anlässlich der Verhandlung zur Verfassungsbeschwerde:

Grundsätze der Kindererziehung der Zeugen Jehovas

Jehovas Zeugen sehen in Ehe und Familie die wesentlichen Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens. Da sie die Bibel als praktische und zuverlässige Anleitung für das Familienleben akzeptieren, untersucht die Religionsgemeinschaft den Rat aus der Bibel, um mit Hilfe ihrer Veröffentlichungen zur Stärkung der Familienbande und zum Zusammenhalt in der Ehe beizutragen.

Vom Standpunkt der Bibel aus sind in erster Linie die Eltern für die Erziehung der Kinder verantwortlich. Die Religionsgemeinschaft gibt ihren Mitgliedern, die Eltern sind, die biblische Empfehlung, ein gutes Beispiel zu geben, für ihre Kinder Liebe, Zeit und Interesse zu haben und die Harmonie in der Familie zu fördern. Sie ermuntert des weiteren dazu, Kinder unter Vermittlung christlicher Werte zur Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit zu erziehen, und duldet Kindesmißbrauch und Kindesmißhandlung nicht.

Im Gegensatz zu der in vielen Kirchen üblichen Mitgliedschaft durch die Kindstaufe, gibt es bei Jehovas Zeugen keinen Erwerb der Mitgliedschaft von Kindern durch eine elterliche Entscheidung. Erst wenn ein Heranwachsender seine eigene Entscheidung gemäß seiner Gewissensüberzeugung hinsichtlich der gesamten Lehre der Religionsgemeinschaft getroffen hat, kann er ihr Mitglied werden.

Biblische Grundsätze anzuwenden, führt bei Jehovas Zeugen zu bemerkenswert stabilen Ehen und harmonischen Familien.

Wie verhalten sich Jehovas Zeugen ehemaligen Mitgliedern gegenüber?

Die Entscheidung, kein Zeuge Jehovas mehr zu sein, wird in jedem Fall voll respektiert. Es wird keinerlei Druck ausgeübt, um jemand der eine solche Entscheidung getroffen hat, umzustimmen.

Jehovas Zeugen halten sich an das biblische Gebot aus 1. Korinther 5 Vers 11, keinen Umgang mehr mit einer solchen Person zu haben. Das heißt jedoch nicht, daß die Familienbande aufgelöst werden. Auch Kontakte im geschäftlichen Bereich brauchen davon nicht betroffen zu sein. Die übliche menschliche Hilfe wird den Betreffenden weiterhin geleistet.

Ehemalige Zeugen Jehovas sind weiterhin eingeladen, die gottesdienstlichen Zusammenkünfte zu besuchen. In gewissen Abständen bieten die örtlichen Ältesten denjenigen, die mit einem Besuch einverstanden sind, geistliche Hilfe zur Rückkehr in die Religionsgemeinschaft an.

Das Verhältnis von Jehovas Zeugen zum Staat

Jehovas Zeugen wissen es sehr zu schätzen, daß die Bundesrepublik Deutschland ihren Bürgern Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit garantiert (Artikel 4 Grundgesetz) und Wahlfreiheit gewährt (Artikel 38 Absatz l Grundgesetz).

Jehovas Zeugen erkennen den weltlichen Staat als von Gott angeordnete Obrigkeit an, der sie sich vorbildlich unterzuordnen haben (Römer 13:1). Sie befolgen die Anordnungen des Staates nicht nur aus Furcht vor Strafe (Römer 13:2), sondern auch ihres Gewissens wegen (Römer 13:5). Für einen Christen findet die Autorität des weltlichen Staates dort ihre Grenze, wo die Belange Gottes zu beachten sind (Matthäus 22:21). [Präambel des Grundgesetzes: "Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott..."] In einem Konfliktfall hat Gott den höchsten Anspruch auf den Gehorsam des Christen (Apostelgeschichte 5:29), während dieser stets bestrebt ist, ein gutes Gewissen vor Gott zu haben und einen guten Wandel zu führen (Hebräer 13:18; l. Petrus 2:19).

Jehovas Zeugen sind - wie die Bibel es gebietet - "kein Teil der Welt". Deshalb mischen sie sich nicht in die politischen und nationalen Auseinandersetzungen ein. Sie bleiben in bezug auf politische und militärische Handlungen der vielen Staaten, in denen sie leben, christlich neutral, wobei sie andere in keiner Weise davon abhalten, Militär- oder Kriegsdienst zu leisten, politischen Parteien beizutreten, für ein politisches Amt zu kandidieren und sich an politischen Wahlen zu beteiligen.

Mit ihrem Verhalten folgen Jehovas Zeugen dem rund 2000 Jahre alten Beispiel ihres religiösen Führers Jesus Christus und ahmen die ersten Christen nach. Sie bleiben damit unter den unterschiedlichsten Staatsformen fundamentalen christlichen Grundsätzen treu.

Jehovas Zeugen sind dem Staat gegenüber nicht ablehnend eingestellt. Viele von ihnen stehen oder standen in seinen Diensten (als Richter, Staatsanwalt, Beamter, Angestellter, Arbeiter), ohne allerdings politische Ämter zu übernehmen. Jehovas Zeugen werden von der Bibel zur Zusammenarbeit mit dem Staat und dazu angehalten, dem Gemeinwohl zu dienen.

Jehovas Zeugen sind bestrebt, - so wie es die Bibel gebietet - die Einheit ihrer weltweiten Bruderschaft im Denken, Reden und Handeln zu bewahren. Das ist ihrer Überzeugung nach nur dann möglich, wenn sie in jedem Land "kein Teil der Welt", also in jedem Land christlich neutral sind.

Jehovas Zeugen und ihr Verhalten in Verbindung mit politischen Wahlen

Zeugen Jehovas folgen weltweit gewissenhaft dem biblischen Gebot, sich dem Staat und allen seinen Einrichtungen als den von Gott angeordneten obrigkeitlichen Gewalten (Römer 13:1 ff.) gegenüber loyal zu verhalten, mit ihm zusammenzuarbeiten und seine Gesetze zu befolgen, soweit diese nicht göttliche Gebote verletzen. Das war bereits zu Zeiten der Urkirche der Fall. In Übereinstimmung damit sind Zeugen Jehovas als gesetzestreue Bürger bekannt, die ihre staatsbürgerlichen Pflichten ernst nehmen, mit den Behörden zusammenarbeiten und ehrliche Steuerzahler sind. Darüber hinaus hat der Staat Nutzen von dem positiven Einfluß, den sie entfalten und der zur Stabilisierung der Gesellschaft beiträgt. Sie stehen mit Erfolg Mitbürgern bei, allgemein gesellschaftliche Probleme - wie Drogensucht, Alkoholmißbrauch, Kriminalität und Zerrüttung von Familien - zu überwinden und ein abträgliches Sozialverhalten aufzugeben.

Das Demokratieprinzip wird von Jehovas Zeugen voll anerkannt. Sie sehen demokratisch gewählte Staatsorgane als legitimiert an, als von Gott angeordnete obrigkeitliche Gewalten zu amten. Dadurch werden politische Wahlen als Legitimationsgrundlage für die Ausübung politischer Gewalt anerkannt.

Vor Beginn seiner Mitgliedschaft in der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas trifft der einzelne seine Entscheidung gemäß seiner Gewissensüberzeugung hinsichtlich der gesamten Lehre der Religionsgemeinschaft (vorverlagerte Gewissensentscheidung). Dabei entscheidet sich jeder Zeuge Jehovas für Gottes Königreich, die verheißene himmlische Regierung, die vollkommen sein wird, und glaubt, daß diese zu ihrer Zeit die Lösung der heutigen Probleme bringt. Jeder Zeuge Jehovas handelt dementsprechend nach seinem freien Willen und seinem von der Bibel bestimmten religiösen Verständnis. Als von Gott ordinierte Prediger beteiligen sich Jehovas Zeugen als neutrale „Gesandte an Christi Statt" (2. Korinther 5:20) nicht an den weltlichen politischen Auseinandersetzungen.

Gemäß ihrem Selbstverständnis geht die Religionsgemeinschaft davon aus, daß sich jeder Zeuge Jehovas aufgrund seiner persönlich übernommenen Verantwortung vor Gott gemäß seiner vorverlagerten Gewissensentscheidung verhält. Es ist der Religionsgemeinschaft wesensfremd, bezüglich des Verhaltens des einzelnen Zeugen Jehovas anläßlich politischer Wahlen Informationen zu sammeln oder Nachfragen und Kontrollen durchzuführen. Ein Zeuge Jehovas mag sich entscheiden, aktiv an politischen Wahlen teilzunehmen. Wenn er auf der Teilnahme an staatlichen Wahlen beharrt, hat er durch die Aufgabe seiner vorverlagerten Gewissensentscheidung selbst entschieden, kein Mitglied der Religionsgemeinschaft mehr bleiben zu wollen. Dieses Verhalten wird dann selbstverständlich respektiert.

Warum möchten sie den Körperschaftsstatus und ziehen dafür vor Gericht?

Die Organisationsform als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist ein im Grundgesetz vorgesehener Status für Religionsgemeinschaften, der deren Autonomie und religiöse Selbstverwirklichung stärkt. Somit kann durch den Körperschaftsstatus die Religionsfreiheit auf die bestmögliche Weise verwirklicht werden.

Die Frage, warum Jehovas Zeugen den Körperschaftsstatus zu erlangen suchen, muß vor dem Hintergrund der bereits über 100 jährigen Geschichte der Zeugen Jehovas in Deutschland gesehen werden. Bereits in den 60er Jahren hatte das Bundesverfassungsgericht Jehovas Zeugen darauf aufmerksam gemacht, einen Antrag auf Verleihung der Körperschaftsrechte stellen zu können. Damals dachten Jehovas Zeugen zum einen, es wäre ausreichend, die damals relativ kleine Religionsgemeinschaft mittels eingetragener Vereine rechtlich zu organisieren. Zum anderen hatten die damaligen Entscheidungsträger noch die Erfahrungen aus den Konzentrationslagern des Hitlerdeutschlands im Sinn. So dachte man, als Körperschaft des öffentlichen Rechts würde man irgendwie in den Staat eingegliedert. Inzwischen hat sich das Rechtsverständnis über diese Frage, auch besonders durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, geklärt. Dies führte zu der einleitend dargestellten Ansicht.

Als durch die Wiedervereinigung Deutschlands die Frage entstand, wie die staatliche Anerkennung der Zeugen Jehovas in der DDR gemäß dem Recht der Bundesrepublik und dem Einigungsvertrag umzusetzen sei, kam die Frage nach dem Körperschaftsstatus erneut auf. Die Berliner Behörden waren ursprünglich auch der Ansicht, Jehovas Zeugen seien Körperschaft des öffentlichen Rechts. Da die Religionsgemeinschaft zwischenzeitlich größer geworden war, bestand der Wunsch nach Vereinfachung der Verwaltung und der Gleichstellung mit den anderen über 30 Religionsgemeinschaften in Berlin, die den Körperschaftsstatus bereits besaßen.

Religiöse Strukturen sind im Vereinsrecht nicht umzusetzen. Außerdem wären viele De-facto-Probleme in der Seelsorge und Mission durch den öffentlich rechtlichen Status vermeidbar. Es handelt sich dabei u. a. um die Betreuung unserer Glaubensbrüder in Krankenhäusern und Anstalten. Der Wunsch von Gefängnisinsassen entsprechende geistliche Betreuung zu erhalten, scheitert vielfach an dem gegenwärtig privatrechtlichen Status der Religionsgemeinschaft.