Bericht über die Jahresfachtagung 2013 der Elterninitiative zur Hilfe gegen seelische Abhängigkeit und religiösen Extremismus e.V. (EI) und der ADK-Bayerische Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise e.V.

Seelennot und Seelenriss – Wirkungsmechanismen in totalitären Organisationen sowie bei dubiosen Therapie-und Heilungsangeboten

Von der Motivation nicht nur zuzuschauen:
Erfahrungen aus 30 Jahren Aufklärungsarbeit

Peter Wieland von der Füssener Initiative für Sektenaufklärung und Hilfe e. V., berichtete über den "Stamm der Likatier" des Sektengründers Wolfgang Wankmiller und darüber, wie die Füssener Initiative Aussteigern hilft.

Was ist der "Stamm der Likatier?

Auf der eigenen Website (http://www.likatien.de/) kann man folgende Selbstauskunft erhalten:

  • Die Likatier wollen sich auf das Leben und auf einander einlassen.
  • Sie wollen ihren Kindern ein Zuhause geben, auf das sie sich verlassen können, und wo sie sich frei entfalten können.
  • Sie wollen ein Lebensumfeld schaffen, wo sich jeder bedingungslos geliebt und angenommen fühlen kann.
  • Sie wollen der Vereinsamung der Menschen durch diese Gesellschaftsform ein Leben in Gemeinschaft entgegensetzen, was den Einzelnen wieder zum wertvollen Teil eines Ganzen macht.
  • Sie wollen der Entzauberung dieser Welt mit der Magie des Lebens entgegentreten.
  • Sie wollen schrittweise in das lebendige Paradies hineinwachsen.
  • Die Likatier haben den mutigen Wunsch, eine neue Lebensrealität zu schaffen. Auf verschiedenen Wegen wollen sie sich dieser Vision annähern.«

Die umstrittene Sekte wurde 1974 in Füssen von Wolfgang Wankmiller gegründet. Die Gruppe nennt sich selbst "Stamm der Likatier" und bezeichnet sich als Lebensgemeinschaft.

300 Menschen (davon ca. 100 Kinder und Jugendliche) gehören dieser problematischen Gruppe, die 1974 von Wankmiller in Füssen gegründet wurde, an.

Bis Anfang der 1990er Jahre betätigten sie sich in Bayern auch politisch. Nach vielen Vorwürfen zogen sich Wankmiller und seine Anhänger zurück und kümmerten sich um die wirtschaftliche Entwicklung der Gruppe.

Aussteiger kritisieren, die Mitglieder der Sekte würden ausgebeutet und abhängig gemacht. Die Stadt Füssen und eine Bürgerinitiative unterstützen Menschen, die aussteigen wollen.

Wieland erwähnte, dass der Gruppe in Füssen 29 Häuser gehören, ja dass ganze Straßenzüge in den Besitz des "Stammes" übergegangen seien.

Weitere Informationen kann man u.a. auch bei Wikipedia erhalten: http://de.wikipedia.org/wiki/Stamm_der_Likatier

Positives Denken und andere affirmative Ideologien

KR Dr. Wolfgang Behnk, Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen der ev.-luth. Landeskirche in Bayern, München

www.bayern-evangelisch.de

Wer eine größere Gruppierung leitet, braucht, anders als das bei Wankmiller der Fall zu sein scheint, eine umfassende Leitidee, eine übergeordnete "affirmative Ideologie". Zu sagen: "Ich interessiere mich nicht für die innere Lehre einer Gruppierung, mich kümmern nur ihre Handlungen", bedeutet, die Grundlagen zu missachten, auf denen die Ideen solcher Gruppierungen bauen. Denn die Handlungen erwachsen aus der Ideologie. "Eine Sekte ist nicht nur ein operatives praktisches System (Hardware), sie erfordert auch die schlüssige Ideologie (Software), das "betriebliche Steuerungssystem", um funktionieren zu können. So gehe es bei Scientology beispielsweise um psychologische Techniken, nicht um religiöse Symbole und Rituale, so Behnk.

Zum "Positiven Denken"

Auf http://www.ekd.de/ezw/Publikationen_2414.php kann man hierzu auszugsweise Folgendes lesen:

POSITIVES DENKEN

Seit dem Boom von Motivationstrainern sei "Positives Denken" allgemein bekannt geworden. "Durch bestimmte Denkmethoden sollen sich wie von selbst Glück, Erfolg und Wohlbefinden einstellen." Mit einer optimistischen Lebenseinstellung können Wunschträume in allen Lebenslagen Realität werden. "Nach dem „Gesetz der Anziehung“ verwandle Positives Denken Vorstellungen in Tatsachen. … Geprägt wurde die sich als Lebenshilfe verstehende Methode von der esoterischen Neugeist-Bewegung."

Jemanden zu positivem Denken zu animieren, kann einen Menschen in bestimmten Situationen motivieren, sein Bestes zu geben und keine Sorge vor einer "Prüfung" zu haben. Wenn aber das positive Denken ein das Leben bestimmender, permanenter Befehl wird, wird daraus eine Ideologie. Dann wird Krankheit als Schwäche des Geistes begriffen, die man überwinden soll. Die oben erwähnte Website der EZW informiert:

[Phineas Parkhurst Quimby] versuchte seine Patienten davon zu überzeugen, dass ihre Krankheit als Folge eines Irrglaubens, grundloser Befürchtungen und negativer Gedanken zu betrachten sei und lehrte sie, sich auf die reine und vollkommene Gegenwart Gottes zu konzentrieren, weil es im göttlichen Bewusstsein weder Krankheit noch Störung geben könne.

[Warren Velt Evans] systematisierte später diese Gedanken zu einer Lehre vom „wahren Menschen“; er soll auch die Bezeichnung „positive thinking“ geprägt haben. [Die] Neugeist-Bewegung [war] durchweg christlich orientiert. Man folgte aber nicht den etablierten Kirchen, aus denen die meisten stammten, sondern vertrat, was Evans „esoterisches Christentum“ nannte. Die Neugeist-Bewegung verstand sich nicht als Konkurrenz zu den Kirchen, sondern als ihre Ergänzung. 1907 wurden zum Beispiel alle Kleriker Bostons zur alljährlichen Jahrestagung eingeladen, um über „Die Beziehung des kirchlichen Amts zu Geistheilung“ zu sprechen.

Im Jahr 1900 wurde im Mutterland Amerika die Mitgliederzahl von Neugeist-Gruppen wie der „Church of Divine Science“ oder „Science of Mind“ auf über eine Million geschätzt. Verwandte Anschauungen finden sich bei der „Unity-Church“ und bei „Christian Science“, die beide auch in Deutschland Fuß fassten. 1915 wurde in Kalifornien ein Dachverband der Neugeist-Gruppen gegründet (International New Thought Alliance), und ein erster internationaler Kongress fand in San Francisco statt. In seiner Ansprache verwies der Präsident darauf, dass in Italien und Frankreich führende Vertreter der Neugeist-Bewegung in Kreisen des YMCA aktiv seien.

Bei „richtigem Denken“ hätten Furcht, Zweifel oder Sorge keinen Platz mehr, sondern nur noch Gedanken der Harmonie und des Guten. Auch heute noch berufen sich Autoren wie Vera F. Birkenbihl (geb. 1946), Erhard F. Freitag (geb. 1940) oder der Fernsehpastor der Crystal Cathedral, Robert Schuller (geb. 1926), auf Murphy.

Grundlage für den Optimismus des Positiven Denkens bildet die Überzeugung, dass es einen göttlichen Kern im Menschen gibt. 1957 unterstrich die Neugeist-Bewegung in ihrem Leitbild („Declaration of Principles – What We Believe“) die untrennbare Einheit von Gott und Mensch. Gott sei der lebendige, allmächtige Geist im Innern des Menschen. Nach Murphy ist es völlig unnötig, seine Kräfte durch Arbeit zu verschwenden: „Wiederholen Sie vor dem Schlafengehen das Wort ,Reichtum’ etwa fünf Minuten lang ganz ruhig und mit Gefühl, und Ihr Unterbewusstsein wird Ihre Vorstellung alsbald verwirklichen“ (Die Macht Ihres Unterbewusstseins, 76).

http://www.ekd.de/ezw/Publikationen_2414.php

Behnk berichtete von "Jesus-Märschen", die straff geführt wurden und bei denen die Anhänger ("Soldaten Christi") durch aggressives Beten und Proklamationen von einer Inbesitznahme des öffentlichen Raums durch den heiligen Geist Gottes den "Dämonenteppich" über den Städten entfernten.

Tenor der "Christlichen Wissenschaft" (Christian Science) ist:

Da Gott als Geist schafft, ist der Mensch als dessen Ebenbild ebenfalls Geist. Das Materielle ist nicht die Wirklichkeit, der Geist ist real. Körperliche Gebrechen heilen durch den Geist. Wenn der Mensch es sagt und glaubt, gibt es keine Krankheit, die letztlich Irrglaube ist. Auch der Tod kann durch das geglaubte, ausgesprochene Wort ("Setzungen") überwunden werden.

Bei "Wort und Geist" und seinem prominenten Vertreter, Helmut Bauer ("Idea") erfährt man, dass 'das der Krankheit gebietende Wort Heilung bewirke. Wem dies nicht gelinge, dem mangele es an der Kraft des affirmativen Denkens.' "Liebe in ihrer gesetzten Form wirkt immer."

»Ich glaube nicht Gott, ich glaube Helmut Bauer, denn ich habe Gott gesetzt.« So gab Behnke ein Zitat Bauers wieder.

Zum Schluss noch eine Einschätzung der EZW:

Aus psychologischer Sicht hat das Positive Denken klare Grenzen und kann sogar schaden. In einer neuen Studie (Wood / Perunovic / Lee, 2009) analysierten Forscher Aussagen, die ... das Selbstbewusstsein stärken und eine positive Einstellung zum Leben fördern sollen. Daraus wählten sie gezielt den Satz „Ich bin eine liebenswerte Person“ aus, ... In einer Reihe von Tests untersuchten sie dann, ob und wie die Aussage die Stimmung und die Gefühle von Freiwilligen beeinflusste. Die Auswertung zeigte: Bei den Teilnehmern mit gering ausgeprägtem Selbstbewusstsein verschlechterte das Aufsagen des Satzes messbar die Stimmung, den Optimismus und die Bereitschaft, an Aktivitäten teilzunehmen. Leute mit gutem Selbstbewusstsein profitierten dagegen zwar leicht von der Autosuggestion, der Effekt war jedoch nicht besonders ausgeprägt. Die Ergebnisse zeigen, dass gerade diejenigen, die eine Verbesserung ihres Selbstwertgefühls am nötigsten hätten, am wenigsten von derartigen Techniken profitierten.

Autoren, die behaupten, dass der Mensch mittels seiner Vorstellungskraft Einfluss auf sein Unterbewusstsein nehmen und dadurch die Wirklichkeit ändern kann, werden bis heute gerne gehört, klingt doch die Vorstellung einer magischen Kraft der Gedanken verlockend. Wenn trotz intensiver Autosuggestion von Zeit zu Zeit Misserfolge, Niederlagen oder Rückschritte passieren, wird dies als persönliches Versagen interpretiert und hat häufig Selbstvorwürfe und Depressionen zur Folge. Im schlimmsten Fall kann eine solche Sichtweise bis zum Realitätsverlust führen.

http://www.ekd.de/ezw/Publikationen_2414.php

Mediengespräch: Was kritische Journalisten so erleben, wenn sie sich mit dubiosen Angeboten auseinandersetzen

Martin Bauer, Leiter der Lokalredaktion Überlingen des Südkurier

Was passiert beim Ablehnen einer Meldung? Grundsätzlich sind Anzeigen und redaktionelle Arbeit einer Zeitung vom Gesetzgeber strikt getrennt. Beim Thema Sekten, Psychokulte und religiöse Gruppierungen geht es immer um Einzelpersonen. "Ein Journalist, die sich damit befasst, braucht Mut, Durchhaltevermögen und Rückgrat und muss kämpfen können", so Bauer. "Weltanschauungen sind immer Chefsache."

Bauer zeigte Korrepondenzen mit Vertretern weltanschaulicher Gruppierungen. So gab es eine Anfrage nach einer Ankündigung einer Engelbotschafterin und Geistheilerin. Die Redaktion lehnte dies ab, da es nicht im Interesse der Medien sei, für esoterische Gruppierungen Werbung zu machen. Daraufhin erhielt die Redaktion die Replik, die Zeitung könne erwachsenen Menschen nicht vorschreiben, worüber sie sich informieren möchten. "Sie (sind) nicht Seelsorger, sondern Journalist … die am Thema Interessierten (haben) einen Anspruch auf Informationen. Wir erwarten von Ihnen keine Werbung, sondern die Weitergabe einer neutralen Information."

Da sich der Redakteur nicht einsichtig zeigte, kündigte die Gruppierung an, den Vorgang an dessen Chef weiterzuleiten. Dieser jedoch stellte sich vollumfänglich hinter seinen Redakteur und adressierte an die Gruppe, man sei "Geistheilern und Engelsbotschaften gegenüber publizistisch äußerst zurückhaltend".

Die Deutsche-Bank-Filiale in Überlingen war lange Zeit bis zu 60% von Zeugen Jehovas besetzt. Als die Zeitung beschlossen hatte, keinen Bericht über Zeugen Jehovas zu veröffentlichen, sprach der Filialleiter den Redakteur persönlich an. Man kenne sich doch nun schon so lange, und was so über die Zeugen Jehovas berichtet würde, nämlich das Kinder körperlich gezüchtigt würden, stimme doch nicht, das müsse er doch wissen, wo er doch über 20 Jahre Kunde seiner Bank sei. Der Redakteur aber bleib bei der Feststellung, dass über Zeugen Jehovas nichts veröffentlicht werde.

Wenn sich eine Redaktion entschließt, keinen Bericht über Geistheiler, Engelsbotschafter oder andere esoterische Angebotsgruppen zu verfassen, ist es wichtig, die Ablehnung zu begründen, indem man über die Hintergründe informiert. Das aber sei anstrengend, so Bauer, und viele Journalisten scheuten den Arbeitsaufwand.

Bindungs- und Wirkungsmechanismen aus Sicht der Psychologie

Dieter Rohmann, Dipl.-Psychologe (Univ.), München, http://www.kulte.de

Bindung, Wirkung und Dynamik in totalitären Bewegungen anschaulich dargestellt: "Es kann (und darf) nur eine Wahrheit geben"

6 Geschichten aus der Praxis des Psychologen

  • Eine 63jährige Mutter von 2 Kindern hat 2 Jahre Kontakt zu einer Heilerin, die sich als Medium ausgibt und nimmt an ihren Schulungen teil. Ziel der 4 Auserwählten der Gruppe mit 25 Mitgliedern sei die Errettung der Welt. Die Meisterin bekommt von "Frau S." 40.000.- € und den gesamten Familienschmuck im Wert von ca. 100.000.- €. "Du bist schuld, wenn du die Gruppe verlässt." Sie hat diese Drohung verinnerlicht und fühlt sich für alle Unglücke auf Eden verantwortlich.
  • R. (45) verheiratet, 3 Kinder, hat Eheprobleme (keine Erotik). Der Sohn hat Suizidgedanken. R. geht zu einer Wahrsagerin, der sie 60.000 EUR bezahlt. Als sie kritisch wird, ist die Wahrsagerin verschwunden...
  • Ein Ehepaar (41 u. 39), 2 Kinder, mit Problemen wendet sich an eine Heilpraktikerin die ihre Ehe über 3 Monate "coacht". Nachdem sie der Ehefrau die Trennung angeraten hat, ist diese spurlos mit den Kindern verschwunden. Am Ende wird das Jugendamt eingeschaltet. Die Heilpraktikerin kassiert für ihre "Beratungsdienste" insgesamt 50.000 € Honorar.
  • K. (58) Unternehmerin. Geht 10 Jahre zu einer Heilerin zu wöchentlicher Gruppenarbeit 15 Teilnehmer). Man verlebt gemeinsame Urlaube und andere Unternehmungen. Um schließlich "ins Licht aufzusteigen", sei "viel Energiearbeit nötig", Kosten: monatl. 500,- € als Honorar für die Heilerin. Zudem zahlt K. noch eine größere Summe (2 mal 50.000 € in bar [als Loyalitätsbeweis für ein noch zu errichtendes Heilungszentrum]), an die sich die Meisterin später, als die Unternehmerin aussteigt und die Summe zurückverlangt, nicht "erinnert". Die Meisterin behauptet, sie könne ihr nichts geben, was sie nie erhalten habe.
  • Frau M. (41), alleinstehend, gebildet hat sich vor 14 Jahren einer esoterischen Lebensgemeinschaft (13 Mitglieder) im Allgäu angeschlossen. Eine Meisterin mit vorwiegend theosophischem Gedankengut führt die Gruppe. Man unternimmt alles gemeinsam und achtet auf sexuelle Enthaltsamkeit. In täglichen Unterweisungen schult die Meisterin die Gruppe unter anderem in Energiearbeit. Um "auf sich geladene Schuld" abzubauen, unterschreibt M. den Kaufvertrag eines Hauses für die Gemeinschaft und verschuldet sich mit 400.000.- €. Nach dem Ausstieg versucht sie ihr Leben zu regeln, kann aber – nach erfolglosen Gerichtsverhandlungen – die Privatinsolvenz nicht verhindern.
    »400.000 EUR für einen Kult, am Ende bleibt nichts zurück«, so Rohmann.
  • F. (32), 2 Kinder, ledig, Akademikerin; kommt aus problematischer Herkunftsfamilie. Hat Beziehungsprobleme und findet Diplom-Psychologen, der zugleich spiritueller Lehrer ist. Sie begibt sich über 7 Jahre mit Lebensgefährten und Kindern in die Gruppe (12 Mitglieder) des Psychologen. Energiearbeit, heißer Stuhl, Kundalini, Lichtkörper etc. 2x wöchentlich. Das gesamte Leben findet über und beim Meister statt. Nach ihrem Ausstieg ist sie mittellos und muss gänzlich neu anfangen. In den 7 Jahren floss sehr viel Geld an den Meister.

So verschieden die Geschichten verlaufen sind, eines haben alle 6 gemeinsam, so Rohmann:

Die Scham der Aussteiger, belogen worden zu sein. "Wie konnte das ausgerechnet mir passieren?" Darüber kann man sich gegenüber Außenstehende nicht mitteilen, denn sie reagieren mit Unverständnis. Daher wissen sie auch nicht, dass Aussteiger zunächst Begleitung und Beistand benötigen. Die Aussteiger, die statt Zuspruch und Trost von Außenstehenden nur Unverständnis erfahren, suchen andere Wege, mit dem Erlebten fertig zu werden. Dann bleiben für eine gewisse Zeit Zorn, Wut und Trauer als einziges "Ventil".

Wie lassen sich nun die Vorgänge in Kulten erklären, welche Mechanismen gibt es, die die Mitglieder dort für mitunter lange Zeit "festhalten"?

Rohmann erwähnte 3 verschiedene Erklärungsmodelle von Singer, Lifton und Schein.

Nach Singer liegt es an den Bedingungen, die der Einzelne in einem Kult vorfindet.

Diese seien:

  1. Man lässt die Person über das, was vor sich geht, im Unklaren. (Schein nennt dieses "Stadium": "Aufbrechen"[1].)
  2. Der Kult kontrolliert die verbrachte Zeit und die "physische Umgebung" des Anhängers.
  3. Man erzeugt und erhält Gefühle von Angst und Ohnmacht und hält das Mitglied in Abhängigkeit.
  4. Alte Verhaltensweisen und Einstellungen werden unterdrückt. (Lifton spricht von den "Themen": 1. "Millieukontrolle", 2. "Manipulation der Sprache", 3. "Forderung nach Reinheit" und 4. "Beichtkult".)
  5. Dem Mitglied werden neue Verhaltensweisen und neue Einstellungen eingeflößt. (Lifton spricht von den Themen 5. "mystizistische Manipulation und 6. "Vorrang der Lehre gegenüber dem Menschen", Schein nennt dieses "Stadium": "Verändern"[2].)
  6. Der Kult propagiert ein geschlossenes, logisches System und lässt "Input" und Kritik nicht zu. (Lifton nennt hier die Themen: 7. "geheiligte Wissenschaft" und 8. "Zu- und Aberkennung der Existenzberechtigung", Schein spricht vom "Fixieren"[3].)

Rohmann erwähnte ein "neueres Modell, das vom amerikanischen Mind Control Consultant Steven Hassan (2000) in seinem Buch „Releasing the Bonds (deutsch: Den Bann brechen)“ vorgestellt wurde. Darin beschreibt Hassan vier Grundkomponenten, die zum näheren Verständnis von Bewusstseinskontrolle beitragen können - das BITE-Modell:

  • Behaviour = Verhaltenskontrolle
  • Information = Informationskontrolle,
  • Thought = Gedankenkontrolle
  • Emotion = Kontrolle der Emotionen."

Alle diese Modelle seien sinnvoll und verbesserten das Verständnis über die Dynamik in Kulten. Dennoch wolle er zudem auf "wichtige Erkenntnisse und Theorien z.B. der Sozialpsychologie hinweisen", die das Verständnis erweiterten und ergänzten.

Psychologische Reaktanz

… ist die Folge einer wahrgenommenen Freiheitseinschränkung. »Jedesmal wenn eine Person glaubt, dass eine ihrer Freiheiten bedroht oder eliminiert worden ist, wird sie motivational aktiviert. Diese motivationale Aktivierung ... veranlasst die Person mit allen Mitteln zu versuchen, ihre Freiheit wieder zu gewinnen.« Dies geschehe, indem die bedrohte Alternative aufgewertet werde. Rohmann erinnerte hier an Tom Sawyer, der, indem er die Unmöglichkeit betonte, den Zaun zu streichen, seine "Opfer" erst recht dazu brachte, nun unbedingt den Zaun streichen zu wollen, ja ihm sogar Geld dafür zu bezahlen. "Was? Ich soll nicht würdig genug sein, die Erleuchtung zu empfangen? Nun will ich unbedingt den rechten Weg kennen lernen."

Rohmann weiter: »Reaktanz spielt sowohl beim Einstieg in [einen Kult] als auch beim Ausstieg ... eine große Rolle.« Beim Einstieg kann sie durch durch Familie und Freunde ausgelöst werden ("Du bist nicht erleuchtet, deswegen kannst du meinen neuen Weg nicht erkennen und kannst mich nicht verstehen") und beim Ausstieg durch Autoritäten im Kult ("Da draußen drohen Tod, Verderben und Verzweiflung. Außerhalb unserer Gruppe bist du doch gar nicht lebensfähig").

Reziprozität der Perspektive nach Theodor Litt (1926), George Herbert Mead (1934) und Alfred Schütz (1971)

Das Prinzip der Gegenseitigkeit, also die Fähigkeit, den Standpunkt des Gegenübers einzunehmen, sei Grundvoraussetzung für Verstehen in menschlichen Beziehungen und Bindungen. In Kulten werde jedoch diese normale Beziehungsbefähigung "durch zahlreiche Beziehungs-und Gabenormen reguliert und überformt." »Der Sinnsucher möchte schlichtweg zur Gruppe dazugehören dürfen und verändert in kürzester Zeit seine bisherigen Überzeugungen und Lebensthemen.«, so Rohmann.

False Memory Syndrom nach Elizabeth Loftus

Rohmann: »Gedächtnistäuschungen entstehen oft durch eine Kombination echter und suggerierter Ereignisse. Aktive Kultmitglieder empfinden und berichten von ihrer Kindheit/Jugend und persönlichen Vergangenheit dramatischer und negativer als es sich tatsächlich zugetragen hat und von ihnen erlebt wurde.«

Kognitive Dissonanz nach Leon Festinger

Wenn beispielsweise das wiederholt vorhergesagte Weltende einer Gruppierung ausbleibt, kann man bei den Mitgliedern oft erhöhten Missionseifer feststellen. Dies liegt daran, dass die widerstreitenden Wahrnehmungen "Der Meister hat gesagt, das Ende kommt" und: "das Ende kam nicht, demnach hatte der Meister unrecht" zwar wahrgenommen werden, aber in einem zweiten Schritt durch Kompensationsgedanken oder -handlungen überwunden werden: "Der Meister kann sich nicht irren, also habe ich mich geirrt oder habe ihn falsch verstanden, zitiert oder interpretiert". Durch gesteigerte Missionsaktivität werde die entstandene Dissonanz reduziert.

Gruppenkonformität nach Solomon Ash

»Viele Aspekte unseres Lebens werden z.B. durch unsere Neigung zu Konformität bestimmt, ...«, will sagen: Wir möchten in einer Gruppe nicht gern aus dem Rahmen fallen, daher halten wir uns meist an die jeweils vorherrschenden sozialen Normen. In einer "Sekte" führt diese Anpassung leider dazu, dass man sich auch dann an die vorgegebenen Normen hält, wenn sie dem eigenen gesunden Menschenverstand zuwider laufen. »Erwünschtes und unerwünschtes Verhalten ist in diesen Gemeinschaften minutiös ... definiert. Obwohl oft [nach außen demonstrativ gezeigt], existiert eben doch keine bedingungslose Liebe im Kult.«, so Rohmann.

Milgram Experiment

Dieses Experiment, das oft wiederholt wurde, zeigt, dass Menschen »unter dem Druck von Bezugs- und Autoritätspersonen wesentlich eher zu aggressiven Handlungen bereit sind. Ca. 66% der Versuchspersonen, im Experiment die "Lehrer" waren bereit, die höchste Schockstufe bei ihrem „Schüler“ anzuwenden. Hier ging es nicht um „Wahrheit“, sondern nur um ein „Lernexperiment"«, fasste Rohmann das Experiment zusammen und fragte: »Zu welchen Handlungen wären wir bereit, wenn wir nun aber die „einzige Wahrheit“ eines Kults zu verteidigen hätten?«

Schuld und Angst

Die Arbeit mit zahlreichen Kultmitgliedern und -aussteigern habe Rohmann gezeigt, dass »Menschen eben nicht „mit dem Kopf“ in eine neue Wertegemeinschaft gehen, sondern „mit dem Bauch“«. Damit das Innenleben eines Kults ohne Störungen funktionieren könne, halte man dort Emotionen wie Schuld und Angst dauerhaft aufrecht. Wenn das Mitglied unentwegt das Gefühl habe, nicht genug zu tun oder sogar immer mehr tun zu müssen, lebe es in einer ständigen Bringschuld und habe Gott, oder richtiger: dem Führer oder den Führern gegenüber ein dauerhaft schlechtes Gewissen. Dadurch bleibe es sehr gut lenk- und manipulierbar. Denn das zu erreichende Ziel (Vollkommenheit, Erleuchtung durch Enthaltsamkeit und Dienst bis zur Erschöpfung) und das Heilsversprechen werden unmöglich jemals wirklich erreicht.

Ausstiegsphobie

»Dennoch fühlt sich das Mitglied von einer höheren Macht auserwählt und als Elite für z.B. nicht weniger als die Rettung unserer Welt« verantwortlich, so Rohmann weiter. Zu diesem Bindungsmechanismus komme das systematische Schüren von Angst vor den Folgen des Verlassens der Gemeinschaft, der sog. Ausstiegsphobie, hinzu. Die schlimmen Folgen, die es hat, wenn man den "Weg der Erleuchtung", "das Heil" oder "die Wahrheit" verlässt, werden immer wieder in schwarzen Farben gemalt. ("Verlässt Du uns, verlässt Du Gott und bist verloren.“)

Mono- statt multikausal

Menschen, die in einen Kult gehen, stecken oft in einer Krise oder haben mit Problemen zu kämpfen. Dann wünschen sie eine rasche, einfache Lösung und das ist nachvollziehbar. Allerdings ist für die schnelle, einfache Lösung ein hoher Preis zu entrichten: Das Leben des Einsteigers verläuft ab dem Eintritt in die "Sekte" nicht mehr frei und selbstbestimmt, sondern die Gruppe kontrolliert es. Zwar werde die Komplexität und Vielfalt unseres Lebens und unserer Welt endlich reduziert auf einige wenige, wesentliche Faktoren, jedoch nehme das Mitglied diese Reduktion des Denkens und des Handlungsspielraums erst wieder wahr, wenn es die Gruppe verlässt und eigenständig zu denken beginne. Auch wenn das "verabsolutierte, dichotome Denken (schwarz/weiß, entweder/oder)" schon bald einsetze und dem "Mitglied das Gefühl gebe, angekommen zu sein, gerettet zu werden und die Welt endlich wirklich verstehen zu können", so existierten diese schönen Gefühle doch nur für die Dauer der Mitgliedschaft im Kult.

Begleitung von Kultaussteigern an einem praktischen Beispiel

Im Laufe der 30 Jahren ... Arbeit mit Kultmitgliedern, -aussteigern und deren Familien sei es Rohmann gelungen, verschiedene ... Modelle und psychotherapeutische Methoden besonders für diese Menschen und ihre spezifischen Bedürfnisse zu entwickeln. »Das meiste davon habe ich – und dafür bin ich sehr dankbar - durch meine Klienten verstehen gelernt und weiterentwickelt.«

Rohmann verdeutlichte den durch Aussteiger oft erst noch zu erlernenden Perspektivwechsel zur Wahrnehmung der Wirklichkeit an einem Experiment, das er mit seinen Kursteilnehmern macht:

Im "Zoom" zeigt er zunächst eine Grafik und lässt die Teilnehmer "wild drauflos raten, was da zu sehen ist". Danach erfolgt der mehrfache Perspektivwechsel, indem der Betrachter sich nach und nach immer weiter "entfernt". So wird aus einer einem Hahnenkamm ähnlichen Grafik, eine Szene auf dem Bauernhof, dann ein Modell eines Bauernhofs in einer Spielzeugmesse, über das Werbebanner eines Touristbusses in New York, bis hin zur Briefmarke einer Postkarte am Strand und zuletzt die Totale aus dem Weltall. Dabei "weiß" Rohmann bis zu einer gewissen Grenze der Entfernung treffsicher zu zeigen, wo denn der anfänglich zu sehende Hahnenkamm positioniert sei.

Dadurch soll veranschaulicht werden, dass Menschen normalerweise Spaß an solch spielerischer Veränderung der Perspektive und Wahrnehmung haben. Kinder seien besonders begeistert bei der Sache, ihre Fantasie reiche am weitesten, wenn es darum geht, zu beschreiben, was jeweils abgebildet sei.

Das Experiment verrate aber auch eine Gesetzmäßigkeit darüber, wie unser Gehirn funktioniere. »Unser Gehirn entdeckt Ordnung in der Welt. Und wo keine Ordnung ist, da erfindet es sie.«, so Rohmann.

Esoteriker ziehen die Abwesenheit eines Sinns nur ungern in Betracht, denn eine Welt ohne übergeordneten Sinn existiert für sie nicht.

Kultmitglieder sind bei wechselnden Perspektiven, in denen es auf Fantasie ankommt, überfordert, da sie die Welt nur in Extremen wahrnehmen können (verabsolutiertes, dichotomes Denken).

Erkenntnisse aus der Humorforschung

Nach der Überzeugung des Psychologen Vassilis Saroglou von der Université Catholique de Louvain in Belgien besteht »zwischen religiösem Fundamentalismus und Humor eine natürliche Unverträglichkeit.«

Humor hervorzubringen und zu schätzen, erfordere ein Gefühl des Spielerischen, eine Freude an Widersprüchen und eine große Fähigkeit, Unsicherheit zu ertragen. Humor ... bedrohe die Autorität und enthalte eindeutige sexuelle Anspielungen. Zum Lachen gehöre der Verlust von Selbstkontrolle und Selbstdisziplin. Alle diese Elemente, so Saroglou, seien Gegenpole zum religiösen Fundamentalismus: "Dessen Anhänger ... schätzen ernste Tätigkeiten mehr als Spielereien, ... Sinn mehr als Unsinniges, ... Autorität mehr als Chaos..."

Zum Schluss gab Rohmann ein Zitat Michael Lugers aus "Die Notwendigkeit zu glauben – und die Begabung zu irren" wieder:

»Im Akt des Glaubens verbirgt sich auch die Offenheit zum Unbestimmten.

Wenn wir lernen, das Glauben als Glauben zu erkennen,

finden wir Freiheiten im Unbestimmten!«

Erfahrungen mit Manipulationspraktiken totalitärer Bewegungen

Barbara Kohout, SHG SeelNot, Augsburg

Da Barbara Kohout uns freundlicherweise die Genehmigung erteilt hat, haben wir diesen Vortrag Wort für Wort auf unserer Website veröffentlicht: Erfahrungen mit Manipulationspraktiken totalitärer Bewegungen

Vom Lösungsprozess aus totalitären Bewegungen – Wege, Schwierigkeiten und deren Folgen

Die Ausarbeitung von Bernd Galeski kann der interessierte Leser unter Mein Ausstieg und den Beitrag Sven Köthers unter Aufhören heißt nicht aussteigen - Aussteigen ohne aufzuhören finden.

Als nächste Sorge die zweite Generation:
Die Auswirkungen für Kinder in totalitären Bewegungen

Barbara Kohout, SHG SeelNot, Augsburg

Auch für diese Ausarbeitung liegt uns die freundliche Genehmigung Barbara Kohouts zur Veröffentlichung vor: Kinder in totalitären Bewegungen

Schwerpunkte und Unterschiede in der praktischen Arbeit mit Kultmitgliedern und -aussteigern am Beispiel von „hineingeborenen Mitgliedern"

Dieter Rohmann, Dipl.-Psychologe (Univ.), München

Zu Beginn seiner Ausführungen zeigte Rohmann die Filmsequenz eines in einem Glasbehälter im Wasser sitzenden Froschs. Dieser hüpfte aus dem Behälter, als man erhitztes Wasser hinzugoss. Erwärmte man jedoch allmählich das Wasser, so Rohmann, würde der Frosch sitzenbleiben, mit der Konsequenz, dass er am Ende im kochenden Wasser tot wäre.

Ähnlich erginge es neuen Sektenanhängern, denen man zu Beginn oder in der Anwerbephase auch nicht gleich "die ganze Wahrheit" sage. Täte man es, würde wohl kein zu Missionierender erfolgreich angeworben werden können. Hineingeborene Kinder haben diese Möglichkeit nicht. Sie sind im Lauf ihres Lebens nach und nach an alles gewöhnt worden, hatten daher keinerlei Vergleichsmöglichkeiten.

Als Beispiel nannte Rohmann die "Sektenkinder von Lonnerstadt".

»Ausgelöst durch einen WDR-Beitrag vom 25.10.2012 in „Menschen hautnah“ über die „Sektenkinder von Lonnerstadt“ ging eine Entrüstung durchs Land. Über 1400 Menschen tauschten sich bisher dazu in Facebook aus, organisierten Mahnwachen vor dem Haus der Kinder und des Gurus, stellten Petitionen an den zuständigen Landrat und das dortige Jugendamt. Mehrere TV-Beiträge und viele Zeitungsberichte folgten. Ein familien-psychologisches Gutachten wurde Ende 2012 in Auftrag gegeben um zu prüfen, ob tatsächlich eine Kindeswohlgefährdung vorliegt. Das Resultat dieser Begutachtung sollte bis zum 26.04.2013 dem Gericht vorgelegt werden. [Die] Hoffnung [war], ... den Kindern [zu helfen], und [sie durch] ein Urteil des zuständigen Familiengerichts ... schließlich aus dem Einflussbereich des Gurus [zu befreien]. Allerdings würde das auch eine Trennung von ihren Eltern bedeuten, die dem Guru nach wie vor zutiefst ergeben sind.«

J. v. Staudinger 1996: "Die Toleranz auf Art. 4 GG ist nicht grenzenlos. Eltern haben nicht das Recht, das Kind zum Instrument und Objekt ihrer religiösen Überzeugung zu machen unter grober Beschneidung von dessen Entwicklungschancen. Dies gilt auch für Sekten, welche die Persönlichkeitsentfaltung der Kinder schon konzeptionell beeinträchtigen."

Kinder Gottes und ZJ haben ähnliche Botschaften: Endzeit, Entscheidungsschlacht, selbst die 144.000 Auserwählten.

Menschen, die aus eigener Entscheidung einer Sekte beitreten, sind gegenüber Hineingeborenen im Vorteil, denn sie hatten ein Leben davor.

Hineingeborenen fehlen diese Vergleichsmöglichkeiten, da sie "ausschließlich im Kultkontext sozialisiert" wurden. Sie müssen soziale Kompetenzen "und vieles, was uns selbstverständlich ist", erst lernen. "Sie haben ... z.B. nicht gelernt, mit Konflikten umzugehen, können nicht streiten und wissen häufig nicht, wie man Kontakt zu anderen Menschen aufnimmt oder gar Freundschaften schließt." Rohmann erwähnte zudem, dass Hineingeborene Angst davor hätten, Fehler zu machen und permanent damit beschäftigt seien, alles richtig zu machen.

Da sie nicht gelernt haben, selbst zu entscheiden, sind sie oft nach dem Ausstieg wie gelähmt. "Ich habe zwar den Käfig verlassen, sitze aber immer noch davor, weil ich nicht weiß, wohin ich gehen soll und wie." So habe es eine Patientin und Aussteigerin in seiner Praxis auf den Punkt gebracht.

Selbstwertgefühl in Kulten

Hierzu sagte Rohmann: "Nach meiner Beobachtung liegen viele Gründe für die besonderen Probleme von hineingeborenen Aussteigern schlichtweg im nicht oder kaum vorhandenen Selbstwert."

In der Regel werde das Selbstwertgefühl gefördert, wenn man Erfolg internal und Misserfolg external attribuiert, bzw. eine Mischung aus beidem zulässt (Lokation der Kontrolle, Rotter [1966]).

Im Klartext heißt das: Dieses oder jenes gute Ergebnis habe ich erzielt, weil ich fleißig war, talentiert bin oder ich zur richtigen Zeit die richtigen Leute konsultiert habe.

Oder: Dieses oder jenes Projekt ist nicht gelungen, weil Hindernisse im Weg standen, jemand den Erfolg hintertrieben hat oder weil ich nicht fleißig genug war oder für diese Aufgabe nicht geeignet bin.

In Kulten sei eine gesunde und stabile Entwicklung von Selbstwert hingegen kaum möglich, weil Erfolg generell external und Misserfolg permanent internal attribuiert wird.

Also auch hier im Klartext: Dieses oder jenes gute Ergebnis habe ich "nur mit der Hilfe Jehovas, der Vorsehung, meinem Heiler, Guru etc. erzielt.

Oder: Dieses oder jenes Projekt ist nicht gelungen, weil ich nicht fleißig genug war, nicht auf Gott vertraut habe und daher selbstherrlich und unbescheiden eine Aufgabe übernommen habe, für die ich nicht geeignet bin.

Bei Misserfolg trägt man stets selbst die Schuld. Also internal, innerhalb meiner Selbst.

Nach der Zeit im Kult seien Aussteiger immun gegenüber Lob von außen, besonders dann, wenn sie dort aufgewachsen sind. Im Kult haben sie sich eine Art persönliche Firewall zugelegt, die mögliches Lob konsequent abgeschirmt habe. ("Sie haben ja auch schon früh gelernt, sich z.B. gegenüber Kritik von außen zu immunisieren").

Hineingeborene hören und registrieren zwar das Lob (z.B. im Arbeitsbereich), können es aber nicht an sich heranlassen oder für sich nutzen, weil sie es in einer Art Zip-Datei komprimiert haben, die sie jedoch nicht entpacken können, jedenfalls nicht sofort.

Grund sei die erlernte Unfähigkeit, Selbstwert zu empfinden.

WIR und ICH?

Obwohl es in vielen Glaubensgemeinschaften heißt: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, sei der zweite Teil dieses Zitats von Hineingeborenen nie recht wahrgenommen worden, geschweige denn, dass sie ihn für sich angewandt hätten. Bei vielen dieser Aussteiger liege eine deutliche ICH-Störung bzw. ICH-Schwäche vor, so Rohmann. Die Hineingeborenen müssten sich auf eine "mühsame Reise vom WIR des Kults zum eigenen ICH aufmachen und sich gleichzeitig auf ein neues, viel größeres WIR, mit neuen Menschen und Möglichkeiten dieser Welt einlassen" (aus dem englischen "ME" wird durch Herausschneiden des M, Drehen um 180° und Wiedereinfügen: "WE", so auf einer Grafik zu sehen, die Rohmann zeigte). Wenngleich diese Lebensphase anfangs mit Ängsten und Unsicherheiten verbunden sei, so lohne sich dennoch die Reise.

Vorsicht, Seelenpfuscher!
Risiken und Nebenwirkungen alternativer Psychotechniken

Heike Dierbach, Diplompsychologin und freie Journalistin, Berlin

Frau Dierbach schilderte zu Beginn einige dramatische Fälle, in denen sich Menschen in die Hände von Heilpraktikern, Geistheilern oder Homöopathen begeben hatten und dort gefährlich falsche Behandlungen erhalten haben.

1. Eine junge Mutter will klären, was nach der Trennung von ihrem Mann für ihre vier Kinder das beste ist. Sie versucht es mit einer Familienaufstellung, von der sie schon viel Gutes gehört hat. Während der öffentlichen Sitzung beschimpft der Aufsteller die Frau derart, dass sie weinend rausläuft. Noch am selben Tag schreibt sie einen Abschiedsbrief. Sie will, dass es „für die Kinder die Ordnung wiederherstellt“, sagt sie, und nimmt sich das Leben.

2. Einer an Asthma Erkrankten hat man "Rebirthing" empfohlen. Nachdem sie die Atemtechnik probiert hat, gerät sie in eine Atemnot, die die Ärzte nicht mehr stoppen können. Sie stirbt, die Rebirtherin wird wegen fahrlässiger Tötung verurteilt.

3. Eine Frau möchte wissen, ob sie früher schon einmal gelebt hat. Während einer Reinkarnations“therapie“ erlebt sie sich als Scharfrichter im 15. Jahrhundert. Im Anschluss ist sie wegen heftiger Schuldgefühle so suizidgefährdet, dass sie für ein halbes Jahr in die Psychiatrie muss.

Diese Fälle seien, so Dierbach, genauso passiert. Weil Menschen Therapien in Anspruch genommen hatten, die nicht fundiert oder erprobt waren und weil sie an "medizinisches Personal" geraten waren, das sein Fach nicht ansatzweise beherrschte.

Niemand käme auf die Idee, sich einem Chirurgen im OP anzuvertrauen, wenn er wüsste, dass dieser sein Fach nicht studiert hätte, sondern behauptet, sein Wissen, wie und wo er schneiden muss, aus Wochenendseminaren und aus besonderer spiritueller Eingebung bekommen zu haben.

Bei körperlichen Beschwerden wenden wir uns meist ohne Bedenken an studiertes medizinisches Fachpersonal mit jahrelanger Erfahrung. Aber bei Erkrankungen der Psyche vertrauen sich viele Menschen offensichtlichen Scharlatanen an, die keine Expertise vorweisen können. Oft sind solche Menschen von den herkömmlichen Methoden psychologischer Hilfe enttäuscht und wagen sozusagen als letzten Strohhalm "unkonventionelle" Heilmethoden. Die Anbieter dieser "besonderen Wege" schmücken ihre Heilansätze gern mit Begriffen wie "ganzheitlich" oder "sanft". Dierbach wörtlich:

Schaden kann’s ja nicht? Das ist leider ein Irrtum: Die Seele ist eines der verletzlichsten Teile des Menschen. Pfusch daran kann gravierende Folgen haben. Manchmal tödliche.

Natürlich kann auch ein Therapeut einer anerkannten psychotherapeutischen Methode Fehler machen. Aber bei vielen esoterischen Psycho-Techniken liegt der Fehler bereits in der Methode.

Warum wenden sich viele Menschen an unausgebildete Heiler? Es ist wohl auch eine Frage von Angebot und Nachfrage. 20.000 bis 30.000 Anbietern "alternativer Heilmethoden stehen in Deutschland ungefähr ebenso viele schulmedizinisch ausgebildete Mediziner (17.000) gegenüber (nach einem Bericht des Enquete-Kommission „Sekten und Psychogruppen“ des Bundestages). … Die Zahl der seelischen Beschwerden sei gestiegen. Fehlzeiten wegen psychischer Erkrankungen haben... zugenommen.

Nach einem Bericht des Bundesministeriums für Bildung und Forschung erleidet knapp jeder dritte Deutsche einmal in seinem Leben eine psychische Erkrankung, etwa eine Depression oder unerklärliche Panikanfälle. Viele der Betroffenen haben Scheu, eine echte Psychotherapie zu beginnen. Da klingt das Angebot, es doch erstmal mit einem Wochenendseminar zu versuchen, verlockend. Dass dies nicht sanfter, sondern in vielen Fällen härter ist als eine Therapie, sagen die Anbieter nicht.

Den Teilnehmern an den Methoden sei darin kein Vorwurf zu machen. Im Gegenteil: Ihre Energie und auch der Mut, etwas verändern zu wollen, verdienten Respekt, so Dierbach.

Gerade weil diese Menschen aber so engagiert um eine Verbesserung ihres Zustands bemüht seien, sei es wichtig und geboten, vor den Scharlatanen zu warnen, die nichts anzubieten hätten als esoterische Wundertaten, aber keine fundierten Heilmethoden.

Ihre Techniken schafften zwar oft intensive Erlebnisse. Aber sie leisteten nicht, was eine Psychotherapie kann: Alte Verletzungen zu heilen, destruktive Verhaltensmuster zu überwinden, neue auszuprobieren, damit der Betroffene am Ende stärker durchs Leben geht. All dies sei in der Kürze der Zeit nicht möglich – und die allermeisten Anbieter seien auch nicht qualifiziert dafür. Deshalb seien sie auch keine Therapeuten, und ihre Techniken keine Therapien, sondern bestenfalls „Pseudo-Therapien“.

Dierbach: "Sie gaukeln dem Teilnehmer vor, er habe etwas bearbeitet. Oft hat er es aber nur aufgerissen und kann selbst sehen, wie er nun damit zurecht kommt."

Wenn nun Befürworter einwenden, es gebe doch auch Erfolge, so müsste dies erst einmal handfest nachgewiesen werden. Wichtiger aber sei, dass eine Therapie nicht nur relativ sicher sei, sondern vor allem, dass sie nicht schadet. Dem Patienten dürfe es nach der Therapie nicht schlechter gehen als davor. Dierbach: "Die Verantwortung dafür trägt nicht der Patient, sondern ausschließlich der Therapeut. … Drei begeisterte Teilnehmer wiegen nicht die eine auf, die nach der Familienaufstellung eine Psychose entwickelt hat. Das wäre ein „survival of the fittest“ in der Psychotherapie."

Wer nutzt aber alternative Psychotechniken und warum?

  • 2/3 Frauen
  • überdurchschnittlich (formal) gebildet
  • überdurchschnittlich oft aus der Kirche ausgetreten
  • jeder Zweite hatte Erfahrungen mit regulärer Psychotherapie
  • psychische/psychosomatische Probleme
  • Trend psychische Hilfe bei Krebserkrankungen

Grund für die "Alternative":

  • psychische (28 %)
  • psychosomatische (22 %),
  • körperliche (22 %) und
  • soziale Probleme (14 %).

14 Prozent seien auf der Suche nach Selbsterfahrung und 13 Prozent wünschten sich eine Bewusstseinserweiterung. Auf die Frage, warum es gerade eine alternative Technik sein sollte, war die häufigste Antwort: „Unzufriedenheit bzw. Enttäuschung bezüglich schulmedizinischer Behandlung.“

Wieder glücklich in einem Wochenende! Typische Eigenschaften von Pseudo-Therapien

Auch wenn die Methoden der verschiedenen Pseudo-Therapien unterschiedlich scheinen, so könne man doch Gemeinsamkeiten erkennen. Hierin unterscheiden sie sich jedoch von seriösen Psychotherapien und können für Ratsuchende gefährlich werden:

  • Die Technik soll alle seelischen Beschwerden in kurzer Zeit und ein für alle Mal beheben.

Wenn der Anbieter einer Alternativ-Methode schnelle Heilung, vielleicht sogar nach einer Sitzung verspricht, klingt das natürlich sehr attraktiv. Wer möchte nicht möglichst rasch von seinen Beschwerden und Kümmernissen befreit werden? Wenn eine Reinkarnationstherapie verspricht: "Du legst dich einmal hin, reist in ein früheres Leben und deine Probleme sind gelöst!", möchte man das gern glauben. Bloß: So funktioniert die Psyche nicht. Veränderungen brauchen Zeit und manche seelische Verletzung heilt nie ganz. Dann muss der Patient lernen und üben, wie er damit umgehen kann und wie er dennoch sein Leben als gut empfinden kann.

  • Der Nachweis der angeblichen Wirkung stützt sich nur auf Fallberichte, die ausführlich und dramatisch geschildert werden.

Es fehlten jedoch die Negativbeispiele und eine Garantie, ob die Erfolgsgeschichten wirklich stimmen, gebe es auch nicht. Außerdem sagen zwei oder drei Erfolgsgeschichten noch nichts über die Methoden an sich aus.

  • Die Anbieter sind mangelhaft oder gar nicht therapeutisch ausgebildet.

Psychotherapeut zu werden, sei eine der aufwändigsten Ausbildungen in unserer Gesellschaft. Es erfordere ein abgeschlossenes Studium und mehrere Jahre Zusatzausbildung. Die Anbieter von Pseudo-Therapien (Sekretärinnen, Betriebswirte oder Techniker) seien für ihre Tätigkeit als Therapeuten schlicht nicht ausgebildet. Wenn überhaupt, haben sie ein paar Wochenendkurse besucht. Einige hätten "übersinnliche Erlebnisse" gehabt und meinen, damit seien sie ausreichend qualifiziert.

  • Die Technik reißt in kurzer Zeit viel auf.

Dabei werden die Patienten zuweilen regelrecht gedrängt, traumatische Erlebnisse der Vergangenheit zu erzählen und erneut zu durchleben. Aber das Verdrängen solcher Leiden sei eine Schutzfunktion der Seele, damit ein Mensch überhaupt weiterleben könne. Damit bewahre er sich vor Überforderung. Wenn der Schmerz zu stark werde drohe möglicherweise das Abgleiten in eine Psychose.

Wenn seriöse Therapeuten sich mit dem Patienten einem Trauma näherten, geschähe dies äußerst behutsam und immer in dem Maß und der Geschwindigkeit, die den Patienten nicht überfordere.

  • Die Technik arbeitet mit übersinnlichen Elementen.

Also "Engeln, wissenden Feldern oder Botschaften aus einem früheren Leben". Es mag zunächst entlastend sein, in Wirklichkeit aber räume der Patient dieser "höheren Macht, die sich um mich kümmert", Einfluss auf sein Leben ein, und das ganze werde für ihn unkontrollierbar. Besonders gefährlich werde es, wenn der sich der Anbieter als Vermittler ausgibt, wie etwa bei der Familienaufstellung. Dann seien seine eigenen Ansichten "therapeutisch notwendig". Dann soll der Onkel, der ein Kind missbraucht hat, nicht angezeigt werden und Kinder sollen nach einer Trennung beim Vater leben. Der Patient kann dazu nur schwer nein sagen, denn er sucht ja die Verbesserun. »Nicht wenige Anbieter missbrauchen diese Machtposition auch dazu, Patienten zu beschuldigen oder zu beschimpfen – alles unter dem Deckmantel der höheren Macht.«

  • Die Technik gibt konkrete Ratschläge.

Für seriöse Psychotherapeuten gebe es eine goldene Regel: "Sage niemals einem Patienten, wie er sein Leben gestalten soll. Unterstütze ihn dabei, es selbst herauszufinden. Du kannst durchaus einen Vorschlag machen, aber wenn der Patient ihn ablehnt, ist es auch ok." Die meisten Anbieter von Pseudo-Therapien seien keine Psychotherapeuten und wüssten nichts davon. Daher tun sie genau das Verkehrte: Sie geben Patienten ungefragt Ratschläge, ja regelrecht Anweisungen. Manchmal sei dies zentraler Bestandteil der Technik, wie etwa bei der Familienaufstellung.

  • Die Technik vermittelt ein konservatives, enges Weltbild

Es sei "oft weit rechts von der Christdemokratie einzuordnen und passt kaum zur Realität des 21. Jahrhunderts."

  • Wenn die Technik doch nicht hilft, ist der Patient schuld.

Wenn die vollmundigen Versprechungen nicht eintreffen, geraten die Anbieter in Erklärungsnot und schlagen plötzlich einen sehr harten Ton gegenüber dem "nicht gesundungswilligen" Patienten an. Auch der zynische Hinweis, anderen Patienten habe die angepriesene Technik geholfen, sei fehl am Platz, denn soll man tatsächlich vier geheilte Depressive gegen den fünften aufrechnen, der einen Suizidversuch unternommen habe?

Zum Schluss gab Frau Dierbach all jenen, die dennoch eine alternative Technik versuchen wollen folgende Fragen zur "Qualitätsprüfung" (meine Wortwahl) mit:

  • Was erhoffe ich mir genau von dieser Therapie?
  • Was möchte ich bearbeiten und was nicht?
  • Kann ich vielleicht jemanden mitnehmen?
  • Mit wem kann ich hinterher sprechen?
  • Kann ich notfalls abbrechen?
  • Warum kein normales Angebot?
  • Was ging vorher bei der herkömmlichen Methode schief?
  • Und wenn es schief gegangen ist?

Ganz wichtig: Es ist nicht Ihre Schuld. Eine Therapie, auch eine Pseudo-Therapie, ist keine Prüfung, die man absolviert und wo man „besteht“ oder „durchfällt“, sondern sie soll Sie fördern und unterstützen. Wenn Sie sich nach der Teilnahme an der Technik deutlich schlechter fühlen als vorher, liegt das daran, dass der Therapeut nicht gut mit Ihnen umgegangen ist.

Zum Schluss ein Buchtipp: Heike Dierbach: Die Seelenpfuscher - Pseudo-Therapien, die krank machen Rowohlt 2009

Kindsein in Scientology
Soziale Auswirkung einer Mitgliedschaft von Kindern und Jugendlichen in einer totalitären Gruppe erklärt an der Scientologyorganisation

Frau Scheffler, Diplom-Sozialarbeiterin und selbst Aussteigerin

Kindheit findet bei Scientology nicht statt. Die Eltern werden ersetzt durch den geistigen "Übervater", L. Ron Hubbard, dem sie die Freiheit des Kindes ebenso übergeben, wie sie ihre eigene Freiheit abgaben, als sie sich entschieden, nach den Regeln Hubbards zu leben.

Ein wesentliches Element der Scientology-Ideologie ist: Kontrolle.

Dazu verfasst jedes Mitglied "Wissensberichte", also Berichte auch über abweichendes Verhalten anderer Mitglieder und sogar der eigenen Verwandten. Die nichtscientologischen Verwandten dürfen sich nicht negativ über Scientology äußern, sonst wird den Scientologen der Kontakt zu ihnen mit Hilfe der "Disconnection Policy" (Trennungsbefehl) untersagt.

Fehlverhalten wird in "Ethiksitzungen" korrigiert. Auch Bestrafung ist dazu ein probates Mittel.

Die Bewusstseinskontrolle beginnt schon bei den Kindern. Auch sie werden im "Auditing" am E-Meter "therapiert". Sie sollen die richtige Technik erlernen, damit sie die schmerzlichen Erfahrungen ("Engramme") der Vergangenheit (in diesem oder in vorherigen Leben) "löschen" können. Eine zusätzliche Kontrollinstanz ist der "Security Check", die Sicherheitsüberprüfung für Kinder, in der das E-Meter, wie ein Lügendetektor genutzt wird.

Die Referentin zitierte aus einem Katalog geradezu inquisitorischer Fragen (zusammen 99) an Kinder!:

  • Was hat dir jemand verboten zu erzählen?
  • Hast du jemals beschlossen, ein Familienmitglied nicht zu mögen?
  • Hast du jemals etwas genommen, das einem anderen gehörte, und nie zurückgegeben?
  • Hast du dich jemals krank gestellt?
  • Hast du dich jemals selbst krank gemacht oder verletzt, um Mitleid zu erregen?
  • Hast du dir jemals etwas sehr gewünscht, aber niemanden davon erzählt?
  • Hast du dich jemals absichtlich schmutzig gemacht?
  • Hast du dich jemals geweigert, etwas zu essen, nur weil du jemanden bekümmern wolltest?
  • Ist dir jemals etwas über dich selbst eingefallen und hast du es niemandem erzählt, weil du dachtest, man würde dir nicht glauben oder sich über dich ärgern?
  • Hast du dich jemals geweigert, einen Auftrag von jemandem, dem du gehorchen solltest, auszuführen?
  • Bist du jemals in einer Schulprüfung durchgefallen?
  • Hast du jemals einem Lehrer absichtlich Schwierigkeiten gemacht?
  • Hast du jemals versucht, einen Lehrer bei anderen mies zu machen?
  • Hast du jemals versucht, ein anderes Kind unbeliebt zu machen?
  • Hast du jemals irgendein Schuleigentum zerbrochen, beschädigt?
  • Hast du jemals einen Lehrer angelogen?
  • Kamst du jemals zu spät zur Schule oder in die Klasse?
  • Bist du jemals der Schule ferngeblieben, wenn du hättest gehen können?
  • Hast du jemals gemogelt durch Abschreiben von einem anderen, Mitnehmen von Aufzeichnungen in einer Prüfung oder durch Nachschlagen in einem Buch, wenn es verboten war?
  • Hattest du jemals das Gefühl, deine Eltern oder dein Zuhause wären für dich nicht gut genug?
  • Gibt es etwas, das du deinen Eltern hättest schon längst erzählen sollen, aber immer noch nicht gemacht hast?
  • Hast du jemals an deinem Körper etwas gemacht, das du nicht hättest tun sollen?
  • Hast du jemals am Körper von einem anderen etwas gemacht, das du nicht hättest tun sollen?
  • Hast du jemals Theater gemacht, als deine Eltern oder dein Lehrer von dir etwas gemacht haben wollten?
  • Hast du jemals einem anderen etwas getan, das du auf keinen Fall an dir selbst geschehen lassen wolltest?
Aus: Security Check für Kinder, HCO WW Security Form 8 vom 21.9.1961, Quelle: www.ilsehruby.at/Kinderauditing.html

Dazu ist wichtig zu wissen, dass Hubbard Kindern das Kindsein abspricht: "Kinder sind kleine Erwachsene." Und weiter:

Kinder sind nicht Hunde. Sie können nicht wie Hunde dressiert werden. Sie sind nicht kontrollierbare Dinge. Sie sind, lassen Sie uns diesen Punkt nicht übersehen, Männer und Frauen. Ein Kind ist nicht eine spezielle Tierart, die sich vom Menschen unterscheidet. Ein Kind ist ein Mann oder eine Frau, der bzw. die nicht voll ausgewachsen ist. Jedes Gesetz, das auf das Verhalten von Männern und Frauen zutrifft gilt auch für Kinder.

New Era Publications, Kinder: ein Auszug aus dem Scientology-Handbuch, Kopenhagen, 1994, S.

Sie müssen wirklich Ihren Verstand auflockern...auf ein Kind zu schauen und zu erkennen, dass Sie auf einen Erwachsenen mit weniger Körper schauen. Er hat mehr Zukunft und weniger Körper. Und das ist so ungefähr der einzige Unterschied!

L. Ron Hubbard, 7. Juli 1957, Vortrag: Kinder - Scientology

Es gilt auch die Bildung sogenannter Engramme (falsche Prägungen und Verfestigungen "ungünstiger" Verhaltensmuster) zu verhindern. Hierzu hat Scientology spezielle Kinderkurse entwickelt, die sich kaum von den Erwachsenenkursen unterscheiden. Das Kind durchläuft fast die gleichen Trainingsroutinen (z.B. stundenlang jemanden in die Augen zu starren, angeschrien und beschimpft zu werden und dabei nicht reagieren zu dürfen), wie die Erwachsenen, es ist nur anders verpackt, auch das Auditing ist gleich.

Jede Schwangere "züchtet" eine "Körpermaschine für einen Thetan" heran. Bei der Geburt herrscht absolute Stille. Zwar wird das Baby versorgt, doch soll der ihm innewohnende "Thetan" sich in Ruhe an sein Körperzuhause gewöhnen. Stillen wird nicht toleriert, damit sich die Stresshormone der Mutter nicht auf den Thetan übertragen.

(Den Stress der Mutter hat zuvor Scientology erzeugt, indem es sie zur Arbeit für die "Org" nötigte.)

Immer geht es darum, "Engramme" (schlechte Erfahrungen) zu beseitigen oder zu verhindern, auch vorgeburtliche "Engramme", zum Beispiel Verletzungen der Schwangeren. Aufgrund dessen soll bei einer schwangeren Frau, die sich verletzt hat, nicht gesprochen werden, damit sich bei dem ungeborenen Kind kein Engramm festsetzen kann.

Dazu Hubbard:

Die Menschen haben im Normalfall vorgeburtliche Engramme in großer Zahl. Sie können mehr als zweihundert haben. Und jedes davon ist aberrierend*. Jedes enthält Schmerz und Bewusstlosigkeit.

Hubbard, L. Ron: Dianetik - Die moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit, Das Handbuch der Dianetik-Verfahren, Kopenhagen, 1986, S. 169

Aber wenn bekannt ist, daß jede Verletzung der Mutter bei dem ungeborenen Kind ein Engramm erzeugen kann, dann sollten alle, die im Fall einer solchen Verletzung anwesend sind, die Mutter eingeschlossen, Sorge dafür tragen, daß absolute Stille bewahrt wird.

S. 201

*Hierzu erklärte Frau Scheffler: "[Aberrierend ist ein] scientologisches Wort für störend, hemmend. Im sehr negativen Sinne, wird es auch als Begriff für Geisteskranke und als scientologisches Schimpfwort benutzt. Alles was nicht für Scientology ist, ist aberrierend."

Hubbard ist nicht nur Experte in der Behandlung des Säuglings in emotionaler Hinsicht, sondern er scheint auch besonderes Wissen in Ernährungsfragen zu haben:

Die bedeutendste Ursache für Verstimmungen im frühen Leben eines Kindes ist einfach die Verpflegung. Man gibt dem Baby wohl zu essen. Aber was? Schrecklich schmeckende Milchpulverlösungen mit viel Kohlehydraten oder magere Muttermilch einer überarbeiteten Mutter.

New Era Publications, Kinder: ein Auszug aus dem Scientology-Handbuch, Kopenhagen, 1994, S.28

Oder dies:

Ein „ca. 2.200 Jahre altes römisches Gerstenrezept“, was der Muttermilch am ähnlichsten sein soll, ist die Babynahrung eines scientologischen Kindes. Die Nahrung besteht aus einem Brei von Gerstenwasser, homogenisierter Milch und Stärkesirup aus Mais.

Vgl.: New Era Publications, 1994; s.o., S. 28 f. und Eimuth, Kurt-Helmuth, 1997, s.o. S. 101

Hier sieht man die zynische, menschenverachtende Ideologie Hubbards. Da die Mutter die teuren Kurse nicht bezahlen kann, arbeitet sie zu Niedriglohn für Scientology. Das ist zeitintensiv, denn die laufenden Kurse fressen den mühsam erwirtschafteten Lohn wieder auf. Kein Wunder, dass dieser Teufelskreis der Abhängigkeit und die Verpflichtung, das Kind nach den Regeln von Scientology zu erziehen, junge Mütter überfordern. Dies macht ausgerechnet derjenige, der die Menschen in solch ausbeuterische Abhängigkeit gebracht hat und sie darin zu halten versucht, nun den Müttern zum Vorwurf und konstruiert daraus die Regel, sie sollten ihre Kinder am besten erst gar nicht stillen. Dadurch beraubt Scientology Mutter und Kind einer natürlichen, engen Bindung, die besonders für die gesunde Entwicklung des Kindes unerlässlich ist.

Scheffler: "Die junge Mutter ist im späteren Leben mit ihrer Rolle als Mutter und Scientologin überfordert. Scientology hatte die Mutter bereits in der Vergangenheit völlig eingenommen und nun hat sie ein Kind, was auch noch ihre Fürsorge und Liebe benötigt."

Im Vorschulalter kann die geschlossene Welt, die "scientologische 'Blase'" (Scheffler) lückenhaft werden, wenn es keine scientologische Betreuung gibt und das Kind in einen Kindergarten geht. Meist aber gebe es "unqualifizierte scientologische Tagesmütter, die die Kinder betreuen und nach scientologischen Richtlinien erziehen."

Wenn das Kind herangewachsen ist, wird es darauf vorbereitet, an Auditings teilzunehmen. Das bedeutet in der Praxis, es bekommt Beistand ("Assist"), wenn es sich verletzt hat. Dieser Beistand aber soll möglichst ohne Emotionen stattfinden, das Kind soll nicht mit Worten getröstet werden. Dazu ein Auszug aus Scientology-Anweisungen:

Kinder sollen sich ausweinen, wenn sie sich verletzt haben. Eltern sollen nichts sagen, denn dadurch würden sie die Erinnerung an frühere Verletzungen wachrufen. Wenn man es aber nicht tröstet, sondern nur im Arm hält, bis es sich ausgeweint hat, wird es sich meist schon nach 1 Minute beruhigt haben und fröhlich zum Spielplatz zurückkehren.

Verletzt sich ein Kind, dann soll es immer wieder von der schmerzhaften Erfahrung erzählen bis es aufhört zu weinen oder lacht. Dieses Verfahren ähnelt sehr dem späteren Auditing.

Man kann vieles tun, um einem Kind zu helfen, das hingefallen ist, sich eine kleinere Schnittwunde oder etwas ähnliches zugezogen hat. Bei kleineren Kindern scheint es manchmal genug zu sein, sie einfach ausweinen zu lassen. Wenn ein Kind verletzt ist, werden sich die meisten Leute dabei ertappen, dass sie – fast bevor es ihnen selbst bewußt ist – beruhigende und tröstende Worte sprechen. Und sie werden gewöhnlich das sagen, was sie schon hundertmal gesagt haben, als das Kind verletzt war. Dies erinnert das Kind an die ganze Kette von früheren Verletzungen. Eltern können einem Kind am meisten helfen, indem sie nichts sagen… Schweigen bedeutet nicht, dass man keine Zuneigung empfindet oder ausdrückt. Man kann den Arm um das Kind legen oder es halten, wenn es das möchte. Wenn nichts gesprochen wird, wird ein kleines Kind oft ungefähr eine Minute lang heftig weinen und dann plötzlich aufhören, lächeln und zu der Sache zurücklaufen, bei der es gerade war. Wenn man dem Kind erlaubt zu weinen, scheint sich die Spannung, die von der Verletzung herstammt, zu lösen, und ein Beistand ist in diesem Fall nicht erforderlich. Tatsächlich ist es oft sehr schwierig, ein Kind zu veranlassen, zu dem Moment der Verletzung zurückzukehren, wenn es die Spannung auf diese Weise freigesetzt hat.

New Era Publications, Kinder: ein Auszug aus dem Scientology-Handbuch, Kopenhagen, 1994, S.16

Und weiter:

Wenn das Kind nicht mehr benommen ist, fragen Sie es: `Was ist passiert? Wie hast du dir weh getan? Erzähl mir darüber.´ Wenn es beginnt darüber zu erzählen, stellen Sie es auf die Gegenwart um, falls es die Geschichte von sich aus nicht in der Gegenwart erzählt. Versuchen Sie es auf diese Weise:

`Nun – ich stand auf einem großen Felsen und dann bin ich ausgerutscht und hingefallen und…´ (Weinen)
`Tut es weh, wenn du auf dem Felsen stehst?´
`Nein.´
`Was passiert, wenn du auf dem Felsen stehst?´
`Ich rutsche aus…´ (Weinen)
`Was passiert dann?´
`Ich falle auf den Boden.´
`Ist da Gras auf dem Boden?´
`Nein-es ist ganz sandig.´
`Erzähl mir noch einmal darüber.´

Sie können das Kind mehrere Male durch das Geschehnis durchgehen lassen, bis es ihm langweilig wird oder bis es lacht.

New Era Publications, Kinder: ein Auszug aus dem Scientology-Handbuch, Kopenhagen, 1994, S.17

Wenn sich beim Kind allerdings bereits eine "Lock-Kette" (eine Art Verfestigung negativer Erlebnisse, die an negative Emotionen gekoppelt sind) gebildet hat, soll man u.a. wie folgt vorgehen:

[Die beschriebene Technik soll erst dann angewandt werden,] wenn das Kind ausreichend sprechen gelernt hat, um einen zusammenhängenden Bericht darüber zu geben, was es denkt und fühlt. Wenn sich das Kind unwohl (nicht ernsthaft krank) fühlt, können Sie damit beginnen, indem Sie es fragen, wann es sich früher schon einmal so gefühlt hat. Normalerweise wird sich ein Kind daran erinnern. Wenn Sie dann weitere Fragen darüber stellen, was geschah, was es zu jener Zeit tat, wer gesprochen hat, was gesagt wurde, wie es sich fühlte, dann wird es die Szene anschaulich beschreiben. Wenn das Kind dies tut, lassen Sie es einfach einige Male durch das Geschehnis hindurchgehen… Aber seien Sie nicht allzu mitfühlend. Zeigen Sie Zuneigung und Interesse – ja. Aber Sie dürfen nicht sentimental werden und in jammerndem Ton Sätze wie `Armes Baby, armes kleines Ding!´ sagen. Dies könnte bewirken, daß das Kind die Verletzung oder Verstimmung als wertvoll erachtet, weil sie bewirkt hat, daß es spezielle Aufmerksamkeit und Mitleid erhielt.

Und weiter heißt es einige Seiten später:

Lassen Sie das Kind sich das Geschehnis einige Male zurückrufen, bis es lacht. Dies wird das Kind von der Restimulation befreien.

Beide Zitate aus: New Era Publications, Kinder: ein Auszug aus dem Scientology-Handbuch, Kopenhagen, 1994, S.22

Ziel all dieser "Techniken" ist "die Verhütung von Engrammen beim ungeboren Kind, das Durchführen von Assist bzw. Beistand bei leichteren Verletzungen und das Entfernen von Locks mit Hilfe der Erinnerung", so Scheffler. "Dieses ist eine klare Vorbereitung der Kinder auf das Auditing, bzw. ähneln diese Verfahren schon sehr dem Auditing." Kurt-Helmuth Eimuth sieht [darin] sogar [das Praktizieren] des Auditings "im täglichen Umgang mit dem Kinde", (Vergleiche: Kurt-Helmuth Eimuth, Die Sekten-Kinder, 2. Aufllage 1997, S.72f.) da hier das Auditing in vereinfachter Weise in jeder Situation mit den Kindern durchgeführt wird. Reguläres Auditing solle mit Kindern ab 8 Jahren durchgeführt werden.

Auditing im Schulkindalter führt zu einer Überlastung, da das Kind verschiedene Leben gelebt hat und in der Vergangenheit möglicherweise Verbrechen beging, die jetzt konfrontiert werden sollen, um sie zum Verlöschen zu bringen. Dazu Scheffler: "Wenn ich mir überlege, welche Überforderung bei einem erwachsenen Menschen durch die eigenen Gefühle und Gedanken entstehen, und diese für Erwachsene kaum zu verarbeiten sind, ist dieses für ein Kind um so schwerer zu verstehen, bzw. zu bewältigen." Oft hätten Kinder dann regelrechte "Horrorbilder" im Kopf.

Auditing ist für Erwachsene schon ein Problem und hemmt bei ihnen die Selbstwahrnehmung und Festigung des Ich. Umso schwerer wiegen die Spätfolgen bei Kindern: Am Ende bleiben verstörte Kinder zurück, unfähig, sich anzupassen und mit schweren Identitätsproblemen. Kinder, die nur schwer Kontakt zu Altersgenossen finden, die nicht Scientologen sind, da sie sich schon allein aufgrund des sekteneigenen Spracherwerbs der Scientology-Kinder nicht verstehen können. Dadurch werden Scientology-Kinder zu Außenseitern im "normalen" Umfeld, die sie dadurch entsprechend der Doktrin ihrerseits als "feindlich" wahrnehmen. So konditioniert sind sie bereit, sich ganz in das System "hineinsaugen" zu lassen (meine Wortwahl).

Mit dem Auditing bekämpft Scientology sogar Schwierigkeiten beim Lernen, da hinter ihnen meist Konflikte der Vergangenheit vermutet werden. So gab Frau Scheffler das Auditing an einem kleinen Mädchen wieder, das eine Rechenschwäche hatte. Im nachfolgend wiedergegebenen Auditing geht darum, das eigentliche "Problem dahinter" zu behandeln, hier ist es die Mutter:

(Auditor): Wenn ein Flugzeug um 2 Uhr nachmittags in 3.000 Meter Höhe fliegt und um 3 Uhr nachmittags in 1.500 Meter Höhe, wie tief würde ein Mensch um 3 Uhr fallen, bis er den Erdboden erreichen würde?
(Kind): Ach du liebe Güte! Das weiß es nicht… Es ist wirklich ein Problem. (…)
(Auditor): Ist es so, dass es nur das Problem ist, was dich bedrückt?
(Kind): Ich glaube ja.
(Auditor): Spricht jemand hier je über Probleme?
(Kind): Nun, vielleicht könnte Mama darüber sprechen, eine Menge Probleme zu haben.
(Auditor): Hat irgendjemand dich je ein Problem genannt?
(Kind): Nun, vielleicht könnte Mama darüber sprechen, eine Menge Probleme zu haben.
(Auditor): Wer könnte dich ein Problem nennen?
(Kind): Nun, vielleicht Mama.

"Kinder-Dianetik", S. 76

Mit dieser „frischen Herangehensweise” soll Kindern "Liebe und ... Respekt eines Kindes” beigebracht werden.

Zum Abschluss der Ausführungen über das Auditing für Kinder noch der Erfahrungsbericht einer 17-Jährigen, die von ihrer scientologischen Nachhilfelehrerin zum „Auditing” überredet wurde. Anlass des „Auditing” war die von der jungen Frau als besonders belastend empfundene Trennung von ihrem Freund. Das Prozedere beschrieb sie wie folgt:

»Immer und immer wieder musste ich die Geschichte wiederholen. Dutzende Male. Bis ich nicht mehr konnte. Das war unglaublich schlimm für mich, so schlimm, dass ich in Tränen ausbrach. Danach habe ich mich geweigert, jemals wieder zum Auditing zu gehen.« [ Ausgepresst wie eine Zitrone, Focus-Schule Nr. 5/2006. ]

Das Auditing soll die Kinder langfristig darauf vorbereiten, ganz in die Dienste von Scientology einzutreten. Dazu muss sichergestellt werden, dass sie die Lehren Hubbards und der "Kirche" verinnerlicht haben. Ist das der Fall, sind sie bereit für die weitere Ausbildung in der "Sea-Org/Cadet-Org", der scientologischen Schule. Das bedeutet: Ab jetzt übernimmt Scientology die Erziehung. Den Eltern-Kind-Kontakt hatte Scientology ja bereits systematisch begrenzt, eingeengt, reglementiert. Nun soll auch noch die Freizeit der Heranwachsenden und ihrer Eltern auf ein Minimum reduziert werden. Das kann bedeuten, das Eltern ihre Kinder nur noch alle 2 Wochen für jeweils wenige Stunden zu Gesicht bekommen, im ungünstigsten Fall des nachts, wenn die Eltern Feierabend haben und die Kinder ihre Auditing-Kurse beendet. Dieser zynische Umgang mit zwischenmenschlichen Kontakten zeigt den Charakter dieser Organisation, der es hauptsächlich darauf ankommt, aus Kindern volltaugliche, perfekt funktionierende Arbeiter für ihre Zwecke zu machen.

Der perfekte Soldat?

"Was wird aus einem scientologischen Kind, wenn aus ihm ein erwachsener Scientologe geworden ist?" So die Frage, die nach Frau Scheffler gestellt werden müsse. Würde aus diesem Kind ein neuer David Miscavige werden oder der „perfekte Soldat“, der ohne emotionelle Regungen agieren kann, im Kampf für Scientology?

Scientology stelle die Familie in den Hintergrund, die Kinder würden von außenstehenden Personen ohne Liebe und Zuneigung erzogen. Die Kinder lernten kritiklos Befehle zu befolgen. Ihre eigene Meinung zähle nicht. Sie lernten, Macht anzustreben und andere Menschen zu beherrschen, lernten den lieblosen Umgang mit anderen Menschen. Auch die Familie sei für „Scientology-Kinder“ nicht wichtig, da sie nie ein „normales“ Familienleben kennenlernen durften. "Scientology möchte aus den Kindern neue „Herrschaftsmenschen“ heranzüchten, die die Welt beherrschen sollen, eine Welt in der es z.B. keine kranken, behinderten, schwachen Menschen geben darf", so Scheffler.

Die Gesellschaft solle sich die Frage stellen, wie man es schafft, die scientologische „Blase“,... zu durchbrechen und inwieweit hier eine Kindeswohlgefährdung im Rahmen des BGBs vorliegt, so Scheffler. Und weiter:

Für mich als Fachfrau ist ganz klar, dass an den Kindern ein psychischer Missbrauch durchgeführt wird und dieser sollte gleichgesetzt sein mit körperlicher Misshandlung. Die Jugendhilfe sieht mittlerweile davon ab, Kinder aus den Familien zu reißen und ich denke auch hier in diesem Bereich sollte zusammen mit den Kultfamilien gearbeitet werden. Dies wird z.B. Scientology nicht gefallen, aber so haben die Kinder eine Chance auf eine freie Gestaltung ihres zukünftigen Lebens.

Auch solle überlegt werden, ob Kinder durch die Scientologyorgsanisation in andere Länder gesandt werden dürfen, wo sie als Arbeitssklaven missbraucht werden, ohne Schulbildung, ohne familiäre Anbindung. Dies müsse verhindert werden und das Elternrecht im Bereich „Aufenthaltsbestimmung“ müsse eingeschränkt werden. Scheffler wörtlich:

Diese Art von „Verschleppung“ ist nach meiner Auffassung kriminell. Für mich hat dieses Verhalten der Scientologyorganisation ganz klare Züge vom Menschenhandel und genau dies sollte unser Staat zum Schutz der Kinder nicht unterstützen.

Weiterführende Website: http://kindseininscientology.wordpress.com/

Warum und wie wirken die Methoden der Scientology?

Wilfried Handl, GDPA-Gesellschaft gegen Dogmen und psychische Abhängigkeit, Wien

https://blog-gegen-scientology.com

In einen Kult wie Scientology tritt man nicht deshalb ein, weil die Mitglieder so erfolgreich manipulieren und man "geheimnisvollen" Techniken ausgesetzt wäre, mit denen sie neuen Anhänger ködern. "Das Leben läuft so nicht", so Handl. Denn wäre es so, müssten die Scientologen wesentlich mehr Mitglieder rekrutieren können, tatsächlich aber gebe es in Deutschland vergleichsweise wenig Scientologen (ca. 4000). Menschen haben ihre ganz persönliche Entwicklung, haben ihre individuelle Herkunft und sind eigenständige Charaktere. Jeder entwickelt sich auf seine eigene Weise, hat individuelle Bedürfnisse, geht nach seiner Art an das Leben heran und meistert dessen Herausforderungen. Und genauso verhält es sich mit der Spiritualität. Die ist ebenso von Mensch zu Mensch verschieden. Dem einen sind die Ideen von Hubbard viel zu abgehoben, "spinnert", den anderen sprechen sie an, weil er in einer ganz bestimmten Phase seines Lebens ist, die ihn für solche Botschaften empfänglich macht.

Ihn, Handl, habe die Idee, dass er in Wahrheit ein Gott ist bzw. sein kann und wird, zu der ganz bestimmten Zeit und in der entsprechenden mentalen Verfassung, in der er sich damals befand, angesprochen, "sie trafen zu der Zeit meinen Nerv". Und darauf komme es an, damit jemand für einen Kult gewonnen werden könne.

Man könne sich den Beitritt vorstellen, wie wenn man als Gast zum Essen oder auf einen Kaffee eingeladen wurde. Zunächst werde man eingeladen, das Haus zu betreten, aber nicht gleich Wohn- oder Schlafzimmer, sondern den Hausflur, also den

"Eingangsbereich"

Solch eine Einladung nimmt man aus verschiedenen Motiven an. Ebenso lasse man sich auf die Einladung zu einem Schnupperkurs der "Dianetik" ein oder mache mal ein bisschen Auditing, nur um mal für sich festzustellen, was das ist und ob das überhaupt funktioniert. Das erste Motiv, warum man dann zu Scientology kommt, ist:

<p1. Neugier <pEr, Handl, sei aus Neugier zu Scientology gekommen. "Lovebombing war ich nicht ausgesetzt, halte sie für überbewertet. Freundlichkeit ist bei Einladungen üblich und ganz normal." Und auf Freundlichkeit reagieren wir alle. So sind wir nunmal. Wir haben es gern, wenn man uns anständig, mit Respekt und freundlich behandelt. Eines aber sei zweifelsfrei war: Wer sich in die Räume von Scientology begibt, steht von der Sekunde an, da er über die Türschwelle tritt, unter Kontrolle. Scientology überwacht jeden, der sich in ihren Räumen aufhält. <p2. Sympathie <p3. "1 zu 99 Verhältnis" <p4. "Spiritualität" <p"Ich habe noch keinen Menschen getroffen, der nicht in irgendeiner Weise spirituell ist." Handl berichtet von seinem Freund, einem Atheisten, der ihm eines Tages von seiner "Begegnung mit Jesus" erzählte. "Spiritualität ist Sehnsucht nach einem übergeordneten Prinzip", die Suche nach dem letzten Sinn von allem.

Hat der Neuling den Eingangsbereich als angenehm empfunden und passen er und der Gastgeber zueinander, mag der Gastgeber ihn auffordern, ihm in den

"Innenbereich" zu folgen.

Meist glauben Sektenführer an das, was sie erzählen und den Mitgliedern zu glauben vorgeben. Auch wenn sie ahnen, was das Ende sein könnte (Goebbels), bleiben sie dem Denken verhaftet und funktionieren systemgemäß mehr oder weniger fanatisch.

Bei jedem fanatischen Dogmatismus verliert man die Fähigkeit zur Distanz, andere Perspektiven werden nicht wahrgenommen. Elitäres Denken entsteht dort, wo feste Überzeugungen mit wenig Fakten unterlegt werden. Eine gute Theorie hält kritisches Nachfragen aus.

Man steht in einer Gruppe nicht gern als Einziger auf und vertritt die gegenteilige Meinung. (Fan der gegenseitigen Fußballmannschaft in der Westkurve...)

Ein wesentliches Element, warum man zunächst einmal bleibt, ist eine stringente "Successstory", also eine Erfolgsgeschichte des Kults, oder anders ausgedrückt: Zur Ideologie eines Kults gehört eine ordentliche Portion an Selbstbeweihräucherung. "Wenn ich jeden Tag davon rede, wie schön doch meine Frau ist, glaub ich daran, selbst wenn's den Spiegel zerreißt. Den schmeiß ich im Zweifelsfall weg.", so brachte Handl es auf den Punkt.

Wenn aber all das nicht mehr recht funktioniert, wenn erstes Unbehagen entweder an der Ideologie oder an den Methoden, mit denen Scientology seine Anhänger in mentaler und finanzieller Abhängigkeit hält, aufkommt, dann mag bereits der lange Weg nach draußen begonnen haben.

Hier komme jetzt die letzte Phase einer Mitgliedschaft in einem Kult ins Spiel, der

"Ausgangsbereich"

Möglicherweise hat man entdeckt, dass in Scientology – wie in jedem anderen totalitären Kult – die Grundregel zutrifft: "Entweder du bist Täter oder Opfer, entweder es gelingt dir, die "Karriereleiter" in der Gruppe zu erklimmen, oder es gelingt nicht, dann bleibst du Opfer, das der Willkür der "Org" ausgesetzt bleibt.

Das Gefängnisexperiment habe es auf ernüchternde Weise deutlich gemacht. In jedem Kult gibt es immer 2 Möglichkeiten: Opfer oder Täter zu sein. Beides ist im Menschen angelegt. Wer aber dies durchschaute Spiel nicht länger mitspielen will, dem bleibt am Ende nur der Ausstieg. "Am 8.8.1988 war ich clear." "Past-Life-clear", weil ich mich geweigert habe, einen Bericht zu schreiben.", so berichtete Handl.

Die eigene Bewusstseinsveränderung werde zum ersten Mal bewusst. Perspektivlosigkeit kommt zum Vorschein.

"Grund meines Austritts war meine Krankheit." (Krebs) Der Aussteiger bekommt die "schwarze Seite" der Gruppe zu spüren. Viele wahren den Schein, bleiben, weil sie die Folgen kennen und sich dafür fürchten. "Scientologen sind ärger als ZJ, sie halten sich wirklich ans Kontaktverbot." Furcht vor dem Verlust der Ewigkeit hält das Mitglied im Kult.

Innerhalb der Gruppe war man beeinflusst. Beim Ausstieg relativieren sich Autoritäten; schrumpfen zur bloßen Menschlichkeit. Man nimmt die Schwächen und das allzu Menschliche von "Autoritäten" wahr. Dann verschwindet zunächst über diese menschliche Schiene die Illusion, später folgt die ideologische Desillusionierung - und man geht.

Wichtig sei aber, auch wirklich zu gehen. Das schließe den mentalen Ausstieg ausdrücklich ein, er gehöre unabdingbar zum Ausstieg dazu. "Wer nur die Gruppe verlässt, aber die Ideologie beibehält, ist kein Aussteiger, allenfalls ein Umsteiger." Das habe man bei bestimmten "Aussteigern" sehen können. Bei einem Aussteiger, der aus den USA nach Deutschland eingeladen worden war, habe man es deutlich erkennen können. Dieser klagte zwar die Methoden von Scientology an, besonders unter David Miscavige, aber an den Lehren von L. Ron Hubbard hielt er nach wie vor fest. "Dieser Mann ist kein Aussteiger, er ist ein 'Umsteiger'", so Handl. …

Zum Schluss noch der Hinweis auf zwei "lesenswerte" Bücher:

Going Clear von Lawrence Wright
Beyond Belief: My Secret Life Inside Scientology and My Harrowing Escape von Jenna Miscavige Hill

Von der Sekte zur Freikirche (?) Entwicklungen und Hintergründe an konkreten Beispielen

Eduard Trenkel, Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck, Kassel

Neues zur Neuapostolischen Kirche

In letzter Zeit könne man eine Trendveränderung feststellen: Noch vor wenigen Jahren lehnten es religiöse Sondergemeinschaften und Gruppen ab auch nur in die Nähe der beiden großen Kirchen gerückt zu werden. Ökumene oder auch jegliche Zusammenarbeit mit ihnen lehnten sie strikt ab; es gehörte zu den Grundpfeilern ihrer Ideologie, die Kirchen als falsche Religion abzulehnen, mit der man als "wahre Kirche Christi" oder als "wahre Christen" nichts gemein hatte. Man wollte alles, nur nicht Kirche sein.

Heute dagegen könne man bei solchen Gruppierungen gewissen Lockerungen in ihrer Haltung beobachten: So werben beispielsweise die Zeugen Jehovas recht offensiv mit ihrer staatlichen Anerkennung als "Körperschaft des öffentlichen Rechts" ("KdöR").

Die "Kirche Gottes" habe als einzige Gemeinschaft ihre Isolierung aufgegeben und sich der Ökumene angeschlossen. Auch andere Kirchen tauchten in letzter Zeit in der Ökumene-Szene auf: Zum Beispiel die "Neuapostolische Kirche".

Es gab mit ihr viele Gemeinsamkeiten, mehr als mit anderen "Sekten". Nun trägt sie einen Zusatz unter ihrem Namen: "protestantische Freikirche".

Damit gehört sie zur Arbeitsgemeinschaft der christlichen Kirchen und macht dies auch selbst bekannt. In der Führung der Kirche habe sich indessen ein "konservativer Rückschritt" vollzogen, auch wenn man dies nach außen anders darstellt.

In früheren Zeiten hatte der Stammapostel jegliches Ansinnen einer Zusammenarbeit mit den Kirchen schroff zurückgewiesen.

Vor ungefähr 10 Jahren habe ein Wandel eingesetzt. Es gibt ein neues Glaubensbekenntnis, eine neue Taufformel sowie einen neuen Katechismus. Dies geschah durch die Führung, ohne die einfachen Gläubigen auf diesem Weg mitzunehmen.

Dennoch werden die traditionellen Alleinstellungsmerkmale beibehalten. "Heil gibt es nur dort, wo der Apostel sein Amt versieht (, nämlich bei uns). Nur da gibt es Christi Präsenz beim Abendmahl."

Zwar werde formale Gemeinsamkeit signalisiert und für die Besonderheit nicht geworben, dennoch bleibe man im Kern eine Sondergemeinschaft.

"Wenn Sondergemeinschaften nach außen betonen, Freikirche zu sein und der Ökumene positiv gegenüber zu stehen, dann verändert das unsere Arbeit als Sektenbeauftragte.", so Trenkel.

Trenkel vermutet ein Kaschieren selbst der obskursten Lehren und Glaubensinhalte hinter dem Mantel der "Freikirche".

"Wir müssen gerade bei solchen Gemeinschaften genauer hinsehen, die sich nun selbst "Freikirche" nennen. Mag auch nach außen der eine Liberalisierung erscheinen, so sind solche Gruppen in ihrem Innern nach wie vor dem alten elitären Denken verhaftet." Es gelte, diese "Freikirchen" und ihre Entwicklung sorgfältig zu untersuchen.

Dies werde zukünftig eine Veränderung der Arbeit von Weltanschauungsbeauftragten erfordern.


Soweit meine Aufzeichnungen, Recherchen im Netz und die Ergänzungen aus der Erinnerung. Ich möchte betonen, dass dieser Bericht natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit alles Gesagten erheben kann. Der Kern dessen, was auf dieser spannenden Tagung zu erfahren war, ist aber wohl dargestellt, so meine ich.

Bernd Galeski

Mehr über Ursachen, Hintergründe und Wirkungsmechanismen finden sich auf der Homepage der Elterninitiative:
faviconInitiative zur Hilfe gegen seelische Abhängigkeit und religiösen Extremismus