Netzwerk Sektenausstieg unterstützt und informiert
Susanne Roth

Osterholz-Scharmbeck. Immer wieder schwärmen sie aus, gehen zu zweit von Haus zu Haus, in der einen Hand die Bibel, in der anderen den Wachtturm. Jehovas Zeugen und andere so genannte Endzeitsekten sind der Meinung, die Menschen retten zu müssen vor dem Ende dieser Welt des Satans. Sie sind fest davon überzeugt, die „Wahrheit“ zu besitzen, um am Ende verschont zu werden.

Und doch gibt es auch eine andere Seite. Aussteiger, die hinter die Fassade des Wachtturms geschaut und die destruktiven Strukturen der Sekte erkannt haben. „Einfach ist ein solcher Ausstieg nicht“, weiß Michael Drebing, Vorsitzender des Netzwerk Sektenausstieg e.V., aus eigener Erfahrung.

Das Netzwerk hat sich 2001 aus einer Selbsthilfegruppe gegründet und besitzt 69 eingetragene Mitglieder aus dem gesamten deutschsprachigen Raum. Alle haben das Leben in und mit der Sekte hinter sich gelassen. Vielen hat das Internet-Portal, www.sektenausstieg.net, geholfen. Hier können sich die Nutzer anonym anmelden und haben dann Zugriff auf die derzeit umfassendste Dokumentation mit mehr als 1000 Exemplaren zum Thema Endzeitsekten mit den Schwerpunkten Zeugen Jehovas, Neuapostolische Kirche und Mormonen. Es werden Selbsthilfegruppen und organisierte Treffen für Sektenaussteiger und Betroffene an 18 Orten in Deutschland, Österreich und der Schweiz betrieben. In Bremen treffen sich einmal im Monat Aussteiger und Betroffene zum vertraulichen Gespräch. Außerdem werden Seminare veranstaltet, Aufklärungsvorträge und Gesprächskreise organisiert, die Sektenaussteigern helfen, die oft jahrelangen „Lehren“ wieder aus dem Kopf zu bekommen und wieder in der realen Welt Fuß zu fassen.

Wie schwer dieses Fußfassen ist, haben alle Mitglieder des Netzwerk Sektenausstieg am eigenen Leib erfahren. „Lebst du in der Sekte, ist das gesamte Umfeld ebenfalls dabei. Freundschaften außerhalb der Sekte mit so genannten ‚Weltmenschen’ sind nicht gern gesehen“, so der 2. Vorsitzende des Vereins, Daniel Heinze. So stehen die Aussteiger mit einem Schlag ganz alleine da. Die Familie wolle in der Regel mit dem Abtrünnigen nichts mehr zu tun haben. Andere Mitglieder der Sekte ignorieren einen plötzlich und wechseln die Straßenseite, sollte man sich einmal begegnen, so Drebing. „Wer eine Sekte verlassen hat, hat viele Jahre der ständigen Indoktrination hinter sich und ein ziemlich realitätsfremdes Weltbild im Kopf“, weiß er. Er selbst hat den Ausstieg mit 19 Jahren, vor mehr als 20 Jahren geschafft.

Die alljährliche Mitgliederversammlung mit anschließendem Erfahrungsaustausch fand in diesem Jahr in Osterholz-Scharmbeck statt. Initiativen wie das Netzwerk Sektenausstieg haben es sich zur Aufgabe gemacht, über die Problematik zu informieren und die Aussteiger auf ihrem Weg in ein normales Leben zu unterstützen.

Osterholzer Anzeiger, 28.3.2007