Wie eine Frau 19 Jahre als „Zeugin” erlebte

WITTLICH. (mai) Sie glaubte an das, was ihr die Sekte vorschrieb – von Kindesbeinen an. 19 Jahre lebte sie als Zeugin Jehovas. Bis es zu viel wurde. Ein Erfahrungsbericht.

Noch heute, 17 Jahre nach ihrem Austritt bei den „Zeugen Jehovas” sprudelt Rita Maurer schier über, wenn sie über ihr Leben in der Sekte spricht. Rita Maurer wurde in dieses Leben hineingeboren und war zunächst gar nicht so unzufrieden damit. „Als Teenager war ich eine Vorzeige-Sektiererin”, sagt sie.

Wie von den „Zeugen” gewünscht, nimmt sie außerhalb des Unterrichts nicht an Schulveranstaltungen teil, besucht kaum öffentliche Veranstaltungen und feiert weder Geburtstage noch Weihnachten. Sie geht drei Mal die Woche zu den Versammlungen der Sekte, liest das, was die Wachturm-Gesellschaft, die Weltzentrale der Sekte, herausgibt und unterhält sich fast nur mit „Zeugen Jehovas”. Hat sie einmal länger mit einem „Ungläubigen” geredet, wirft sie sich danach vor, nicht von der Bibel gesprochen zu haben.

Heute sagt die 36-Jährige: „Die Doktrin hat bei mir damals so sehr gewirkt, dass ich Angst hatte, dieser Mensch stirbt, weil ich ihn nicht missioniert hatte.” Die Zeugen glauben an das Harmagedon, für sie Synonym der Vernichtung aller Menschen, die nicht zu ihrer Organisation gehören. Rita Maurer will Missionarin werden. Das ist der Weg ins Paradies. Eine Berufs-Ausbildung sei nicht wichtig, wird ihr vermittelt. Es reiche, wenn sie sich mit einem Halbtagsjob als Zimmermädchen etwas Geld verdiene und sich ansonsten dem Predigtdienst widme. Dazu gehen die „Zeugen Jehovas” von Haus zu Haus oder stehen mit dem Wachtturm auf der Straße. „Jede Stunde, die du was anderes machst, ist unnütz”, laute die Doktrin.

Rita Maurer hat sie verinnerlicht. „Ich habe mich aufgerissen beim Pionierdienst und wenig zurückbekommen”, sagt sie heute. Damals fühlt sie sich einsam, überfordert, und es wird immer schlimmer. Sie verfällt in Depressionen. Als ein Mann in ihr Leben tritt, lernt sie auch noch das Bespitzelungssystem der „Zeugen” kennen. Schnell gelangt diese Nachricht zu den Ältesten, die sagen, wo es lang geht. Sie wird vor das Komitee der „Zeugen”, einer Art Tribunal geladen, das die Beziehung aus verschiedenen Gründen verbieten will. Da reicht es ihr: Sie sagt sich los von den Zeugen – mit fatalen Folgen. Sie verfällt in „zwei Jahre Dunkelheit”, wie sie es nennt. Keine Freunde, kein Selbstwertgefühl Leere erfüllt ihr Leben, die sie bis heute nicht losgelassen hat.

Die Sektenmitglieder strafen sie fortan mit Nichtbeachtung. Sie hat keine Freunde, kein Selbstwertgefühl, stellt fest, dass es ihr erheblich an Allgemeinbildung mangelt. Zwei Mal schluckt sie Tabletten. Dann lernt sie ihren heutigen Mann kennen. Das erste Kind schützt sie vor dem Abgrund. Doch noch zehn Jahre nach dem Sekten-Austritt würde sie immer wieder zu den „Zeugen” zurückgehen, packen sie immer wieder Krisen.

Sie hat einen Nervenzusammenbruch, weil sie versucht, die Leere mit Arbeit zuzudecken. Da traut sie sich erstmals zu einem Psychologen, was bei den „Zeugen” verpönt ist. Vor wenigen Jahren dann kommt sie mit dem Netzwerk Sektenausstieg in Kontakt. Sie sieht erstmals, dass auch andere immer wieder in Krisen schlittern, beginnt zu verstehen, wie die Sekte funktioniert. Langsam lernt sie nun, dass man Ruhe auch genießen kann.