Im Zeitalter der allgegenwärtigen Kommunikation und Information haben es totalitäre Sekten immer schwerer, ihre Mitglieder unter Kontrolle zu halten. Im Fall der Zeugen Jehovas ist vor allem infoiink die Informationsquelle, die darüber informiert, was der gemeine Gläubige sonst nie erfahren würde. Und die so manchen langjährigen Zeugen zum Nachdenken veranlasst.

infolink im Aufwind

Zu den Wesensmerkmalen sektiererischer Religiosität gehört ein gestörtes Verhältnis zur Öffentlichkeit: So werden Schriften ausschließlich für den internen Gebrauch produziert, vieles wird nur „unter der Hand“ weitergesagt, Gerüchte blühen und der freie Austausch über Informationen bleibt weitgehend unterbunden.

Seit das Internet in zahlreiche Haushalte Einzug gehalten hat, wird dieses Medium immer mehr zu einem „Patentrezept gegen den sektiererischen Geist“, weil es Öffentlichkeit herstellt und zügigen Informationsaustausch ermöglicht. Das derzeit interessanteste Beispiel für die Chancen des Internet ist „InfoLink“. Hinter diesem Namen verbirgt sich der virtuelle Informationsdienst eines Netzwerks ehemaliger Zeugen Jehovas in Deutschland (, Österreich und der Schweiz). Diese Internetpräsentation ruht auf zwei Säulen: Es gibt eine Abteilung mit umfangreichen Dokumenten zur Wachtturmgesellschaft bzw. zu Jehovas Zeugen (www.infolink-net.de) sowie ein Diskussionsforum (www.infolink-forum.de).

Seit der Gründung vor vier Jahren erfolgten allein auf die Dokumentensammlung etwa 130.000 Zugriffe. In den letzten Monaten ist die Zahl der Besucher sprunghaft angestiegen, woran auch das Urteil der Karlsruher Verfassungsrichter vom Dezember 2000 zur Klage der Zeugen Jehovas einen Anteil haben dürfte. Nach Auskunft des Initiators von „InfoLink“, Stephan E. Wolf, werden wöchentlich zwischen 300 und 500 Texte aus der Dokumentation abgerufen.

Besonders stark frequentiert ist jedoch das Diskussionsforum. Wöchentlich werden bis zu 5000 Zugriffe gezählt. Rund 80% dieser Zugriffe erfolgen durch nichtregistrierte, anonyme Mitleser. Es ist zu vermuten, dass zu diesen stillen Lesern zahlreiche Zeugen Jehovas gehören, die zwar noch die Zusammenkünfte besuchen, innerlich vielleicht aber schon auf Distanz zur Organisation gehen. Die hohe Zahl lässt auch vermuten, dass einige Nutzer sich täglich bei InfoLink nach Neuigkeiten umsehen. Ein Informationspool wie InfoLink übernimmt also Funktionen eines „virtuellen Stammtischs“.

Etwa 250 regelmäßige Diskussionsteilnehmer haben sich registrieren lassen und gehören zum Kern der Diskutanten. Nicht alle verwenden ihre richtigen Namen: Einige haben sich Pseudonyme zugelegt, um entweder sich selbst oder nahe Familienangehörige, die weiterhin aktive Zeugen Jehovas sind, zu schützen. Besonders interessant wird die Diskussion, wenn aktive Zeugen Jehovas über Interna aus den Versammlungen berichten.

Die Moderatoren von InfoLink erhalten monatlich etwa 100 E-Mails mit Anfragen, Kommentaren, Hilferufen, aber auch kritischen Beiträgen zu „Infolink“. Immer häufiger erhalten sie auch E-Mails, in denen sich ehemalige Zeugen Jehovas für die Internetarbeit bedanken und berichten, dass ihnen die Informationen geholfen haben, den letzten Schritt zum Ausstieg zu wagen.

Bisher hat die Wachtturmgesellschaft auf Infolink nicht direkt reagiert. Die Initiatoren führen diese Zurückhaltung darauf zurück, dass man vor der Öffentlichkeit von „InfoLink“ zurückschreckt. Dazu Stephan E. Wolf: „Man weiß in Selters nur zu genau, dass ein Schreiben des dortigen Anwalts schon kurz nach Eingang hier für Jedermann – und damit auch für aktive Zeugen – auf der Website nachzulesen wäre. Jeder Prozess wird auf diese Weise gewissermaßen ‚öffentlich’. Die WTG hat schon zahlreiche Autoren kritischer Bücher zu einer Unterlassungserklärung wegen ‚falscher Tatsachenbehauptungen’ aufgefordert. Nach den Erfahrungen in den Selbsthilfegruppen hat die WTG jedoch häufig von einer Klage abgesehen, wenn sich herausstellte, dass der Autor nicht allein war, sondern Beziehungen zu gut unterrichteten Aussteigerkreisen hatte und daher seine Äußerungen leicht belegen kann.“

Ohne Übertreibung kann man sagen, dass eine Internetpräsentation wie „InfoLink“ die Diskussionskultur und die religiöse Landschaft verändern wird: Früher waren die „Abtrünnigen“ aus Gemeinschaften wie den Zeugen Jehovas allein und sie konnten sich nur unter erheblichem Aufwand treffen. Durch „Infolink“ wird die Vernetzung von Aussteigern leicht, selbst wenn zwischen ihnen einige hundert Kilometer liegen. Früher musste sich ein kritischer Zeuge Jehovas vorsichtig ein bestimmtes Buch besorgen und in der Wohnung gut versteckt halten, heute kann er im Vorbeigehen die neuesten Informationen der Aussteiger abrufen. Aber es geht nicht nur um kritische Informationen als solche, sondern auch um die Bildung einer neuen Diskussionskultur: Im Internet weiß man oft nicht, welche Qualität eine Information hat. Manches ist nur halbrichtig, manches wird direkt als Gerücht präsentiert. Eine Diskussionsforum wie InfoLink zwingt den Leser, sich ein eigenes Urteil zu bilden. So mühsam das für den Nutzer ist – das ist der Anfang vom Ende der sektiererischen Geheimniskrämerei.

Quelle: Materialdienst der EZW, April 2001, Autor: Dr. Andreas Fincke