Brief eines anonymen Schreibers, der sich zu der Diskussion über einen Vortrag des Zeugen Jehovas Dr. Reinhard Kohlhofer auf dem Podium einer Veranstaltung der Moon-Sekte äußert:


Sehr geehrte Damen und Herren!

Durch Zufall gelangte ich zu Ihrer Site. Ihr Disput über das Naheverhältnis der Wachtturm- Gesellschaft zu Scientology hat mich an ein Ereignis erinnert, das zwei Jahre zurückliegt. Mit meinen Unterlagen kann ich zur Diskussion beitragen.

Das Bundesministerium für Umwelt, Jugend und Familie (kurz BMfUJF) in Österreich veröffentlichte 1996/97 eine Broschüre, betitelt "Sekten - Wissen schützt" in der alle im Land aktiven Sekten beschrieben wurden über die es "in letzter Zeit häufige Anfragen bzw. öffentliche Auseinandersetzungen gab" (Seite 30). Die Sekten wurden in 5 Kategorien eingeteilt: Gurubewegungen, Psychogruppen, Neuoffenbarungsbewegungen, Gruppen mit christlichem Bezug und Sonstige Gruppen. Die vorletzte Gruppe enthält die Biographien von David Bergs Kinder Gottes (Die Familie), der Vereinigungsbewegung (Moon-Sekte) und Zeugen Jehovas (Seiten 40-45).

Ich weiß von befreundeten Zeugen Jehovas, dass in ihren Versammlungen ein Rundschreiben verlesen wurde, die Wachtturm-Gesellschaft werde gegen die Lügen in dieser "Sekten-Broschüre" Schritte unternehmen und die Gläubigen selbst "ermuntert wachsam zu sein, denn wir müssen mit Verfolgung rechnen". Diese Panikmache hat mich zwar amüsiert, aber der Angriff auf den sachlichen und emotionslosen Biographie-Stil in der "Sekten-Broschüre" betreffend "Zeugen Jehovas" geärgert. (Beilage)

Anfang Oktober 1997 zeigte sich die Allianz der Sekten gegen die Aktion des Bundesministeriums öffentlich. Es erreichte mich eine Presseaussendung der "Vereinigungskirche in Österreich" (Moon-Sekte) zu einer "Tagung anlässlich der Informationskampagne des Bundesministeriums für Familie" mit dem Thema: "Sekten und Staat", am Samstag, 25. Oktober 1997 im Hotel Marriott, Wien. Redner waren Mitglieder der österreichischen und der internationalen "Vereinigungsbewegung".

Aber der erste Redner war ein Zeuge Jehovas! Dr. Reinhard Kohlhofer, Rechtsanwalt, offizieller Rechtsvertreter im Anerkennungsverfahren der Wachtturm-Gesellschaft, Österreich und Ältester in seiner Glaubensgemeinschaft deren Beteiligung mich sehr verwundert hat, weil ich aus vielen Diskussionen weiß, wie sehr sich Zeugen Jehovas gegen einen Interkonfessionalismus wehrten. Ich glaube ihr theologischer Sammelbegriff für alle religiös-orientierten Nicht-Zeugen ist: "Babylon die Große". Der Konferenz-Vorsitzende, Mag. Janisch (PR - Manager der Moon-Sekte) hat dies ebenfalls in seiner Einleitung angedeutet: "Wir wollen den Dialog mit jenen führen, die bis jetzt mit uns keinen Dialog geführt haben. Verständnis, Dialog und Transparenz sind notwendige Faktoren um besser miteinander umgehen zu lernen, um Vorurteile abzubauen und um miteinander, gemeinsam Probleme zu lösen." (O-Ton v. Tonbandaufzeichnung).

Vielleicht liege ich mit meiner Beurteilung falsch, aber für meine Verwunderung gab es im Laufe der Veranstaltung noch Steigerungen. Dr. Kohlhofer präsentierte sich als fachlich kompetenter Jurist auf dem sehr komplizierten Gebiet des Staatskirchenrechts. Er vertrete nicht nur die Wachtturm-Gesellschaft, sondern gleich auch alle anderen Sekten (Scientology, Mormonen und Moonie`s erwähnte er direkt) und sprach über juristische Teilerfolge. Er prangerte das Religions- und Informationsmonopol der etablierten Großkirchen an und übte heftige Kritik an der Aufklärungskampagne des Bundesministeriums (namentlich des Ministers Dr. Bartenstein aus dem christlichen Lager der Österreichischen Volkspartei). Anschließend vermittelte er einen Einblick in die Europäische Religionsgeschichte mit dem Ergebnis, niemand habe das Recht, andere Religionen als nicht gleichberechtigt zu sehen. Erstaunlicherweise gebrauchte er kein einziges Bibel- oder Wachtturmzitat, beendete aber seine Rede mit einem Zitat des Papstes Joh.Paul II: "Das Recht auf Religionsfreiheit oder das Recht auf das eigene Gewissen auf der Suche nach Wahrheit stellt die Grundlage für alle anderen Freiheiten dar."

Für weitere ähnliche Tagungen habe ich mich seither nicht mehr interessiert. Wie eingangs erwähnt habe ich mich bloß durch Ihre Diskussion an das Thema erinnert. Ich hoffe dieser kleine Exkurs ist Ihnen dienlich.