Das stand auf dem Titel des Wachtturms vom 1. Mai 1996. Im Inneren des Heftes fand der Leser eine WT -typisch langatmige Darstellung über volle 16 Seiten, bis man endlich zum eigentlichen Kern der Botschaft kam, die mit folgenden Worten eingeleitet wurde:

Es gibt auch Länder, wo der Staat... Einzelpersonen... die Möglichkeit einräumt, den Kriegs- und Militärdienst zu verweigern. Manche Länder verlangen von den Betreffenden, Zivildienst zu leisten, zum Beispiel eine nützliche Tätigkeit für das Allgemeinwohl zu verrichten.

Darauf wird ein kleiner Exkurs in biblische Zeiten eingeschoben, um zu dokumentieren, daß Frondienste für den Staat schon zu Jesu Zeit üblich waren. Gefolgt von einer - wieder recht allgemein gehaltenen - Beschreibung von zivilen Diensten aus heutiger Zeit, die mit der polemischen Bemerkung endet:

Auch Zeugen Jehovas leisten häufig einen solchen zivilen Dienst... Damit zumeist ein hervorragendes Zeugnis gegeben, und es bringt manchmal diejenigen zum Schweigen, die Jehovas Zeugen zu Unrecht der Ablehnung des Staates beschuldigen.

Erst dann kommt der eigentliche Punkt:

Doch was ist, wenn der Staat von einem Christen für einen begrenzten Zeitraum einen zivilen Dienst verlangt, der Bestandteil einer staatlichen Dienstpflicht ist, die unter der Verwaltung der Zivilbehörde steht?

Man achte auf die Formulierung: Das Reizwort Wehrersatzdienst wird sorgfältig vermieden, um niemand daran zu erinnern, daß dies bisher ein striktes Tabu für einen Christen (sprich: einen Zeugen Jehovas) war. Auch wird nicht vom Wehrersatzamt gesprochen, sondern irreführend von der "Zivilbehörde". Doch der entscheidende Satz kommt erst noch. Er wird wie beifällig in die wortreichen Darlegungen eingefügt, als ob es die selbstverständlichste Sache der Welt sei:

Auch in diesem Fall muß der Christ eine persönliche Gewissensentscheidung treffen, nachdem er sich informiert hat.

Auch hier wieder das in letzter Zeit übliche gewordene Synonym Christ = Zeuge Jehovas. Verbunden mit der völlig neuen Erkenntnis, daß die Entscheidung zum Wehrersatzdienst ab sofort eine "persönliche Gewissensentscheidung" sei. Um das ganze noch einmal zu unterstreichen folgt zwei Abschnitte später noch ein Hinweis an die Ältesten, sie sollen "...das Gewissen des Bruders voll und ganz respektieren und ihn weiterhin als Christen betrachten." Das klingt wie immer völlig harmlos, bedeutet aber in der Praxis nichts anderes, als daß die bisherige Wachtturm-Politik, nachdem die Anerkennung des Wehrersatzdienstes automatisch einen Ausschluß zur Folge hatte, ab sofort aufgehoben ist.

Die meisten werden die gut verpackte Änderung überhaupt nicht mitbekommen haben. Nicht umsonst wurde sie in die übliche dicke Wortwatte verpackt, um möglichst wenig aufzufallen. Andere werden wieder über das immer heller werdende Licht der Erkenntnis fabulieren und dabei gar nicht merken, daß sie in Wirklichkeit wieder einmal nur manipuliert wurden. Und wer noch zu einem Rest eigenem Denkens fähig ist, wird hoffentlich erkannt haben, daß auch dieser Schritt nichts anderes ist, als ein weiterer kleiner Baustein auf dem Weg in das ersehnte Steuerparadies einer Gesellschaft des öffentlichen Rechts.

Auf jeden Fall paßt die Zustimmung zum Wehrersatzdienst zur Pressemitteilung der WTG (verbreitet über ihren neuen "Informationsdienst der Zeugen Jehovas"), in der bereits am 18. März 1996 auf den Wachtturm vom 1. Mai hingewiesen wurde. Und das mit den Worten:

Jehovas Zeugen unterstützen den Staat und seine Vertreter...

Die Ältesten, die bisher ausschließlich in vertraulichen Sitzungen vom Kreisdiener darüber unterrichtet wurden, wie sie sich in Sachen Wehrersatzdienst zu verhalten hätten, erhielten gewissermaßen als flankierende Maßnahme in einem internen Schreiben den Hinweis, daß die Leitende Körperschaft der Zeugen Jehovas "zu einer erweiterten Erkenntnis von Römer 13 gekommen ist" (eine interessante Formulierung für eine 180-Grad-Kehrtwende). Wie schon bei der Neu-Interpretation der Generation seit 1914 wurde auch hier zum Ausdruck gebracht, daß sich ja "grundsätzlich nichts geändert" habe. Eine Unverfrorenheit, wenn man an die unzähligen jungen Menschen denkt, die im treuen Gehorsam zu "Jehovas Organisation" ins Gefängnis gewandert, hohe Geldstrafen bezahlt oder Entscheidungen gegen ihr eigenes Interesse getroffen haben. Oder an diejenigen, die bis zum 1. Mai 1996 ausgeschlossen wurden, weil sie keine Probleme mit ihrem Gewissen hatten, den Militärdienst gegen eine sinnvollere Arbeit im Altersheim einzutauschen.