Österreich. Cantoni zitiert den typischen Ausdruck des Doktors -- wirtschaftliche Unterschiede "ermutigen und oftmals verpflichten die Leute, großzügig, großmütig und bereit zum Teilen zu sein".


Die T.F.P. stößt auf Probleme

Die TFP sieht sich in einen Kampf mit der Linken auf Leben und Tod verwickelt. Sie neigt folglich dazu, jeden Konflikt, in den sie gerät, einfach als gewalttätige Reaktion der "Revolution" gegen ihre heroischen Gegner anzusehen, eine Vorstellung, die Introvigne in die Fiktion der "Antisektenbewegung" übersetzt hat.

Tatsächlich jedoch kommt Gegnerschaft gegen die T.F.P. meistens von Eltern von T.F.P.-Mitgliedern, selbst gewöhnlich katholische Traditionalisten, und von konservativen und traditionalistischen katholischen Lagern.

Dafür gibt es mehrere Gründe. In erster Linie hält sich die TFP außerhalb Lateinamerikas gewöhnlich im Hintergrund oder operiert durch Organisationen im Vordergrund, was die Linke gewöhnlich nicht versteht. Skinheads wenden sich woandershin, wenn sie eine Gruppe wie die TFP finden, deren Schriften schwer zu lesen sind, die im allgemeinen unauffällig ist und die von einem Mann gegründet wurde, der während des Krieges mit den britischen Konservativen sympathisierte (so sehr, daß während des Falkland-Krieges eine pro-britische Haltung eingenommen wurde). Die TFP sah den Faschismus mit seinem optimistischen Staats- und Nationalkult als eine abweichende Form des "revolutionären Sozialismus" an.

Ein weiterer Grund ist, daß die TFP noch weit mehr rechts steht als jede andere Organisation auf dem politisch rechten Flügel. Was immer die Leute tief in ihrem Inneren denken mögen, ich kenne keine andere rechte Organisation, die öffentlich sagt, daß die Reichen besser sind als die Armen. Selbst der extremste katholische Traditionalist macht die moderne Welt für das "internationale Freimaurertum" oder die "Banken-Mafia" verantwortlich, wohingegen die TFP die Schuld ganz offen den rebellischen Armen zuschiebt, denen es das selbstgestrickte "Rechtssein" entgegenhält.

Der dritte Grund hängt mit der Lehre zusammen. Katholische Traditionalisten haben wegen angeblicher Abweichungen in der Lehre Probleme mit der "Amtskirche"; die TFP jedoch ist allein daran interessiert, die Agrarreform zu bekämpfen, und nicht an der Lehre, warum sie auch das 2. Vatikanische Konzil und die Liturgiereform akzeptieren konnte. Schließlich hat der Papst mehr Bataillone, als sie Monsignore Lefèbvre je hatte.

Auch Plinios Leugnung der zukünftigen Rolle der Priester -- und gegenwärtig der Ausschluß aller Priester von den geheimeren Aspekten der Gruppe -- führte Monsignore Castro de Mayer, jahrzehntelang Plinios Gönner unter den brasilianischen Bischöfen, zu der Feststellung:

Die TFP ist eine Ketzersekte, da sie -- allerdings nicht wörtlich oder schriftlich -- nach einem Grundsatz lebt und handelt, der die Grundlage allen wahren Christentums, d.h. der katholischen Kirche, untergräbt. (Tradizione Famiglia Proprietà: Associazione cattolica o setta millenarista?, Rimini 1996, Seite 6)

Das Ausmaß, in dem die TFP in der Lehre abweicht, läßt sich an dem folgenden Dokument sehen. Ich entschuldige mich bei katholischen Lesern dafür, daß ich es anführe, da es sich sehr wie die anzüglicheren Lieder des 19 Jahrhunderts anhört, die Antiklerikale oft sangen, nachdem sie zu tief ins Glas geschaut hatten. Diese "Hymne" meint es jedoch ernst: als eine Parodie auf eine der verehrtesten Hymnen auf die Jungfrau Maria in der katholischen Tradition ist sie Dona Lucilia gewidmet, der Mutter von Plinio Corrêa de Oliveira:

Frau Lucilia, bitte für uns

Mutter des Meisters Doktor Plinio, bitte für uns

Mutter des Doktors der Kirche, bitte für uns

Mutter unseres Vaters, bitte für uns

Mutter des Unaussprechlichen, bitte für uns

Mutter von uns allen, bitte für uns

Mutter der kommenden Jahrhunderte, bitte für uns

Mutter des axiologischen Grundsatzes, bitte für uns

Mutter des Temperamentes der Synthese, bitte für uns

Mutter aller Reinheit, bitte für uns

Mutter der Transsphäre, bitte für uns

Mutter der Ernsthaftigkeit, bitte für uns

Mutter der Konterrevolution, bitte für uns

Wiederherstellerin des Temperamentes, bitte für uns

Quelle des Lichts, bitte für uns

Erzeugerin der Unschuld, bitte für uns

Bewahrerin der Unschuld, bitte für uns

Trösterin des Herrn Doktor Plinio, bitte für uns

Mittlerin der großen Umkehr, bitte für uns

Mittlerin aller Gnaden, bitte für uns

Dämmerung des Königreiches der Maria, bitte für uns

Frau Lucilia des Lächelns, bitte für uns

Frau Lucilia der Blitze, bitte für uns

Schönste Blume von allen, bitte für uns

Unsere Zuflucht, bitte für uns

Unsere Trösterin, bitte für uns

Unsere Helferin in der Bagarre, bitte für uns

Grund unserer Ausdauer, bitte für uns

Gefäß der Logik, bitte für uns

Gefäß der Metaphysik, bitte für uns

Märtyrerin der Einsamkeit, bitte für uns

Königin des gelassenen Leidens, bitte für uns

Königin der Lieblichkeit, bitte für uns

Königin der Gelassenheit, bitte für uns

Frau Lucilia, unsere Mutter und Frau, hilf uns

Frau Lucilia, unsere größte Mittlerin vor der Jungfrau, hilf uns

(Zitiert in Tradizione Famiglia Proprietà: Associazione cattolica o setta millenarista?, Rimini 1996, Seiten 70-71)

Der außergewöhnlichste Anspruch hier ist auch der obskurste, "Mutter des axiologischen Grundsatzes": damit ist ein Grundsatz gemeint, der kein vorhergehendes Prinzip benötigt, mit anderen Worten Gott selbst.

Diese Hymne wurde öffentliches Gut, als sie von Prof. Orlando Fedeli, seit über 30 Jahren Mitglied der TFP, enthüllt wurde, der Mons. Antonio de Castro Mayer um seine Meinung bat, ob man sie als orthodox ansehen könne. Man kann erkennen, wo die Wurzeln von Introvignes Abneigung gegen "Abtrünnige" liegen. Die TFP stritt die Darstellung nicht ab; sie verlagerte nur die Schuld auf übereifrige junge Anhänger, und behauptete, die Hymne sei vollkommen orthodox (Carlo Alberto Agnoli und Paolo Taufer, TFP: la maschera e il volto, Ed. Adveniat, S.Giustina di Rimini, s.d., Seiten 17 ff.). Die Schuld den Jungen zu geben, ist eine althergebrachte Praktik bei bestimmten Arten von Organisationen. Sie behauptete auch, die Hymne werde schon seit langem nicht mehr benutzt. Die gegenwärtige offizielle Version des Themas wird von Roberto de Mattei in seiner Hagiographie von Doktor Plinio angegeben (Roberto de Mattei, Il crociato del secolo XX: Plinio Corrêa de Oliveira, Piemme, Casale Monferrato, 1996, Seite 249):

Es stimmt, daß einige Mitarbeiter der Vereinigung eine Zeitlang eine Litanei mit Anrufungen der Frau Lucilia verwendeten, komponiert von zwei Heranwachsenden Ende 1977. Diese Litanei wurde von Prof. Corrêa de Oliveira verboten, als er davon erfuhr.

Es ist merkwürdig, aber diese Hymne von brasilianischen Heranwachsenden scheint sich über den Ozean verbreitet zu haben, da sie mit Sicherheit in den frühen 80er Jahren in Frankreich verwendet wurde und ein ehemaliges KA-Mitglied mir kürzlich erzählte, daß einige Zweigorganisationen der TFP sie noch Anfang der 90er Jahre in Italien verwendeten. Wenn nichts anderes hilft, wird TFP-Sympathisanten, die diese Hymne entdecken, gesagt, "in Lateinamerika gingen die Uhren eben anders": das war zufällig auch die Lieblingskriegslist in meiner Gruppe, der Neuen Akropolis, die auch aus Lateinamerika kam.

Wenn Plinios Mutter die Jungfrau Lucilia ist, dann muß ihr Nachkomme etwas Besonderes sein. Wie besonders, ist einer außergewöhnlichen Episode zu entnehmen, die man wohl kaum übereifrigen Heranwachsenden zuschieben kann, da sie auf einer Aussage Plinios basiert, wiederholt in vielen seiner Werke, und -- wie gewöhnlich -- voller Stolz in Cristianità erzählt. ("In memoriam: Plinio Corrêa de Oliveira", November-Dezember 1995, Seite 6):

Am 1. Februar 1975 bot er sich angesichts der zunehmenden komplizierter werden Lage in der katholischen Kirche und damit der katholischen Welt während einer Zusammenkunft der brasilianischen TFP selbst als Sühnopfer an. Sechsunddreißig Stunden später wurde er bei einem Autounfall schwer verletzt; die Folgen davon blieben bis zu seinem Tod.

Mehr als ihr politischer Charakter war es dieses in hohem Maße suspekte theologische Wesen der Gruppe, das zu ihrer Verurteilung durch den Rat der brasilianischen Bischöfe führte.

Im Verlaufe der 23. Jahresversammlung nahm der Rat der brasilianischen Bischöfe eine Note bezüglich der "Brasilianischen Gesellschaft für die Verteidigung von Tradition, Familie und Besitz" an, die Katholiken den Rat gab, sich nicht der gerade genannten Gesellschaft anzuschließen []. Ihr esoterischer Charakter, ihr religiöser Fanatismus, der Personenkult um den Gründer und seine Mutter, der Mißbrauch des Namens der Jungfrau Maria [] können von der Kirche absolut nicht gutgeheißen werden. (Osservatore Romano, 7. Juli 1985, Seite 12, Nr. 408, wöchentliche spanische Ausgabe zitiert in Tradizione Famiglia Proprietà: Associazione cattolica o setta millenarista?, Rimini 1996, Titelblatt)

Der Begriff "Sekte" mit seiner doppelten Bedeutung von "abweichendem religiösen Verhalten im Vergleich zu einer institutionellen Religion" und einer "geschlossenen totalitären Gruppe" ist sicher mehrdeutig. Aber diese Verurteilung der TFP offenbart, warum die Organisation gewiß von einigen als "Sekte" im ersteren Sinne des Wortes angesehen wurde, und warum diese Organisation 1985 daher ein besonderes Interesse an dem Thema "Sekte" hatte. Das war genau dann, als auch Introvigne begann, sich mit der Sache zu befassen.

Ehemalige TFP-Mitglieder haben geschrieben, daß Plinio selbst sich dieser Assoziation sehr wohl bewußt war. In bezug auf die Beschuldigung, eine Sekte zu sein, erzählte er ihnen immer wieder:

Das muß nicht als Überraschung kommen; seit ihr der TFP angehört, werdet ihr selbst von Eltern und Freunden behandelt, als gehörtet ihr zu einer Sekte! Es wird schrecklich ja tatsächlich hart sein, treu zu bleiben. (Tradizione Famiglia Proprietà: Associazione cattolica o setta millenarista?, Rimini 1996, Seite 38)

Introvignes Schuld gegenüber Plinio Corrêa de Oliveira

Wir haben bereits gesehen, wie Introvigne in der Vergangenheit nur selten einen Artikel schrieb, ohne aus Plinio Corrêas Revolution und Konterrevolution zu zitieren.

Heute erwähnt er den "Doktor" selten öffentlich. Plinios Einfluß jedoch zeigt sich noch immer in vielerlei Weise. Beispielsweise gibt Introvigne in einer Fußnote in einem Artikel ("Che cos'è il millenarismo", in Sette e religioni, Jan.-März 1991, Seite 40) plötzlich bittere Polemik gegen andere recht orthodoxe katholische Gelehrte von sich, die Zweifel an einem außergewöhnlich fanatischen und wenig bekannten französischen Prediger geäußert hatten, den heiligen Louis Maria Grignion de Montfort (1673-1716). Dieser französische Priester ist ganz zufällig -- wie wir gesehen haben -- der Lieblingsheilige von Plinio, der sein gesamtes Buch Revolution und Konterrevolution auf eine ziemlich zweifelhafte Auslegung seiner apokalyptischen Visionen gründete. Wie Plinio fromm sagt:

Zum Schluß seiner Predigten sammelten die Zuhörer oft anzügliche oder sinnenfreudige Gegenstände und gottlose Bücher ein, häuften sie auf dem Stadtplatz auf und setzten sie in Brand. Während die Feuer brannten, sprach unser rastloser Missionar noch einmal und stiftete sie zur Nüchternheit an. (Aus dem Vorwort zu Revolution und Konterrevolution, zitiert natürlich in Cristianità, November-Dezember 1995, Seite 10)

Ein anderes Beispiel: Obwohl Introvigne im allgemeinen recht deutlich schreibt, werden seine Schriften über die Sonnentempler den meisten Menschen wahrscheinlich unverständlich erscheinen. Abgesehen von der Tatsache, daß er ganz offensichtlich versucht, jede andere Sekte vor Schaden zu bewahren, worüber redet er eigentlich? Etwas über die Tempelritter und die Zweite Revolution (mit Großbuchstaben), die die eigenen Kinder frißt Tatsächlich ist der Text für alle Leser vollkommen verständlich, die auch Plinios Schriften gelesen haben, aber für niemanden sonst. Natürlich gibt es Hunderte von Sekten (und andere ganz unschuldige Gruppen) mit eben derselben Tempelritter-Mythologie und dem homöopathischen Mix wie bei den Sonnentemplern -- erst wenn sie eine schlechte Presse haben, versucht Introvigne zu zeigen, daß sie irgendwie aus der Französischen Revolution hervorgegangen sind.

Dies führt Introvigne dazu, die Sonnentempler wegzuerklären, während er Moon, Scientology und dergleichen bewahren kann:

Die Tragödie der Sonnentempler stellt jetzt -- zusammen mit Elementen des Totschlags, auch in Jonestown gegenwärtig -- den Selbstmord einer anderen Revolution, der Zweiten Revolution, dar, markiert durch einen Relativismus in seiner "reinen" aufklärerischen Form, noch nicht in seiner "reformierten" und aggressiven sozialkommunistischen Form. Beide Tragödien finden auch innerhalb des kulturellen Rahmens der Vierten Revolution statt, und das hilft vielleicht, kleine Gruppen zu jagen, die die Zweite und Dritte Revolution in einer panischen und klösterlichen Weise ausleben. Die unheilvollen Blitze der elektronischen "Freudenfeuer" der Sonnentempler erleuchten so einen "jahrhundertealten" Weg und stellen die Apokalypse dar, nicht der Religion -- und in diesem Falle auch nicht der "Neuen Religionen" -- sondern, in Begriffen, die sowohl großartig wie diabolisch sind, des Relativismus. ("La tragedia del Tempio Solare: il suicidio di una Rivoluzione", in Cristianità, November 1994, Seite 16.)

Wir sehen hier, woher die KA den Begriff "sozialkommunistisch" hat; die Zweite Revolution meint die Aufklärung und die Französische Revolution, die Vierte die neuzeitliche "Dekadenz". Gemäß Introvignes verwickelten Erklärungen war die Sonnentemplergruppe die Schuld Voltaires, Jonestown war die Schuld von Karl Marx.

Waco andererseits war ein "christlicher Holocaust", wie Introvigne einen Artikel in Cristianitàvon Juni-Juli 1993 betitelte.

Introvignes Erklärung zu Jim Jones, einem rechtmäßig ordinierten protestantischen Pastor, der eine typisch amerikanische Sekte gründete, ehe er seine Anhänger in ihr Verderben in Jonestown führte, ist viel einfacher: sie waren Kommunisten, und Kommunisten tun nun einmal so etwas. Introvigne, der behauptet, diese Begebenheit sei die "letztendliche Schlußfolgerung eines marxistischen Weges, der zu seinen logischsten Konsequenzen geführt habe", gewesen, spricht sogar von "sowjetischen Beratern" in Jonestown -- es stellt sich die Frage, ob sie das waren, um die eigenen Genossen zu töten ober um selbst Suizid zu verüben.

Jonestown jedoch war der Selbstmord einer Revolution, die wir -- um die Worte von Plinio Corrêa de Oliveira zu gebrauchen -- die Dritte Revolution nennen können, die sozialkommunistische Revolution. ("La tragedia del Tempio Solare: il suicidio di una Rivoluzione", in Cristianità, November 1994, Seite 16.)

Sein früherer Artikel "Il suicidio della Guyana fra mito e storia" (Cristianità, Nr 162, Oktober 1988) ist typisch für diese Vorgehensweise. Voller bibliographischer Fußnoten, sieht er recht überzeugend aus, bis man seinen eigentlichen Inhalt untersucht.

Sein erster Untertitel ist recht unverblümt: "Die 'Antisektenbewegung' und der Mythos des Selbstmordkultes". Er ist ganz klar mehr daran interessiert, dem persönlichen Feind einen Schlag zu versetzen, als Jonestown zu analysieren.

Zuerst beschreibt er die "Antisektenbewegung" mit denselben Begriffen, die in jedem anderen seiner Werke über Sekten wiederkehren: die Antisektenbewegung glaube, die "Gehirnwäsche bei Sekten" [sic] habe zu dem Massenselbstmord in Guyana geführt. Dann fährt er fort und zeigt, daß die Gruppe von Reverend Jones ja eigentlich aus Kommunisten bestand.

Wahr oder nicht, dies beweist überhaupt nichts. Introvigne ist sich vollkommen darüber im klaren, daß die "Antisektenbewegung", soweit man bei einer solchen gemischten Vielfalt von Organisationen überhaupt von einem kohärenten Vorstellungskreis sprechen kann, glaubt, daß Sekten religiös, kommerziell, therapeutisch oder politisch sein können; daß die Handlungsweise zählt, und nicht das Glaubensbekenntnis. Introvigne ist sich darüber sehr wohl im klaren, da er an anderem Ort diese Vorstellung kritisiert. Tatsächlich schreibt eine führende Sektenkritikerin, Janja Lalich, auf der Grundlage ihrer Erfahrungen in einer marxistisch-feministischen Gruppe. Die Frage, die Sektenkritiker zu Jonestown stellen, ist jedoch eine völlig andere: Kann ein geschlossene Gruppe, was auch immer ihre Ideologie ist, eine solche konditionierende Atmosphäre schaffen, die dann ihre Anhänger dazu führt, Massenselbstmord zu begehen, oder war der Massenselbstmord einfach die Summe von nahezu tausend gleichzeitig getroffenen freien Entscheidungen von Männern, Frauen und Kindern?

Introvignes Schlußfolgerung ist keine Antwort auf diese entscheidende Frage:

Der Fehler, den die Antisektenbewegung im Jahre 1978 vielleicht noch unfreiwillig beging, wird 1988 zu einem vorsätzlich begangenen Fehler -- nach zehn Jahren der Forschung und durch ganze Bibliotheken von Dokumenten für jeden bewiesen, der nachschauen will --, daß die Sonnentempler keine religiöse Gruppe waren, sondern eine sozialkommunistische Bewegung. ("Il suicidio della Guyana fra mito e storia", in Cristianità, Nr. 162, Oktober 1988, Seite 11)


Wie erst die Inquisition und dann Sekten entschuldigt werden

In Anbetracht der Vorliebe Plinios für die Inquisition mag es überraschend erscheinen, daß Introvigne ein Manifest zur Verteidigung von Scientology unterzeichnete, statt die multinationale US-Gruppe mit dem "Zeichen der Schändlichkeit" zu brandmarken ("Schändlichkeit" ist im kanonischen Recht auch eines der Merkmale für "Abtrünnige"): Im August 1996 gab die internationale Konferenz von CESNUR ein Statement heraus, in dem die Versuche Deutschlands, sich die Operationen des Konzerns einmal näher anzusehen, als "Zeichen von extrem gefährlichem Fanatismus" und als "Haßkampagne" bezeichnet wurden. Es ist kaum überraschend, daß der CESNUR-Appell jede Nennung der Gründe vermied, warum Scientology in Deutschland Probleme hatte: Nach dem ehemaligen Scientology-Führer Gunther Träger wurden Mieter aus ihren Wohnungen geworfen, die Wohnungen wurden von der Organisation aufgekauft und zum Verkauf bereitgestellt. Keiner dieser Gründe hatte auch nur im Entferntesten etwas mit "religiösem Fanatismus" zu tun. "Haß" ist natürlich das typische leere Schlagwort der "politisch Korrekten", um die Beweggründe ihrer Kritiker zu beschreiben; es ist im Grunde genommen bedeutungslos.

Der CESNUR-Appell bedeutet auch, daß diese angeblich gelehrte Organisation sich die lächerliche Gleichsetzung der Maßnahmen in Deutschland mit "religiöser Verfolgung" und/oder der "Wiederkehr der Nazis" durch die PR-Abteilung von Scientology zu eigen macht. Was auch immer der Fehler Deutschland ist, "religiöser Fanatismus" in diesem Land hörte im Jahre 1648 auf, am Ende des Dreißigjährigen Krieges, langer bevor damit in irgendeinem anderen Land Schluß war: Die Juden wurden von Hitler wegen pseudoökonomischer und pseudorassistischer Gründe verfolgt, nicht, weil sie nicht an die Dreieinigkeit glaubten, und katholische und protestantische Nazis übten vereint Druck auf protestantische Holländer und katholische Polen aus. Doch Introvigne ist sich sicher dessen bewußt -- oder sollte es sein --, daß der Grund, warum der deutsche Staat Scientology mit einiger Besorgnis betrachtet, darin liegt, daß nahezu alle Deutsche heute glauben, daß jede totalitäre Organisation im Keim erstickt werden sollte: Scientology hat dieselben Probleme und dieselben Feinde wie die Neonazis, und aus denselben Gründen. Obwohl in Deutschland noch nie ein Gesetz gegen Scientology angewendet worden ist, schlagen Scientology-Kritiker vor, die Organisation sollte den sehr strengen Gesetzen unterworfen werden, die in Deutschland zur Verteidigung der Demokratie vor dem leisesten Verdacht auf eine totalitäre Organisation bestehen. Die Vorstellung, keine Scientologen in sensiblen Behördenstellen arbeiten zu haben, gründet sich auf das berühmte "Berufsverbot", aufgrund dessen Tausende von Lehrern und anderen Beamten, die verdächtigt werden, Neonazis oder Kommunisten zu sein (das letztere eine Ideologie, die in Deutschlang eng mit dem ehemals totalitären Osten in Verbindung gebracht wird), ihre Arbeitsstellen verloren haben. Introvigne mag einer solchen antitotalitären Gesetzgebung feindlich gegenüberstehen, aber wenn er es tut, warum sagt er es dann nicht?

Introvignes Liberalismus gilt jedoch nur gegenüber Scientology. Die KA wägt ihre Worte heute sorgfältig ab, wenn auch nicht die Bedeutung dahinter; doch die TFP-Gefährten in Italien haben lautstarke Kampagnen gegen ausländische Einwanderer gestartet; sie griffen sogar nicht-politische Forschungen über das präkolumbische Amerika an und versuchten, eine seichte Komödie in einem Gemeindesaal zu stoppen, in der freundliche Witze über Priester gemacht wurden. Andere Höhepunkte sind: die ausdrückliche Verteidigung des europäischen Kolonialismus und Angriffe gegen den Islam (um den Jahrestag der Kreuzzüge zu begehen, widmete die Zeitschrift der KA Ausgabe für Ausgabe ihr Titelblatt Episoden aus den Kreuzzügen). Und was Introvignes Lieblingsthema, religiöse Toleranz, angeht, so veröffentlichte Cristianità (Januar-Februar 1993, Seiten 5 ff.) ein langes Interview mit einem argentinischen Professor, der über die Zwangsbekehrungen der amerikanischen Ureinwohner folgendes zu sagen hatte:

Die präkolumbische Welt hatte zwar eine dunkle Ahnung von dem unbekannten Gott und eine rätselhafte Erwartung von etwas, das kommen würde, aber sie war gekennzeichnet durch Korruption, Magie und Götzendienst. Mit der Ankunft der Missionare wurde diese Situation durch Entmythologisierung zuerst bereinigt, dann durch Bekehrung umgewandelt in eine "neue Welt", die durch Christus erlöst und von der Sklaverei der Sünde befreit wurde.

Nichts wird über andere Formen der Sklaverei gesagt. Die Ausgabe von März 1992 bildet diesen Titel an hervorspringender Stelle ab: "Christopher Kolumbus, Genueser Admiral und 'Verteidiger des Glaubens'". Der umstrittenen spanischen Königin Isabella ist ein weiterer Titel gewidmet: "Die Dienerin Gottes: Isabella die Katholische, Vorbild für eine neue Evangelisation". (Cristianità, April 1992). Es wird uns gesagt, daß diese Frau, die vielleicht ein Vorbild für die Evangelisation, aber nicht für religiöse Freiheit ist, "eine der außerordentlichsten Figuren in der Geschichte [sei], und ihr Leben [scheine] ein wichtiges Kapitel in Gottes Plan für die Welt und die Kirche zu sein".

Scientology geht für die KA vielleicht in Ordnung, aber katholische liberale Theologie wird mit dem ganzen Repertoire an altem katholischem Brandmarken als Sekte behandelt. In "Anmerkungen zwischen Revolution und Konterrevolution" fragt die Führungsfigur Giovanni Cantoni, ob eine bestimmte progressive brasilianische Theologie eine "neo-gnostische und eine neo-wiedertäuferische" Theologie" sei? (Cristianità, November 1992, Seite 25).

Ein Lieblingsthema ist der Kampf gegen die Rechte von Homosexuellen. Am 27. September 1994 empfing der stellvertretende Vorsitzende des europäischen Parlamentes eine Delegation des "Komitees zur Verteidigung der natürlichen und christlichen Ordnung der Familie", eine T.F.P.- Organisation, die 136.000 Unterschriften gegen gleiche Rechte für Homosexuelle gesammelt hatte. Unter den Mitgliedern der Delegation waren Guillaume Babinet, Direktor der T.F.P. France; Marquis Luigi Coda Nunziante, Präsident der Famiglia Domani (eine andere T.F.P.-Organisation -- Coda Nunziante machte vor einiger Zeit Schlagzeilen, als er vor einem Gericht ein Bittgesuch gegen die italienische Gesellschaftspersönlichkeit Marina Ripa di Meana einreichte, die nackt für ein Plakat gegen Pelzmäntel posiert hatte); Professor Roberto de Mattei, Präsident des Centro Culturale Lepanto; Leopold Werner, Vertreter der T.F.P.-Covadonga, Spanien; und mehrere italienische Parlamentsmitglieder (Controrivoluzione, Nr. 37-40, April-Nov. 1995, Florenz, Italien).

Die TFP-Zweigorganisation Centro Lepanto machte am 23. Juni 1995 in Italien Schlagzeilen, als sie Irene Pivetti, die Sprecherin des italienischen Parlamentes überredete, einer besonderen Zeremonie beizuwohnen, in der Gottes Vergebung erbeten wurde, weil die Stadt Rom den Bau einer Moschee zugelassen hatte.

Das alles ist nichts Neues. So berichtet zum Beispiel eine Note eines argentinischen Freundes, wie die T.F.P. General Juan Carlos Onganías Coup im Jahre 1966 unterstützte und im Jahre 1973 einen gewaltigen Feldzug organisierte, in dem die Rückkehr von Juan Domingo Peron angegriffen wurde. Neben den massiven antikommunistischen Kampagnen im amerikanischen Stil sollte man die Beziehungen zu Pinochet erwähnen, den sie zuerst unterstützte, dann aber beschuldigte, er schenke den Armen zuviel Beachtung ("TFP: la nouvelle inquisition", in Golias, Nr. 51, Nov.- Dez. 1996, Seite 64). Diese Kritik hielt Pinochet nicht davon ab, Ettore Riesle, den Gründer des chilenischen Zweiges der T.F.P., im April 1974 als Botschafter der Militärjunta beim Heiligen Stuhl zu ernennen (Giovanni Tassani, La cultura politica della destra cattolica, Coines Edizioni, Rom, 1976, Seite 211, Fußnote 86).

Das italienische Fernsehen zeigte kürzlich Dokumentaraufnahmen aus der Allende-Zeit in Chile, darunter eine antikommunistische Demonstration der TFP: es war amüsant zu sehen, daß die jungen Demonstranten alle gleich angezogen waren wie auf der Hintergrundzeichnung auf den Seiten der Cristianità, die die Aktivitäten von CESNUR schildern, und auch dieselbe Art von großen pseudo-mittelalterlichen Fahnen trugen.

Derselbe Stil war auch in einer italienischen Fernsehsendung während einer Demonstration der Rechten Ende 1996 oder Anfang 1997 zu sehen: jeder Demonstrant der KA-Schwesterorganisation Centro Lepanto trug eine Anstecknadel mit dem sprungbereiten Löwen der T.F.P., und alle hielten ein langes Spruchband -- "PRIVATER BESITZ - EIN GÖTTLICHES RECHT". Natürlich glücklich für die, die Besitz haben. Die TFP betrachtet Besitz in der Tat als Voraussetzung für ein anständiges christliches Leben. Das ist auch der Grund für das "Besitz" in ihrem Namen. Wie Roberto de Mattei, der Führer des Centro Lepanto, es formuliert, braucht die Bewahrung katholischer Tradition eine Umgebung, die Familie; und "die Familie braucht, um zu überleben und zu wachsen, ein materielles Substrat, das ihr Leben und ihre Freiheit sichert" (De Mattei, Il crociato del secolo XX: Plinio Corrêa de Oliveira, Piemme, Casale Monferrato, 1996, Seite 203), und dieses Substrat ist natürlich der Besitz. Das heißt jedoch nicht, daß allen Menschen Besitz gegeben werden sollte; es bedeutet vielmehr, daß alle jene ihn bewahren, die ihn bereits haben. Das ist eine Art und Weise, die Erlösung zu beschränken, die so manchem Theologen zu denken geben sollte.

Dies ist eine Abhandlung über Introvigne, nicht über Politik. Solange Menschen klar und ehrlich überzeugte Meinungen vertreten, mag ich diesen Meinungen wohl widersprechen, aber nicht den Personen, die sie äußern. Ich möchte nur betonen, daß keine der Feststellungen und Aktionen, die ich zuvor erwähnt habe und die die Grundmerkmale der Welt von Introvigne bilden, etwas mit "wissenschaftlicher Untersuchung", "Soziologie" oder "religiöser Toleranz" zu tun hat.


T.F.P. wird beschuldigt, eine Sekte mit "Gehirnwäsche" zu sein

Wir haben gesehen, wie die T.F.P. sich bereits dem Verdacht aussetzte, aus religiöser Sicht eine "Sekte" zu sein. Doch unter diesen Verdacht fiel sie auch aus soziologischer Sicht.

Die T.F.P. stieß zuerst in Frankreich auf erhebliche Probleme, wo die Organisation im Jahre 1967 die "Ecole Saint-Benoît" gründete, eine Privatschule in Châteauroux, auf die ausschließlich die Kinder katholischer Traditionalisten gingen und die von einer Gruppe von TFP-Kämpfern betrieben wurde. Die TFP versuchte zuerst, die unerwarteten Änderungen im Verhalten mehrerer Schüler wegzuerklären, indem sie sie als "Einzelfälle" bezeichnete. Bei einer Zusammenkunft im Jahre 1979 entdeckten die Eltern, der Kaplan und die Lehrer alle, daß diese Fälle alles andere als Einzelfälle waren, und baten die TFP, die Schule nicht weiter zu betreiben.

Die Eltern, die Lehrer und der Kaplan faßten zusammen mit mehreren Schülern ein faszinierendes kleines Buch über die Organisation und ihre Methoden ab (neu aufgelegt durch katholische Traditionalisten als Tradizione Famiglia Proprietà: associazione cattolica o setta millenarista?).

Wie bei vielen ähnlichen Gruppen entdeckten sie, daß die TFP ihre Kämpfer Schritt um Schritt lehrt, nicht zu denken: "Ihr denkt zu viel: das ist eine Versuchung des Teufels", ist die Äußerung, die ein brasilianischer Direktor gegenüber einem zweifelnden Franzosen machte; typischerweise wird "zuviel denken" ideologisch René Descartes angelastet.

Heimlichtuerei, Kontrolle der Umgebung, ständige Reisen nach Brasilien sind die Merkmale der Indoktrination, die die Organisation praktiziert.

Gemäß den Eltern und Priestern in Frankreich ist ein weiteres interessantes Merkmal die ständige Herabsetzung aller anderer katholischen Traditionalisten, die generell der "weißen Ketzerei" beschuldigt werden, womit "revolutionäres Verhalten" gemeint ist (schwarze Ketzerei meint "revolutionäres Denken").

Im vorurteilsbehafteten Jargon der Gruppe werden T.F.P.-Kämpfer gelehrt, von ihren Eltern als "F.M.R." zu sprechen, Fontes minha revolução, den "Quellen meiner Revolution"; Eltern können jedoch für ihre revolutionären Tendenzen durch Finanzierung der Bewegung Sühne leisten.

Es ist typisch, zu sehen, wie Kämpfer, wenn "Angriffe seitens der Familie" stattfinden, sich weigern, mit ihrer Familie zu argumentieren; sie lächeln und sagen: "Ich wußte, daß das kommt"(Tradizione Famiglia Proprietà: associazione cattolica o setta millenarista, Seiten 22-23)

Junge Mitglieder lehrt man, ihre Eltern zu manipulieren -- wie Doktor Plinio zu sagen pflegte: "Das Spiel, das ihr mit dieser oder jener Person treiben müßt, ist dieses: ..." (Tradizione Famiglia Proprietà: associazione cattolica o setta millenarista, Seite 23).

Das entscheidende Jahr, die Kehrtwendung der Katholischen Allianz (und Introvignes) von den Angriffen auf die "Jehovistensekte" auf die ebenso bissigen Angriffe auf die "Antiektenbewegung" zu verstehen, ist 1985.

Die TFP wurde 1984 in Venezuela verboten. Was uns interessiert, sind nicht die Fakten selbst, sondern die Art, in der die T.F.P. sie ansah. Der unmittelbare (und ziemlich unwahrscheinliche) Grund war, daß die Organisation sich angeblich verschworen hatte, ein Attentat auf den Papst zu verüben. Dies ereignete sich, kurz nachdem ein ehemaliges TFP-Mitglied (aber sicherlich ein Einzelgänger) versucht hatte, den Papst in Fatima in Portugal umzubringen.

Doch in typischem Szenario wurden viele besorgte Eltern von TFP-Mitgliedern in die Sache verwickelt, und die TFP wurde in der Hauptsache beschuldigt, "eine Sekte zu sein".

Die Episode wird so etwa Mitte 1985 im Bollettino delle 15 TFP, Jahrgang 1, Nr. 5 geschildert. Der Titel ist bedeutsam: "Sozialistische Wut schlägt gegen TFP-Widerstand".

Wie in derartigen Fällen üblich, wird für die ganze Episode nicht etwa die Asociación Civil Resistencia, die örtliche T.F.P.-Organisation, sondern die Regierung verantwortlich gemacht: Angeblich war es der T.F.P.-Feldzug gegen ein von der herrschenden Partei verabschiedetes sozialistisches Gesetz, das die Rache der Regierung gegen die Gruppe hervorrief. Was gleichfalls typisch ist: Wir erfahren nicht, was die Beschuldigungen der Regierung gegen die T.F.P. waren, sondern nur die Verteidigung der T.F.P. gegen eine "Reihe von Verfolgungen", "eine gewalttätige Verfolgung" und "die dichteste und totalste Propagandakampagne, die "man sich vorstellen kann". Was von besonderem Interesse ist:

Eine Minderheit von Eltern der Mitarbeiter des Widerstandes, verängstigt durch die Verwirrung oder getrieben von ideologischen Beweggründen, nahm an der verleumderischen Kampagne gegen die eigenen Kinder teil. (Bollettino, Seite 11)

Nach dem Verbot der Organisation verließen die erwachsenen Mitglieder -- viele Mitglieder waren minderjährig -- Venezuela mit ihren Familien.

In dem Dokument des parlamentarischen Komitees, das das Verbot der TFP forderte, hieß es:

Es ist eine Sekte (und keine religiöse Gruppe) [es una secta y no un culto] ganz weit rechts, die sich gegen die Familien wendet, den Charakter junger Menschen verformt, die Mitglieder zu Fanatikern macht und bei ihnen Gehirnwäsche betreibt. (Private Information eines spanischen Freundes)

Eine Aussage, die sich mit dem deckt, was die TFP selbst gesagt hat:

Nach diesen Verleumdern soll der Wiederstand also eine "Sekte" sein,' die als solche "Gehirnwäsche" betreibt. (Bollettino, Seite 12)


Die Reaktion der T.F.P.: eine "Antisektenverschwörung" wird erfunden

Wie wir sehen können, lag die TFP als "Sekte" in zweierlei Sinn unter Beschuß: als eine kleine, häretische religiöse Gruppe; und als geschlossene Gruppe, die Gedankenkontrolle betrieb. Mit Problemen von Theologen, Eltern und ehemaligen Mitgliedern in etwa derselben Weise wie, sagen wir einmal, Scientology.

Viele ehemalige Mitglieder der Organisation hatten damit begonnen, kontroverse Aspekte aufzudecken. Die TFP reagierte darauf, indem sie einen Text veröffentlichte mit dem bedeutsamen Titel: "Die neue atheistische und psychiatrische Inquisition ruft alle, die sie möchte, dazu auf, 'Sekten' zu vernichten" (Herausgeber: Gustavo Antonio und Luís Sérgio Solimeo, Société Française pour la Defense de la Tradition, Famille et Propriété, Paris 1991, Übersetzung des spanischen Textes von 1985). Im selben Jahr veröffentlichte die TFP in Kolumbien ein kleines Buch mit dem Titel: "Gehirnwäsche: Was ist das? Eine machiavellische Einrichtung? Satanisch?", in dem natürlich verschiedene Quellen angeführt wurden, um zu leugnen, daß es so etwas wie "Gehirnwäsche" überhaupt gebe.

Der Kampf gegen diese "neue Inquisition", der -- in dem ersten oben genannten Text -- "einer Allianz zwischen sozialistischen Politikern und Freudschen Psychiatern" zugeschrieben wird, ruft nach einer Koalition selbst mit denjenigen, deren Schicksal im zukünftigen Mittelalter "unbeugsame Bestrafung" sein wird, d.h. mit anderen Gruppen, die beschuldigt werden, Sekten zu sein.

Damit verbunden ist auch die Erfindung eines Feindes, den es gar nicht gibt: die "weltliche Antisektenbewegung", die angeblich ideologische und antireligiöse Zwecke verfolgt. Natürlich gibt es Sektenkritiker: doch in praktisch jedem Fall wurden ihre Organisationen von Personen mit unmittelbaren Familienproblemen gegründet, nicht von solchen mit irgendeinem ideologischen Hintergrund. Und "Psychiater und Sozialisten" wissen nur sehr wenig über die TFP: die meisten gut belegten Kritiken kommen von katholischen Traditionalisten, die demselben Milieu angehören.

Ich bin nicht in der Lage gewesen, diese Bücher aufzustöbern, daher weiß ich nicht, in welcher Beziehung sie zu einem kleinen Buch stehen, das ich auftreiben konnte und das von entscheidender Bedeutung für ein Verständnis des gesamten Themas des Krieges von Introvigne gegen die "Antisektenbewegung" ist, wie schon aus dem Titel zu ersehen ist: "Gehirnwäsche: Ein von der neuen 'Therapeutischen Inquisition' ausgebeuteter Mythos". Das Buch stammt aus dem, wie wir gesehen haben, entscheidenden Jahr: 1985.

Dieses Büchlein enthält, wenn auch erst in primitiver Form, bereits alle Vorstellungen, die Introvigne später entwickeln sollte: es ist tatsächlich ganz offenbar der Archetypus aller seiner späteren Schriften.

Der einzige Unterschied ist, daß es nicht den Anspruch erhebt, ein Werk akademischer Gelehrsamkeit zu sein. Wie die meisten extremistischen Veröffentlichungen ist es anonym und nur unterzeichnet von der "Amerikanischen Gesellschaft für die Verteidigung von Tradition, Familie und Besitz (TFP) und der Stiftung für eine christliche Zivilisation, Inc". Die Titelseite führt dann näher aus, daß "diese Untersuchung in Kolumbien und Brasilien herausgegeben" worden ist. Es ist nicht leicht, den Ursprung dieses Textes zu verstehen: obwohl der Inhalt eindeutig aus den USA stammt, handelt es sich um eine Übersetzung aus dem in Brasilien gesprochenen Portugiesischen.

Der Text ist in zwei voneinander unterschiedene Teile aufgeteilt: ein Vorwort Plinio Corrêa de Oliveira, das die ideologischen Richtlinien für den Krieg gegen die "Antisektenbewegung" festlegt, und einen größeren Teil, anonym, der hauptsächlich aus einer Sammlung von Zitaten verschiedener Persönlichkeiten besteht, die alle dazu neigen, zu beweisen, daß es so etwas wie "Gehirnwäsche" nicht gibt. Wie wir sehen, sind diese Zitate etwas wenig überzeugend, werfen jedoch eine Frage auf: Wie brachte es diese brasilianische Organisation plötzlich fertig, bei diesem ersten Exkurs auf dieses Feld so viele Zitate von US-Gelehrten zu finden? Ein brasilianischer Experte über die Prophezeiungen von Fatima wüßte ja wohl nicht einmal, wo er nach solchen Punkten wie einem Artikel von Faber, Harlow und West in Sociometry, Band 20, Nr. 4, Dezember 1957, Seiten 271-285, um einen typischen bibliographischen Verweis anzuführen, Ausschau halten sollte. Dies ist nur eine Hypothese, aber es läßt sich vermuten, daß dieser Text großenteils von einer anderen Veröffentlichung einer US-Gruppe abgeschrieben wurde, vielleicht der Vereinigungskirche, die wesentlich mehr Erfahrung darin hatte, Anschuldigungen, sie sei eine Sekte, zu widerlegen. Es wäre wahrscheinlich nicht schwierig, das Original aufzustöbern.

Dieses Vorwort des Doktors legt bereits in seinem Titel die Betrachtungsweise fest, der Introvigne noch ein Jahrzehnt später folgen sollte: "Gehirnwäsche und Sekte: Zwei undefinierbare Schlagwörter, die den Weg zu weltweiter Tyrannei und religiöser Verfolgung ebnen".

Eine Reihe von "extravaganten" Organisationen kommt auf der ganzen Welt hoch.

Der Wunsch, der Kriminalität Einhalt zu gebieten, die einige Organisationen hervorbringen, und die moderne Gesellschaft vor dem Einfluß von Gruppen zu bewahren, deren erklärtes Ziel es ist, auch wenn sie selbst nicht kriminell sind, so doch sich dramatisch von denen zu unterscheiden, die allgemein akzeptiert werden, hat eine weitverbreitete Antisektenbewegung hervorgebracht, die besonders in den Vereinigten Staaten am Werk ist. (Seite 7)

Hier sehen wir, wer Introvignes "Antisektenbewegung" erfunden hat. Plinio neigt zu einer völligen Trennung in eine Minderheit straffälliger Gruppen und in andere, die einfach deshalb bedrückt werden, weil sie, wie er wiederholt sagt, "extravagant" sind:

Ein viel sensibleres Thema ist das der legalen Unterdrückung von Sekten, die einfach extravagant sind und die, als solche betrachtet, nicht zur Kriminalität neigen; In solchen Fällen würden sie innerhalb des Gesetzesrahmens handeln []. Wie würde jemand vom Standpunkt der weltlichen und neutralen Mentalität der modernen Gesellschaft aus die modernen Gesetzesvorstellungen verletzen, wenn er einen Dreispitz trüge, eine normale Sache zur Zeit Ludwigs XV, oder in Maharadscha-Schuhen die Straße entlangliefe? Und wenn zwei oder mehr Leute sich ungewöhnliche Kleider anzögen und die Straßen entlangspazierten und unsinnige Verse sängen, wäre ihre Handlungsweise dann tadelnswert, wenn sie mit ihrem Singen weder den Frieden störten noch die guten Sitten verletzten? Indem die Antisektenbewegung daran festhält, daß der Staat Gesetze gegen extravagantes Verhalten wie dieses aufstellen sollte, wirft sie viele delikate und komplexe rechtliche Fragen auf -- alle, man beachte dies wohl, mit Auswirkungen auf die moralische und religiöse Ordnung []. Unter dem Vorwand, Extravaganz zu verhüten, würde der moderne Staat den Anspruch auf das Recht erheben, zu fast allen Aspekten der menschlichen Lebens eine offizielle Meinung zu bilden, zu definieren und als verpflichtend zu erklären -- zusammen mit dem Recht, alle diejenigen zu unterdrücken, die nicht nach dieser offiziellen Meinung lebten oder dachten. (Seiten 8-9)

Offensichtlich natürlich daß es keine Bewegung gegen "Extravaganz" gibt. Kein Sektenkritiker hat sich beispielsweise darüber beklagt, daß Scientologen Dreispitze trügen. Sie beklagen sich darüber (zu Recht oder nicht), daß sie das Geld der Leute nehmen.

Wie Introvigne in seiner Kritik an Jonestown fügt Plinio hinzu:

Merkwürdigerweise gibt es Antisektenorganisationen, die ihre Angriffe auf alles außer den Sozialismus und den Kommunismus ausgeweitet haben. Warum sehen sie sie nicht als philosophische Sekten an? Warum betrachten sie nicht eine der geistigen Verwirrungen der Hippies und der Rockbewegung als extravagant (auch wenn diese Bewegungen in vielen ihrer Rituale offen satanisch sind)? Warum? Es ist symptomatisch, daß sie häufig gegen die Feinde um sich schlagen, die der Kommunismus besiegen will. Man kann sich einfach des Schlusses nicht erwehren, daß diese Antisektengruppen, praktisch gesehen, den Weg für den Kommunismus ebnen und zu weltweitem Totalitarismus führen. So scheinen diese Antisektenorganisationen und der Sozialismus/Kommunismus zwei Seiten einer Medaille zu sein. (Seite 10)

Die falsche Argumentation an dieser Stelle wird für jeden offenbar sein, der auch nur die geringste Kenntnis der sogenannten "Antisektenbewegung" hat. Erst einmal fallen "Sozialismus und Kommunismus", wie der Faschismus und die katholische Kirche, nicht unter die recht strengen Kriterien, die verwendet werden, eine Sekte zu definieren. Zweitens: Sektenkritiker haben immer schon von jenen Kommunisten, Katholiken oder anderen Bewegungen Notiz genommen, die unter diese Kriterien fallen. Das ist der Grund, warum bestimmte marxistisch-leninistische Gruppen oder das Opus Dei, aber nicht die Kirche oder der Kommunismus ganz allgemein, im Visier standen (ob zu Recht oder nicht, ist eine ganz andere Sache). Die Rockbewegung steht natürlich nicht im Visier, weil sie "extravagant" ist; man kann sie kaum als "Gedankenkontrolle ausübende Sekte" ansehen.

Nun geht Plinio dazu über, sich über "Gehirnwäsche" auszulassen:

In den Vereinigten Staaten hatte der Begriff Gehirnwäsche einen tiefgreifenden Eindruck auf die öffentliche Meinung. Er wurde zuerst 1950 von dem Journalisten Edward Hunter jr. verwendet, und zwar in einer Artikelreihe für die Miami Daily News und das Leader Magazine, wo er die Foltern beschrieb, denen Amerikaner im Koreakrieg ausgesetzt waren, wenn sie in die Hände des Feindes fielen. (Seite 11)

Wenn man es so sagt, scheint ein Journalist das Wort erfunden zu haben. Tatsächlich aber kam "Gehirnwäsche" als positiver Begriff im kommunistischen China auf, hse nao, obwohl es von Edward Hunter in seinem Buch Gehirnwäsche in Rotchina in den Westen eingeführt wurde. Doch schon 1956 -- fast dreißig Jahre, ehe Plinio diese Zeilen niederschrieb -- hatte Lifton einen neuen Begriff, "Gedankenreform" (auch chinesischen Ursprungs), eingeführt, und etwa um das Jahr 1980 wurde der Begriff "Gedankenkontrolle" gebräuchlich. Margaret Singer, eine der führenden Sektenkritikerinnen in den USA, führte 1982 den ziemlich sperrigen Begriff "systematische Manipulation durch psychologischen und soziologischen Einfluß" ein (siehe Margaret Thaler Singer, Cults in Our Midst: The Hidden Menace in Our Everyday Lives, Jossey-Bass, San Francisco 1994). Natürlich kann man es Plinio leicht nachsehen, daß er dies nicht wußte; doch diese Tatsachen sind wichtig, da die "Antisektenbewegung" generell eine deutliche Trennung vornahm zwischen "Gehirnwäsche", also einer Einwirkung mit Gewalt, um mit physischem Zwang eine Meinungsänderung herbeizuführen, und Methoden der "Gedankenreform", gegründet auf dem systematischen Gebrauch jedes möglichen psychologischen Schlüssels, um die Kontrolle über Einzelpersonen aufrechtzuerhalten, ohne physischen Zwang zu benutzen. Journalisten gebrauchen natürlich weiterhin den Begriff "Gehirnwäsche", aber "Antisektenbewegungen" tun das nur selten oder nicht zu der Zeit, als Plinio schrieb. Ich habe nicht die Absicht, hier bei diesem komplizierten Thema Stellung zu beziehen, doch Plinio kämpft eindeutig gegen den falschen Feind.

Plinio rennt mit seinem Angriff gegen die Gehirnwäsche offene Türen ein: Gehirnwäsche meint Manipulation unter physischem Zwang; in modernen westlichen Sekten gibt es nur wenig Gelegenheit für körperlichen Zwang im chinesischen Stil, daher stimmt die ganze Theorie von der "Gehirnwäsche" nicht. Das Problem dabei ist, daß jede vernünftige Sektenkritik mit ihm übereinstimmen würde. Und tatsächlich wird der Psychiater Louis Jolyon West in dem Buch positiv angeführt: als Kritiker der Idee einer "Gehirnwäsche". Was der Scheiber mitzuteilen vergißt, ist, daß West sicher einer der führenden Kritiker einer Sektenkontrolle ist.

Ein ganz anderer Punkt ist, ob die soziale Umwelt äußerst überzeugend wirken kann; ganz getrennt von dem ganzen Thema mit Sekten ist jeder Versuch, das zu leugnen, hier zum Scheitern verurteilt. Ein offensichtliches, wenn auch extremes Beispiel waren die Menschenopfer bei den Azteken: egal, ob der einzelne Priester es genoß, mit seinem Obsidianmesser zuzustoßen, es gibt nur geringen Zweifel, daß er in sozialer Hinsicht davon überzeugt war, daß es eine höchst moralische Sache war, das zu tun. Und tatsächlich wäre es höchst unmoralisch, es nicht zu tun.

Doch wie wir gesehen haben, war "Gehirnwäsche" (lavado de cerebro) sicherlich eine offene Beschuldigung, die gegen eine Gruppe erhoben wurde: Plinios TFP.

Der wahre Grund für Plinios plötzliches Interesse an "Gehirnwäsche", "Sekten" und die "Antisektenbewegung" kommt erst zusammen mit einer introvignesken Verschlagenheit am Ende seines Vorwortes zum Vorschein. Nach der Feststellung, die einzige Lösung für "extravagantes Verhalten" sei, die verlorenen Schafe "wieder in die Hürde der heiligen katholischen Kirche zurückzubringen", sagt er:

Dieses Ideal, für das wir kämpfen, liefert noch einen weiteren wichtigen Grund, warum diese Untersuchung geschrieben und veröffentlicht wurde. Nicht nur die Kommunisten selbst, sondern auch ihre "nützlichen Idioten", die Linken aller Schattierungen und besonders die "katholischen Linken", klassifizieren unisono viele katholische Gruppen als "Sekten", die treu der traditionellen Lehre vom höchsten Magisterium der Kirche anhängen. Und um noch eine Beleidigung draufzusetzen: sie beschuldigen diese Katholiken, bei ihren Bekehrten "Gehirnwäsche" zu verwenden. Das Ziel dieses Werkes ist es daher, diesen Angriff zurückzuweisen und alle diejenigen zu entwaffnen, die diesen Angriff vorgetragen haben: die Kommunisten und ihre "Trittbrettfahrer" und "nützlichen Idioten". (Seiten 12-13)

Der größere Teil dieses kleinen Buches ist, wie wir gesehen haben, dem Zitieren von Kritiken an der Vorstellung einer Gehirnwäsche oder ihrer Bedeutung für heutige Sekten gewidmet.

Ein Zitat kommt recht überraschend; ehe man jedoch Anschuldigungen böser Absicht gegen die Verfasser der TFP losläßt, sollte man sich daran erinnern, daß das Buch wahrscheinlich nur eine Neuauflage von Material ist, das andere gesammelt haben. Auf Seite 18 enthält das Buch ein langes Zitat aus Gedankenreform und die Psychologie des Totalitarismus von Robert J. Lifton, der den Mißbrauch des Begriffes "Gehirnwäsche" in anderem Zusammenhang als mit physischem Zwang anprangert. Was derjenige, der das Material zusammengetragen hat, offenbar nicht wußte, ist, daß diese Kritik Teil von Liftons Vorschlag war, eine völlig andere Terminologie zu verwenden, um Manipulationen ohne Anwendung physischer Gewalt zu beschreiben; und Liftons Vorschläge waren die theoretische Grundlage für die ganzen Überlegungen der "Antisektenbewegung" zu Überzeugung und (wie sich der Begriff später entwickelte) Gedankenkontrolle. Selbst Introvigne mußte diese Tatsache zugeben, ohne jedoch Doktor Plinios Anweisungen zu verletzen: diese im Widerspruch zueinander stehenden Forderungen haben ihn dazu gebracht, von "Gehirnwäschetheorien der zweiten Generation" zu sprechen.


Introvignes Rolle in Plinios Krieg gegen die "Antisektenbewegung"

Dieses kleine Buch beweist, daß die TFP drei Jahre, bevor sie einen "Soziologen" fand, um eine Organisation dafür zu schaffen, dieselbe Linie der Sektenrechtfertigung wahrte.

Im Jahre 1985 griff der Sexologe Introvigne immer noch die "Jehovistensekte" an. 1987 veröffentlichte der Soziologe Introvigne Il reverendo Moon e la Chiesa dell'Unificazione(Elle Di Ci, Leumann, Turin), das erste Buch in seinem Krieg gegen die "Antisektenbewegung". Schließlich wird sogar in einem neueren Lebenslauf (in Libertà religiosa, 'sette' e diritto di persecuzione, Seite 150) eingeräumt, daß es erst "in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre war", daß Introvigne ein Spezialist für "zeitgenössische 'neue Religiosität'" wurde.

Sollen wir annehmen, daß Introvignes plötzliche Verwandlung um das Jahr 1985 in enger Beziehung zu diesem Feldzug der T.F.P. stand?

Es gibt mehrere Gründe für die Annahme, dies sei kein Zufall gewesen.

Zuallererst war es nicht Introvigne allein, der die Fronten wechselte: dieselbe symbiotische Beziehung zwischen der KA und Introvigne bestand vor und nach dem Frontwechsel.

Und der Frontwechsel betraf die gesamte KA, die sehr eindeutig ihre Sektenpolitik in derselben radikalen Weise änderte.

Zweitens kann man die Schriften Introvignes alle als ausführliche Serie von Fußnoten lesen, die die ursprüngliche These des "Doktor Plinio" über "Sekten und Gehirnwäsche" bestätigen. Wieviel er auch geschrieben haben mag, keines seiner folgenden Werke zeigt die leiseste Abweichung von diesen Richtlinien.

Drittens offenbart Introvigne in seinen persönlicheren Schriften in Cristianità ganz offen die strategische Natur der Sektenrechtfertigung; er stellt sie als notwendige Waffe im Kampf gegen die "Freudsche und marxistische Antisektenbewegung" und als Schutz von Opus Dei und anderen Gruppen (die T.F.P. wird nur selten erwähnt) gegen "Verfolgung" dar.

Es ist nichts Ungewöhnliches daran, wenn T.F.P.-Zweige die Anweisungen des "Doktors" aufnehmen und sie auf der ganzen Welt anwenden.

Man kann natürlich Dokumente aus dem Textzusammenhang gelöst zitieren, um fast jedes Szenario zu schaffen; ich glaube jedoch, daß ich die Dokumente korrekt zitiert habe -- in ihrem Textzusammenhang -- und im Gegenteil keine wichtige Information ausgelassen habe.

Natürlich sind öffentlich zugängliche Dokumente nur der letzte und am wenigsten authentische Schritt in einem langen Prozeß: ausschlaggebende Entscheidungen werden nie in Zeitschriften getroffen.

Doch die Dokumente, die zugänglich sind, scheinen eine Aussage zu bestätigen, die von ehemaligen Mitgliedern der KA (die nebenbei bemerkt nicht in eine "Antisektenstruktur sozialisiert" wurden) immer wieder vorgebracht wird: daß Massimo Introvigne sich als Folge einer Reise nach Brasilien entschloß, CESNUR zu gründen. Reisen nach Brasilien spielen, wie das Buch Tradizione Famiglia Proprietà: Associazione cattolica o setta millenarista?zeigt, eine sehr wichtige Rolle, um den sozialen Zusammenhang der Organisation zu bewahren.

Ich war selbst kein Mitglied der T.F.P.; deshalb kann ich nicht sagen, ob es sich um eine Sekte handelt. Was jedoch offensichtlich ist: die T.F.P. hat dieselben Erfahrungen gemacht wie Gruppen wie Scientology und Moon: Probleme mit den Eltern und Angehörigen von Mitgliedern und Beschuldigungen, heimlichtuerisch und doppelzüngig zu sein; Anklagen der Manipulation, des Personenkults und des aggressiven Jüngermachens. Und die Reaktion war genau dieselbe: die Schuld wird imaginären "Antisektenbewegungen" gegeben, die von "Psychiatern" betrieben werden.

Vermutlich entschloß sich die TFP dazu, auf solch einen unwahrscheinlichen Feind einzuhacken, weil ein Angriff auf die katholische Kirche ihre Quelle an idealistischen jungen Katholiken ausgetrocknet hätte (ehe er für Introvignes Theorien Partei ergriff, schob der Gründer der Neuen Akropolis, J.A. Livraga, die Schuld auf das Opus Dei und die Furcht des Vatikans vor dem "Giganten der Geschichte", womit er die winzige Organisation der NA meinte); ein Angriff auf Regierungen ist natürlich überall eine nicht ratsame Vorgehensweise.

Ist dieses ideologische Bild einmal gezeichnet, muß ihm alles eingepaßt werden.

Jeder, der etwas von sektenbeobachtenden Organisationen kennt, weiß, daß fast alle gegründet wurden, um ein Problem zu lösen: das der trauernden Eltern und desorientierter ehemaliger Sektenmitglieder. In diesem Sinne ähneln sektenbeobachtende Organisationen sehr anderen Selbsthilfegruppen, die durch Menschen geschaffen wurden, deren Leben zerstört wurde. Wenn solche Gruppen voreingenommen sind, dann sind es die typischen spontanen Voreingenommenheiten von Eltern -- sie sind in keiner Weise ideologisch, und in jeder sektenbeobachtenden Bewegung gibt es Menschen mit den unterschiedlichsten Ansichten, deren gemeinsames Problem jedoch viel wichtiger ist. Zumindest in Italien sind eine große Mehrzahl der Mitglieder der von Introvigne so genannten "Antisektenbewegungen" praktizierende Katholiken, doch ideologische/theologische Themen werden in keiner dieser Bewegungen, die ich kenne, diskutiert.

Introvigne jedoch will uns weismachen, wie man an sektenbeobachtende Organisationen herantreten "muß":

Man muß immer vom grundlegenden ideologischen Bezugsrahmen der Antisektenbewegung ausgehen, geboren in einer weltlichen humanistischen (laizistischen) Umgebung, die nicht in der Lage ist, jeglichem sozialen Phänomen standzuhalten, das der These widerspricht, daß es das Schicksal der Religion sei, immer mehr ihre Bedeutung in einer modernen und postmodernen Welt zu verlieren, die diese Religion im Grunde genommen nicht mehr braucht. Man sollte noch hinzufügen, daß [] die weltliche humanistische Ideologie fast immer (auch wenn es Ausnahmen davon gibt) mit liberaler und linker politischer Militanz einhergeht, die der politisch konservativen Militanz des neuen evangelikalen und fundamentalistischen Protestantismus gegenübersteht, wie auch einigen neuen religiösen Bewegungen, insbesondere der Vereinigungskirche des Reverend Sun Myung Moon. Zumindest gilt dies seit einigen Jahren (Introvigne in "L'Opus Dei e il movimento anti-sette", Cristianità, Mai 1994, Seiten 6-7)

Übrigens sind Psychiater nicht immer Feinde. In Cristianità schlägt ein gewisser Bruto Maria Bruti eine psychiatrische Behandlung als Lösung für das "Laster" der Homosexualität vor, wobei er ungefähr so viele wissenschaftliche Quellen anführt wie gewöhnlich Introvigne, und spricht von solchen Dingen wie der dritten Kernregion des vorderen Hypothalamus ("Omosessualità: vizio o programmazione biologica?", in Cristiantià, Juli-August, 1995).


Einige merkwürdige Freunde von Introvigne

Der herzliche Ökumenismus der TFP's nimmt überraschende Aspekte an. Gemäß dem französischen Journalisten Serge Faubert ("Le vrai visage des sectes", L'Evenement du jeudi, 4.-10.11. 1993, Seiten 44 ff.) war Introvigne eines der nur fünfzehn Gründungsmitglieder der sehr geheimen "Gruppe von Theben" (Groupe de Thèbes), die sich in der französischen Loge Grand Orient traf, ausschließlich aus Mitgliedern verschiedener "Orden" zusammengesetzt. Zu der winzigen Gruppe gehörte eine recht interessante Auswahl von Einzelpersonen:

Massimo Introvigne, der am 3. Juni 1990 an der allerersten Zusammenkunft dieser Loge teilnahm,

Remi Boyer, ein früherer Rosenkreuzer (AMORC), der Arc-en-ciel geschaffen hatte, einen Zusammenschluß von okkulten und New Age-Gruppen (darunter Sri Chinmoy, die Grand loge indépendent des rites unis, das Institut zur planetarischen Einheit, der Ritterorden vom Rosenkreuz, die Geistige Universität von Brahma Kumaris. Die Gruppe von Theben war Boyers zweites Geschöpf für eine kleinere und vermutlich höhere Gruppe von "Eingeweihten".

Jean-Pierre Giudicelli, der Führer der französischen Abteilung des Ordre de Myriam, ehemaliger korsischer Nationalist und rechtsgerichteter Kämpfer ("Ordre Nouveau" und "Troisième Voie").

Gérard Kloppel, Großmeister des Ordens von Memphis und Misraim.

Jean-Marie Vergério, Führer der "Templer der Circe".

Kotzamanis, Kanzler für Griechenland einer Templergruppe (aus Fauberts Artikel geht nicht klar hervor, ob Triantaphyllos sein Vorname oder der Name der Gruppe ist).

Das interessanteste Mitglied der Gruppe von Theben war sicherlich Christian Bouchet (als kämpferischer Atheist zieht es Bouchet vor, nur bei seinem Nachnamen genannt zu werden). Bouchet war prominenter Redner bei mehreren CESNUR-Ereignissen: bei der internationalen CESNUR-Konferenz in Santa Barbara im Jahre 1991 und viermal in Frankreich im Jahre 1992. Im Lichte der Behauptung von CESNUR, für "Professionalität" und "friedliche Diskussion" zu stehen, ist das recht amüsant. Ich habe keine Vorstellung, ob Bouchet irgendeine berufliche Qualifikation hat, außer ein Anhänger von Aleister Crowley zu sein (er nennt sich selbst "Ethnologe" im Gegensatz zu dem "Soziologen" Introvigne). Bouchet, seit den 70er Jahren in Frankreich ein Kämpfer weit auf dem rechten Flügel, gibt drei gesonderte Zeitschriften heraus. Für die allgemeine Öffentlichkeit gibt es Lutte du Peuple [Volkskampf], eine ziemlich hysterische Publikation, die viele Leute vielleicht als "neo-nazistisch" bezeichnen; dann gibt es Vouloir [Der Wille], eine kulturelle Publikation, die großenteils dem Studium von Nietzsche und Crowley gewidmet ist; doch Eingeweihte haben Zugang zu Thelema, was in Griechisch nochmals "Der Wille" heißt: Thelema ist natürlich Crowleys Lieblingsschlagwort. Bouchet ist Mitglied des Crowleyschen OTO (Ordo Templi Orientis).

Bouchets politische und religiöse Ansichten sollen mich hier nicht interessieren; was mich aber sehr wohl interessiert, ist, wie jemand wie Bouchet in die Art von "friedlicher" und "professioneller Diskussion" eingepaßt werden kann, für die CESNUR angeblich steht. Hier ist beispielsweise eine kurze Rezension, die Bouchet schrieb:

Die erste CD der Indus [industrial rock]-Gruppe Dissonant Elephants, "Unsere Augen wie Dolche", hat viel an sich, das uns anspricht: [] Der Schutzumschlag zeigt die Kröte von Jerusalem an seinem Kreuz mit einer roten Clownsnase ("Vient de sortir", Lutte du peuple, Sept.-Okt. 1995, Seite 13)

Gemeint damit ist Aleister Crowleys berüchtigtes Ritual, bei dem eine Kröte gekreuzigt wird.

Bouchet tauchte wieder bei einer Konferenz über "Wurzeln und Evolution des modernen Heidentums" in Lyon auf (3. und 4. Februar 1996), wo unter anderem Robert Amadou (ein bekannter Martinist) sprach, sowie die Rechtsextremisten Arnaud d'Apremont und Charles Antoni, Rémi Boyer (wiederum) wie Renato del Ponte, Experte über Julius Evola. Massimo Introvigne, "Direktor von CESNUR", war der Star der Konferenz.

Die Kommentare eines Teilnehmers dieser Konferenz zeigen eindeutig die Art von Bild, das Introvigne erfolgreich auf sein Werk projiziert hat -- statt seine eigene ideologische Bindung zu verbergen, zeigt er, wie er, obschon "Katholik", so doch "gezwungen" ist, gewisse Gruppen objektiv in Schutz zu nehmen; gleichzeitig ist er wissenschaftlicher Experte:

Introvigne ist Katholik, etwas, das er nie verheimlicht hat []. Und doch sind seine Untersuchungen von vorbildlicher Objektivität und Unparteilichkeit. []. Doch es mag überraschend kommen, zu sehen, wie Introvigne eine Einladung zu einer Konferenz annahm, bei der "Wissenschaftlichkeit" und "Ernsthaftigkeit", die er als Gelehrter sicher schätzen muß, keine Voraussetzungen waren. Introvigne selbst erkannte, wie seine Anwesenheit einige Überraschung verursacht haben konnte []. In seiner ersten Rede sagte Introvigne ausdrücklich, eine Einladung zu einer Konferenz von Neuheiden anzunehmen, wo erwartet wurde, daß "Neuheiden" sprachen, sei "nicht nur ein Vergnügen, sondern eine Pflicht", da der [kürzlich veröffentlichte] Bericht der Untersuchungskommission [des französischen Parlamentes] das Neuheidentum als sozial gefährlich beschrieben hatte, weil es unter Rassisten und antisemitischen rechten Kreisen weitverbreitet sei (Marco Pasi, "Esoterismo e nuova religiosità", in Orion, Mailand, März-April 1996, Seiten 51 ff.).

Natürlich gibt es nichts, das nur schlecht ist: Introvignes Aktivitäten, die großen Sektenmultis zu verteidigen, erleichtern sicher das Leben für exzentrische, aber harmlose Gruppen, die dasselbe Recht zu existieren haben, wie jede andere, und die diesem "katholischen Gelehrten" zu tiefem Dank verpflichtet sind. Einige junge Hexen, die sich durch die Präsenz einer solch großen Figur geehrt fühlen, sind sehr anständige Leute. Doch es ist sicher nicht nur die Dankbarkeit dieser Minderheitengruppen, die CESNUR am Leben erhält, und diese Bewunderer sind sich auch nicht des Schicksals bewußt, das sie erwartet, sollten die millennaristischen Bilder der T.F.P. eines Tages Wirklichkeit werden.

Die Artikel der Gemeinschaft Gruppe von Theben scheinen einige Nichteingeweihte von der Zugehörigkeit ausgeschlossen zu haben. Das bleibt in meinen Augen natürlich ohne Folge, doch es wirft einige Zweifel an Introvignes Recht auf, sich als Katholik zu bezeichnen, wenn man die strikte Verurteilung der Freimaurerei [durch die Kirche] in Betracht zieht. Vier Mitglieder dieser Loge nahmen neben Introvigne selbst an der CESNUR-Konferenz in Lyon im Jahre 1992 teil.

Wie üblich vermied es Introvigne, auf diese Anschuldigungen zu antworten; eine Antwort erschien jedoch in einem Bullettin, das allein für KA-Mitglieder reserviert ist (Domus Aurea Informazioni, 5./10. Sept. 1994, zitiert in Sodalitium, Nr. 39, Nov. 1994, Seiten 20 ff.) und das durch Zufall bekannt wurde. Introvigne behauptete, er habe über fünfzehn Bücher geschrieben, beschuldigte Faubert, "kommunistischer Kämpfer einer kleinen trotzkistischen Gruppe" zu sein, bestritt aber nicht, Mitglied in der Loge zu sein. Er behauptete auch, er habe das Recht, als "Soziologe" bezeichnet zu werden, da er "bis 1993" (das klingt besser als "1991 und 1992", wie in seinem Lebenslauf in Libertà religiosa, 'sette' e 'diritto di persecuzione' ausgesagt) in einem Seminar in der Provinzstadt Foddia (deren Erzbischof damals Präsident von CESNUR war) gelegentlich Religionssoziologie lehrte. Introvigne räumte ein, das Leck bei der Insiderinformation über die Theben-Gruppe habe "objektiven Schaden bei den Gelehrten [angerichtet], die an den Treffen der Gruppe teilgenommen hatten".

Introvigne war nicht immer so freundlich gegenüber der französischen "Neuen Rechten", aus der Bouchet kommt: Doktor Plinio hatte noch nicht seine neuen Richtlinien erlassen. Im Grunde genommen war seine These in der Vergangenheit (Massimo Introvigne, "GRECE e Nouvelle Ecole", in Cristianità; Nr. 32, Dez. 1977), daß die "Neue Rechte" eigentlich links stand. Unter der Überschrift "Eine einsatzbereite herrschende Klasse für die Revolution" findet man die folgende Beschreibung dieser französischen Neuheiden:

Ein "Cocktail" aus Evolutionismus, Neo-Positivismus, Wissenschaftsgläubigkeit, sexueller Revolution und eindeutig freimaurerischen Lehren in "indo-europäischer" Verpackung: in erster Linie, um diese jungen Menschen, die aus dem Sozialkommunismus und progressiver Anpassung entkommen sind, unterschwellig zu korrumpieren, um ihre Umwandlung zu "anonymen Revolutionären" zu begünstigen; in zweiter Linie, um das Verderben jeglicher antikommunistischer Reaktion vorzubereiten und zu versuchen, angesichts eines dunklen und fatalen neuheidnischen Trugbildes die unausweichlichen geistigen Bedürfnisse in einem antikatholischen und metaphysischen Sinne zu befriedigen. (Seite 5)


Introvigne, T.F.P. und die "Neue Rechte" in den USA

Allianzen mit Sekten sind jedoch nur ein Teil des TFP-Ökumenismus: das Rutherford Institute, ein Nebenprodukt von Jerry Falwells Moral Majority (gegenwärtig in Fälle von "religiöser Freiheit" verwickelt, zu denen merkwürdigerweise auch Miss Paula Jones' Sexprozeß gegen Clinton und ein Feldzug zählt, die nette Miss Tatiana Susskin freizubekommen, die augenblicklich in Israel inhaftiert ist, weil sie die arabischen Teile von Hebron mit Plakaten zugepflastert hatte, die ein Schwein zeigen, das den Koran schreibt), erhebt den Anspruch guter Beziehungen mit CESNUR (und Scientology bezeichnet das Rutherford Institute zusammen mit CESNUR als "Ressource der Menschenrechte").

Einige interessante Informationen über das Rutherford Institute sind in einem (ziemlich ruppigen pro-Clinton) Dokument zu finden, das den Titel trägt: Laßt uns reden über die Sekte Rutherford "Institute", Paula Jones -- und Bogus Christian, John Whitehead, im Internet mit der URL www.koopersmith.com/ 021989WhitehadAbout: Dieses Dokument bezieht sein Thema aus der Tatsache, daß das Rutherford Institute für einen kostenlosen Rechtsbeistand für Miss Paula Jones sorgt. Der Name des Institutes ist einem Prediger des 17. Jahrhunderts, Samuel Rutherford, entnommen, der glaubte, daß das biblische Gesetz Vorrang vor irgendeinem Gesetz, das Regierungen erlassen, habe. Tatsächlich wurde John Whitehead, der Gründer des Instituts, in einem Artikel im Moral Majority Report (Mai 1983) in günstigem Licht dargestellt: als jemand, der glaubt, daß Gerichte sich der Autorität der Gesetze Gottes zu unterstellen hätten, und daß alle zivilen Angelegenheiten und die Regierungen, auch das Recht, auf die in der Bibel zu findenden Prinzipien gegründet werden sollten.

Wir müssen sehr aggressiv sein, sagte Whitehead. Die Initiative ergreifen. Klage erheben statt verklagt werden.

Whiteheads Buch aus dem Jahre 1982, Die zweite amerikanische Revolution, verherrlicht den presbyterianischen Geistlichen Rousas John (R. J.) Rushdoony, den Vater des "Christlichen Rekonstruktionismus", der an der Notwendigkeit festhält, die Regierung dem biblischen Gesetz zu unterstellen, eine Argumentationsweise, die nicht unähnlich der ist, die hinter dem islamischen Fundamentalismus steht. Gemäß den Rekonstruktionisten sollte das weltliche Gesetz die Todesstrafe verhängen gegen Frauen, die abtreiben lassen, für "reuelose" Homosexuelle und sogar für "unbelehrbare Söhne". Rushdoonys Ministry of Chalcedon behauptet in seiner Broschüre, daß Chalcedon der Errichtung des Rutherford Institute förderlich war, dessen Zweck es ist, Rechtsanwälten bei der Verteidigung religiöser Freiheiten beizustehen. Rushdoony war einmal Direktor des Instituts. Whitehead behauptet, er sei kein Rekonstruktionist, aber einige seiner Aussagen lassen wenig Raum für Zweifel: Die Herausforderung für einen christlichen Anwalt besteht darin, ein vernehmbarer, dynamischer Fürsprecher für den wahren Rechtsberuf zu sein -- den, in dessen Mittelpunkt Jesus steht -- und bei nichts weniger aufzuhören, als das gesamte System zu bekehren. Wie die Katholische Allianz, wenn auch in protestantischem Kontext, glaubt Whitehead daran, die Kontrolle der politischen Rechten, der Republikaner, als einen ersten Schritt auf eine weltweite soziale Kontrolle hin zu erlangen.

Gleichzeitig, und gerade wie bei CESNUR, besteht das Ziel darin, eine ausgedehnte, geeinte Front aller "Religionen" herzustellen, egal ob historische oder selbsternannte, und weltweit vollen Gebrauch von den Sympathien für "unterdrückte religiöse Minderheiten" zu machen. Um diese Front herzustellen, kann das Rutherford Institute, sicher glücklicher als CESNUR, auf ein jährliches Budget von über 8 Millionen Dollar zählen.

Wäre die US-Atomsupermacht ein besseres oder schlechteres Land, wenn sie gänzlich in den Händen einer Gruppe von Fundamentalisten wäre, die entschlossen sind, ihre Lehren dem ganzen Planeten aufzuzwingen? Eigentlich ist diese Frage für uns nicht von Interesse. Wir möchten nur darauf hinweisen, wie diese Freunde von CESNUR hinter der Maske, die "Religionsfreiheit zu verteidigen", Ziele verfolgen, die recht weit entfernt von dem sind, was normale Menschen als Menschenrechte auffassen würden.

Die TFP war auch einer der Sponsoren der Konservativen Führungskonferenz im Jahre 1997, zusammen mit solch vernehmlichen Organisationen wie dem Zentrum für militärische Bereitschaft, der Christlichen Stimme, den Bürgern gegen die Verschwendung der Regierung und dem Bürgerkomitee für das Recht, Waffen zu tragen. Übrigens war die Christliche Stimme zumindest in der Vergangenheit eng mit der Moon-Bewegung verbunden, was uns daran erinnert, wie ein Mitglied der KA sich kürzlich gegenüber einem schockierten katholischen Freund von mir damit brüstete, daß die Angehörigen der Moon-Sekte zweitausend Exemplare eines Buches von Introvigne aufkauften, um sie kostenlos weiterzugeben, "weil es so objektiv war".

Schließlich hatte der Vater der Neuen Rechten, Paul Weyrich, etwas sehr Besonderes über die TFP zu sagen, als er an einer ihrer Konferenzen in Brasilien teilnahm: "In unserem Kampf sowohl in den USA wie auch auf der ganzen Welt ist die TFP eine der wenigen wirklich zuverlässigen und beständigen Organisationen, mit der wir zusammenarbeiten können" (Catolicismo, Okt. 1988, zitiert in Agnoli e Taufer, Seite 82. Catolicismo ist die offizielle Zeitschrift der brasilianischen TFP).

Über den Aufsatz von Plinio Corrêa de Oliveira, Nobility and Analogous Traditional Elites in the Allocutions of Pius XII: A Theme Illuminating American Social History (Oktober 1993, Hamilton Press, ISBN: 0819193100):

PAUL WEYRICH: Traurigerweise geben sich die meisten amerikanischen Eliten heute dem Eigeninteresse hin, nicht dem Dienst, was ein Grund ist, warum die Dinge hier so schlecht stehen. Ihr Buch kann Menschen wieder erkennen helfen, daß wir eine Elite brauchen und haben können, die sich dem Dienen widmet.

MORTON BLACKWELL: Man muß nicht an die Unfehlbarkeit des Papstes glauben, um eine überzeugend gemachte Sache wertzuschätzen. Das Buch argumentiert theologisch, moralisch und weise und wird so viele Leser egal welchen Glaubens überzeugen, daß gute Eliten gerechtfertigt, wünschenswert und, ja, notwendig sind.

Die Sektenrechtfertigung hat CESNUR und Introvigne zu einem Liebling bei vielen Gruppen gemacht, die sich, zu Recht oder zu Unrecht, bedroht fühlen.

So veröffentlicht Liberation Times (trotz ihres Namens in italienisch; Mai 1996) der Osho- Rajneesh-Bewegung (die meiner Meinung nach keine Sekte ist) den gesamten Text des Appells von CESNUR gegen die Diskussion sektenbezogener Themen im Europäischen Parlament. Der Text ist vollgestopft mit den üblichen Kommentaren über ein "wohlbekanntes internationales Antisektennetzwerk" mit einer "berüchtigten Geschichte der Bigotterie und des Hasses". Glücklicherweise ist die Rajneesh-Zeitschrift weit objektiver als die "Gelehrten", denen sie Platz einräumt.

Der Crowley-Anhänger Roberto Negrini schreibt in Misteri über Satanismus (März-April 1996) und schlägt ein Buch mit "dem richtigen Ansatz" vor: Massimo Introvignes Indagine sul satanismo.

Ein besonderer Bewunderer von Introvigne ist Maurizio Landini, ein recht liebenswürdiger Mensch, der hin und wieder ein Fan-Magazin namens Satanael herausgibt. Die allererste Ausgabe trägt die Formulierung "Veröffentlichung zum modernen Satanismus, Band I, gUTER fREITAG (Schreibweise wie im Original!) 1995". Derselbe Autor hat auch ein Werk herausgegeben mit dem Titel "TOD SCHMERZ BLUT KRANKHEIT von Maurizio Landini, ein Buch mit Horrorgeschichten und Heimsuchungspoesie".

Diese winzige Zeitschrift annonciert die Aktivitäten einer Reihe von Organisationen, darunter Vincent Crowleys ORDER OF THE EVIL EYE (O.E.E.), "offen für alle, die das Christentum verwünschen und ihm ein Ende bereiten wollen"; die Zeitschrift FENRIR, "die schockierend blasphemische Themen mit antisozialen, anarchistisch-subversiven und natürlich antichristlichen Themen" verbindet. Anstatt anarchistisch zu sein, scheinen die Anhänger der "FRATERNITAS FENRIR LAIR - MACABRE ATTIC" mit ihrem "nordisch" klingendem Namen eher neo-nazistisch zu sein.

Satanael spricht mit Achtung von dem Orden der Neun Engel und behauptet, sie würden "alle 17 Jahre" Menschenopfer durchführen.

Landini macht uns auch mit der Zeitschrift DIE EISERNE FAUST bekannt, dem Organ der FAUST FOUNDATION, die sich mit "Heidentum, Gegenkultur, Ethnophilosophie [Rassismus], Satanismus, der Neuen Rechten, N[ational]-S[ozialismus], Geschichte usw." befaßt.

Doch die größte Bewunderung des Autors ist reserviert für einen noch pittoreskeren Charakter. Hier sind einige Zitate:

Auf Seite 2: "Man sollte das ausgezeichnete Buch Indagine sul Satanismo des (katholischen) Gelehrten Massimo Introvigne oder das grundlegende Buch Cappello del Mago desselben Autors erwähnen".

Wiederum auf Seite 2 ein Zitat aus Indagine sul satanismo, Seite 408: "Satanismus in seiner 'reinen Form', vielleicht der Satanismus des Jahres 2000, ist nur die Metapher für eine brutale Modernität, die all ihrer rhetorischen Maskierungen beraubt worden ist []. Der Satanist reißt der Moderne nur ihre Maske vom Gesicht und zeigt, wie sie wirklich ist".

"Achamoth" pflichtet bei und kommentiert: "Satanael, der über schwarze Kerzen und Schwefeldämpfe hinausgeht, versucht zu verstehen (und es anderen begreiflich zu machen), wie viel an der heutigen Moderne 'satanisch' ist und wie viel Moderne im 'Satanismus' steckt".

Auf Seite 17 ein weiterer Hinweis auf Introvigne, diesmal in Verbindung mit dem Orden der Neun Engel.

Auf Seite 24 nimmt der Autor die Definition des Neo-Gnostizismus von "dem Gelehrten Massimo Introvigne" als seine eigene an.

Ich habe nichts gegen Leute wie diese. Was überrascht, ist der gewaltige Enthusiasmus, den ein angeblich "objektiver Gelehrter" bei solchen Leuten verursacht, die wohl kaum "friedliche Diskussionen" oder "professionelle Untersucher" mögen werden.


Warum CESNUR keine Sektenkritiker mag

Die TFP hat einige sehr gute Gründe, warum sie keine Sektenkritiker mag. Man lese die folgende Aussage zweier Kritiker, um zu verstehen, warum Introvigne so viel Zeit und Mühe aufwendet, um die von ihm so genannten "Antisektenbewegungen" anzugreifen. Beide Aussagen kommen aus Spanien, wo sich die TFP in Erinnerung eines Sieges von Christen über Muslime "Covadonga" nennt:

Die TFP-Sekte hält zumindest in Brasilien einen paramilitärische Verband von Kämpfer-Mönchen aufrecht, genannt die "Wachen des Westens", die ein paramilitärisches Training durchlaufen und ein Gewand mit einer Kette als Gürtel tragen (sie lernen, diesen als Waffe zu benutzen)sowie hohe Militärstiefel, sie tun Schweigegelübde und geißeln sich regelmäßig. Diese "Armee" besteht aus hochgradig fanatischen und gewalttätigen jungen Menschen. ("El poder de las sectas", Pepe Rodríguez, 1989, Ediciones B. Seiten 233, 245, 246)

Carlos Manuel Arbues ist 22, Sohn einer Witwe, sein Großvater mütterlicherseits war Kommunistenführer in der [Spanischen] Republik.

"Zu Hause wurden mir ständig Antimilitarismus, Atheismus und Nonkonformismus eingeflößt; darum war ich, als ich 15 war, fasziniert von Uniformen, Medaillen und dergleichen. Wir waren vier Freunde, prima Jungs, kleine Anführer in unserer Nachbarschaft, wo wir unsere Stärke zu zeigen pflegten. Eines Tages kam eine Gruppe Jugendlicher in unsere Straße; sie trugen Fahnen und sangen Hymnen und riefen laut. Sie ließen uns mit ihnen gehen. Sie wollten gerade zu einer Demonstration, und sie trugen Ketten und eine Menge Bücher und Propagandaflugblätter: Ja, der Rosenkranz würde uns retten, ja, Freimaurerei und Kommunismus seien das Verderben Es war uns egal, was sie glaubten, wir waren an den Abzeichen der Organisation und den Kämpfen, in die sie täglich gerieten, interessiert."

Aber habt ihr nicht gemerkt, daß ihr an eine völlig faschistische Organisation geraten wart?

[...] "Für junge Leute veranstaltet Covadonga regelmäßig Studienwochen und spezielle antikommunistische Trainingskurse (SEFAC), die aus Reden bestehen, aus Studiengruppen, Theateraufführungen, Besuchen bei historischen Gedenkstätten der glorreichen Epoche Spaniens; es werden Bergsteigen und Karate betrieben, und Exkursionen und Urlaubscamps werden veranstaltet." [Dieses Zitat scheint aus einer offiziellen Covadonga-Publikation zu stammen].

O.k., aber das ist nichts Schlimmes.

"So sah es am Anfang aus, und wir fühlten uns sehr männlich mit unseren Rängen und Abzeichen, aber nach einiger Zeit waren wir nicht mehr wir selbst; wir hatten nur noch Gedanken für das, was unsere Führer uns sagten. Sie hielten uns unter ihrer Fuchtel, bis schließlich eines Tages ..."

Sprich weiter, was passierte?

"Sie schickten uns als 'Provokateure' zu einem Treffen der kommunistischen Partei in Casa de Campo. Ich möchte nicht mit Einzelheiten kommen, weil mich das anwidert. Ich schlug einem Mädchen mit meiner Kette ins Auge und sah, wie Blut herauslief. Meine Kameraden schlugen Leute und lachten dabei, und ich rannte weg. Als ich nach Hause kam, gab es eine dramatische Szene: das Mädchen war die Tochter eines Cousins von mir, und sie hatte das Auge verloren. Ich verließ sie, aber ich mußte auch die Nachbarschaft und meine Familie verlassen, Und ich bin nicht mehr ich selbst. Ich hasse sie und fühle mich gleichzeitig von ihnen angezogen. Es ist wie Drogenabhängigkeit." ("Las sectas", Pilar Salarrullana, 1990. Ediciones Temas de Hoy. Seiten 98, 100)

Ich weiß nicht, wie wahr diese Geschichten sind; selbst wenn sie es sind, lassen sie wahrscheinlich noch eine Menge aus. Die Geschichten haben alle Begrenzungen journalistischer Vereinfachung. Natürlich sind sie nicht schlimmer als die Art von Lebensberichten, die Cristianitàregelmäßig über kommunistische oder palästinensische "Greueltaten" zu veröffentlichen pflegte. Man kann jedoch gut verstehen, warum Introvigne gerne "Abtrünnigengeschichten" hinwegerklären möchte. Das Mädchen, mag man sich vorstellen, verlor ihr Auge, weil Carlos Manuel Arbues in eine "Antisektenunterstruktur sozialisiert" worden war.

Daß Introvignes Theorien über "Abtrünnige" einen anderen Zweck erfüllen als die "Soziologie" hinter ihnen, ist nicht etwas, das ich sage. Es ist etwas, das Introvigne schrieb, so direkt, wie ein Anwalt nur schreiben kann. Er schrieb es in einer Kritik von Gordon Urquharts Buch "The Pope's Armada", eine kritische, aber gut belegte Untersuchung über das Opus Dei, Focolarini und die Neokatechumänen und María del Carmen Tapias' eigene Lebenserinnerungen im Opus Dei. Der Artikel wurde natürlich in Cristianità geschrieben, das so wenig gelesen wird, daß Introvigne wohl hoffte, das Geheimnis bleibe in der Familie.

Warum sollten die Berichte von "Abtrünnigen" (Gordon Urquhart gründete die FocolariniBewegung in Großbritannien) unter den Teppich gekehrt werden? Introvigne ist klar und deutlich:

Wenn wir der Sache ganz auf den Grund gehen möchten, müssen wir bereits die Prämissen von Büchern wie dem von Gordon Urquhart oder María Carmen Tapia in Frage stellen. Natürlich ist dafür ein Preis zu zahlen: Haben wir einmal die unkritische Annahme dessen zurückgewiesen, was "Exmitglieder" sagen, Theorien über "Gehirnwäsche" und die quantitative Definition von "Sekte" für Focolarini, Opus Dei oder die Schwestern von Kalkutta der Mutter Teresa, werden wir nicht mehr in der Lage sein, dieselben Theorien zu verwenden, auch wenn wir Jehovas Zeugen oder die Anhänger des Reverend Moon kritisieren wollen. Vielleicht ist das nicht einmal das Schlechteste: Selbst bei diesen Gruppen haben jahrelange Erfahrungen gezeigt, daß quantitative, nichtreligiöse Kritik Zeitverschwendung ist, wohingegen wir den katholischen Glauben nur dann ernsthaft verteidigen können, wenn wir die Lehren der neuen religiösen Bewegungen ernst nehmen und sie auf religiösem Niveau kritisieren. (Massimo Introvigne, "'Sette cattoliche': l'equivoco continua", in Cristianità, Nr. 260, Dezember 1996, Seite 5)

Übersetzt bedeutet das, daß es Introvignes Absicht ist, "den katholischen Glauben ernsthaft zu verteidigen"; um das zu tun, muß man jede kontroverse katholische Gruppe verteidigen. Es ist leicht, hier einen impliziten Aufruf zur Solidarität aller katholische Gruppen mit der TFP zu sehen.

Das heißt, keine "unkritische Annahme dessen, was 'Exmitglieder' sagen", zuzulassen (unsere Erfahrung zeigt, daß Introvigne nichts davon zuläßt), auch wenn das bedeutet, daß wir mit nichtkatholischen Sekten "nicht mehr in der Lage sind, dieselben Theorien zu verwenden". Mit "quantitative Kritik" meint der "Soziologe" Introvigne soziologische Interpretationen, die durch ausschließlich "religiöse Kritik der Lehren" ersetzt werden müssen: Beispielsweise "Thetanen" mit dem aggressiven Personal von Scientology oder Geschichtszyklen mit den Fabrikleitern von Moon zu besprechen.

Ich möchte nicht den Wert von Bekehrungen leugnen; doch eine theologische Diskussion ist so lange nicht möglich, wie man keine gemeinsame Sprache oder gemeinsame Werte hat. Man könnte sich eine Diskussion über die Aussage eines Bibelverses mit einem Zeugen Jehovas vorstellen, wenn solch ein Vers als Basis für beide Teile annehmbar ist; aber eine Diskussion hat keine Grundlage, wenn es keinen gemeinsamen Ausgangspunkt gibt. Ein Priester und ein Anhänger einer esoterischen Gruppe haben z.B. nur das menschliche und das kulturelle Element gemeinsam; so ist die gemeinsame Grundlage nicht theologisch, sondern liegt darin, unser Gegenüber zu verstehen, was ihn vom menschlichen (und damit soziologischen und psychologischen) Standpunkt aus an seine Gruppe bindet), zu verstehen, was seine Abhängigkeiten sind. Ein theologischer Dialog kann nur später beginnen, wenn der einzelne sich dessen bewußt wird, daß er eigene Entscheidungen treffen kann.

Massimo Introvigne weist wie sein CESNUR/KA-Kollege Ermanno Pavesi (übrigens ein Psychiater) in einem 14-seitigen Artikel in Cristianità darauf hin ("La psichiatria e i movimenti anti-sette", Cristianità, März 1997, Seite 13, ein Zitat von M. Introvigne, Autoguarigione e autoredenzione, in AA.VV., Salute e salvezza: prospettive interdisciplinari, Herausgeber: Ermanno Pavesi, Di Giovanni, San Giuliano Milanese, 1994, Seite 66; es ist wert, anzumerken, daß diese ganze Ausgabe von Cristianità nur noch einen weiteren Artikel enthält) und bietet seinen eigenen Weg an, Gruppen zu unterscheiden:

Eine Typologie der Lehren, die verschiedene Wellen neuer Religionen nach ihrem Verhältnis zur katholischen Weltsicht und ihren charakteristischen Elementen unterscheidet: die Kirche, die einzigartige Rolle Jesu Christi, Gott, das religiöse Empfinden als spezifischen Weg, mit dem Heiligen in Bezug zu stehen.

Für einen katholischen Priester ist dies natürlich ein völlig legitimer Ansatz, aber das hat keinerlei Bezug zur Soziologie. Dieses Leugnen der Soziologie rückt natürlich das Opus Dei und ähnliche Organisationen (gemeint: die TFP) auf elegante Weise aus dem Rampenlicht: ihre Lehren sind mehr oder weniger katholisch, und jeder brasilianische Bauer, der sich im Streit mit der TFP befindet, wird nur über die Dreieinigkeit diskutieren dürfen.

Ich habe zwar nicht die Absicht, meine Meinung über das Opus Dei oder dergleichen Organisationen kundzutun, doch es ist recht klar, daß eine solche Haltung der TFP ziemlich viele mächtige Freunde mit eben denselben Problemen einbringen wird.


CESNUR und "Soziologie"

In seinen Erwiderungen auf die erste Version des vorliegenden Textes sagt Introvigne mir, ich sei "frei", über seine Legitimationen "zu denken", was ich wolle.

Ich meine nicht, daß Legitimationen etwas sind, über das man nach Belieben "frei denken" kann. Entweder gibt es sie oder nicht. Ich möchte hier nicht in die Diskussion einsteigen, wer rechtlich gesehen ein "Soziologe" ist. Ich streite zwar nicht ab, daß Herr Introvigne -- wie er behauptet -- "wissenschaftliche Vereinigungen, Universitäten und Gerichte" vom Gegenteil überzeugt hat (im Mai 1998 hörte ihn halb Italien im Fernsehrprogramm Canale Cinque sich selbst einen "Soziologen" nennen), doch ich glaube, ein guter Soziologe ist jemand, der darüber schreibt, wie eine Gesellschaft funktioniert; und ein schlechter Soziologe hat zumindest ein Diplom in Soziologie.

Ich habe die meisten Schriften Introvignes über "Neue religiöse Bewegungen" gelesen (ich habe allerdings keine seiner vielen Veröffentlichungen über Handels- und internationales Patentrecht gelesen). Ich finde, daß es im allgemeinen verläßliche und gut geschriebene Quellen über etwas sind, das man "Geschichte der Theologie" nennen könnte. Ich denke, sie enthalten nur wenig, das man als Soziologie auffassen kann.

Dafür gibt es ein gutes Beispiel. Le sette cristiane ist ein kleines Buch, geschrieben für die Öffentlichkeit; so sollte es das Wesentliche von dem enthalten, was Introvigne seinen Lesern mitteilen möchte. Nehmen wir dazu den Teil über Jehovas Zeugen, der dem Durchschnittsleser ein Gesamtbild der Organisation geben soll. Der Teil über ZJ ist in drei wohlformulierte Kapitel gegliedert, von denen jedes zehn Seiten umfaßt. So ist es einfach, eine statistische Analyse der darin behandelten Punkte vorzunehmen.

Ein Soziologe, der diese Bewegung untersucht, würde sicher von ihrer Geschichte und ihren Ideen sprechen; doch hauptsächlich würde er sich darauf konzentrieren, wie mehrere Millionen ZJs tatsächlich leben. Wie Macht, Geld und Autorität innerhalb der Organisation fließen. Über die Auswirkungen einer völligen ideologischen Distanz zum Rest der Gesellschaft. Über soziale Schichten, die von der Botschaft angezogen werden. Über die Wirkung auf Hunderttausende junger Männer, die in einer Organisation leben, die ihnen sagt, statt in Ländern, in denen Wehrpflicht herrscht, zur Armee zu gehen, sollten sie lieber ins Gefängnis gehen. Über die Veränderung der Sprache in einer Organisation, in der jedes Wort im voraus von einer kleinen Gruppe beschlossen wird, über die das Durchschnittsmitglied nur wenig weiß. Über die Auswirkung, die die Erwartung, Harmagedon stehe unmittelbar bevor, auf Berufskarrieren, Ehen und das Aufziehen von Kindern hat. Über den Tagesrhythmus, wo es hauptsächlich um Zusammenkünfte und das Predigen von Tür zu Tür geht. Über die psychologischen Implikationen einer Entscheidung auf Leben und Tod bei einer Bluttransfusion. Über das Leben in einem Zeitrahmen ohne Geburtstage oder Weihnachtsfeiern. Über die Identität von Menschen, die sich einem Zeugen Jehovas in Hongkong oder in Ruanda mehr verbunden fühlen als den Menschen, mit denen sie arbeiten oder zur Schule gehen. Über die positiven Aspekte, in einer Umgebung zu leben, wo das Rauchen verboten ist und vom Trinken abgeraten wird. Anders als bei anderen Gruppen, für die keine spezifischen Informationen vorliegen, gibt es hier einen gewaltigen Bestand an Belegen.

Und was tut nun der "Soziologe" Introvigne in seinem Buch? Ein Kapitel, d.h. ein Drittel des gesamten relevanten Textes, ist einer sehr gründlichen Analyse der Entstehung der Lehren und der Führung der ZJ gewidmet. Ein weiteres Drittel geht auf Änderungen in der Lehre der ZJ zwischen 1914 und heute ein. Das letzte Drittel ist ausdrücklich überschrieben: "Die Lehren der Zeugen Jehovas". Drei Drittel: das sind hundert Prozent an Text, die sich der Theologie widmen. Das letzte Kapitel enthält ein paar Zeilen (etwa ein oder zwei Prozent des gesamten Textes), die bestimmte Gesetze der Zeugen Jehovas aufführen, ohne jedoch ihre Wirkung auf die Menschen, die ihnen gehorchen, zu beschreiben. Die Überschrift dieses Teils lautet "Ethik" und folgt anderen Überschriften wie "Das Schicksal des Menschen" und "Jesus Christus".

Das ist ein typisches Beispiel für Introvignes Methode. Diese Art von Nicht-Soziologie hat eine gesellschaftliche Auswirkung: Wenn die Zeugen Jehovas völlig eine "Theologie" sind, dann sind allein Theologen autorisiert, über die Bewegung zu sprechen. Das ist eine Form der Enteignung gegenüber allen anderen betroffenen Menschen, ob innerhalb oder außerhalb der Organisation. Diese Haltung spiegelt das Glaubenssystem der TFP wider, das die Vorstellung ausschließt, daß brasilianische Bauern etwas zu sagen hätten: Alles Bestehende ist ein Streitfall zwischen der Jungfrau Maria und Satan im Himmel, und zwischen Thomas von Aquin und Karl Marx auf Erden.

Kardinal Bernardino Echeverría Ruiz, faßt -- natürlich -- in der KA-Zeitschrift Cristianità("Un'opera che ci invita a riflettere seriamente", Januar 1996, Seite 17) Plinio Corrêa de Oliveiras Theologie zusammen:

Es hat immer schon weise und unwissende Menschen gegeben; Klassen, die herrschen und Klassen, die gehorchen, die Reichen und die Armen. Christus selbst hinterließ uns diese Lehre: Die Armen werden immer bei euch sein [...] [Corrêa de Oliveira] wahrt die Notwendigkeit der Wiederentdeckung der sozialen Werte der privilegierten Klassen, von Familien, die dem Adel angehören, von Familien guter Geburt dank ihrer Titel und Traditionen.

Der Durchschnittsleser braucht wahrscheinlich eine Minute, bis er erkennt, daß der Kardinal tatsächlich Plinios Gedanken gutheißt, dessen "Kämpfer" zu sein ja Introvignes Organisation stolz ist.

Zusammenfassend glaube ich, das Beste, das man sagen kann, ist, daß Introvigne wahrscheinlich ein sehr guter, sehr geschäftiger Patentanwalt mit dem privaten Hobby der Geschichte der Theologie ist, was zufällig mit dem Krieg seiner Organisation gegen die "Antisektenbewegung" zusammentrifft.


Introvignes Methoden

Ein anderer KA-Kämpfer schreibt in der rechtgerichteten Tageszeitung Il Secolo d'Italia:

Der Kampf mit Worten, wie Corrêa de Oliveira sagt, ist von grundlegender Bedeutung; wer ihn verliert, gibt seinem Gegner immense Macht, einen Vorteil, der nicht mehr zurückerobert werden kann. (Andrea Marcigliano, "Liberale e/o conservatore?", in Il Secolo d'Italia, 30. Mai 1997)

Anders als normale Gelehrte befindet sich Introvigne im Krieg und hat nicht die Absicht, den Kampf mit Worten zu verlieren. Zurückhaltende, reaktionäre Sprache ist in einer Gesellschaft wie der unsrigen zum Verlieren verurteilt. Im Westen inspiriert die Rhetorik großer idealistischer Angelegenheiten -- ob basierend auf sozialer Revolution, Nationalismus oder Religion -- nur winzige Gruppen machtloser "Extremisten". Die moderne Volkswirtschaft hat unsere Welt zu einer konsumorientierten gemacht, gegründet auf isolierte Einzelpersonen; und isolierte Einzelpersonen können nur durch ständig wiederholte Appelle an ihre individuellen "Menschenrechte" gewonnen werden. Mit anderen Worten: Political correctness ist zur einzig möglichen Sprache geworden. Doch die Inhalte dieser political correctness sind vollkommen austauschbar. Jeder, der über genügende Mittel verfügt, kann immer seine eigene Sache, was es auch sein mag, in Begriffen von "Verteidigung der Freiheit" der einen oder anderen Art darstellen: ein offenkundiges Beispiel ist der vernichtende Sieg des "freien Unternehmertums" über die "Rechte der Arbeiter" oder sogar über das "Recht auf Arbeit".

Angelegenheiten der "Freiheit" sind, wenn man nur laut genug dafür eintritt, im allgemeinen unwiderstehlich. Was könnte jemand gegen die "Religionsfreiheit" haben? "Antireligiöse Unterdrückung"?

Doch jeder Slogan hat auch einen Inhalt. Es gibt authentische Probleme mit der Religionsfreiheit; im Grundsatz geht es dabei um das Recht tief verwurzelter Gemeinschaften, weiterhin einen Lebensstil zu pflegen, der von einer Weltanschauung diktiert ist: das ist zum Beispiel der Fall beim Recht der Tibeter, in ihrer überkommenen Weise zu beten, oder dem eines Moslemmädchens, in französischen Schulen Schleier zu tragen. Das sind Dinge, mit denen keine Beschränkung der Rechte anderer Menschen oder kein Angriff auf Wertesysteme anderer verbunden sind.

Etwas anderes ist dagegen die Freiheit, Methoden der Massenpublizität zu verwenden, um die Wertesysteme anderer zu verändern; ohne physischen Zwang, aber mit allen Mitteln der Verführung, die die moderne Technologie an die Hand gibt. Das ist das Thema, das sich bei Konflikten in vielen Teilen der Welt stellt -- in Griechenland Israel, der islamischen Welt, Rußland -- zum Beispiel zwischen Kulturen, die die Absicht haben, Merkmale ihrer eigenen Identität zu wahren, und aus den USA stammenden, Anhänger suchenden Organisationen, die vorhaben, diese Identitäten radikal zu verändern.

Ein dritter Punkt ist die Freiheit, sich auf die Religion zu berufen, um Vorrechte zu erhalten, die Unternehmen oder politischen Gruppen normalerweise nicht gewährt werden: Steuerbefreiung, ein privilegierter kultureller Status und natürlich Befreiung von jeder Form sozialer Kontrolle. "Mein Glaubenssystem" sagt, daß Leute zwölf Stunden pro Tag ohne Lohn in meinen Fabriken arbeiten müssen, und meiner Organisation dieses Recht vorzuenthalten bedeutet, zur Zeit der Inquisition, zum Gulag oder zu Auschwitz zurückzukehren, je nach dem Zusammenhang, der die tiefste Saite bei der Zuhörerschaft zum Klingen bringt.

Man kann sich nur schwer dem Eindruck entziehen, daß Introvignes Vorstellung von religiöser Freiheit im Grunde genommen die dritte genannte ist.

Massimo Introvigne hat in seinen Büchern und Artikeln sicherlich gewisse interessante Fragen zur Sprache gebracht. Obwohl ich das bin, was er einen "professionellen Feind" nennt, stimme ich persönlich mit seinen Zweifeln am Wert einer repressiven Gesetzgebung und mit der Bedeutung überein, die er den Ideologien (er zieht den katholischen Begriff "Doktrin" vor) der verschiedensten Organisationen zumißt, die als Sekten oder neue religiöse Bewegungen eingeordnet werden. Und natürlich tut er recht daran, Sektenkritiker davor zu warnen, es nicht dabei bewenden zu lassen, die dem Menschen innewohnenden religiösen Gefühle im allgemeinen zu kritisieren. Er hat diese Punkte bei endlosen Gelegenheiten vorgebracht, und sie sind es sicherlich wert, in Erwägung gezogen zu werden.

Das gewaltige persönliche Leid hinter der Schaffung der meisten sektenbeobachtenden Organisationen führt Personen, die sich mit diesem Thema befassen, leicht dazu, zu vergessen, wie kompliziert die Wahrheit in Wirklichkeit ist, und ein ausgeglichenerer Ansatz, der die Verschiedenheit der Themen in Betracht zieht, wäre nicht das Verkehrteste.

Doch dazu ist einiges zu sagen. Wenn Sekten nicht einer Repression unterworfen sind (wenn sie genug Geld haben, werden sie natürlich immer einen Weg aus einem neuen Gesetz heraus finden) -- und Repression an sich ist ein "Privileg", da sie damit für eine besondere Behandlung ausgesondert sind --, sollte man ihnen auch keine Vorrechte gewähren. Wenn ein Ideologieunternehmen Millionen Dollar verdient, sollte es derselben Form von Rechnungswesen, Steuerzahlung und der Verpflichtung unterzogen werden, Löhne und Sozialbeiträge zu entrichten, wie jedes andere Unternehmen auch. Introvigne möchte es andersherum: er verteidigt das Recht bestimmter Gruppen, "wie jeder sonst" behandelt zu werden, und dann fordert er, daß ihnen die außerordentlichen Vorrechte gewährt werden, die die Behörden der undefinierbaren Kategorie "Religionen" zuerkennen.

Sekten berühren Gesellschaften in verschiedener Weise -- sie belegen nicht nur Menschen mit Beschlag, sondern auch Besitz, Geschäfte und politische Macht. In einer Demokratie können aggressive Lobbys entweder durch aggressive Regierungen vernichtet werden (und Introvigne und ich stimmen darin überein, daß dies nicht geschehen darf), oder sie müssen sich offen dem kritischen Blick der Öffentlichkeit aussetzen. Praktisch gesagt bedeutet das, daß das Recht von Kritikern, uneingeschränkt Fakten über Sekten zu veröffentlichen, garantiert werden sollte.

Bei einem Prozeß vor kurzem in Rußland zeigte Introvigne, daß er ganz anders denkt, indem er (in seiner Rolle als "Sachverständiger") ein Memorandum zur Unterstützung eines Sektenkartells schrieb, das die Gerichte bei dem Versuch benutzte, ein Buch des russisch-orthodoxen Kritikers Aleksandr Dvorkin zu unterdrücken. In Introvignes Welt sollten Sekten frei von jeder Kontrolle durch die Behörden und die Gesellschaft sein.

Der zweite Punkt ist, daß Ideologien ("Doktrinen") auch soziologisch betrachtet werden müssen. Wenn eine bestimmte Sekte sagt, wir lebten nur noch ein paar Jahre vor dem Ende der Welt, mag das eine entfernte Assoziation zu apokalyptischen Trends der Vergangenheit wachrufen; es hat jedoch auch eine praktische Auswirkung auf die Entscheidungen der Mitglieder, ob sie noch eine Universität besuchen oder Ganztagsaktivisten ihrer Sekte werden sollten. Sektenkritiker neigen dazu, Handlungsweise und Glaubensbekenntnis voneinander zu trennen; doch Glaubensbekenntnisse werden oft dazu benutzt, um Handlungsweisen hervorzubringen.

Schließlich hilft es nicht der allgemeinen Sympathie für Religionen, wenn er genau das behauptet, was die militantesten Atheisten schon immer geglaubt haben: daß aggressive Geschäftsleute, ruchlose Manipulatoren und Leute, die glauben, als Herren der Welt geboren zu sein, bona fide religiöse Personen seien.

Ich glaube, daß Introvignes Karriere als Anwalt eine Menge damit zu tun hat.

Sowohl Wissenschaftler als Anwälte schreiben Untersuchungen, in denen die Fakten in Ordnung zu sein scheinen und wahr aussehen. Der Unterschied liegt daher nicht im offensichtlichen Ergebnis, sondern in der Art und Weise, in der jeder von beiden mit seiner Arbeit beginnt: Der Wissenschaftler, welche Vorurteile er auch haben mag, unternimmt den kühnen Versuch, neue Entdeckungen anzupassen, die Meinung auf der Grundlage der Tatsachen zu ändern.

Die Aufgabe eines Anwaltes besteht im Gegenteil: Was auch immer die Fakten sind, er muß den Punkt beweisen, den zu unterstützen er bezahlt wird. Egal wie viele Untersuchungen er vornimmt oder wie gut sein Werk aussieht, man weiß, was das Ergebnis der Arbeit eines Anwaltes sein wird: der Beweis, daß sein Mandant unschuldig ist oder daß die andere Seite schuldig ist.

Bei Gerichtsprozessen gewinnt immer jemand und verliert immer jemand: so muß das Ergebnis in den Köpfen der Richter sein, daß eine Seite gut und die andere schlecht ist.

Einige Anwälte sind in ihrer Freizeit exzellente Wissenschaftler. Introvigne andererseits ist ein Fulltime-Anwalt. Wie viel er auch schreibt, man weiß bereits, daß es nur einem Zweck dient: zu zeigen, daß Sekten "unschuldig" sind und daß die "Antisektenbewegung" schuldig ist. Das heißt, dieselben Punkte immer wieder zu "beweisen".

Die Beweggründe der Sekten müssen gut sein ("Religion"); die Beweggründe ihrer Kritiker (die für das Deprogrammieren bezahlt werden) sind so schlecht wie ihr Charakter (sie sind "geistig verwirrt") und ihre Handlungsweise (sie "fabrizieren Greuelmärchen", sind "professionelle Feinde" usw.).

Das führt Introvigne, wie jeden fähigen, aber skrupellosen Anwalt, dazu, die Fakten zu benutzen, wie es ihm gerade paßt: etwas, von dem ich glaube, daß ich es anhand des kleineren Beispiels seiner "Untersuchung" über die Neue Akropolis und in dem umfangreicheren Beispiel seiner Erfindung einer weltweiten "weltlich-humanistischen Antisektenideologie" gezeigt habe.

Ein oberflächlich überraschender Aspekt des Werkes Introvignes ist seine Tendenz, die widersprüchlichsten Gruppen zu verteidigen. Er schreibt nicht zur Verteidigung beispielsweise der Baha'is oder der Baptisten; seine Schriften widmen sich großenteils dem Reinwaschen von Gruppen, die aus verschiedenen Gründen (hier gebe ich kein persönliches Urteil wieder) im Kreuzfeuer der Kritik stehen: Aum Shinrikyo wegen der Gasverbrechen; die Davidianer aus Waco; Neue Akropolis, oft beschuldigt, Neo-Nazis zu sein; Satanisten, die sich als das genaue Gegenteil des Christentums darstellen und die man verschiedener schockierender Verbrechen verdächtigt; Scientology mit seinem Ruf, rücksichtslos zu manipulieren; Moons Vereinigungskirche, wegen ihrer Massenhochzeiten und Waffenfabriken kritisiert. Die Anwesenheit Introvignes als "Sachverständiger" zur Verteidigung von Scientology bei einem Prozeß im September 1995 in Lyon, bei einem Fall, der viele zivile Vergehen, doch keine religiösen Punkte zum Inhalt hatte, ist kaum eine Hilfe für Religionen bona fide, die Probleme haben.

Der letzendliche Zweck, warum Introvigne Anwalt ist, wurde deutlich in Sodalitium von einem katholisch-traditionellen Schreiber angegeben ("Alleanza massonica?", in Sodalitium, Dez. 1997, Seite 66):

Angesichts dieser Schwierigkeiten bündeln die TFP und ihre Ableger ihre Kräfte. Um die TFP und das Opus Dei (unseren "Konterrevolutionären fast ebenso lieb) zu verteidigen, ist folgendes nötig:

1. Die Antisektenbewegungen anzugreifen (die es wagen, TFP und Opus Dei unter den Sekten aufzuführen).

2. Die Religionsfreiheit (wenn diese für sie gilt, stehen wir auch besser da) für die unglaublichsten Sekten aggressiv zu verteidigen.

3. Die "lefebvrischen Sedevakantisten" zu bestrafen, weil sie schuldig sein sollen, die TFP und das Opus Die angeprangert und sie beschuldigt zu haben, Sekten zu sein.

"Lefebvrisch" bzieht sich auf die Anhänger von Monsignore Lefèbvre, "Sedevakantisten" meint jene katholischen Traditionalisten, die glauben, der "Stuhl Petri" sei gegenwärtig verwaist. Natürlich ist der letzte Punkt zwar von direktem Interesse für katholische Traditionalisten, doch er ist in der allgemeinen Strategie der TFP nur von untergeordneter Bedeutung.

Er verdient es jedoch, erwähnt zu werden, da es hier ist, daß Introvigne eine neue, außerordentliche Verschwörungstheorie entwickelt, fast vergleichbar seiner "Sexpriester"-Theorie. In einem Buch ('Sette' e 'diritto di persecuzione') gegen den Bericht der französischen Nationalversammlung -- Koautor der KA-"Regent" Giovanni Cantoni -- widmet Introvigne mehrere Seiten der Verteidigung der auch in dem Bericht genannten TFP und beklagt, daß in dem Bericht keine katholisch-traditionalistischen oder islamischen Organisationen aufgeführt werden. Dann fügt er die bemerkenswerten Worte an (Seite 106):

Es gibt eine beunruhigendere, oder wenn man lieber will: nachteiligere, Hypothese. Besonders in Frankreich, aber nicht nur dort, haben in den vergangenen Jahren mehrere "lefebvrische" und "sedevakantistische" Publikationen einen Feldzug gegen "Sekten" geführt, wobei sie eine besonders gewalttätige Sprache gebrauchten. Wenn es bloß, oder hauptsächlich, darum ginge, die traditionelle katholische Lehre zu verteidigen, wäre nichts daran überraschend. Doch diese Literatur gebraucht die typischen Argumente der weltlich-humanistischen [laizistischen] Antisektenbewegung etikettiert oft solche katholischen Organisationen wie die TFP und das Opus Dei als Sekten. Ein gerechtfertigter Verdacht steigt auf: die Antisektenbewegung benutzt bestimmte "levebvrische" und sedevakantistische Gruppen als Fronttruppen, als Pioniere, die aus der Nähe als erster Angriff in die Schlacht geschickt werden. Natürlich werden diese Truppen, wenn nötig, geopfert, da diese Gruppen -- um ein typisches Kriterium der Antisektenbewegung aufzugreifen -- sich leicht als Sekten abqualifizieren lassen, wenn, falls und soweit es nötig ist.

In Introvignes phantastischer Welt gibt es nicht nur eine "weltlich-humanistische Antisektenbewegung"; es werden sogar katholische Traditionalisten als Teil einer fragwürdigen Strategie benutzt.


Über den Begriff "Abtrünnige"

Der Begriff "Abtrünniger" definiert die Wirklichkeit und stellt alles an seinen Platz. Der Ursprung ist religiös, und das "beweist", daß eine Sekte, die ihn gebraucht, bona fide eine Religion ist (wenn die Organisation, wie bei der Neuen Akropolis, nicht den Anspruch erhebt, keine Religion zu sein).

Der Begriff erinnert mich an den Abtrünnigen par excellence, Julian. Praktisch ein Gefangener, umgeben von Lehrmeistern, die versuchten, ihn mit dem "einzig wahren Glauben" zu beeindrucken, traf Julian eine eigene, schwierige Entscheidung. Nicht jeder mag sie teilen, aber sie erforderte gewiß einen gewaltigen Mut.

Und schließlich eine genaue Definition. Doch der Grund, warum CESNUR sie verwendet, ist, um die Erfahrung zu leugnen. Wir können nur von denen etwas über Sekten erfahren, die sie persönlich kennen. Doch die Stimme derer, die gegenwärtig einer Sekte angehören, ist nur der Widerhall der einzig zulässigen STIMME, der des Meisters (der in Doktor Plinios Theologie die einzige Stimme ist, der ein Gentleman Aufmerksamkeit schenken sollte). Eingeweihten zuzuhören ist so, als versuche man, etwas über die Lebensbedingungen in einem Autowerk zu erfahren, indem man die FIAT-Anzeigen liest.

In seiner Erwiderung per E-mail auf die erste Ausgabe des vorliegenden Textes bezog sich Introvigne in der folgenden, äußerst entlarvenden Weise auf mich:

Noch einmal, ich bin nicht daran interessiert, mit einem "Dolmetscher" meine akademischen Legitimationen oder meine Arbeit zu diskutieren.

Tatsächlich begann die Diskussion mit einer Analyse des Werkes Introvignes über die Neue Akropolis; und ob sich Introvigne als Soziologen bezeichnet oder nicht, ich habe nun einmal vierzehn Jahre Erfahrung mehr als er mit dieser Organisation; und das gibt mir das Recht, sein Werk zu besprechen, wenn es ein Feld berührt, das ich besser als er kenne (und wenn es mich auch noch erwähnt).

"Abtrünnige" zum Schweigen zu bringen ist verbunden mit dem Willen, zu kontrollieren. Wie die Diplomaten des 19. Jahrhunderts hören die Bürokratien verschiedener Führungen nur auf einander. Sie mögen Gegner sein oder auch Spitzengespräche führen, aber es gibt eine Sache, in der viele Politiker, Führer von Gruppen und einige Akademiker übereinstimmen: darin, daß man unangenehmen Lärm zum Schweigen bringen muß, der von den Soldaten in den Schützengräben kommt, wenn sie meutern, wenn sie aufhören, nur Stützen für die Fahnen ihrer Führer zu sein.

Dies ist unsere Stimme. Sie mag unangenehm sein. Sie mag manchmal übertreiben. Sie mag Erinnerungen vertreiben, die zu schmerzhaft sind. Aber sie gibt uns eine sehr viel klarere Vorstellung von dem, wie das Leben im Schützengraben aussieht, als alle patriotischen Zeitungen mit ihrer Hofberichterstattung.


Quellen

Über die TFP gibt es nur wenig kritisches Material, und wir wären für Anregungen dankbar.

Nur wenige Artikel kommen aus einer Ecke, wo man Kritik als am wahrscheinlichsten vermuten würde: von der politischen Linken. Eine Internet-Seite in Portugiesisch von der Bewegung der "Landlosen", etwas kritisches Material aus Spanien und eine ausgezeichnete, aber nur ausschnittweise Untersuchung eines Professors der Durban University in Südafrika (wo die TFP unter dem Apartheid-Regime die "Religionsfreiheit feierte", wie Introvigne sagen würde, weil die progressive katholische Zeitschrift New Nation verboten wurde) sind alles, was man mit einer schnellen Suche durch das Web ausmachen konnte. Es standen auch ein paar interessante Artikel in der französischen Presse.

Die besten Quellen, die wir kennen, sind zwei Bücher, die von katholischen Traditionalisten herausgegeben werden:

1) Tradizione, famiglia, proprietà: associazione cattolica o setta millenarista?, 1996

2) Carlo Alberto Agnoli e Paolo Taufer, TFP: la maschera e il volto.

Beide sind nur durch Priorato Madonna di Loreto, via Mavoncello 25, 47828 Spadarolo di Rimini, Italien, Tel./Fax 0541-727767 - 728335 zu beziehen.

Das erste Buch ist eine sehr interessante Analyse der Organisation; es finden sich auch Berichte ehemaliger TFP-Mitglieder darin.

Das zweite Buch ist sehr von den Verschwörungstheorien des Autors bestimmt, die ich persönlich ablehne. Doch das Buch enthält viele interessante Zitate aus TFP-Material.

Mehrere sehr gut belegte Artikel sind in der Zeitschrift Sodalitium der katholischen Traditionalisten erschienen, und zwar als Reaktion auf Introvigne, der diese ultra-orthodoxen Thomisten in einem Artikel über "Neue religiöse Bewegungen" plazierte, irgendwo zwischen den Moon-Anhängern und den Satanisten. Introvigne besaß die Geschmacklosigkeit, das in einem Artikel in der Zeitschrift der italienischen Freimaurer, Ars Regia, zu tun, die von "Bruder" Mauro Mugnai (Sodalitium, Nr. 35, Okt.-Nov. 1993) herausgegeben wird; einer Zeitschrift, in der Introvignes Name als "wissenschaftlicher Berater" für die Herausgeber auftaucht.

Weiteres interessantes Material gab es bei einer Debatte in Orion, einer italienischen Zeitschrift, die allgemein als "rechts" bezeichnet wird und wo man sowohl Pro- als auch Anti-TFP-Stimmen vernehmen kann (Orion, c/o Libreria del Fantastico, via Plinio 32, 20129 Mailand, Italien).

Doch das interessanteste Material über die TFP stammt von ihr selbst:

Roberto de Mattei, Il crociato del secolo XX: Plinio Corrêa de Oliveira, PIEMME, Casale Monferrato, Italien, 1996 (ein Buch, das, glaube ich, in mehrere Sprachen übersetzt wurde).

Diese Biographie der Führer rühmt sich voller Stolz dessen, was die meisten Leute als den anrüchigsten Aspekt der TFP ansehen würden: allein schon die Fotografien in diesem Buch genügen, um Introvigne aus dem Geschäft zu werfen. Ein Blick auf die Fußnoten zeigt, daß de Mattei, außer daß er der Führer der KA-Schwesterorganisation, Centro Lepanto ist, auch noch ein großer Introvigne-Zitierer ist. Und die Zitate, die er zitiert, kommen alle auf den Punkt: sie verteidigen Meister Plinio.


Introvignes Antwort: die Transsylvanische Dracula-Gesellschaft

Am 29. Mai 1998 erhielt ich die folgende Antwort, die hier in Kursivschrift wiedergegeben wird (Ich habe mir die Freiheit genommen, die verschiedenen Punkte, die Introvigne aufwirft, zu numerieren; einige Punkte sind schon im Text behandelt worden; deshalb wiederhole ich sie hier nicht). Meine Kommentare folgen in normaler Druckschrift.

Das Direktorium von Cesnur International besteht gegenwärtig aus (und die Information ist bereits öffentlich gemacht worden):

Dr. Massimo Introvigne

Prof. Eileen Barker

Dr. J. Gordon Melton

Prof. Reender Kranenborg

Herrn Michael W. Homer

Prof. Régis Ladous

Dr. Jean-François Mayer

Prof. Luigi Berzano.

Ich habe nie abgestritten, daß CESNUR internationale Zweige hat. Und was diese internationalen Zweige angeht, so sehe ich, daß Herr Introvigne sich nicht zu der Hypothese äußert, der französische Zweig sei "durch und durch freimaurerisch" (eine Hypothese, die ich mit beträchtlichem Vorbehalt zitiert habe).

Jean-François Mayer ist übrigens ein recht interessanter Charakter. Die "Sonnentempler" fanden, daß er genügend auf ihrer Wellenlänge war, daß sie ihm ihren Abschiedsbrief vor dem Selbstmord schrieben. Mayer stand auch Monsignore Lefèbvre nahe (siehe Sodalitium, Nr. 35, Okt.-Nov. 1993).

Er hat kürzlich das Sektenverteidigungsgeschäft verlassen, und einige seiner Schriften sind sehr interessant. Man hat uns auch gesagt, daß er eine viel angenehmere Person ist als Introvigne, was, so glaube ich, ein wichtiger Punkt ist.

Professor Kranenborg ist einer der Gelehrten bona fide, die ich an früherer Stelle erwähnt habe.

Eileen Barker hat ein schönes Arbeitsverhältnis mit Reverend Moons transnationaler Gesellschaft.

2) Es ist merkwürdig, daß wir darauf bestehen, daß wir keine katholische Gemeinschaft sind, und wenn dies durch äußere Quellen bestätigt wird (wie Monsignore Fitzgerald -- aber es wäre nicht aufrichtig, seine Brief vollständig zu zitieren), wird es als große Entdeckung gepriesen.

Der Rest des Briefes von Mons. Fitzgerald ist im Internet zu finden und fügt nichts Interessantes hinzu.. Ich zögere immer, Material aus dem Internet hinzuzunehmen, weil es schwer ist, seine Authentizität zu beweisen.. Ich danke Herrn Introvigne daher dafür, daß er es getan hat. Bei der Frage, ob CESNUR katholisch ist, sind zwei Fakten von Interesse. Ich kann mit keine andere Organisation vorstellen, die "unabhängig von der Kirche" ist, bei der die Statuten bestimmen, daß der Präsident und der Direktor einer bestimmten Kirche angehören müssen. Das hat nichts damit zu tun, ob der Vatikan Herrn Introvigne mit Wohlwollen betrachtet, was er übrigens nicht tut. Ähnliche Überlegungen gelten für Introvignes wiederholte Appelle für ein "theologisches" Herangehen an die Sektenfrage.

Zu Ihrer Information: Die Website wird betrieben -- und bezahlt -- von CESNUR International, und nicht von mir selbst.

Ich habe nicht die Denkart eines Patentanwaltes, so fürchte ich, daß ich den Punkt nicht ganz verstehe, ob die CESNUR-Website von CESNUR Italien oder von CESNUR International betrieben wird. Interessant wären weitere Anmerkungen dazu, wer für CESNUR International bezahlt: ist es immer noch dieselbe piemontesische Regierung, die für CESNUR Italien bezahlt?

4) Martinez ist offensichtlich nicht vertraut mit soziologischer Literatur über Abtrünnige, sonst würde er erkennen, daß es keine Abfälligkeit, sondern ein technisches Etikett ist.

Mein Artikel handelt nicht von der technischen Verwendung des Begriffes: doch selbst als solche stehen die Definitionen, die in der "soziologischen Literatur" verwendet werden, immer noch in keinem Verhältnis zu mir oder den Menschen, von denen ich weiß, daß sie einer Sekte angehörten. Mich interessiert, wie Introvigne das Wort [Abtrünnige] gebraucht, und bei ihm ist es abfällig.

Mir hängt es zum Hals heraus, und ich habe nicht die Absicht, persönliche Meinungsunterschiede auszutragen.

Ich verstehe, daß das Herrn Introvigne zum Hals heraushängt, wo immer eine seiner Arbeiten erörtert wird. Das war schon immer seine Antwort auf Kritik von irgendeiner Seite. Eine meiner Lieblingantworten Introvignes war die an den französischen Psychiater Abgrall, der Kenntnis von der Beziehung zwischen CESNUR und TFP nahm. Introvigne sagte, "das seien offensichtlich deliröse Wahnvorstellungen, die keines Kommentars bedürfen". ("Il ritorno dei giacobini: il rapporto della commissione parlamentare belga d'inchiesta sulle sette", Cristianità, Nr. 269, Sept. 1997, Seite 7).

"Deliröse Wahnvorstellungen" -- es ist schließlich der eigene Lebenslauf des Koautors Cantoni in Libertà religiosa, 'sette' e diritto di persecuzione (Seite 149), der uns sagt:

"Zwischen 1962 und 1966 leitete er die Sammlung von Essays, die Edizioni dell'Albero in Turin herausgab, deren Mitgründer er war und die er verließ, als diese Initiative nicht mehr zu seinen Vorstellungen paßte. Durch dieses Instrument führte er in Italien die Schriften von -- unter anderem -- Thomas Molnar, Francisco Elías de Tejeda y Spínola, Pater Roger-Thomas Calmel O.P. und vor allem die von Plinio Corrêa de Oliveira ein."

"Vor allem ..."

Dieser Lebenslauf zeigt auch einen überraschenden zweiten Aspekt auf: der ultra-katholische Cantoni rühmt sich, in Italien die grundlegenden Veröffentlichungen eingeführt zu haben, die später die nichtchristliche extreme Rechte inspirieren sollten -- die Schriften von Jean Servier und Mircea Eliade.

Was "persönliche Meinungsunterschiede" angeht, so gibt es nur einen, und der stammt von Introvigne selbst. Herr Introvigne bezog sich auf das Gerichtsurteil gegen mich und den Sender Canal Plus und sagte: "Tatsächlich haben, wie bereits erwähnt, Gerichtsurteile festgelegt, daß einige der Anschuldigungen [die Herr Martinez gegen die Neue Akropoliserhoben hatte] nicht wahr sind". Herr Introvigne nennt mich persönlich einen Lügner und greift ein Gerichtsurteil auf, das -- wie zu Beginn dieser Abhandlung schon ausführlich gezeigt -- etwas ganz anderes besagte: Es bestätigte indirekt die Authentizität von Dokumenten, die der Neuen Akropolis zugeschrieben werden, indem gesagt wurde, daß eine Reihe von Äußerungen darin besorgniserregend seien. Das Gericht weigerte sich auch ausdrücklich, abzuwägen, ob Anschuldigungen gegen die Neue Akropolis wahr wären oder nicht. Was Platz für einige Zweifel daran schafft, wer hier lügt.

Herr Introvignes Feststellung: "Abtrünnige mit Verbindung zu Antisektenbewegungen wie Miguel Martinez rühmen sich gelegentlich dessen, daß ihre Öffentlichkeitsarbeit als entscheidender Faktor für einen Rückgang der Mitgliederzahl der Neuen Akropolis in Frankreich verantwortlich sei", ist falsch und anzüglich.

Nachdem er mich als Abtrünnigen bezeichnet hat, unterstellt er, daß die von Bryan Wilson erhobenen Beschuldigungen gegen "Abtrünnige" auf mich zutreffen. Ich überlasse es Herrn Introvigne, zum Beispiel zu beweisen, daß ich einen Ghostwriter hätte.

Bevor er solche haarstäubenden Fehler über mich macht, hätte Herr Introvigne mich gut selbst fragen können: "Obwohl großenteils von der Sozialisation in die Antisektenunterstruktur geformt, sind die Erzählungen von Abtrünnigen nicht irrelevant, und ich schlage gewiß nicht vor, sie zu ignorieren. Sie sollten jedoch in ihren richtigen Zusammenhang eingeordnet und mit anderen Quellen verglichen werden". Er ignoriert nicht nur meine Erzählung, wenn diese auch "großenteils geformt" ist von meiner angeblichen "Sozialisation in die Antisektenunterstruktur", er schreibt mir auch eine Erzählung zu, die niemals von mir stammt. Das ist keinerlei Wissenschaftlichkeit.

Da es in meinen Erwiderungen auf diese persönlichen Angriffe nichts Persönliches gibt, muß ich annehmen, daß Introvigne generell Probleme mit Meinungsunterschieden hat. Doch nicht einmal das ist wahr: In den vergangenen Jahren hat er Hunderte von Seiten mit kontroversem Material gegen die von ihm so genannte "Antisektenbewegung" geschrieben. So kann ich nur vermuten, daß Introvigne nur dann etwas "zum Hals heraushängt", wenn Kontroversen in beiderlei Richtung bestehen.

6) Ich finde es auch recht lustig, daß er ein Buch über die TFP zitiert, das von der Bruderschaft St. Pius X herausgegeben wurde -- ist diese Bruderschaft nach seinen eigenen Maßstäben etwa keine "Sekte"?

Jeder Autor sollte stolz sein, seine Quellen zu zitieren. In meinen Schriften habe ich Introvigne immer Glauben geschenkt; nicht nur, wenn ich ihn zitiere, sondern auch, wenn ich eine Idee von ihm erhalte. Als ich diese Quellen, katholische Traditionalisten, erwähnte, wußte ich sehr wohl, daß sie gegen mich gerichtet werden könnten. Doch diese Quellen sind wichtig, weil sie von Leuten stammen, deren Ideologie nicht weit von derjenigen von Introvigne selbst entfernt ist. Sie kennen das Milieu persönlich. Und sie haben Zugang zu TFP-Material, das sie genau zitieren. Ich hätte dieses Material leicht direkt zitieren können, ohne die Sekundärquellen zu nennen, so wie Introvigne heutzutage Doktor Plinios Worte und Ideen anführt, ohne die Quelle zu erwähnen. Ich habe es vorgezogen, das nicht zu tun.

Ich bin persönlich anderer Meinung als katholische Traditionalisten, und zwar aus denselben Gründen, warum ich mit der TFP/Katholischen Allianz nicht einer Meinung bin. Introvigne kennt meine Maßstäbe nicht, die ich an Sekten anlege; doch ob er mit ihnen übereinstimmt oder nicht: Er kennt nicht die Maßstäbe anderer Sektenkritiker. Und er sollte sich darüber im klaren sein, daß katholische Traditionalisten ganz allgemein gesagt nicht unter diese Maßstäbe fallen (sie fallen aber unter Introvignes Maßstäbe, da er sie in seinen Schriften in einem Atemzug mit Satanisten, Scientology und anderen Gruppen nennt). Katholische Traditionalisten suchen nicht andere zu bekehren, sie haben (anders als die TFP) keine Geheimnisse, sie zerstören keine Familien und sie hinterlassen keine Leute bankrott. Und sie bezeichnen sich selbst nicht als "Soziologen", nur weil sie hin und wieder über gesellschaftsbezogene Themen schreiben.

Nachdem ich Introvignes Antwort gelesen haben, füge ich meiner Liste noch absichtlich Orionhinzu, was Introvigne sicherlich weiteren Stoff liefert, die eigentlichen Themen zu umgehen.

Mit freundlichem Gruß (auch von dem "verblichenen" Dr. Melton, den ich letzte Woche traf).

Massimo Introvigne

Der Seitenhieb auf den "verblichenen" Dr. Melton scheint eine ironische Erwiderung auf eine Schlußfolgerung zu sein, daß er starb. Ich habe ihn in meinem Text nicht einmal erwähnt; deshalb trifft der Humor in dieser Feststellung daneben. Vielleicht wurde Herr Introvigne durch die grabesgleiche Spezialisierung des Methodistenpfarrers Gordon Melton über Vampirismus durcheinandergebracht: Es scheint Melton gewesen zu sein, der Introvigne hineinzog, Präsident der Internationalen Transsylvanischen Dracula-Gesellschaft zu werden. Übrigens korrigierte mich Introvigne zumindest in diesem Punkt sehr schnell: Er sagt, er sei nur Präsident der italienischen Sektion der Internationalen Transsylvanischen Dracula-Gesellschaft. Wie auch immer, ich glaube sicher, daß zumindest dieser Titel recht authentisch ist.

Ein Kommentar zu Introvignes Buch über Dracula wirft etwas interessantes Licht darauf, wie die alten KA-Kämpen sich gegenseitig helfen. Der Kämpfer Marco Respinti schreibt regelmäßig in der rechtsgerichteten Tageszeitung Il Secolo d'Italia (dem offiziellen Papier von Finis Alleanza Nazionale) und tritt für etwas ein, das rechte Kritiker "Kathokapitalismus" genannt haben. Das hat anscheinend wenig mit Dracula zu tun, doch Respinti findet einen Weg, seinem Kollegen kostenlose Publizität zu geben. Er nennt Introvignes Werk "hochwissenschaftlich"; Introvignes Untersuchung über den Satanismus wird "monumental". Er ist ein "rastloser Forscher; ein Detektiv nicht der unmöglichen, sondern der nur zu möglichen Art; ein fähiger Gründer einer Schule". Seine Untersuchungen "liefern den besten, ja, den einzig wahren Schlüssel für die Auslegung". CESNUR wird zu "einem Netzwerk internationaler akademischer Organisationen". Und in seiner Untersuchung über Dracula hat Introvigne "eine kolossale intellektuelle, kulturelle und wissenschaftliche Mühe" aufgewandt; dieser "große Experte" ist natürlich "Präsident der italienischen Sektion der Transsylvanischen Dracula-Gesellschaft" (Marco Respinti, "Nemici di Satana", in Il Secolo d'Italia, 29. Juni 1997, Seite 17, zitiert in Sodalitium, Dez. 1997, Seite 68). Respinti räumt im weiteren Verlauf ein, aus welchem Grund CESNUR gegründet wurde. Er gratuliert CESNUR für die Hilfe, den Freispruch des italienischen Satanisten Marco Dimitri (ein unsympathischer, aber offenbar harmloser Mensch) erreicht zu haben, und erklärt, daß die "Antisektenbewegung" damit anfängt, Satanisten zu verfolgen, doch dann "damit endet, in ungehöriger Weise darüber hinauszugehen, wie aus den kürzlichen Anklagen gegen die folgenden sehr wichtigen katholischen Bewegungen, Sekten zu sein, zu ersehen ist: Opus Dei, die Gesellschaft zur Verteidigung von Tradition, Familie und Besitz, der Focolarini-Bewegung, Comunione e liberazione und sogar Mutter Teresa aus Kalkutta".

Was sehr treffend unsere ganze These zusammenfaßt, warum Introvigne ein Verteidiger von Sekten geworden ist.


Addenda, 1. Juni 1998

Am 1. Juni 1998 erhielt ich eine weitere Antwort von Introvigne, die keine sein sollte.

Die Anschrift von CESNUR -- Via Juvarra 20, Turin -- ist nicht meine eigene. Mein Haus wäre kaum in der Lage, 11.000 Bücher zu beherbergen. Mein persönlicher Briefkopf als Verwaltungsdirektor von CESNUR benutzt das CESNUR-Logo und gibt meine Privatanschrift an.

Ich weiß nicht genau, auf was das eine Antwort sein soll. Nach der ständigen und ungebetenen Erwähnung, wie viele Bücher CESNUR habe (jedes Dokument der Organisation behauptet eine immer größer werdende Zahl), scheint das Sammeln von Büchern die Haupttätigkeit der Organisation zu sein. Introvignes Haus muß sehr klein sein -- einer meiner Freunde, der in einem kleinen Haus wohnt, hat eine private Büchersammlung; ihm gehören an die 10.000 Bücher plus Zehntausende von Zeitungsausschnitten und etwa 400 Prozeßakten. Er setzt diese Information allerdings auf keine Visitenkarte.

Es interessiert uns nicht wirklich. Tatsächlich glaube ich, die Angriffe der Antisektenbewegungen haben zu dem Erfolg unserer Initiativen beigetragen. Wie Martinez wissen sollte, war in diesem Jahr eines der Ergebnisse der Feldzüge gegen CESNUR und mich persönlich ein zunehmendes Interesse in den Medien für unsere Tätigkeit, und ich erhalte mehr Anfragen für Interviews von wichtigen Zeitungen und TV-Sendern, als ich beantworten kann.

Soll das die Antwort eines Gelehrten sein? Das Problem ist, daß Introvigne mich angriff und ich erwiderte; das hat wirklich sehr wenig mit "Angriffen" der "Antisektenbewegung" zu tun. Es stimmt ja, daß Introvigne ins TV eingeladen wird, doch ich habe nie gehört, daß ihn jemand einlud, weil er kontrovers war wie der arme Satanist Marco Dimitri. Introvigne wird eingeladen, weil er unzweifelhaft ein Flair besitzt, als unangefochtene Autorität herüberzukommen.

Interessanterweise, und aufgrund der Kontroversen, war ich letzten Samstag eingeladen, vor dem Postgraduiertenkurs in Psychiatrie am Institut für Psychiatrie der Turiner Universität einen Vortrag über Gehirnwäsche zu halten -- ich führe das nicht als besondere Leistung an, ich danke nur den Debattierenden für diese Art von Ergebnis. Der Verkauf meiner Bücher und der CESNUR-Publikationen im allgemeinen nimmt auch zu; nicht zu erwähnen die kostenlose Publicity, die Sie mir in Ihrer Website geben.

Ich frage mich, ob Introvigne im Ernst sagt, mein alt.religion.scientology-Thema habe die Universität Turin bewogen, ihm einen Schutzraum zu geben. Und ich nenne mich selbst nur einen Dolmetscher! Oder hat die Universität nach einem unangefochtenen Experten für Plinio Corrêa de Oliveiras Denken gesucht?

Im Ernst: Man muß sich fragen, auf welcher Grundlage sich ein Patentanwalt autorisiert fühlen kann, so delikate Themen wie "Gehirnwäsche" in professioneller Umgebung zu besprechen. Oder ist er jetzt neben einem "Soziologen" auch noch zu einem "Psychologen" geworden?

Als ich noch in der Neuen Akropolis war, habe ich auch immer ein Thema wie "Psychologie" gelehrt. Vielleicht sind Introvigne und ich ja Kollegen.

Dr. Miguel Martinez, 14. Juli 1998