Mit der Verhandlung vom 25.03.2004 hat das Oberverwaltungsgericht zum Ausdruck gebracht, dass die vorliegenden Beweise nicht ausreichend sind, um über die Verleihung der Körperschaftsrechte für die Zeugen Jehovas zu entscheiden.

Das Gericht kündigt daher an, sich anhand von Zeugenbefragungen selbst einen Eindruck von der Welt hinter den Mauern des Wachtturms zu verschaffen.

Anerkennung der Zeugen Jehovas erneut auf Prüfstand - Neuer Prozess vor OVG

Berlin (ddp-bln). Der Antrag der Zeugen Jehovas auf Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts steht seit Donnerstag erneut auf dem Prüfstand beim Berliner Oberverwaltungsgericht (OVG). Das Gericht kündigte an, die «Sachaufklärung in die eigenen Hände zu nehmen», da eine abschließende «Beurteilung nach Aktenlage nicht möglich» sei. Sollte das Gericht in eine umfassende Beweisaufnahme eintreten, ist erst Ende der Jahres mit einer Entscheidung zu rechnen.

Das OVG muss der Frage nachgehen, ob die Voraussetzungen der Rechtstreue im Wirken der Zeugen Jehovas erfüllt oder ob Grundrechte Dritter beeinträchtigt oder gar gefährdet werden. Insbesondere geht es um den Umgang der Religionsgemeinschaft mit so genannten Abtrünnigen und ihre Erziehungspraktiken bei Kindern.

Das Land Berlin hat den Zeugen Jehovas die Anerkennung als Körperschaft öffentlichen Rechts und damit die Gleichstellung mit den beiden großen Kirchen bislang verwehrt. Es argumentiert, dass die Zeugen Jehovas «Strenge als geeignetes Zuchtmittel» ansehen und bedingungsloser Gehorsam das Kindeswohl verletze. Ferner werde der Kontakt zu nichtgläubigen Eltern und Familienmitgliedern mit allen Mitteln verhindert. Auch sei es gängige Praxis, dass auf Eltern eingewirkt werde, um Bluttransfusionen bei Minderjährigen zu verhindern.

Die Religionsgemeinschaft dagegen wirft dem Land Berlin Voreingenommenheit vor und kritisiert, aus dem Zusammenhang gerissene Zitate vorzubringen und Aussagen ehemaliger Glaubensanhänger ungeprüft übernommen zu haben.

Das Gericht bemängelte, es fehlten wissenschaftliche Erkenntnisse sowie Berichte der Jugendämter, die eine «kindeswohlwidrige Erziehungspraxis» der Zeugen Jehovas beweisen würden. Nach Darstellung des Gerichts erscheint die Religionsgemeinschaft «als Gesellschaft mit zwei Gesichtern» -«nach außen moderat und liberal, nach innen Zucht und Ordnung».

Der Rechtsstreit dauert seit nunmehr 14 Jahren an. Nach dem ersten Verfahren 1993 vor dem Berliner Verwaltungsgericht war der Fall durch alle Instanzen gegangen und schließlich im Mai 2001 vom Bundesverwaltungsgericht zur Aufklärung an die Vorinstanz zurückverwiesen worden. Bereits das Bundesverwaltungsgericht hatte klar gemacht, dass es bei der Bewertung nicht darauf ankommt, «was in den Schriften steht, sondern wie es gemacht wird». (BverwG 7C1.010)

Richter beklagt schwache Beweislage

Streit um Anerkennung der Zeugen Jehovas als Körperschaft geht weiter. Vorwürfe der Prügelstrafen zu wenig belegt

BERLIN

taz - Man kennt sie von Straßenecken, wo sie die Zeitschrift Wachtturm anbieten: die Zeugen Jehovas. Schon seit 14 Jahren streitet die Glaubensgemeinschaft mit dem Land Berlin vor Gericht darum, als Körperschaft öffentlichen Rechts (KdöR) anerkannt zu werden. Gestern sollte eigentlich der letzte Tag des Verfahrens sein, aber es stellte sich heraus, dass der Streit wohl noch länger dauern wird. Sehr wahrscheinlich wird das Berliner Oberverwaltungsgericht (OVG) erst 2005 entscheiden, ob die Religionsgemeinschaft "rechtstreu" genug ist, um diesen Status zu erlangen.

Die Anerkennung als Körperschaft hätte große Vorteile: Dann könnten die Zeugen Jehovas Seelsorger in Krankenhäuser schicken und hätten planungsrechtliche Vorteile beim Bau ihrer "Königreichsäle". Um die Anerkennung als Körperschaft zu erlangen, hatte das Bundesverwaltungsgericht 1997 zusätzlich verlangt, dass die Zeugen Jehovas auch die Demokratie achten. Das täten sie nicht, so das Gericht damals, weil sie Bundestags- und Kommunalwahlen für sich ablehnen und daran auch nicht teilnehmen.

Dieser Entscheidung des Verwaltungsgerichts hatte das Bundesverfassungsgericht widersprochen. Der Staat dürfe von einer Religionsgemeinschaft keine "Loyalität" fordern. Das Verfahren wurde wieder an die Verwaltungsgerichte zurückverwiesen und ist so wieder vor dem OVG gelandet. Das OVG muss nun die "Rechtstreue" klären und dabei herausfinden, ob die Zeugen Jehovas die Rechte ihrer Kinder auf körperliche Unversehrtheit verletzen, wenn sie "Zucht und Rute" predigen und praktizieren, oder ob sie nicht, so ein OVG-Richter, nur "genauso cholerisch" sind wie Eltern aus anderen Religionsgemeinschaften.

Zu prüfen sei auch, ob der bei den Zeugen Jehova spraktizierte Ausstoß eines Abtrünnigen aus der "geistigen Gemeinschaft" totale Isolation bedeute und damit den grundrechtlichen Schutz der Familie beeinträchtige oder nur getrenntes Beten zur Folge habe, so der Richter. Er gab dem Land Berlin und seiner schwachen Beweisführung die Schuld daran, dass die Antworten nicht aus den sieben Akten hervorgehen. Wenn Kinder der Zeugen Jehovas während der Gottesdienste in den Königreichsälen misshandelt würden, sobald sie nicht still sitzen, so der Richter, "wo bleiben dann die Strafermittlungsakten?"


Kommentare von Beobachtern der Verhandlung

Der Vorsitzende Richter hatte die Hoffnung der beiden streitenden Parteien auf ein endgültiges Urteil bereits in seinen einleitenden Worten zerstreut. Dann wurde eine Zusammenfassung der mittlerweile auf 7 Bände gewachsenen Aktenberge vorgetragen. Einen Tag vor der Verhandlung reichte Prof. Dr. Weber, der Anwalt der Gesellschaft, noch einen Schriftsatz nach (vom 24. 03.2004), den der Richter, wie er sagte, nicht mehr gelesen hat.

Im wesentlichen möchte das Oberverwaltungsgericht eine definitive und aussagekräftige Beweislage zu den folgendn Punkten haben:

  1. Inwieweit Grundrechte der Kinder verletzt werden, wenn ihnen medizinisch notwendige Maßnahmen vorenthalten werden, hier die Verabreichung von Blutprodukten
  2.  Inwieweit Grundrechte von Familienangehörigen verletzt werden (also, dass ausgeschlossene Familienangehörige auch von ihrer eigenen Familie ausgegrenzt werden usw.)
  3. Verletzung der Grundrechte bezüglich der freien Entfaltung der Persönlichkeit von Kindern

Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen stellte der Richter fest, das aufgrund zahlreicher Zuschriften an das Gericht,auch von Außenstehenden, die "Erörterung der derzeitigen Rechtssituation im Rahmen der Verhandlung auf großes öffentliches Interesse gestoßen ist".

Das Gericht gewichtet auch nach wie vor die Einschätzung auch des künftigen Verhaltens der Klägerin. Nicht geklärt sind immer noch die folgenden vom Richter aufgeführten Punkte:

  • Sind Übergriffe der Eltern auf ihre Kinder der Religion anzulasten?
  • Werden Eltern durch die Literatur der Gesellschaft zu so einem Verhalten ermuntert?

Auch die Klägerin musste sich den Vorwurf anhören:

Sie sei eine Gesellschaft mit zwei Gesichtern. Nach außen hin gebe sie sich tolerant, liberal, nach innen herrschen Zucht und Ordnung. "steckt dahinter etwa theokratische Kriegslist?" so die Frage des Richters. Weiterhin fehle es an Hinweisen seitens von Jugendämtern und Behörden, was der Umgang mit den Kindern betrifft.

Wolf Patermann vom Berliner Senat wendete ein, die Ursache liege in dem Grundprinzip der Angst in der Gemeinde, welches auf die Sachverhaltsermittlung durchschlägt. Dr. Südhoff: "Die Dogmen der Klägerin sind Anlass für die innere Verhaltensweise der Zeugen Jehovas."

Über die geänderte Position der WTG im Umgang mit Zustimmungswilligen Zeugen zur Bluttransfusion zitiert Südhoff die aktuelle Position der WTG: "Wer Bluttransfusion zustimmt gibt zu erkennen, dass er nicht mehr der Gemeinschaft angehören will." Diese Position ist dennoch nur eine scheinbare Neusicht, da die Betroffenen letztlich doch unter die Ausschlussklausel fallen, so sinngemäß Südhoff.

M. Bibleres

Hier ganz kurz meine wichtigsten Stimmungsbilder vom gestrigen Prozess:

Und, damit Zeugen-Rechtsanwalt Pikl wegen mir nicht wieder unnütze Arbeit bekommt, damit ich ihm keine Zeit bei der Ausführung des lebensrettenden Predigtdienstes stehle, alles folgende sind keine Tatsachenbehauptungen, sondern meine ganz privaten Erinnerungen und Auslegungen. Meine private Meinung so to say. Unabhängig von den verwendeten Formulierungen.

Einleitend hat der Vorsitzende beide Parteien wegen Ihrer unzureichenden Schriftsätze gerügt um anschließend zu verkünden, dass der Senat (des OVerwG) beschlossen habe zukünftig selber weiter zu ermitteln. RA Pikl widersprach diesem Vorgehen und versuchte den Vorsitzenden zu belehren. Mit dem Ergebnis dass er auf die Verwaltungsgerichtsordnung verwiesen wurde. Der Vorsitzende erläuterte, dass er zukünftige Zeugen selber auswählen und berufen würde. Und verbat sich ausdrücklich weitere Eingaben der Parteien. Wenn er die Stellungnahme einer Partei wünsche würde er sie explizit anfordern. Zu meiner Freude hat Pikl gegen diese Entscheidung mehrmals aufbegehrt.

Irgendwann war auch davon die Rede, dass beide Parteien gerne mit Vernebelungsbomben arbeiten.

Wesentliche Bereiche die der Senat prüfen werde seien die Rechte von Kindern und Jugendlichen und die Freiheit der Persönlichkeitsentwicklung. Außerdem die Schädigung der Familie durch die Ausschlusspraxis. Auf sehr nette Weise stellte er die Frage wie das mit dem Geschlechtsverkehr sei, wenn beide Partner keine intensive (geistige) Gemeinschaft haben dürften.

"Hammerartig" erklärte er, dass die Theokratische Kriegslist ein Problem bei der Urteilsfindung sei. Pikl nahm dieses Thema später auf, ohne jedoch das Vorgehen der Th. Kriegslist abzustreiten.

Inhaltlich wurde u. a. die Praxis der Kindererziehung angesprochen. Pikl verwies dazu auf eine Einstellungsänderung in der Gesellschaft die die JZ seit 1998 nochvollzogen hätten. Der Vorsitzende meinte, hier sei zu prüfen, ob diese Aussage wieder Th. Kriegslist sei. Außerdem ob diese Änderung weltweit oder nur in Deutschland stattfand. Und letztendlich ob sie den Mitgliedern der JZ bekannt gegeben worden sei, und wenn, dann in welcher Form.

Ein weiterer Punkt den der Senat prüfen wolle seien die Grundrechte der Frauen, was Pikl offensichtlich überhaupt nicht gefiel.

Paul